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Wie der Staat beim Emissionshandel doppelt kassiert

Der CO2-Preis setzt viele Unternehmen unter Druck. Entlastungen gibt es zunächst nicht. Aus Wirtschaft und Opposition kommt massive Kritik.

Das Kohlekraftwerk Mehrum und Windräder in Niedersachsen produzieren Strom. Foto: dpa
Das Kohlekraftwerk Mehrum und Windräder in Niedersachsen produzieren Strom. Foto: dpa

Es sind Unternehmer wie Lars Baumgürtel, die in diesen Tagen mit Sorge in Richtung Berlin schauen. Dort befassen sich Bundestag und Bundesrat am Freitag in erster Lesung mit dem Entwurf des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG). Das Gesetz regelt die Einführung der nationalen CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Wärme. Es steckt voller Tücken.

Für Baumgürtel, geschäftsführender Gesellschafter der Verzinkerei Voigt & Schweitzer aus Gelsenkirchen, sind die Folgen des Gesetzes leicht auszurechnen: Wenn der CO2-Preis von zehn Euro je Tonne wie geplant 2021 eingeführt werde, verursache er zu Beginn jährliche Zusatzkosten von 200.000 Euro, sagt Baumgürtel. „2026, wenn der Preis zwischen 35 und 60 Euro schwankt, können es schon bis zu 1,2 Millionen Euro sein. Das Geld fehlt uns für Innovationen“, sagt Baumgürtel. Kompensationen kann er zunächst nicht erwarten.

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Die Anlagen, die Baumgürtel betreibt, sind zu klein, um zur Teilnahme am europäischen Emissionshandel verpflichtet zu sein. Die Koalition hat aber nur den Unternehmen, die am europäischen Emissionshandel teilnehmen, zugesagt, die dort geltenden Ausnahmeregeln analog anzuwenden.

Baumgürtels Unternehmen fällt damit durch den Rost. Die Anlagen seines Unternehmens verbrauchen – verteilt auf mehrere Standorte – etwa 100 Millionen Kilowattstunden Gas und emittieren 20.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Dafür wird er den vollen Preis zahlen.

Quer durchs Land sind Unternehmen mit hohem Energiebedarf betroffen, deren Anlagen nicht am europäischen Emissionshandel teilnehmen: Gießereien, Härtereien, kleinere Papierhersteller – oder eben eine Verzinkerei wie Voigt & Schweitzer.

Es sind industrielle Mittelständler mit ein paar Dutzend oder mehreren Hundert Mitarbeitern. Sie sorgen sich um ihre Wettbewerbsfähigkeit, streichen ihre Investitionen zusammen, einzelne sehen gar ihr Unternehmen gefährdet.

Investitionen gefährdet

Ob und in welchem Umfang ihnen geholfen wird, ist offen. Im Gesetzentwurf heißt es lediglich, dass ab 2022 Beihilfen durch finanzielle Unterstützung für klimafreundliche Investitionen gewährt werden können. Eine belastbare Zusage ist das nicht.

„Seit Jahren steigende Energiekosten und jetzt obendrauf der Preis für CO2: Diese hausgemachten Belastungen sind für Unternehmen kaum zu schultern. Das gefährdet Investitionen und unsere Arbeitsplätze am Standort Deutschland, das sehen Unternehmen und Mitarbeiter als große Gefahr“, sagt Hans-Toni Junius, Vorsitzender des BDI-Mittelstandsausschusses. Junius ist im Hauptberuf mittelständischer Unternehmer in der metallverarbeitenden Industrie.

Lars Baumgürtel will allerdings nicht aufgeben. „Wir werden unsere Prozesse von Gas auf Wasserstoff umstellen. Aber das braucht Zeit und kostet Geld“, sagt er. Geld, das ihm über den CO2-Preis entzogen wird. „Wir sehen in dem CO2-Preis einen Tabubruch. Verschiedene Energieträger werden dadurch gegeneinander ausgespielt. Die Bedeutung von Erdgas für Prozesswärmeanwendungen wird unterschätzt und gleichzeitig unterstellt, die deutsche Industrie könnte zwangselektrifiziert werden“, kritisiert Baumgürtel.

Auch Nachhaltigkeitsaspekte würden ausgeblendet, beklagt der Gelsenkirchener. „Die Frage, wofür Energie eingesetzt wird, spielt in den Betrachtungen der Bundesregierung offenbar keine Rolle. Der CO2-Preis funktioniert wie eine reine Input-Steuer, es findet keine Lebenszyklus-Betrachtung statt. Mit der Verzinkung verlängern wir die Lebensdauer von Produkten um Jahrzehnte, doch das bleibt völlig unberücksichtigt“, klagt er.

Aber nicht nur industrielle Mittelständler, die nicht am Emissionshandel teilnehmen, haben ein Problem. Größere CO2-Emittenten, die am europäischen Emissionshandel teilnehmen, fürchten Doppelbelastungen. Das kann die Sektoren Industrie und Energie gleichermaßen treffen.

„Konkret besteht die Gefahr, dass für Gas beim Einkauf nationale und bei der Verbrennung desselben Gases im Kraftwerk europäische Emissionshandelszertifikate erworben werden müssen. Auf dieser Basis wird niemand in neue, für die Versorgungssicherheit dringend notwendige Gaskraftwerke investieren“, sagt Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU).

Die Bundesregierung hatte in der Debatte über die Einführung eines CO2-Preises für die Sektoren Verkehr und Wärme zwar zugesagt, Doppelbelastungen verhindern zu wollen; mit dem Gesetzentwurf wird diese Zusage aber zunächst nicht eingelöst.

Dem Entwurf ist anzusehen, dass er mit heißer Nadel gestrickt wurde. Bei nur 23 Paragrafen enthält das Gesetz 13 Verordnungsermächtigungen. Wichtige Fragen bleiben damit zunächst ungeklärt. In einigen Fällen ist der gute Wille des Gesetzgebers herauszulesen, noch für Entlastungen zu sorgen. In anderen Fällen bleiben die in Aussicht gestellten Kompensationen nur sehr vage formulierte Kann-Bestimmungen.

Kompensationen fraglich

Die FDP sieht die Belastung vieler Unternehmen durch den doppelt zu zahlenden CO2-Preis nicht nur als „Affront gegen die Industrie“. Sie sei auch aus klimapolitischer Sicht fatal, sagte Lukas Köhler, klimapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, dem Handelsblatt. Investitionen in klimafreundliche Innovationen seien der Schlüssel für erfolgreichen Klimaschutz. Darum wäre es völlig kontraproduktiv, dem Markt unnötig Liquidität zu entziehen.

Wenn Anlagen bereits am europäischen Emissionshandel teilnähmen, „müssen die Emissionen, die dort bei der Verbrennung entstehen und bereits mit einem CO2-Preis belegt sind, von den Emissionen abgezogen werden, die für den Bezug von Brennstoffen berechnet werden“, heißt es in einem Entschließungsantrag, den die Liberalen am Freitag ins Parlament einbringen. „Die Unternehmen, die den Klimaschutzplan der Bundesregierung am Ende umsetzen müssen, dürfen nicht die Leidtragenden einer völlig überstürzten Gesetzgebung ohne echte öffentliche Beteiligung sein“, sagte Köhler.

Das „Bündnis faire Energiewende“, in dem sich mehrere mittelständisch geprägte Industrieverbände zusammengeschlossen haben, kritisiert, das BEHG sei nicht zu Ende gedacht: „Wenn wir mit unserer Klimapolitik nicht aufpassen und die Produktion in Deutschland weiter verteuern, werden wir unsere Produkte in Zukunft von ausländischen Produzenten mit weitaus schlechteren ökologischen Standards und CO2-Werten beziehen“, warnt Ingeborg Neumann vom Bündnis faire Energiewende.

Während für einige Branchen Kompensationen oder Beihilfen wenigstens möglich erscheinen, schauen andere komplett in die Röhre, darunter auch solche, die im internationalen Wettbewerb stehen.

Ein typisches Beispiel ist die Logistikbranche. Jörn Wahl-Schwentker vom Bielefelder Speditionsunternehmen Wahl rechnet vor: „Wenn der CO2-Preis von zehn Euro je Tonne ab 2021 eingeführt wird, haben wir 30 000 Euro Mehrkosten beim Diesel. Wenn dann ab 2026 der Preis zwischen 35 Euro und 60 Euro schwankt, bewegen sich die zusätzlichen Kosten zwischen 100 000 und 180 000 Euro.“

Sein Unternehmen steht wie die gesamte Branche in Deutschland im mörderischen Wettbewerb insbesondere mit osteuropäischen Unternehmen mit wesentlich günstigeren Kostenstrukturen. „Es wird immer schwieriger, da mitzuhalten. Wenn nun ausländische Unternehmen Aufträge übernehmen, verbessert das zwar rein rechnerisch die deutsche CO2-Bilanz. Tatsächlich wird aber keine einzige Tonne CO2 eingespart“, sagt Wahl-Schwentker.