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Den Uhrenmarken geht es besser als ihrer größten Fachmesse Baselworld

Das Messegewerbe hat es nicht leicht in Zeiten von Videokonferenzen und Social-Media-Dominanz. Aber wer einer einstmals gigantischen Weltausstellung mal live beim Sterben zuschauen möchte, ist bei der bis Dienstag laufenden Uhren- und Schmuckmesse Baselworld genau richtig.

Das viele Grün und die Blumenarrangements in Halle 1 (und mehr wird dort kaum noch bespielt) sind keine Dekoration mehr, sondern ähneln bereits Grabschmuck. Schon im vergangenen Jahr hatte sich die Zahl der Aussteller auf unter 650 mehr als halbiert. Dieses Jahr sind es dem Vernehmen nach nur noch 500.

Messebetreiber MCH wird nach einem Verlust von fast 200 Millionen Schweizer Franken im vergangenen Jahr auch 2019 tief in den roten Zahlen stecken bleiben. Besonders hart: Zuletzt gingen nicht nur Luxus-Nischenanbieter wie Raymond Weil oder Corum. Mit dem Swatch-Konzern verlor Basel auch auf einen Schlag 18 Marken (von Tissot über Longines und Omega bis Breguet).

Dazu muss man wissen: Swatch sorgt – gemeinsam mit Richemont, das im Januar immer die Konkurrenzmesse SIHH in Genf organisiert – für rund die Hälfte des gesamten Schweizer Exportumsatzes mit Luxusuhren. Der lag zuletzt bei rund 20 Milliarden Schweizer Franken. Uhren gelten als drittgrößter Exporthit der Eidgenossen – hinter Pharmazeutika und Werkzeugmaschinen.

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„Wir brauchen die Baselworld nicht“, höhnte Swatch-Eigentümer und -CEO Nick Hayek kurz vor dem Beginn der Baselworld – und startete für seine Markenfamilie in Zürich eine eigene Präsentation. Der Ärger über Größenwahn, Inflexibilität und Altbackenheit, über horrende Preise und Arroganz der Messemacher in Basel sitzt nicht nur bei Hayek tief, der in den vergangenen Jahren allein für die dortigen Messeauftritte angeblich rund 50 Millionen Schweizer Franken ausgeben musste.

Selbst den deutschen Primus Nomos kostet der alljährliche Ausflug in die Schweiz noch 800.000 Euro. Und für welches Umfeld? „Das sind mittlerweile eher Potemkin’sche Dörfer“, wundert sich Nomos-Co-Geschäftsführerin Judith Borowski.

Dabei geht es der feinen Branche selbst weitaus besser als ihrem größten Branchentreff. Rolex, die unumstrittene Nummer eins im Markt, produziert in seinem Bieler Stammwerk zurzeit am Anschlag: In drei Schichten werden dort an sechs Tagen pro Woche Uhrwerke für Hunderttausende von Submariners, Datejusts und Yacht-Masters gebaut. Und doch muss man auf manche Rolex-Highlights oft etliche Monate warten.

Gejammert wird allenfalls auf hohem Niveau: „Es gab Jahre, in denen eine Vorausschau auf Branchenentwicklungen einfacher war“, sagt Sascha Moeri, Chef von Carl F. Bucherer. „Die aktuell abklingende Konjunktur, die deutlich reduzierte Reiselust der Chinesen und Russen – all das lässt mich erwarten: Unser Markt wird generell dieses Jahr nicht einfacher“, so Porsche-Design-Chef Jan Becker.

Und Chopard-Eigentümer Karl-Friedrich Scheufele ist für sein Genfer Haus wie für die Branche allenfalls „verhalten optimistisch. Es gibt derzeit einfach viele Unwägbarkeiten, die sich auf das Konsumklima negativ auswirken können – von Donald Trumps Politik bis zum immer noch nicht geregelten Brexit und von den ‚Gelbwesten‘-Protesten in Paris bis zu den global drohenden Handelskriegen.“

2019 werde „ein Jahr, in dem man auf der Hut sein muss“, sagt Scheufele, der auch im Ausstellerbeirat der Baselworld sitzt. Natürlich sei da einiges falsch gelaufen. Aber „trotz allen Ärgers der vergangenen Jahre bleibt eine solche Messe für unsere Industrie eine wichtige Möglichkeit zur Präsentation wie zum Austausch“, findet der 61-Jährige.

Aus zwei Gründen ist die Baselworld denn auch erst einmal sicher: Einerseits würden konzernunabhängige Topmarken wie Chopard, Rolex und Patek Philippe, aber auch die zum Pariser LVMH-Imperium gehörenden Schweizer Uhrenmarken Hublot, TAG Heuer und Zenith eher ihre Manufakturen sprengen, als zum Konkurrenten Richemont und dessen SIHH überzulaufen. Andererseits wurde zuletzt beschlossen, nächstes Jahr beide Messen zumindest zeitlich näher zusammenrücken zu lassen.

Retro ist in

Um nicht nur dem asiatischen Publikum wenigstens eine der beiden anstrengenden Schweiz-Reisen zu ersparen, soll die SIHH im nächsten Jahr erst vom 26. bis 29. April stattfinden; die Baselworld folgt dann direkt im Anschluss vom 30. April bis 5. Mai. Derlei Kalenderkosmetik dürfte indes kaum genügen, um die Händler glücklicher zu machen. Zumal sie sich dann gemeinsam mit dem Tross der Journalisten gleich auf einen zweiwöchigen Messemarathon einstellen müssen.

Die Baselworld müsse vom klassischen Flächenvermieter zum digitalen Dienstleister mutieren, bilanziert der umtriebige Breitling-Chef Georges Kern. Aber egal, ob er mit seiner Männer-Marke nächstes Jahr nach Genf oder Basel gehe – mit einem klassischen Stand werde er dann nicht mehr vertreten sein. Sprach’s und lud etliche Hundert Fachleute abends in eine zum Kino umgebaute Industriehalle am Stadtrand von Basel ein, wo er eine Stunde lang mit großer Show seine Neuheiten präsentierte.

Das war Kaffeefahrt auf Weltniveau – und zugleich Warnung an die Messemacher: Seht her, meinen Kunden in Asien, in den USA oder Europa kann ich mit solchen Roadshows in jeder Hinsicht viel näher kommen. Wichtig sei am Ende ja nicht irgendein Messestandort, sondern Emotion.

Eine mechanische Armbanduhr für oft vier- bis sechsstellige Summen kauft man ja nicht wegen der Genauigkeit ihrer Zeitansage, sondern weil sie ein Lebensgefühl oder wenigstens Status vermittelt.

Apropos Gefühle und „früher war alles besser“ – das gilt für die Messe wie für ihre Marken, die vielfach auf Nostalgie setzen: „Heritage“ heißt das heutzutage, wenn man lieber ins eigene Firmenarchiv klettert und Entwürfe aus den dreißiger bis sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstaubt, als allzu viel Neues zu riskieren.

„Retro ist in“, freut sich nicht nur Junghans-Chef Matthias Stotz. Ihm und seiner Max-Bill-Reihe spielt nicht allein das derzeitige 100-Jahre-Bauhaus-Jubiläum in die Hände. Allerorten gab’s in Basel klassische Chronografen, Piloten- oder Taucheruhren, auch wenn wohl die wenigsten Kunden tauchen oder gar einen Flugschein besitzen.

Zenith immerhin begeistert zum 50. Geburtstag seines Kalibers El Primero mit einer Neuauflage, die nicht nur spacig aussieht, sondern mit 18 Hertz auch besonders schnell schwingt. Porsche Design präsentiert seinen neuen 1919 Globetimer UTC. Patek Philippe setzt unter anderem auf die „Calatrava Weekly Calendar“ mit Datums-, Wochentags- und Monatsanzeige sowie erstmals Kalenderwoche.

Und Bulgari präsentierte einen weiteren Weltrekord: das mit 3,3 Millimetern flachste Chronografenwerk, das jemals gebaut wurde.

Noch mehr getüftelt wird aber an den Geschäftsmodellen. Nicht nur Breitling spielt mit allem, was Marketingsprech heute hergibt: Capsule-Collections, Limited und Re-Editions, Certified Pre-Owned Watches, also zertifizierte Gebrauchtuhren, neue Store-Konzepte ...

Im April schon soll in Metzingen ein eigenes Outlet eröffnen, weil man auch die Resterampen nicht dem Graumarkt überlassen will. Und alles natürlich Omnichannel. Das Credo von Breitling-Chef Kern: Das analoge Produkt Armbanduhr könne nur überleben, wenn drumherum alles perfekt digitalisiert wird.

Nach Jahren des Zögerns wollen viele Marken dieses Jahr eigene Online-Stores starten, was den nächsten Umbruch einläutet: „Unsere Branche hat es nicht leicht; das gilt für viele Marken, aber vor allem auch für den Handel“, sagt Junghans-Chef Stotz. „Wir erleben gerade einen enormen Strukturwandel, dem viele kleinere Juweliere schlicht nicht mehr gewachsen sind. Etliche mussten bereits aufgeben, vielen steht das noch bevor.“

Von dieser Transformation profitieren nur wenige Big Player, die wie Carl F. Bucherer aus Luzern beides sind: Händler und Uhrenproduzent. Markenchef Moeri fühlt sich global gut aufgestellt mit hundert eigenen Boutiquen, 300 weiteren Verkaufspunkten und einer Produktion, die dieses Jahr die Schwelle von 30 000 Uhren erreichen könnte.

Aber wer soll eigentlich künftig all die teuren Zeitmesser kaufen? Es gibt Marken, die mittlerweile ein Gutteil ihres Geschäfts vermögenden Sammlern verdanken, die für jede Sonderedition bereit sind, tief in die Tasche zu greifen. Doch mit denen ist keine Zukunft zu machen. Am Ende hängen Messen, Markenmacher und Handel von etwas ganz anderem ab: „Eine der wichtigsten Fragen für uns alle in der Uhrenbranche ist: Wie erreichen wir künftig global die Millennials?“, sagt Porsche-Design-Chef Becker.

Die alten Fans hat man eh. Nun muss man für den Nachwuchs begehrenswert werden. „Unsere Aufgabe als Industrie ist es, das Thema Uhren cool zu halten“, sagt Breitling-Chef Kern. Wenn das nicht gelingt, wird die Baselworld ab 2020 das kleinste Problem der feinen Branche sein.