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Spanien und Frankreich planen eine neue europäische Machtbalance

Deutschland, die größte Volkswirtschaft, fällt derzeit als Treiber europäischer Projekte weitgehend aus. Die Große Koalition in Berlin ist vor allem mit sich selbst beschäftigt – und damit, das eigene Überleben zu sichern. Andere EU-Staaten allerdings nutzen diese Lücke, um gemeinsam ihre Interessen in Brüssel wahrzunehmen.

So zeichnet sich eine neue französisch-spanische Allianz ab, die es vor allem Deutschland schwer machen könnte, seine Anliegen in Brüssel durchzusetzen. Ohnehin ist die Position Berlins mit dem Ausscheiden Großbritanniens, das über Jahrzehnte durchaus im Sinne Berlins als marktwirtschaftliches Korrektiv agierte, geschwächt.

Dass der spanische Premier Pedro Sánchez die Nähe zum französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron sucht, lässt sich seit Längerem beobachten. Gleich am Tag nach der Europawahl traf sich Sánchez in Paris mit Macron, mit dem er ohnehin ein gutes Verhältnis pflegt.

Beide sind zudem Verhandlungsführer ihrer Parteien im neuen Europaparlament: Die europäischen Sozialisten haben Sánchez schon vor der EU-Wahl zu ihrem Verhandlungsführer beim anstehenden Kampf um die EU-Spitzenposten gewählt. Macron hat denselben Auftrag für die europäischen Liberalen.

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Ihre vereinte Macht wollen sie bei der anstehenden Verteilung der Topjobs auf Europaebene nutzen. Ihre wichtigste gemeinsame Mission: Sie wollen den deutschen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber für das Amt des Kommissionspräsidenten verhindern. In Spanien argumentiert man, dieses Amt habe seit dem Jahr 2004 stets ein konservativer Kandidat besetzt.

Es sei nach dem Wahlergebnis jetzt auch aus demokratischer Sicht gut, wenn an der Spitze einmal gewechselt würde. Sánchez will den sozialistischen Kandidaten Frans Timmermans dort sehen. Macron hat zwar Timmermans als möglichen Kandidaten genannt – aber bislang ebenfalls die liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und den konservativen Franzosen Michel Barnier, der für die EU die Brexit-Verhandlungen geführt hat.

Schwere Wirtschaftskrise

Ohnehin klagt Spanien seit Jahren, dass es in Brüssel unterrepräsentiert ist. Grund dafür war vor allem die jahrelange schwere Wirtschaftskrise. „Jetzt ist der richtige Moment, um die Situation zu ändern“, ist José Ignacio Torreblanca von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations in Madrid überzeugt.

„Spanien hat die Krise hinter sich gelassen, und anders als seine beiden Vorgänger Rajoy und Zapatero will Sánchez sich auch persönlich stärker in der EU einbringen.“ Am Mittwoch hat die EU-Kommission empfohlen, Spanien nach rund zehn Jahren aus dem Strafverfahren wegen zu hoher Haushaltsdefizite zu entlassen.

In Spanien, der viertgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone, will man sich nun allein mit einem EU-Kommissar nicht zufriedengeben. Der Spitzenkandidat der spanischen Sozialisten für die Europawahl, der amtierende Außenminister Josep Borrell, gilt als möglicher EU-Außenminister oder als Vizekommissionspräsident für Wirtschaftsfragen.

Macron kommt Madrids Wunsch nach mehr Einfluss durchaus entgegen. Das hat mehrere Gründe: Deutschland, das für ihn weiter die höchste Priorität besitzt, ist wegen der Regierungskrise in den kommenden Monaten mehr oder weniger gelähmt.

Die Suche nach neuem Führungspersonal bei SPD und CDU und nach neuen stabilen Mehrheiten wird zwangsläufig die europapolitische Aktivität Berlins hemmen. Da ist es nützlich, einen neuen, aktiven Partner zu finden. „Spanien und Frankreich, vielleicht noch Portugal, sind die Regierungen, die am deutlichsten für eine stärkere europäische Integration eintreten“, sagt Torreblanca.

Den zweiten Grund beschreibt ein Macron-Berater so: „Pedro Sánchez ist wie der Präsident selbst an einer politischen Neuordnung in Europa interessiert.“ „Neuordnung“ umschreibt das Ende der Großen Koalition aus Konservativen und Sozialisten im Europaparlament. Macron will ein breiteres Bündnis aus Liberalen, Sozialisten und möglicherweise den Grünen bilden.

Von Deutschland enttäuscht

In Paris ist die Enttäuschung über Deutschland wegen des Widerstands gegen weitgehendere Reformen der Euro-Zone groß. Auch deshalb bemüht sich Macron um Allianzen mit anderen EU-Staaten, und zwar nicht nur in Südeuropa.

Macron umgarnt auch den niederländischen Präsidenten Mark Rutte – vor allem in der Frage des Postenpokers verfolgen Rutte und Macron, die beide dem liberalen Lager angehören, gemeinsame Interessen. Rutte werden Ambitionen auf das Amt des EU-Ratspräsidenten nachgesagt. Vielleicht bekommt er dafür von Macron Unterstützung, wenn er im Gegenzug hilft, den Franzosen Barnier zum Nachfolger Jean-Claude Junckers zu machen.

Es geht allerdings nicht nur um Personalien oder grundsätzliche Blockbildung, sondern vor allem um punktuelle Abkommen je nach Thema. Im Europaparlament „werden wir voraussichtlich wechselnde Allianzen eingehen“, sagt ein Mitarbeiter von Europaministerin Amélie de Montchalin. Das könne etwa beim Klimaschutz mit den Grünen sein, bei Sicherheits- und Migrationsfragen mit den Konservativen.

Für Spanien geht es jenseits der Allianzen auf bestimmten Themenfeldern vor allem um eine vertiefte bilaterale Allianz zwischen den direkten Nachbarn. In Madrid heißt es, Sánchez verstehe sich zwar auch exzellent mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber inhaltlich lägen die spanischen Sozialisten den französischen Liberalen näher – etwa was die Vollendung der Bankenunion oder einen gemeinsamen Haushalt für die Euro-Zone angehe.

In dem Punkt liegen die Dinge für Macron anders: Seine Partei La République en Marche (LREM) ist mittlerweile klar in der rechten Mitte verortet. In Frankreich hat sie die Konservativen weitestgehend absorbiert, in den wohlhabenden Vierteln erzielt LREM ihre besten Wahlergebnisse. Insgesamt steht Macron den Konservativen politisch näher als den Sozialisten.

Eine stabile pro-europäische Säule

Und auch das ist wahr: Sowohl Paris als auch Madrid legen Wert auf eine gute Beziehung zu Deutschland. Beide wollen ihren Schulterschluss keinesfalls als Opposition gegen Merkel verstanden wissen. Sánchez ist für Macron eine willkommene Ergänzung, aber keine Alternative zu Deutschland, das auf Ebene der Staaten aus seiner Sicht durch niemanden zu ersetzen ist.

Auch Sánchez’ Leute hätten Deutschland schon signalisiert, dass es ihnen darum gehe, in die bisherige Zweierachse Paris–Berlin mehr einbringen zu wollen.

In welcher Form, das ist noch unklar. Grundsätzlich aber ist das Engagement Spaniens in Europa aus deutscher Sicht willkommen – gerade in Zeiten, wo rechtspopulistische Regierungen Brüssel zunehmend anfeinden.

In den zehn Monaten, die Sánchez nach dem Misstrauensantrag gegen Mariano Rajoy im vergangenen Sommer im Amt war, ist die gesamte Berliner Hautevolee nach Spanien gereist: die Kanzlerin, der Bundespräsident sowie der Außen- und der Finanzminister.

Spanien ist aus Sicht Berlins eine stabile pro-europäische Säule – auch wenn nach den Parlamentswahlen Ende April erstmals eine rechtsradikale Partei in die nationale Volksvertretung einzieht. Bei den Europawahlen hat Vox aber nur sechs Prozent der Stimmen erzielt. Auch in der Migrationspolitik setzt Sánchez sich klar für eine europäische Lösung ein, obwohl das Land im vergangenen Jahr zum Hauptziel von illegalen Einwanderern wurde.

Allerdings müssen die Spanier noch beweisen, dass sie ihren Absichten auch Taten folgen lassen. Im nationalen Wahlkampf Ende April war Europa kein Thema. „Was bislang fehlt, ist eine grundlegende spanische Vision für das Europa der Zukunft“, sagt Maria Mercedes Guinea Llorente, Expertin für internationale Politik an der Complutense-Universität in Madrid. „Ich hoffe, die kommt bald, denn die Gelegenheit, an europäischem Einfluss zu gewinnen, ist jetzt günstig, da Großbritannien aus der EU austritt und Italien in Opposition zu Brüssel steht.“

Mehr: Pedro Sánchez ist Europas stärkster Sozialdemokrat: Die Partei des spanischen Premiers stellt im EU-Parlament die meisten sozialdemokratischen Abgeordneten.