Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 2 Stunden 48 Minuten
  • Nikkei 225

    37.922,37
    +293,89 (+0,78%)
     
  • Dow Jones 30

    38.085,80
    -375,12 (-0,98%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.918,85
    +125,41 (+0,21%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.389,80
    +7,23 (+0,52%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.611,76
    -100,99 (-0,64%)
     
  • S&P 500

    5.048,42
    -23,21 (-0,46%)
     

Auch Ungarn und Slowakei sollen Flüchtlinge aufnehmen

Generalanwalt Yves Bot hat seine Entscheidung gefällt: Er fordert den EuGH auf, die Klage aus Ungarn und Slowenien abzuweisen. Damit zeichnet sich eine Niederlage für die Länder ab – und ein möglicher Erfolg für Merkel.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) diskutiert am Mittwoch über den Dauerstreit in der EU-Flüchtlingspolitik und die Klage Ungarns und der Slowakei gegen die Umverteilung von Flüchtlingen. Der Generalanwalt Yves Bot des Europäischen Rates empfiehlt dem EuGH die Klage abzuweisen. Die Richter des Europäischen Gerichtshofs müssen der Einschätzung ihrer Generalanwälte nicht folgen, tun es aber häufig. Der Beschluss sieht vor, dass 120.000 Personen, „die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, über einen Zeitraum von zwei Jahren aus diesen beiden Mitgliedstaaten (Italien und Griechenland) in die anderen Mitgliedstaaten der Union umgesiedelt werden.“ Damit sollen die Mitgliedstaaten Italien und Griechenland, die mit der Ankunft tausender Flüchtlinge überfordert sind, entlastet werden.

Ungarn und Slowenien, sowie Rumänien und Tschechien waren 2015 bei einer EU-Mehrheitsentscheidung überstimmt worden, bis zu 120.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland in Europa zu verteilen. Auch Polen ist den Klage-Staaten unterstützend zur Seite gesprungen. Sie wehren sich auch aus grundsätzlichen Erwägungen gegen die Aufnahme der Menschen, was in der EU zu einem Dauerzwist ohne Lösung geführt hatte. Belgien, Deutschland, Griechenland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und die Kommission stehen als Streithelfer auf der Seite des Rates.

Die Slowakei will das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten. „Die Empfehlungen des Generalanwalts sind vorerst nicht zugänglich und wurden uns nicht übermittelt“, schrieb das Ministerium. „Zu Details können wir uns daher nicht äußern. ... Wir wollen deshalb auf die endgültige Entscheidung warten, für die noch kein Termin bekannt ist.“

Die AfD warnt im Hinblick auf das Urteil davor, die EU zu einer „Zwangsunion“ zu machen. Die Linie des Generalanwalts bedeute einen „radikalen Eingriff in die Souveränität demokratischer Nationalstaaten“, beklagte AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland am Mittwoch. „Wenn Brüssel versucht, die Mitgliedsstaaten dazu zu zwingen, die verfehlte Asylpolitik von Merkel und Co. auszubaden, besteht die Gefahr, dass diese Staaten sich am Ende gänzlich aus der EU verabschieden.“

WERBUNG

Am Mittwoch hat der EuGH eine Reihe von Grundsatzurteilen in Sachen Flüchtlinge gefällt. Wie bei den Verfahren zu einem Grundprinzip des europäischen Asylsystems: Nach dem sogenannten Dublin-System ist in erster Linie der EU-Staat für Asylverfahren zuständig, in dem ein Migrant nach einem illegalen Grenzübertritt zuerst den Boden der EU betritt.

Während der großen Flüchtlingskrise 2015 und 2016 ließ das Ankunftsland Kroatien Migranten jedoch über die Grenze und organisierte deren Weiterreise nach Slowenien und Österreich. Beide Länder wollen Migranten zurück nach Kroatien schicken, doch die Betroffenen wehren sich.

Der EuGH bestätigte in seinem Urteil nun die geltende Asylregeln. Das heißt Abweichungen waren trotz der damaligen Ausnahmesituation in Ländern wie Kroatien nicht zulässig. Wenn ein EU-Staat aus humanitären Gründen die Ein- oder Durchreise erlaube, entbinde ihn das nicht von seiner Zuständigkeit für die Prüfung der Asylanträge. Der Grenzübertritt sei in solchen Umständen weiter als illegal zu werten.

Die Richter folgten damit nicht den Argumenten der EuGH-Generalanwältin, die unter den damaligen ungewöhnlichen Umständen ein Abweichen von den Dublin-Regeln für rechtens hielt. Aus ihrer Sicht ist nicht Kroatien zuständig, sondern die beiden Länder, in denen die Betroffenen letztlich ihre Anträge auf Schutz gestellt haben.

Die große Koalition sieht das Asylrecht in der EU durch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gestärkt. „Das Gericht stellt klar, dass jeder Mitgliedstaat für die Einhaltung europäischen Rechts verantwortlich ist“, betonte Unions-Fraktionsvize Stephan Harbarth (CDU) am Mittwoch. „Die Mitgliedsstaaten können sich dieser Verantwortung nicht durch das Durchwinken von Flüchtlingen in andere Mitgliedstaaten entziehen.“ Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka ergänzte in der Tageszeitung „Die Welt“ (Donnerstag), „dass die Europäische Union kein Wolkenkuckucksheim ist, in dem sich jeder Mitgliedsstaat aussuchen kann, was ihm gerade passt“.

Ulla Jelpke von der Linken forderte hingegen eine Abkehr von der sogenannten Dublin-Regelung. Sie warb stattdessen für ein „free-choice-Modell“. Dieses soll Flüchtlingen ein Asylverfahren in Ländern ermöglichen, „wo sie familiäre Kontakte haben oder in Ländern, deren Sprache sie sprechen“.

In einem zweiten Verfahren zum Dublin-System haben die Luxemburger Richter außerdem Fristen im Asylverfahren geklärt. Flüchtlinge dürfen ihre Anträge auf internationalen Schutz nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch formlos stellen. Mit dem Eingang eines Schriftstücks bei den zuständigen Behörden beginnen demnach die im EU-Asylrecht vorgesehenen Fristen, auf die sich der Antragsteller berufen kann. Dies entschieden die Luxemburger Richter am Mittwoch zu einem Fall aus Deutschland.

Es geht um einen Mann aus Eritrea, der im September 2015 über Italien nach Deutschland eingereist war. Deutschland sieht nach den sogenannten Dublin-Regeln der EU Italien für das Asylverfahren in der Pflicht. Der Mann klagt jedoch gegen seine Rückführung, weil Deutschland die nach EU-Regeln gültige Frist von drei Monaten für den Antrag an Italien verpasst habe.

Der Mann hatte bereits im September 2015 in Bayern einen formlosen Antrag auf Schutz gestellt und dafür auch eine schriftliche Bestätigung erhalten. Das Bundesamt für Migration übermittelte sein Gesuch an Italien aber erst im August 2016, nach dem förmlichen Antrag des Eritreers. Der EuGH erklärte nun, dass bereits der erste, formlose Antrag ausschlaggebend sei.

Es sei „nicht erforderlich, dass das zu diesem Zweck erstellte Schriftstück eine ganz bestimmte Form hat oder zusätzliche, für die Anwendung der in der Dublin-III-Verordnung festgelegten Kriterien oder gar für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in der Sache relevante Informationen enthält“, befanden die Richter.

Die neuesten Zahlen zur Umverteilung von Flüchtlingen in der EU will EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos dann am frühen Nachmittag in Brüssel vorstellen.

KONTEXT

Italien, Deutschland und die Flüchtlinge

Wie angespannt ist die Lage in Italien wirklich?

Fast täglich werden Migranten im Mittelmeer gerettet und von Rettungsschiffen in italienische Häfen gebracht. Mehr als 93 300 Menschen erreichten so seit Jahresbeginn das Land, im vergangenen Jahr waren es noch um die 86 000 insgesamt. Hilfsorganisationen warnen, dass das nationale Aufnahmesystem über kurz oder lang überfordert sein wird. In Österreich und Deutschland befürchten manche einen neuen Ansturm wie 2015 über die Balkanroute.

Wie kommt die deutsche Flüchtlingspolitik in Italien an?

Die Bundesregierung versichert der Regierung in Rom immer wieder, ihr solidarisch zur Seite zu stehen. Für Italien ist Deutschland wohl immer noch der verlässlichste unter den EU-Partnern. Aber konkret kommt aus Sicht der Italiener viel zu wenig. Und das Innenministerium in Berlin lässt erkennen, dass es die Lage in Italien ganz so dramatisch nun auch nicht findet. 90 000 Flüchtlinge in einem halben Jahr - so viele habe Deutschland 2015 in einem Monat aufgenommen.

Was will Martin Schulz nun erreichen?

Im Grunde spricht er nur das aus, was alle wissen: Die Flüchtlingskrise ist auch für Deutschland nicht vorbei, auch wenn die Bundesregierung an vielen Stellschrauben gedreht hat, um einen Ansturm wie 2015 nicht wieder zuzulassen. "Wenn wir jetzt nicht handeln, droht sich die Situation zu wiederholen", sagt Schulz trotzdem. Er will damit vor allem Kanzlerin Angela Merkel der Untätigkeit überführen. EU-Ländern wie Polen oder Ungarn sollten seiner Ansicht nach finanzielle Mittel entzogen werden, wenn sie sich weiter verweigern. Deutschland aber habe genug geleistet. "Jetzt sind die anderen dran."

Nimmt der Wahlkampf in Deutschland damit eine neue Wendung?

Wohl kaum. Für die SPD war immer klar, dass sie mit dem Thema Flüchtlinge in der großen Koalition kaum punkten kann. Freuen darf sich aber die AfD, deren Umfragewerte mit dem Abebben der Flüchtlingskrise deutlich zurückgingen. Als die Kanzlerin im Herbst 2015 ein Deutschland der Willkommenskultur verkörperte, verlor die Union Stimmen an die AfD. Doch Merkel hat ihren Kurs längst geändert. Das wird sie, wenn nötig, auch wieder klar demonstrieren.

Welche Rolle spielt Österreich?

Aus Wien erreichen Italien immer wieder Drohungen, etwa Pläne zur Schließung des Brennerpasses. Auch in Österreich hat der Wahlkampf begonnen, am 15. Oktober wird gewählt. Vor allem Außenminister Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP versucht sich damit zu profilieren. Im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge sollten direkt in Aufnahmelager in Nordafrika gebracht werden, sagt er. Bundeskanzler Christian Kern hält dagegen: "Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht gegen Italien positionieren." Schulz will bei seinem Besuch am Donnerstag in Rom Solidarität demonstrieren. Ministerpräsident Paolo Gentiloni, Sozialdemokrat wie Schulz und Kern, wird genau hinsehen, was genau der Gast aus Deutschland mitbringt.

KONTEXT

Wie Flüchtlinge in der EU verteilt werden sollen

Solidarität der Mitgliedstaaten

Die Europäische Union setzt in der Flüchtlingskrise mit Hunderttausenden Asylbewerbern auf die Solidarität der Mitgliedstaaten. Bis September 2017 sollen rund 160.000 betroffene Menschen nach einem Schlüssel unter den EU-Ländern verteilt werden.

Entscheidung der EU-Innenminister

Im September 2015 entschieden die EU-Innenminister gegen die Stimmen der Slowakei, Ungarns, Tschechiens und Rumäniens die Verteilung derjenigen, die übers Meer nach Italien und Griechenland gekommen waren - nach heutigem Stand: 98.255 Menschen.

EU-Türkei-Abkommen

Am 29. September 2016 wurde infolge des EU-Türkei-Abkommens beschlossen, dass weitere 54.000 Plätze neben Geflüchteten aus Griechenland und Italien auch für legale syrische Flüchtlinge aus der Türkei genutzt werden können. Für die restlichen rund 7.750 Plätze muss noch festgelegt werden, woher die Menschen aufgenommen werden.

Aufgenommene Flüchtlinge in Deutschland

Nach jüngsten Zahlen vom 5. Mai 2017 wurden von den 160.000 Flüchtlingen gerade einmal 11,3 Prozent in Europa verteilt. Deutschland nahm 4.244 der 18.119 Menschen auf und versprach, zusätzlich 8.250 Plätze anzubieten. Nach dem Schlüssel müssten weitere rund 23.300 Menschen hierher kommen.

Ungarn und die Slowakei

Ungarn hat bisher keinen der für das Land errechneten knapp 1.300 Geflüchteten aufgenommen. Budapest weigert sich energisch, die beschlossenen Quoten zu erfüllen. Die Slowakei hat 16 Menschen untergebracht und 40 zusätzliche Plätze angeboten. Fast 900 weitere Flüchtlinge müsste das Land aufnehmen.