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Spiel auf Zeit: Warum die Bundesregierung und Experten glauben, dass die Sanktionen des Westens Russland langfristig in die Knie zwingen werden

Die Sanktionen könnten die russische Wirtschaft nach derzeitigen Prognosen stark schwächen. - Copyright: picture alliance/dpa/Tass/Mikhail Tereshchenko
Die Sanktionen könnten die russische Wirtschaft nach derzeitigen Prognosen stark schwächen. - Copyright: picture alliance/dpa/Tass/Mikhail Tereshchenko

Nachdem russische Truppen völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschiert sind, haben die USA und die EU-Mitgliedsstaaten weitreichende Sanktionen gegen Russland verhängt. Das Ziel: Russlands Wirtschaft zum Einbruch bringen und das Land international isolieren. Kreml-Chef Wladimir Putin zeigte sich bisher immer bewusst kämpferisch und entwarf das Bild, die westlichen Staaten würden mit den Sanktionen zuallererst sich selbst schaden. Der Kreml betonte immer wieder, die Sanktionen gut zu überstehen, gar gestärkt aus ihnen hervorzugehen – eine Narrative, die auch Russland-freundliche Stimmen in Deutschland, etwa aus der AfD, propagieren.

Doch am Montag zeigte sich Putin dann ungewöhnlich kleinlaut. "Es ist klar, dass dies eine große Herausforderung für unser Land ist, aber wir werden nicht aufgeben“, sagte er der Nachrichtenagentur, Interfax. Putin sprach weiter von einer "kolossalen Menge an Schwierigkeiten" für sein Land. Es sei klar, dass sich Russland nicht getrennt vom Rest der Welt entwickeln könne.

Sind die Aussagen des Kreml-Chefs Aussagen also ein Zeichen dafür, dass die Sanktionen nun wirken?

Bundesregierung rechnet mit starkem Einbruch der russischen Wirtschaft

Nach Informationen von Business Insider ist zumindest die Bundesregierung intern der Ansicht, dass die Sanktionen gegen Russland das Land sehr hart getroffen haben. In diesem Jahr könne die russische Wirtschaft um über 10 Prozent einbrechen, hieß es. Ein weiterer Einbruch sei im kommenden Jahr zu erwarten. Zwar gelange Russland durch den Verkauf seiner Rohstoffe an Geld. Gerade technische Güter und Hightech-Waren aus dem Westen, die es für seine inländische Produktion brauche, könne es wegen der Sanktionen und der Blockade russischer Banken jedoch nicht kaufen.

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Business Insider hat zudem Hella Engerer, Osteuropa-Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und mit Hendrik Mahlkow, Handelsforscher am IfW Kiel nach ihren Einschätzungen zu der Wirkung der Sanktionen befragt.

Engerer geht davon aus, dass die Sanktionen erste Wirkungen zeigen. Allerdings ließe sich kurzfristig noch nicht konkret messen, wie sehr die Sanktionen Russland wirklich geschwächt haben – auch, weil Russland den Zugang zu relevanten Wirtschaftsdaten nicht mehr zulässt. Von Anfang an sei aber klar gewesen, dass die Sanktionen vor allem mittel- bis langfristig wirken.

Auch Mahlkow ist der Auffassung, dass die Sanktionen langfristig bewertet werden müssen. Allerdings geht er davon aus, dass die Sanktionen Russland stark treffen werden. Sie zum jetzigen Zeitpunkt konkret zu bemessen, sei aber noch nicht möglich. „Die genauen Effekte der Sanktionen auf das BIP und die Inflation in Deutschland und Russland lassen sich erst mit größerem zeitlichem Abstand vergleichen, wenn Faktoren, wie die Pandemie, Lieferprobleme und andere Einflüsse auseinanderdividiert werden können,“ sagt Mahlkow.

Trotzdem besagen derzeitige Prognosen, dass die Wirtschaft in Russland um ungefähr zehn Prozent einbrechen könnte.

Die Sanktionen schaden dem russischen Handel

Eine Maßnahme, die russische Wirtschaft zu schwächen, bestand darin, die russische Zentralbank zu sanktionieren und den Rubel zum Fall zu bringen. Durch das Einfrieren ihrer Devisenreserven wollte man die Handlungsspielräume der Zentralbank einschränken. In einer Publikation des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom März dieses Jahres spricht Engerer davon, dass die Sanktionen gegen die Zentralbank ein äußerst wirksames Instrument seien, das so in der Geschichte erstmals gegenüber einer großen Volkswirtschaft verhängt wurde.

Laut Engerer gäbe es Hinweise darauf, dass diese Sanktionen Wirkung zeigen. Allgemein sei zu sagen, dass das Polster an Devisenreserven in Russland sehr groß ist. „Offiziell hatte das Land im Februar internationale Reserven in Höhe von 617 Milliarden US-Dollar. Im Juni waren es 584 Milliarden US-Dollar. Die Reserven sind also gesunken. Zumindest von der Richtung her ist dies etwas, das man sich von den Sanktionen erhofft hat“, sagt Engerer. Die Finanzsanktionen hätten aber nicht einfach zum Ziel, die Reserven abzuschmelzen. Sie dienen laut Engerer auch dazu, dass Russland die Devisen weniger einsetzen und sich schwerer finanzieren kann.

Der Rubelkurs sei direkt nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine stark gefallen. Erst durch Interventionen der Zentralbank könne der weitere Verfall der Währung aufgehalten und der Kurs gestützt werden. „Zu den Interventionen gehört, dass Unternehmen ihre Devisen teilweise zwangsumtauschen mussten. Dies hat den Rubelkurs künstlich gestützt.“

Die Kursentwicklung des Rubel sei daher auch vor dem Hintergrund von Devisenmarktintervention zu sehen. Sicherlich hätten die gestiegenen Energiepreise im weiteren Verlauf zur Aufwertung des Rubels beigetragen, denn Erdöl und Erdgas sind die bedeutendsten Exportgüter Russlands und die zentrale Einnahmenquelle. "Allerdings haben Westeuropa und die USA als wichtige Abnehmer ihre Käufe in den vergangenen Monaten stark reduziert", sagt Engerer. Aussagen über die wirtschaftliche Entwicklung in Russland zu treffen, sei allerdings schwierig, auch weil die Datenlage und die Berichterstattung immer dünner würden.

"Der Rubel wird künstlich hochgehalten"

Mahlkow ist der Auffassung, dass der Wechselkurs von Rubel als Indikator nicht mehr taugt, um zu bestimmen, ob die Währung durch die Sanktionen geschwächt oder gestärkt wurde: "Der Rubel ist nicht mehr so stark nachgefragt und entspricht nicht mehr dem freien Marktpreis. Stattdessen wird er künstlich durch die Maßnahmen der Zentralbank hochgehalten. Im Prinzip ist das fundamentale Marktgeschehen zusammengebrochen und das lässt sich so schnell nicht mehr reparieren.“

Das russische Wirtschaftswachstum stagniert laut Mahlkow aber schon seit den Sanktionen, die 2014 aufgrund der russischen Militäraktionen in der Ukraine und der Annexion der Krim verhängt wurden. Beobachter gehen davon aus, dass Russlands wirtschaftliche Entwicklung auf einem niedrigen Niveau bleiben wird. "Es gibt zwar staatlich geförderte Industrieprojekte, wie die Raumfahrt, Luftfahrt oder das Militär stärker aufzubauen. Allerdings sind diese Projekte international nicht wettbewerbsfähig“, sagt er.

Mahlkows Einschätzung nach sei es für Russland mit höheren Kosten verbunden, neue Abnehmer für seine Ressourcen zu finden oder Kontakte zu knüpfen, um bestimmte Produktionsteile aus anderen Ländern zu importieren. „Zum Beispiel entwickelt Russland eine neue Panzergeneration, für die sehr viel Hardware gebraucht wird, die aus der EU importiert werden muss. Der Anteil von Importen und Exporten aus der EU liegt in Russland bei 50 Prozent. Andersherum liegt der Anteil nur bei vier Prozent,“ sagt er.

Wenn es um das Gas geht, besteht seitens der EU eine starke Abhängigkeit von Russland. Aber auch Russland ist bei seinen Gasexporten stark von der EU als Abnehmer abhängig. Für Kohle und Öl ließen sich Mahlkows Ansicht nach hingegen neue Abnehmer finden. Zum Beispiel Indien und China. Bei Gas sehe es anders aus. „Die Infrastruktur reicht nicht aus, um die verlorenen Exporte in die EU mit anderen Abnehmern auszugleichen. Es gibt zwar eine Pipeline von Russland nach China, die aber nicht an die Felder angeschlossen ist, aus denen Europa beliefert wird und auch lediglich unter fünf Prozent der russischen Gasexporte ausmacht,“ so Mahlkow.

Experte sieht Deutschland für Auswirkungen der Sanktionen gut gerüstet

Um zu bewerten, wie die Sanktionen wirken, sollte man den Blick aber nicht nur auf die russischen Energie-Exporte richten, sondern auch auf die russischen Importe, rät Engerer. Die Frage, die man sich stellen solle, sei auch, ob Russland die Produkte und Dienstleistungen, die es derzeit aus westlichen Staaten nicht mehr beziehen kann, woanders herbekommt oder selbst herstellen kann.

„Bei der Beschaffung von Ersatzteilen, Technologien und Wartungen werden Drittstaaten wohl nicht so einfach einspringen können“, sagt Engerer. Um hierzu allerdings Aussagen zu treffen, sei ein etwas längerer Beobachtungszeitraum nötig und es müssten aufwendig Handelsdaten zu den einzelnen, sanktionierten, Waren und Dienstleistungen vermeintlicher Partnerländer durchforstet werden.

Wenn es zum Beispiel um den Import von Produktionsteilen für den Abbau von Kohle, Öl und Gas geht, könne es laut Mahlkow für Russland sehr schwer werden, diese Teile aus einem Land zu importieren, das Russland nicht mit Sanktionen belegt hat. Teilweise sei Russland für dessen Beschaffung dieser Produktionsteile auf nur eine Firma in der EU angewiesen.

Insgesamt ist Mahlkow der Auffassung, dass Deutschland die Sanktionen mittel- bis langfristig sehr gut wegstecken kann. „Allerdings muss es mehr Anpassungsanstrengungen an die gestiegenen Gaspreise geben, denn die werden auch in Zukunft hoch bleiben“, sagt er. Es sei wichtig, dass viel ernster darüber gesprochen wird, wie Privatverbraucher und die Industrie Gas einsparen können. Denn im Hinblick auf die Gaslieferungen sieht Mahlkow eine Gefahr darin, dass Russland mit der Unsicherheit der europäischen Energieversorgung spielt und die EU damit unter Druck setzen könnte.