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Tarifverhandlungen in der Chemie stehen vor schnellem Abschluss

Die Tarifparteien der Chemiebranche treffen sich zur möglicherweise entscheidenden Runde. Arbeitgeberunterhändler Georg Müller deutet mögliche Kompromisslinien an.

Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, hier mit Ralf Sikorski, Verhandlungsführer der Gewerkschaft IG BCE, sieht Kompromissmöglichkeiten. Foto: dpa
Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, hier mit Ralf Sikorski, Verhandlungsführer der Gewerkschaft IG BCE, sieht Kompromissmöglichkeiten. Foto: dpa

Die Tarifverhandlungen für die rund 580.000 Beschäftigten der chemisch-pharmazeutischen Industrie könnten schon in der zweiten Runde an diesem Donnerstag und Freitag in Wiesbaden in die Zielgerade einbiegen. Die Gewerkschaft IG BCE habe – anders als in früheren Jahren – die Laufzeit und die Prozentforderung nicht konkret beziffert, sagte der Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbands BAVC, Georg Müller, im Interview mit dem Handelsblatt. „Das werten wir als Signal, dass es der Gewerkschaft vor allem um die qualitativen Forderungen geht und es hier Spielraum gibt“, betonte der Deutschlandpersonalchef von Bayer.

Die Gewerkschaft hatte pauschal 1.000 Euro für ein „persönliches Zukunftskonto“ gefordert, den Betrag sollen Beschäftigte auf Wunsch in zusätzliche freie Tage umwandeln können. Außerdem verlangt die IG BCE ein spürbares Reallohnplus, eine tarifliche Pflegezusatzversicherung und eine Qualifizierungsoffensive.

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In der ersten bundesweiten Runde am 21. und 22. Oktober hatten sich die Tarifparteien vor allem über die konjunkturelle Lage der Branche ausgetauscht, die aus Sicht der Arbeitgeber keine großen Sprünge zulässt. So erwartet der BAVC für das laufende Jahr ein Minus beim Umsatz von fünf Prozent und bei der Produktion um sechs Prozent. Eine lange Laufzeit des Tarifvertrags würde den Unternehmen also eine gewisse finanzielle Atempause erlauben.

Nach der ersten Runde hat die kleine Verhandlungskommission, die aus je acht Vertretern beider Seiten besteht, in weiteren Gesprächen nach Lösungen für die einzelnen Themenblöcke gesucht. Bei der Pflegeversicherung geht es neben der Grundfrage, warum die Arbeitgeber überhaupt diese Aufgabe übernehmen sollen, vor allem um die konkrete Ausgestaltung. Ein passendes Produkt zu günstigen Konditionen kann die Versicherungswirtschaft nur anbieten, wenn möglichst viele der 1.900 Unternehmen der Branche auch mitmachen.

Beim „persönlichen Zusatzkonto“ wollen die Arbeitgeber sicherstellen, dass eventuelle zusätzliche freie Tage nicht zu Lasten des Arbeitsvolumens in den Betrieben geht. Hier sind verschiedene Lösungen im Gespräch. Eine Möglichkeit, die Verhandlungsführer Müller andeutet, ist eine individuelle Arbeitszeitverlängerung über die geltenden tariflichen Wochenstunden hinaus.

Bei der Qualifizierungsoffensive wird unter anderem über Softwarelösungen verhandelt, mit der sich Weiterbildungsbedarfe der Beschäftigten erfassen lassen. Die IG-BCE-Forderung nach dem Zukunftskonto und der Pflegeversicherung entspricht nach Arbeitgeberrechnung einer Kostensteigerung um rund 2,5 Prozent. Wie viel Spielraum es darüber hinaus für eine Reallohnsteigerung gibt, werden die Verhandlungen zeigen.

Das vollständige Interview mit BAVC-Verhandlungsführer Müller lesen Sie hier

Herr Müller, die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal überraschend nicht geschrumpft, sondern gewachsen. Lässt sich Ihre Nullrundenforderung für die Chemietarifrunde noch aufrechterhalten?
Wir schauen auf die Zahlen für die Chemie- und Pharmabranche. Und da sehen wir von Juli bis September bei der Produktion ein Minus von 12,5 Prozent zum Vorjahresquartal, beim Umsatz sind es minus 8,3 Prozent und bei der Produktivität minus 13,4 Prozent. Das zeigt, in welch schwierigen Rahmenbedingungen wir uns in dieser Tarifrunde bewegen – und das ist auch der Gewerkschaft nicht verborgen geblieben.

Auf eine Nullrunde wird die IG BCE sich aber sicher nicht einlassen …
In einer Branche, die Tarifbeschäftigten im Durchschnitt 62.000 Euro pro Jahr zahlt, wäre eine Nullrunde kein Beinbruch. In den zurückliegenden zehn Jahren gab es ein Tariflohnplus von 26 Prozent, die Vergütungssituation in unserer Branche ist herausragend gut. Aber ich weiß auch, dass man eine Forderung nicht eins zu eins umsetzen kann. Tarifverhandlungen erfordern Kompromisse – von beiden Seiten.

Die Gewerkschaft will für jeden Beschäftigten ein „Zukunftskonto“, mit dem sich auch zusätzliche freie Tage finanzieren lassen. Trifft sie mit der Wahloption Geld oder Freizeit nicht den Nerv der Beschäftigten?
Natürlich ist es wichtig, Flexibilität zu haben und mit Arbeitszeit souverän umgehen zu können. Das ist aber etwas anderes als einfach mehr freie Tage zu gewähren. Wir reden über Fachkräftemangel: Wenn den Firmen Arbeitskapazität verloren geht, dann muss an anderer Stelle ein Ausgleich erfolgen. Das ist wie bei kommunizierenden Röhren.

In der Chemieindustrie gibt es schon sehr flexible tarifliche Arbeitszeitmodelle mit Korridoren. Lässt sich in dem Rahmen kein Ausgleich organisieren?
Wenn der Schichtarbeiter sich ein paar zusätzliche freie Tage nimmt, nützt es ja nichts, wenn dafür die Büroangestellte länger arbeitet. Da kommen wir mit Korridorlösungen nicht weiter. Wenn die IG BCE das Zukunftskonto will, dann müssen wir auch über Möglichkeiten einer individuellen Arbeitszeitverlängerung für alle reden, die das wollen.

Mit der tariflichen Pflegezusatzversicherung greift die Gewerkschaft ein gesellschaftlich relevantes Thema auf. Können Sie sich dagegen sperren?
Es ist richtig, dass fast jeder im Familien- oder Freundeskreis mit dem Thema zu tun hat. Dennoch bleibt die berechtigte Frage, ob wir das tarifpolitisch lösen müssen oder ob es nicht originäre Aufgabe des Staates ist. Aber die Chemie hat in der Tarifpolitik nie nur Lohnprozente im Blick gehabt, sondern vor einigen Jahren etwa die tarifliche Altersvorsorge mit aufgenommen. Wir sperren uns also nicht gegen das Thema, aber es wird Geld kosten. Jeder Euro, der in eine Pflegezusatzversicherung fließt, wird bei den Lohnprozenten abgezogen. Das muss der Gewerkschaft klar sein. Außerdem gibt es noch viele offene Fragen bei einer Branchenlösung.

Zum Beispiel?
Was passiert etwa mit der Pflegezusatzversicherung, wenn jemand aus dem Unternehmen ausscheidet? Wie können Firmen das Ganze administrativ gestalten? Wir dürfen keine Tarifverträge machen, die einen hohen Verwaltungsaufwand auslösen. Dafür haben die Unternehmen weder Zeit noch Geld.

Eine weitere Forderung der Gewerkschaft ist eine Qualifizierungsoffensive. Wie geht es da voran?
Wir stecken in einem großen Transformationsprozess. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir Arbeitnehmer, die den Weg der Veränderung mitgehen. Deshalb spielt Qualifizierung eine wichtige Rolle. Wir müssen heute darüber nachdenken, wie wir die Herausforderungen von morgen und übermorgen stemmen können. Da können wir tarifpolitisch Akzente setzen.

Geht es etwas konkreter?
Wir können zum Beispiel Instrumente entwickeln und anbieten, mit denen sich die Kompetenzen von Beschäftigten besser abbilden lassen. Unternehmen wissen oft nicht genau, was ihre Mitarbeiter eigentlich können. Es gibt auch Softwarelösungen, mit denen man die Qualifizierungsbedarfe der Mitarbeiter viel besser feststellen kann. Und wir haben bereits ein Qualifizierungskonzept für den Chemikanten 4.0 entwickelt, so dass wir schon in der Ausbildung ein ganz anderes Level an Kompetenzen aufbauen können.

Welchen Weg sehen Sie, um am Ende zu einer Einigung mit der Gewerkschaft zu kommen?
Die IG BCE hat – anders als in früheren Jahren – die Laufzeit und die Prozentforderung nicht konkret beziffert. Das werten wir als Signal, dass es der Gewerkschaft vor allem um die qualitativen Forderungen geht und es hier Spielraum gibt.

Nach dem letzten Metall-Tarifabschluss gab es massiven Unmut in vielen Betrieben. Laufen auch Sie Gefahr, den Bogen zu überspannen?
Im Nachhinein betrachtet, war schon unser letzter Abschluss 2018, der in einer sehr guten Lage erfolgte, zu teuer. Denn kaum war die Tinte trocken, ging es mit der Konjunktur nach unten. Umso wichtiger ist jetzt ein moderater Tarifabschluss. Für 2019 rechnen wir mit fünf Prozent weniger Einnahmen für die Unternehmen. Die können aber jeden Euro nur einmal ausgeben – für Lohnprozente oder für dringend erforderliche Investitionen.