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„Es wird schwer, den Garantiezins zu halten“: R+V-Chef schließt Senkung nicht mehr aus

Der Vorstandschef der R+V-Versicherung kritisiert die geldpolitischen Pläne der Notenbanken. Die hätten gravierende Folgen für die Rendite von Lebensversicherungen.

Der nach Beitragseinnahmen zweitgrößte Lebensversicherer Deutschlands, die genossenschaftliche R+V Versicherung, schließt angesichts der lockeren Geldpolitik erstmals eine Senkung des Garantiezinses nicht mehr aus: „Es ist sicher richtig, dass es zunehmend schwierig wird, die Garantie von 0,9 Prozent noch zu halten“, sagt R+V-Vorstandschef Norbert Rollinger im Interview mit dem Handelsblatt.

Die Deutsche Aktuarvereinigung werde in den kommenden Monaten darüber reden müssen, ob der Garantiezins noch einmal gesenkt werden müsse. Neukunden klassischer Lebensversicherungen droht damit ein weiterer Rückgang der garantierten Verzinsung.

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Der Garantiezins bestimmt, welche Rendite Lebensversicherer ihren Kunden mindestens versprechen müssen. Da es für die Unternehmen wegen der anhaltenden Niedrigzinsen jedoch immer schwieriger wird, auskömmliche Renditen zu erwirtschaften, wurde der Garantiezins in der Vergangenheit schon mehrfach gesenkt.

Allerdings stellt der Garantiezins nur einen Teil der Rendite von klassischen Kapitallebensversicherungen dar. Hinzu kommt die Überschussbeteiligung. Halten Versicherte ihren Vertrag bis zum Ende der Laufzeit, gibt es unter Umständen weitere Bonuszahlungen: einen Schlussüberschuss sowie eine Beteiligung an den Bewertungsreserven. Beide sind aber keineswegs garantiert.

Lange Zeit galt der Garantiezins in der Lebensversicherung als verkaufsträchtiges Argument. Denn bis zum Jahr 2000 betrug dieser bis zu vier Prozent und ermöglichte Versicherten eine gut verzinste Altersvorsorge.

Doch aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase wurde der Höchstrechnungszins sukzessive gesenkt, zuletzt 2017 auf das Niveau von lediglich 0,9 Prozent. Der Garantiezins wird jährlich vom Bundesfinanzministerium überprüft. Für bestehende Verträge ändert sich bei einer Senkung jedoch nichts.

Die Versicherer reagieren mit dem Vorstoß auf die Pläne der Europäischen Zentralbank (EZB). In den vergangenen Wochen hatte auch unter den Banken die Debatte darüber Fahrt aufgenommen, dass die Lasten der EZB-Niedrigzinspolitik womöglich auch auf Kleinsparer abgewälzt werden müsse.

Die EZB wird nach Einschätzung von Experten an diesem Donnerstag ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Lockerung der Geldpolitik beschließen.

Erwartet wird ein ganzes Bündel an Schritten zur Stützung der Konjunktur, darunter ein höherer Strafzins für Einlagen der Banken bei der Notenbank. Das heißt: Banken, die überschüssige Liquidität bei der EZB halten, zahlen künftig einen noch höheren Minuszins.

Für EZB-Chef Mario Draghi ist es bereits das vorletzte Zinstreffen. Ende Oktober läuft seine Zeit am Steuer der Euro-Notenbank nach acht Jahren ab.

Das komplette Interview lesen Sie hier:

Herr Rollinger, am 12. September steht ein historisches Datum an: Die EZB wird wohl erneut den Einlagenzins senken und damit eine weitere Zinssenkungsrunde einläuten. Was kostet dieser Schritt Sparer und Lebensversicherte?
Das ist keine gute Nachricht für jeden Sparer und jeden, der für das Alter vorsorgt. Für uns als Branche sind das extrem schwierige Rahmenbedingungen. Wir hatten eigentlich gedacht, dass wir durch die Entlastungen bei der Zinszusatzreserve das Thema Lebensversicherung stabilisiert haben. Doch in der Branche merken wir nun, dass alle Entlastungen durch die neue Zinssituation wieder aufgezehrt werden.

Kommt die Branche wieder mehr unter Druck?
Ja, leider. Ebenso wie die Banken trifft die Assekuranzen eine weitere Zinssenkung schwer. Den Banken schnürt es die Luft zum Atmen ab und den Lebensversicherungskunden beschert das auf lange Sicht niedrigere Renditen – und das ist kein gutes Signal.

Die Zahl der Versicherer, die von der Finanzaufsicht Bafin verschärft beobachtet werden, weil dort auf lange Sicht Finanzprobleme drohen könnten, ist zuletzt von 34 auf 20 gesunken. Wird diese Zahl wieder steigen?
Das kann ich nicht sagen, weil ich diese 20 Unternehmen nicht kenne. Aber der dramatische Zinsverfall, der sich darin niederschlägt, dass inzwischen für 30-jährige Bundesanleihen keine Zinsen mehr gezahlt werden, lässt die Probleme in der Branche natürlich wachsen. Ich würde es allgemein mal so formulieren: Mich würde es wundern, wenn die Zahl der Versicherer, die unter verstärkter Beobachtung stehen, kleiner wird. Wie dramatisch die Situation ist, sehen Sie ja daran, dass die Banken nun schon laut über Minuszinsen für Kleinsparer nachdenken.

Wie ernst wird es denn für die Finanzbranche?
Wenn noch längere Zeit die Marktmechanismen bei den Zinsen nicht greifen, wird es sehr unangenehm. Sparern und Banken schadet das extrem. Es droht eine Zerstörung des Bankensystems in seiner bisherigen Form. Das bedeutet auch für die Lebensversicherung eine ziemliche Herausforderung.

In der Politik wird über ein Verbot von Minuszinsen für Kleinsparer nachgedacht. Muss die Politik jetzt einspringen, um das Ersparte noch zu retten?
Ich halte generell von solchen politischen Eingriffen in die Wirtschaft nichts. Ehrlich gesagt, finde ich das schon etwas zynisch. Die Bundesregierung selbst gibt doch Anleihen heraus, für die der Sparer weniger Geld bekommt, als er zuvor eingezahlt hat. Aber wenn die deutschen Banken – getrieben von einem negativen Einlagenzins – selbst über solche Schritte nachdenken, ist das ein Skandal. Da wird doch mit zweierlei Maß gemessen. Es gibt Befürchtungen, dass die Schere zwischen Arm und Reich wegen der Zinspolitik weiter auseinandergeht. Und jetzt beklagt die Politik, dass sie das alles nicht gewollt hat und eingreifen muss? Ich würde sagen, die beste Regulierung wäre es, endlich wieder vernünftige, marktgerechte Zinsen zu haben.

Auch im Neugeschäft der Lebensversicherungen geht die Schere zwischen den Anbietern weiter auseinander. Inzwischen teilen sich R+V und Allianz mehr als ein Viertel des Neugeschäfts auf. Spricht daraus auch die Angst der Kunden, dass nur noch die kapitalstarken Firmen durch das Zinstief kommen?
Natürlich fragt sich der Kunde: „Wo ist mein Geld sicher?“ Die Niedrigzinsphase und die Verschärfung, die wir jetzt sehen, setzt die Unternehmen unter Druck. Und natürlich steigt der Druck auf die Firmen noch einmal mehr, die nicht so gut kapitalisiert sind oder in der Vergangenheit Fehler bei der Kapitalanlage gemacht haben. Diese Firmen müssen dann irgendwann ihr Geschäft einschränken oder sogar einstellen – was bei ersten Adressen ja bereits passiert ist.

Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten wirft den Assekuranzen vor, sich auf ein Geschäftsmodell verlassen zu haben, dass sie jetzt nicht mehr im Griff haben. Haben Sie sich mit Garantiezinsen von bis zu vier Prozent, wie sie in den 1990er-Jahren üblich waren, nicht einfach verkalkuliert?
Es gilt der Spruch: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Der Vorwurf ist unfair. Die Lebensversicherung ist zu allen Zeiten kritisiert worden. In den 1990er-Jahren hat der Vorgänger von Herrn Kleinlein die Branche dafür kritisiert, dass wir nur vier Prozent bieten, während es damals für Bundesanleihen sieben oder acht Prozent Zinsen gab. Diese Stimmen sind heute alle verstummt. Wer heute eine Lebensversicherung mit vier Prozent hat, ist ein König – denn er hat sie für 30 bis 40 Jahre sicher. Jetzt bietet der Staat 30-jährige Anleihen zu einem Nullkupon an, und bei der Lebensversicherung erhält der Kunde immer noch einen Garantiezins von 0,9 Prozent. Und die Gesamtverzinsung mit Überschussbeteiligung liegt bei der R+V bei rund 2,9 Prozent. Ich wüsste schon, wo ich da anlegen würde.

Unter dem Strich bleibt angesichts der Inflation in den letzten Jahren dennoch eine Negativrendite. Wie lange können die Versicherungen diese Minuszinsen noch aushalten?
Wir sind ein sehr langfristig orientierter Investor. Es ist sicher richtig, dass es zunehmend schwierig wird, die Garantie von 0,9 Prozent noch zu halten. Die Deutsche Aktuarvereinigung wird in den kommenden Monaten darüber reden müssen, ob der Garantiezins noch einmal gesenkt werden muss. Wir als Versicherer können uns von der allgemeinen Renditeentwicklung nicht einfach abkoppeln. Das heißt auch, wir werden in der Gesamtverzinsung – und zwar als R+V und als Branche – weiter heruntergehen müssen. Das schränkt die Attraktivität des Produkts aus meiner Sicht aber nicht ein, denn diesen Effekt stellen Sie im ganzen Anlageuniversum fest.

Deutsche-Bank-Boss Christian Sewing sagte, die Niedrigzinsen hätten die Bank in den letzten Jahren mehr als zwei Milliarden Euro gekostet. Lässt sich beziffern, was es die Versicherer gekostet hat?
Nun, exakte Zahlen gibt es dazu nicht. Aber es gibt Untersuchungen unserer Muttergesellschaft, der DZ Bank, dass die Niedrigzinsen in den vergangenen Jahren die deutschen Sparer rund 650 Milliarden Euro gekostet haben an entgangenen Erträgen. Wir haben für unser Haus nicht quantifiziert, was das für uns finanziell bedeutet. Aber natürlich erhöht die neue Zinswelt den Kostendruck und macht das Thema Altersversorgung schwieriger.

Dennoch stemmen Sie sich vehement gegen einen Provisionsdeckel. Warum dürfen die Vermittler nicht weniger bekommen, obwohl die Renditen der Lebensversicherten immer niedriger ausfallen?
Wir sind als Branche gegen einen solchen Eingriff in die Autonomie der Branche. Letztlich muss mir erst einmal jemand erklären, warum die Boni in der Lebensversicherung streng reguliert werden sollen, aber die Kosten von Fonds nicht. Dort sind Aufschläge und laufende Kosten kein Thema – und es gibt keine Höchstgrenzen für sie. Wir sind der Meinung, dass eine gute Beratung auch honoriert werden muss. Gerade in Zeiten, in denen der Kunde händeringend überlegt, was er machen soll, ist so eine Beratung doch umso wichtiger. Sie muss die Menschen zum Beispiel dafür sensibilisieren, wie dringend notwendig der Aufbau einer privaten Altersvorsorge ist. Hier spielt die Lebensversicherung eine wichtige Rolle.

Aber warum zahlt die Rechnung dafür der Versicherte, der trotz sinkender Renditen die gleichbleibende Provision aus seinen Beiträgen finanziert?
Letztlich ist dieser Effekt doch auch durch die Niedrigzinsen verursacht. Ich kann doch nicht das Problem der Niedrigzinsen auf dem Rücken der seriösen Vermittler abladen und sagen, dann dürfen die halt weniger verdienen, weil es jetzt weniger Zinsen gibt. Ihnen sagt ja auch niemand: „Das Handelsblatt muss sparen, und darum kürzen wir Ihr Gehalt um 20 Prozent.“ Das ist doch eine unfaire Sache. Klar muss sich die Lebensversicherung auch weiter für den Kunden rechnen. Aber für das makroökonomische Thema Niedrigzinsen sollten nicht die Vermittler als Buhmann hingestellt werden.

Herr Rollinger, vielen Dank für das Interview.