Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 2 Stunden 12 Minuten
  • Nikkei 225

    37.999,00
    +370,52 (+0,98%)
     
  • Dow Jones 30

    38.085,80
    -375,12 (-0,98%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.954,84
    -17,10 (-0,03%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.388,64
    +6,07 (+0,44%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.611,76
    -100,99 (-0,64%)
     
  • S&P 500

    5.048,42
    -23,21 (-0,46%)
     

Staatsanwaltschaft vermisst bei PIM Gold 1,9 Tonnen des Edelmetalls

Eine Woche nach der Razzia bei der PIM Gold GmbH steht der Geschäftsbetrieb still. Die Strafverfolger gehen offenbar von einem Millionenschaden aus.

Nach Handelsblatt-Informationen fehlen bei PIM knapp 82 Millionen Euro in Kundengold. Foto: dpa
Nach Handelsblatt-Informationen fehlen bei PIM knapp 82 Millionen Euro in Kundengold. Foto: dpa

Der Mann steht vor einem Regal voller Goldbarren und wischt sich die Stirn. Er habe den ganzen Tag Gold gezählt, sagt Julius L. (51). Eine schweißtreibende Arbeit sei das. Er lässt sich im Tresor filmen, denn der Vertriebschef hat eine Botschaft für die Kunden der PIM Gold GmbH: Das Gold ist sicher gelagert. Im März 2017 ist das Video bei Facebook veröffentlicht worden. Heute ist der Film nicht mehr zu finden, und an der großen Sicherheit des Goldes gibt es inzwischen große Zweifel.

Seit einer Woche regiert das Chaos beim Goldhändler PIM aus Heusenstamm und bei dessen Vertriebsarm Premium Gold Deutschland (PGD), den Julius L. leitet. Der Geschäftsbetrieb ist eingestellt. Die Staatsmacht hat sämtliche Konten eingefroren und alle Vermögenswerte beschlagnahmt.

WERBUNG

„Wir alle sind dran, diese Situation aufzuklären, um entsprechend weitermachen zu können“, teilte Julius L. den wichtigsten Vertriebsleuten per Mail mit. Einfach wird das nicht. „Telefonisch bin ich aktuell nicht erreichbar, mein Handy liegt bei der Polizei“, heißt es in der Mail.

Vergangene Woche hatte die Staatsanwaltschaft Darmstadt den Firmensitz von PIM und PGD in Heusenstamm durchsucht und den PIM-Chef Mesut P. in Untersuchungshaft genommen. Die Behörde wirft Mesut P., Julius L. und einem Anwalt der Firmen unter anderem gewerbsmäßigen Betrug vor.

Nach Informationen des Handelsblatts haben die Ermittler den dringenden Verdacht, dass in den Tresoren der PIM fast zwei Tonnen Kundengold fehlen – im Wert von aktuell knapp 82 Millionen Euro. Julius L. weist die Vorwürfe von sich, wie sein Anwalt mitteilt. Die Verteidigerin von Mesut P. war nicht zu sprechen.

Für die Goldkäufer sind die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft pure Horrornachrichten. Bei vielen Verträgen mit PIM gingen sie in Vorleistung. Das Unternehmen bot je nach Vertrag drei bis sechs Prozent Bonusgold, wenn die Käufer ihr erworbenes Gold in den Tresoren liegen ließen und nicht abholten.

Der Goldhändler versprach, das Kapital im Altgoldhandel einzusetzen und seine Kunden an den Erträgen eines Gold-Recyclingkreislaufs zu beteiligen. Die Verträge ähnelten einer Kapitalanlage. Noch im Juli hatten Verbraucherschützer und Goldexperten im Handelsblatt das Geschäftsmodell als wenig glaubwürdig kritisiert.

Dieser Verdacht scheint sich nun zu erhärten, denn die Staatsanwaltschaft ermittelte und verglich drei Mengenangaben. Eine Vertragsdatenbank von PIM soll Lieferverpflichtungen von 3,38 Tonnen Feingold auflisten, von denen angeblich 2,11 Tonnen separat gelagert werden mussten. Bei einer ersten Durchsuchung Mitte Juli, die nicht öffentlich bekannt wurde, hatte die Behörde nur 215 Kilogramm Fein- und 13 Kilogramm Altgold gefunden. Die Differenz: mindestens 1,886 Tonnen.

PIM hatte den Kunden in vielen Verträgen versprochen, ihr Gold separat beim Sicherheitsdienstleister Loomis in Raunheim aufzubewahren – dort, wo wohl auch das Video mit dem verschwitzten Julius L. entstand. Eine separate Lagerung von Kunden- und Firmengold konnte die Staatsanwaltschaft indes nicht feststellen. Deshalb hat sie Vermögenswerte eingezogen, die sie in Heusenstamm und im Lager von Loomis in Raunheim vorfand.

Die Vorwürfe gegen die PIM sind nicht neu. Seit 2017 verschickt ein Ex-Mitarbeiter Insiderinformationen an Behörden und Presse. Der Mann hatte Mesut P., Julius L. und andere Führungskräfte angezeigt und behauptet, große Mengen Goldes seien verschwunden.

PIM hat diese Vorwürfe stets bestritten. Die Firma sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne – auch weil der angebliche Whistleblower zeitweise im Umfeld eines Konkurrenten tätig war. Mesut P. bezeichnete die Vorwürfe als „falsch und verleumderisch“. Die Angaben des Ex-Mitarbeiters beruhten auf falschen oder manipulierten Zahlen.

Vor zwei Monaten war der Goldhändler noch optimistisch: „Wir sind sehr sicher, dass dieses Verfahren bald eingestellt wird und sämtliche Anwürfe gegen uns im Sande verlaufen werden.“ Zu aktuellen Maßnahmen der Staatsanwaltschaft und den schweren Vorwürfen hat sich die Firma trotz Anfragen nicht geäußert.

Die Staatsanwaltschaft wirft der PIM vor, über Jahre wie ein Schneeballsystem funktioniert zu haben. Neu eingeworbene Kundengelder seien in großem Umfang dazu eingesetzt worden, um Altanleger auszuzahlen und die Provisionen der Vermittler zu bedienen.

Das legale Geschäft von PIM soll hingegen klein gewesen sein, wie Fahnder offenbar herausfanden. Lediglich zwanzig Prozent des Umsatzes im Jahr 2016 seien auf den klassischen Verkauf von Gold und Schmuck sowie den Altgoldhandel zurückzuführen.

Noch etwas ist den Ermittlern aufgestoßen. PIM könnte Kunden über den Goldpreis getäuscht haben. Der Goldhändler soll in Vertragsunterlagen suggeriert haben, das Gold werde zum Börsenpreis verkauft. Stattdessen habe PIM Aufschläge von mindestens 30 Prozent erhoben.

Der Kreis der möglichen Opfer dürfte groß sein, vermutet Stephan Greger, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der Kanzlei Dr. Greger und Collegen in München. „Bei uns melden sich betroffene Anleger im Halbstundentakt“, berichtet er.

Die Kanzlei habe einen Kollegen abgestellt, der sich nur um die Beantwortung von Erstanfragen im Fall PIM Gold kümmere. Auch Marvin Kewe von den Tilp Rechtsanwälten registriert zunehmendes Interesse. „Bei uns haben sich PIM-Kunden gemeldet, die Gold im Wert von 1.000 bis 60.000 Euro bei PIM gelagert haben.“

Zahl der Geschädigten noch unbekannt

Wie viele Goldkäufer genau betroffen sind, weiß derzeit nicht einmal die Staatsanwaltschaft. Die Kundenakten lagen den Ermittlern bis zur Razzia letzte Woche nicht vor. Einzelne Geschädigte sind deshalb unbekannt. Es könnten mehr als 1.000 sein, glaubt die Behörde. Grundlage dafür ist die digitale Kundenliste.

Wie aus dem Umfeld des Unternehmens zu erfahren ist, prüfe man noch, ob die erhobenen Daten zutreffend sind. Kunden und Ansprüche könnten veraltet sein. Julius L. teilte auf Anfrage mit, der Vertrieb sei vom Vorgehen der Staatsanwaltschaft erschüttert. „Uns sind nie Fälle zu Ohren gekommen, in denen ein Kunde von der PIM in den elf Jahren ihres Bestehens sein Gold oder Geld nicht erhalten hätte.“

Dazu passt, dass der PGD-Chef und einige Anwälte im Hintergrund versuchen, die Zwei-Tonnen-Lücke rechnerisch zu schließen. In der Mail an die Generaldirektoren heißt es: „Wir brauchen vom Vertrieb jeden einzelnen Beleg von Euren Kunden, dass wir im Laufe der Jahre das Kundengold ausgeliefert haben bzw. das Kundengeld ausgezahlt haben.“ Eine Mitarbeiterin nimmt die Papiere unter ihrer privaten E-Mail-Adresse entgegen.

Die Staatsanwaltschaft hingegen ist sich ihrer Sache sicher. Immer wieder ließ sie Soll- und Ist-Bestände für die Jahre 2017 bis 2019 in den Goldlagern überprüfen. Demnach soll die Lücke im Laufe der Zeit größer geworden sein.

Auch die Analyse der Buchhaltung unterstütze dieses Ermittlungsergebnis. So habe PIM ab Januar 2018 Gesamteinnahmen von 73,1 Millionen Euro verzeichnet, 55,2 Millionen Euro davon aus frischem Geld neuer Kunden. Vertragsgemäße Verwendung der Gelder ließ sich nur für 41,2 Millionen Euro dokumentieren. Ein großer Teil des Rests sei möglicherweise in Provisionen gelandet, vermutet die Behörde.

Neben der Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt die Staatsanwaltschaft in Frankfurt gegen den PIM-Chef. Sie geht dem Verdacht der Geldwäsche nach. Eine Bande von Internetbetrügern hatte für drei Millionen Euro bei PIM Goldbarren gekauft. Mesut P. hat im Juli den Vorwurf der Geldwäsche bestritten. „Das ist so nie passiert“, sagte er damals dem Handelsblatt.

Die Frankfurter Fahnder durchsuchten die Tresore von PIM bereits im Dezember 2017 und stellten Vermögenswerte von drei Millionen Euro sicher. Schon damals sollen Kunden- und Firmengold nicht sauber getrennt gewesen sein, worauf sich nun die Darmstädter Kollegen berufen.

Existenzen auf der Kippe

Bei den bis zu 2.000 Vertrieblern, die PIM zu seiner Struktur zählt, liegen unterdessen die Nerven blank. Für viele von ihnen ist seit dem Zugriff der Behörde die Hauptverdienstquelle versiegt. Topvermittler sollen internen Unterlagen zufolge in zweieinhalb Jahren hohe sechsstellige Summen kassiert haben. Die Online-Petition eines Vermittlers „Freiheit für Mesut P.!!!“ unterschrieben innerhalb weniger Stunden mehr als 300 Personen. Dann nahm der Initiator sie wieder offline.

Nicht nur die Existenz vieler Vermittler steht auf der Kippe. Die Staatsanwaltschaft ist sich der möglichen Folgen ihres Zugriffs bewusst. Als sie die Arrestbeschlüsse beim Gericht begründete, ging die Behörde auch auf die Möglichkeit einer Insolvenz ein. Das Risiko müsse eingegangen werden, weil der Goldhändler kaum legales Geschäft betreibe.

Auch Anlegeranwalt Greger hält es für nicht ausgeschlossen, dass eine Pleite bevorsteht. Für Anleger wäre das eine schlechte Nachricht, sagt er. „Sie könnten ihre Forderung anmelden und müssten dann darauf hoffen, einen gleichmäßigen Anteil aus der Insolvenzmasse zu erhalten.“ Die Goldkäufer könnten zudem prüfen lassen, ob sie Schadensersatz von Verantwortlichen fordern können, denen Unregelmäßigkeiten bekannt waren.

Am Mittwoch veröffentlichte PIM einen Hinweis auf der Website, die zuvor zeitweise unerreichbar war. Es sind wenige Zeilen mit dem Bedauern des Goldhändlers und ein wichtiger Hinweis. Die Polizei habe ein spezielles Postfach eingerichtet (gold-zk20.ppsoh@polizei.hessen.de). Auf diesem Kanal können sich die Kunden an die Behörden wenden. Sie sollen nur Namen, Adresse und Vertragsnummer mitteilen. Die Polizei werde sich melden.