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Union bläst zur Jagd auf Cum-Ex-Betrüger

Der Bund hat es aus Sicht der Union versäumt, die Verjährung von Cum-Ex-Straftaten zu stoppen. Die NRW-Landesregierung will nun das Steuerstrafrecht verschärfen.

„Das war nicht nur frech und dreist. Das war verachtenswert.“ Foto: dpa
„Das war nicht nur frech und dreist. Das war verachtenswert.“ Foto: dpa

Olaf Scholz (SPD) hat keine Gelegenheit ausgelassen, Cum-Ex-Geschäfte mit scharfen Worten zu geißeln. „Das war nicht nur frech und dreist. Das war verachtenswert“, sagte der Finanzminister etwa auf einer Veranstaltung Ende 2019. Ihm sei völlig schleierhaft, wie man solche Steuertricksereien auf Kosten der Allgemeinheit für legal oder gar legitim halten könne, so Scholz.

Seinen Worten ließ der Minister dann auch Taten folgen, um – so hatte es den Anschein – die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Beute zurückzuholen. Mit dem Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz verabschiedete die Bundesregierung im Juli neue Vorschriften, die den Verantwortlichen das Leben schwerer machen sollten. Das neue Gesetz sieht vor, Cum-Ex-Straftaten länger verfolgen zu können als bisher.

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Statt bis zu 20 Jahre nach der Tat ist eine Strafverfolgung neuerdings 25 Jahre lang möglich. Doch das Gesetz hat das Problem der Verjährung aus Sicht von Experten nicht vollständig gelöst. Potenzielle Täter können nach derzeitiger Rechtslage offenbar weiter davon ausgehen, ungeschoren davonzukommen. Und das liegt aus Sicht der Union an Lücken in Scholz’ Corona-Steuerhilfegesetz.

Peter Biesenbach (CDU), Justizminister aus Nordrhein-Westfalen, will das nicht hinnehmen. Seine Landesregierung wird deshalb an diesem Freitag einen eigenen Gesetzesentwurf in den Bundesrat einbringen, um allen Cum-Ex-Fällen nachgehen zu können. Der Gesetzesentwurf liegt dem Handelsblatt vor.

„Aus meiner Sicht hat der Komplex überragende Bedeutung. Ich will auf jeden Fall verhindern, dass die Täter ungestraft davonkommen“, sagt Biesenbach. Andernfalls müsse der Staat „schätzungsweise Milliarden abschreiben“.

Cum-Ex gilt als einer der größten Steuerskandale in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach Ansicht von Experten wurde der Fiskus um rund zwölf Milliarden Euro betrogen. Bei Cum-Ex nutzten beteiligte Banken und Investoren Schwachstellen im Steuersystem, um sich eine nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer doppelt oder gar mehrfach vom Staat erstatten zu lassen.

Die Geschäfte waren bis 2011 möglich, dann stellte der Gesetzgeber das System um. Doch erst seit wenigen Jahren geht der Staat konsequent gegen die Steuertrickser vor und arbeitet den Skandal juristisch auf. Deshalb droht in vielen Fällen eine Verjährung.

„Soll wirklich jeder jeden bescheißen?“

Dies liegt auch daran, dass Staatsanwaltschaften lange gebraucht haben, um die komplizierten Cum-Ex-Geschäfte zu entschlüsseln und das industrielle Ausmaß zu erkennen. Denn die Akteure nutzten dafür komplexe Strukturen. In aller Regel waren zahlreiche Institute beteiligt; Banken, Broker, Makler, Investoren, teils mit Sitz im Ausland. Inzwischen stufen Finanzgerichte die Deals als illegal ein.

Auch zur Strafbarkeit gibt es eine erste Entscheidung. Im Frühjahr 2020 hat das Landgericht Bonn das Urteil gesprochen. Der Tenor: Die Geschäfte waren strafbar. „Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der jeder jeden bescheißt?“, fragte der Vorsitzende Richter Roland Zickler anlässlich der Urteilsverkündung. Beobachter messen dem Urteil eine große Bedeutung bei, weil es die rechtliche Grundlage für weitere Ermittlungen, Anklagen und Urteile ist.

NRW-Justizminister Biesenbach fällt als oberster Dienstherr der Staatsanwaltschaft Köln eine besondere Rolle zu. Zwar liegen auch bei den Staatsanwaltschaften in Frankfurt, München und Stuttgart Fälle. Aber Köln mit seiner Zuständigkeit für das Bonner Bundeszentralamt für Steuern bearbeitet die meisten Cum-Ex-Komplexe.
Rund 80 Aktenzeichen sind dort in Arbeit, etwa 900 Beschuldigte stehen auf der Liste. Die Fälle spielen im Umfeld namhafter deutscher und internationaler Finanzinstitute, darunter die Deutsche Bank, die Hypovereinsbank, Barclays, Santander oder die australische Investmentbank Macquarie.

Fraglich ist allerdings, wie viele der zu Unrecht erstatteten Kapitalertragsteuern der Staat im Strafverfahren überhaupt zurückholen kann. Zwar gibt es seit 2017 die Möglichkeit, auf kriminell erworbenes Vermögen 30 Jahre lang zuzugreifen. Das Problem ist allerdings, dass diese Frist durch Vorschriften zur Steuerhinterziehung womöglich überlagert wird. Hier gilt nur eine Frist von zehn Jahren, so sieht es der Bundesgerichtshof nach einem Urteil aus 2019.

Experten gehen davon aus, dass der Gesetzgeber diesen Missstand lösen könnte, indem er das Einziehungsrecht auch auf Steuerstraftaten ausweitet. Im neuen Corona-Steuerhilfegesetz ist das auch geschehen – allerdings erst mit Wirkung ab dem 1. Juli 2020. Kilian Wegner, Wissenschaftler an der Bucerius Law School, sagt: „Wenn der Gesetzgeber den Tätern die Beute nicht überlassen will, muss er das Einziehungsrecht ändern.“

Das sei auch möglich, wenn er – wie bei anderen Straftaten auch – 30 Jahre lang rückwirkend den Rückgriff auf Vermögen erlaube, das aus Steuerstraftaten stammt. „Das wäre aus meiner Sicht nur folgerichtig“, so Wegner. Genau diesen Ansatz verfolgt NRW-Justizminister Biesenbach mit seiner Gesetzesinitiative. „Ich will, dass der Staat illegal erworbenes Vermögen aus Cum-Ex-Taten abschöpfen kann. Außerdem soll die relative Verjährungsfrist von 10 auf 15 Jahre verlängert werden“, sagt Biesenbach.

Die relative Verjährungsfrist ist die Zeitspanne, bis zu der seit Kenntnis von einer Tat Ermittlungen eingeleitet werden müssen, bevor die Straftat verjährt. Mit der vorgeschlagenen Verlängerung wäre es möglich, im Jahr 2020 noch Ermittlungen gegen Personen einzuleiten, die 2005 Steuern hinterzogen haben.

Nachbesserungen angekündigt

Unterstützung bekommt Biesenbach von den Grünen, zumindest ein bisschen: „Jeglicher Druck in der Sache hilft – auch von den Ländern. Der NRW-Vorschlag scheint aber eher politischer Aktionismus, um über die eigene Überforderung bei der Cum-Ex-Aufarbeitung hinwegzutäuschen“, sagte Lisa Paus, finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.

Die Grünen werden wie auch die Linken am Freitag im Bundestag jeweils eigene Gesetze einbringen, in denen sie dem Staat mehr Möglichkeiten im Kampf gegen Cum-Ex-Betrüger einräumen wollen. Auch Finanzminister Scholz hatte im Bundestag zügige Nachbesserungen angekündigt.

Ein entsprechender Gesetzesentwurf „wird derzeit ressortabgestimmt. Die Kabinettbefassung ist für Dezember 2020 geplant“, heißt es in einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums an die Bundestagsfraktionen aus dieser Woche, das dem Handelsblatt vorliegt.
Unions-Finanzexperte Fritz Güntzler fordert aber ein schnelleres Vorgehen: „Wir haben uns darauf verlassen, dass das Gesetz des Bundesfinanzministeriums dingfest ist. Wenn es das nicht ist, sollten wir so schnell wir möglich nachbessern, alles andere wäre fahrlässig“, so Güntzler. Er schlägt vor, die Änderungen noch in das Jahressteuergesetz einzuarbeiten, das derzeit schon im Bundestag behandelt wird. Dies fordern auch die Länder Bremen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hamburg in einer gemeinsamen Erklärung.

In dem Schreiben an die Fraktionen schreibt das Finanzministerium auch, sofern sich Anhaltspunkte für weitere Straftaten ergeben haben sollten, sei davon auszugehen, dass von den zuständigen Behörden die notwendigen verjährungsunterbrechenden Maßnahmen ergriffen wurden. „Dem Bundesfinanzministerium sind keine steuerrechtlich verjährten Cum-Ex-Fälle bekannt.“

Das allerdings ist eine gewagte Aussage. In Justizkreisen heißt es, es gebe eindeutig bereits verjährte Cum-Ex-Fälle.