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Mit dieser Technologie will die Bahn Millionen zusätzliche Passagiere befördern

Ronald Pofallas Termine sind in diesen Tagen eng getaktet. Am Mittwoch ist der Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn in Brüssel, um Europapolitiker von seinem milliardenschweren Plan zu überzeugen, tags darauf in Hamburg, um einen ersten Kooperationsvertrag zu unterzeichnen. Es geht um die „Digitale S-Bahn Hamburg“. Was aussieht wie ein lokales Ereignis, ist in Wirklichkeit ein Pfeiler der Digitalisierungsstrategie der Bahn.

Die S-Bahn der Hansestadt ist eines von drei Pilotprojekten, mit denen Pofalla den Bund überzeugen will, dass die hohen Investitionen gut angelegtes Geld sind. Allein diese Pilotprojekte werden knapp drei Milliarden Euro verschlingen. Neben Hamburg sollen der Eisenbahnknoten Stuttgart sowie eine wichtige Nord-Süd-Magistrale mit dem europäischen Zugsicherungssystem ETCS ausgerüstet werden.

Davon erhofft sich die Bahn 20 Prozent mehr Züge auf der Strecke, ohne dass zusätzliches Gleis gebaut werden muss. ETCS, bestätigt Professor Markus Hecht von der TU Berlin, werde die Bahn nicht nur leistungsfähiger, sondern auch zuverlässiger machen. Das ist auch notwendig. Derzeit hat die Verspätungsquote mit 25 Prozent aller Fernzüge einen Rekordwert erreicht.

Der französische Eisenbahnkonzern Alstom – künftiger Partner des deutschen Rivalen Siemens – hat inzwischen 176 ICEs der Deutschen Bahn mit der digitalen Leittechnik ausgestattet. Das ETCS ist für den Staatskonzern Kern eines milliardenschweren Digitalisierungsprogramms, das Bahn-Chef Richard Lutz vor sechs Monaten angeschoben hat. Finanzieren muss das Milliardenprojekt „Digitale Schiene Deutschland“ der Staat.

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Nun ist es an Pofalla, das Programm mit aller Macht voranzutreiben. In einer ersten Phase sollen nun drei Referenzprojekte die Leistungsfähigkeit der digitalen Leittechnik demonstrieren. Die besteht im Kern darin, den Verkehr auf dem 33.000 Kilometer umfassenden Netz besser steuern und mehr Züge fahren lassen zu können. Lutz sprach bei der Vorstellung des Projekts „Digitale Schiene Deutschland“ von 20 Prozent mehr Zugverkehr und dem „mächtigsten Hebel“, um Kapazitäten zu steigern.

Die digitale Technik ETCS hat entscheidende Vorteile gegenüber herkömmlichen Anlagen: ETCS kommt ohne Signale an den Strecken aus. Das spart viel Geld bei Installation und Instandhaltung. Zudem kann ETCS bis zu 20 verschiedene Zugsicherungssysteme in Europa ersetzen, sodass grenzüberschreitender Verkehr einfacher wird.

Noch entscheidender aber ist: Mit ETCS können Züge in kürzeren Zeitabständen fahren. Als Politikprofi weiß der ehemalige CDU-Kanzleramtsminister Pofalla, dass solche Versprechen in Berlin schwer zu verkaufen sind, denn schließlich muss der Staat die Rechnung bezahlen. Signalanlagen sind Teil der Eisenbahninfrastruktur und deshalb Staatssache. Und die ebenso notwendige Umrüstung der Lokomotiven kostet noch einmal: Es geht um Milliarden.

Die Rechnung der Bahn

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC berechnet gerade im Auftrag des Bundesverkehrsministers, was die „Digitale Schiene“ der Deutschen Bahn kosten wird. Noch ist das Gutachten nicht ganz fertig. Aber die Kosten einschließlich der Ausrüstung des rollenden Materials werden sich nach Informationen aus Regierungskreisen auf 35 Milliarden Euro summieren.

Pofalla will die Zahl nicht bestätigen. Dem Handelsblatt sagte er: „Da kommt schon ein ordentlicher Betrag zusammen, es ist aber ausgesprochen gut angelegtes Geld.“ Andererseits wäre „der konventionelle Ausbau der Infrastruktur mit entsprechender Kapazitätserweiterung teurer“. Die Kosten dafür kalkuliert die Bahn auf 50 Milliarden Euro. Dann lieber gleich digital.

Um seinen Plan voranzubringen, will Pofalla jetzt erst einmal mit drei Vorzeigeprojekten dafür werben. Knapp drei Milliarden Euro hat er allein dafür schon veranschlagt. Realisierung bis 2025. Wichtig: Die ausgewählten Referenzstrecken müssen voll ausgelastet sein, um zeigen zu können, dass ETCS mehr Leistung auf die Schiene bringt.

Bereits ausgesucht ist eine S-Bahn-Linie in Hamburg, das Projekt wird am Donnerstag in einer Veranstaltung mit Bürgermeister Peter Tschentscher vorgestellt. Als Demonstrations-Knotenpunkt soll zudem Stuttgart mit ETCS ausgerüstet werden. Eine wichtige Nord-Süd-Achse für den Fernverkehr wird derzeit gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium bestimmt; zur Auswahl stehen entweder die Magistrale Rotterdam-Genua oder Stockholm-Neapel.

Die Neubaulinie Berlin-München eignet sich für Pofallas Projekt hingegen nicht. Sie ist zwar schon zur Hälfte mit dem System ausgestattet, wird aber noch lange nicht auf Volllast gefahren. Bislang gibt es nicht einmal eine Bahngesellschaft, die einen Güterzug über die schnelle Route schicken will. Die digitale Steuerung könnte deshalb ihre Vorzüge gar nicht ausspielen.

Trotzdem ist die Strecke nach dem peinlichen Start im vergangenen Jahr derzeit ein Prestigeobjekt der Bahn, weil die ICEs auf dieser Verbindung dank ETCS kaum noch verspätet sind. Zum Vergleich: Im restlichen Streckennetz ist derzeit jeder vierte Fernzug unpünktlich.

Experten bestätigen, dass die Bahn mit der digitalen Zugsicherung das richtige Mittel gewählt hat. „Weniger Störungen, schnellere Störungsbeseitigung – und das dramatisch“, fasst Markus Hecht die Vorzüge des ETCS zusammen. Die Bahn werde nicht nur leistungsfähiger, sondern auch zuverlässiger. Der Professor für Schienenfahrzeugtechnik an der TU Berlin wundert sich nur, dass der Staatskonzern erst heute darauf kommt. „Dieses Zugsicherungssystem ist seit 25 Jahren entwickelt“, sagt Hecht. Da müsse man eigentlich nichts mehr demonstrieren.

Pofalla hofft auf Unterstützung der EU

Bahn-Vorstand Pofalla stellt sein Projekt an diesem Mittwoch in Brüssel vor. Er setzt auf Unterstützung der EU. Deren Mitgliedstaaten hatten sich ohnehin auf neun transnationale Verkehrskorridore durch Europa verständig, die dann auch mit einer einheitlichen Signalsteuerung ausgestattet werden sollten.

Ziel ist es, mehr grenzüberschreitenden Verkehr auf die Schiene zu bringen und vor allem im Gütertransport die Straßen zu entlasten. Die meisten dieser Korridore laufen durch Deutschland. Laut EU-Plan müsste Deutschland bis 2030 rund 3250 Kilometer Strecke mit ETCS ausrüsten. Die Bahn hat sich erst mal 2500 Kilometer bis 2022 vorgenommen.

Bislang hatte ausgerechnet das Transitland Deutschland den verabredeten digitalen Ausbau blockiert. Noch 2015 war kein einziger Kilometer mit der europäischen Zugleittechnik ausgestattet. Der neue Bahn-Vorstand will das nun radikal ändern. Lutz ist seit April 2017 Chef des Unternehmens, Pofalla hatte die Verantwortung für die Infrastruktur zum Jahresbeginn 2017 übernommen.

Die Schweiz ist da schon viel weiter. Dort steuern nur vier mit Fahrdienstleitern besetzte Leitstellen den gesamten Verkehr. In Deutschland dagegen gibt es noch 3265 Stellwerke. Teilweise werden Signale mit Seilzügen gestellt, Technik aus Kaisers Zeiten.

Bis heute müssen Güterzüge, die etwa von Rotterdam nach Genua fahren, von Loks gezogen werden, die entweder mit einem ganzen Arsenal unterschiedlicher Zugsicherungstechniken ausgestattet sind oder die an jeder Grenze ausgewechselt werden müssen. Alles viel zu umständlich. „Die Digitalisierung ist die einzige Antwort, wenn wir den grenzüberschreitenden Verkehr mit Personen und Gütern besser organisieren wollen“, sagt Pofalla.

Zahl der Fahrgäste soll sich bis 2030 verdoppeln

Druck kommt aber auch vonseiten der Bundesregierung. Die Regierung will bis zum Jahr 2030 die Zahl der Fahrgäste verdoppelt sehen. Das wären dann 280 Millionen Kunden allein in ICEs und ICs. Mit längeren Zügen allein ist das nicht zu schaffen, es müssen auch mehr Züge in dichterem Takt fahren können. Das European Train Control System soll es möglich machen.

Bahn-Vorstand Pofalla sieht in dem Projekt aber auch eine große industriepolitische Chance, „Deutschland zum Vorreiter in der Digitalisierung der Schiene“ zu machen. Mehr noch: Die „europäische Bahnindustrie sollte in der Welt Taktgeber beim Standard und bei der Umsetzung digitaler Leittechnik sein“, fordert er. Pofalla ist überzeugt davon, dass Chinas Bahnindustrie dem Westen dicht auf den Fersen ist. Zumal das Land der Mitte gerade dabei ist, mit milliardenschweren Investitionen die Zugleittechnik auf ein ETCS-ähnliches System umzurüsten.

Verantwortlich dafür ist der Megakonzern CRRC, mit umgerechnet 18 Milliarden Euro Umsatz weltweit größter Hersteller von Eisenbahntechnik. Und der drängt wie viele chinesische Schlüsselindustrien in neue Märkte

Der geplante Zusammenschluss von Siemens und Alstom in der Bahntechnik ist deshalb auch eine Antwort auf den Herausforderer aus Fernost. Bahn-Manager Pofalla gibt Europa allerdings nur zwei bis drei Jahre Vorsprung. „Wenn wir diese Zeit nutzen, müssen wir die Chinesen nicht fürchten.“