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Spahn reformiert im Schatten von Coronavirus und CDU-Führungskrise die Krankenkassen

Spahns Krankenkassenreform steht vor der Verabschiedung – mit Folgen für 73 Millionen Versicherte. Es ist nur ein Teilerfolg für den Minister.

Das Gesetz des Gesundheitsministers könnte schon am Donnerstag verabschiedet werden. Foto: dpa
Das Gesetz des Gesundheitsministers könnte schon am Donnerstag verabschiedet werden. Foto: dpa

Jens Spahn steht aktuell häufig im Scheinwerferlicht. Als Gesundheitsminister kümmert er sich öffentlichkeitswirksam um das Krisenmanagement beim Coronavirus, als CDU-Politiker wird er als möglicher Nachfolger von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer gehandelt.

Dabei sollten die mehr als 70 Millionen Menschen in Deutschland, die in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind, ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema lenken: Der Gesundheitsausschuss des Bundestages behandelt am Mittwoch abschließend die Reform des milliardenschweren Finanzausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), am Donnerstag soll das Parlament Spahns Gesetz dann verabschieden.

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Das Thema eignet sich nur schlecht für Schlagzeilen, denn der Mechanismus zur Umverteilung der Beitragsgelder trägt den Namen „morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich“. Hinter diesem Sprachungetüm verbirgt sich aber eine Frage, die für jeden Versicherten einen Unterschied im Portemonnaie macht: Wie hoch sind die Beitragssätze meiner Krankenkasse?

Spahn hatte große Pläne, als er im Frühjahr des vergangenen Jahres den ersten Entwurf seines „Faire-Kassenwahl-Gesetzes“ (FKG) präsentierte. Dem Minister schwebte ein weitreichender Umbau der Krankenkassenlandschaft vor, der mehr Wettbewerb in das System bringen sollte.

Während viele Kassen bundesweit geöffnet sind, sind einige nur regional begrenzt wählbar. Das gilt vor allem für die elf Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), deren Gebiete sich ungefähr an den Bundesländern orientieren. Der Gesundheitsminister wollte, dass ein Versicherter aus Schleswig-Holstein zum Beispiel auch in die AOK Sachsen-Anhalt wechseln kann, um von deren günstigen Beitragssätzen zu profitieren.

Doch aus den Bundesländern, die ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren jeweiligen Ortskrankenkassen pflegen, kam erbitterter Widerstand. Am Ende musste Spahn auf die bundesweite AOK-Öffnung verzichten – und benannte sein Vorhaben in „Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz“ um.

Die Reform dreht sich um die Frage, wie rund 250 Milliarden Euro jedes Jahr im Gesundheitssystem verteilt werden. Und es geht darum, ob für alle Krankenkassen im Markt die gleichen Bedingungen gelten.

Beim Finanzausgleich in der GKV werden die Beitragsgelder der Versicherten und ein Steuerzuschuss auf die mehr als 100 Krankenkassen in Deutschland verteilt – abhängig vom Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand der jeweiligen Versicherten. Dieser Mechanismus hat in den vergangenen Jahren ziemlich Schlagseite bekommen.

Finanzausgleich soll zielgenauer gestaltet werden

Während einige Krankenkassen mehr Geld als zur Ausgabendeckung nötig zugewiesen bekamen und so große Rücklagen aufbauen konnten, besteht bei anderen Kassen eine chronische Finanzierungslücke. Das AOK-Lager wies 2018 eine Überdeckung von gut 1,5 Milliarden Euro auf, alle anderen Kassenarten waren im Minus.

Generell gilt: Krankenkassen, die aus dem Finanzausgleich nicht genügend Geld zur Ausgabendeckung erhalten, müssen einen höheren Zusatzbeitrag erheben. Das im Koalitionsvertrag vorgegebene Ziel lautete, den Finanzausgleich zielgenauer zu gestalten.

Auf der Grundlage mehrerer wissenschaftlicher Gutachten schlug Spahn eine Reihe von Maßnahmen vor, die sich auch im Gesetz wiederfinden. So sollen in die Berechnungen künftig mehr Krankheitsdiagnosen als bisher einfließen. Über einen Risikopool sollen finanzielle Belastungen, die einzelnen Krankenkassen durch äußerst teure Behandlungsfälle entstehen, abgemildert werden.

Auch die regionalen Unterschiede bei den Gesundheitskosten sollen eine Rolle bei den Zuweisungen spielen, indem beispielsweise der Anteil der ambulant Pflegebedürftigen in einer Region berücksichtigt wird. Angebotsorientierte Faktoren wie Arztdichte oder Krankenhausbettenzahl sollen allerdings außen vor bleiben. Damit will das Ministerium „Fehlanreize“ vermeiden, die eine Über- oder Unterversorgung in bestimmten Gegenden verfestigen könnten.

Neu ist nach den Beratungen im Bundestag, die Auswirkungen dieser Regionalkomponente im ersten Jahr auf 75 Prozent zu begrenzen. Dadurch sollen die finanziellen Be- und Entlastungen für die unterschiedlichen Kassen in der Übergangsphase begrenzt werden. Zudem ist für 2023 ein Gutachten geplant, das die Wirksamkeit der Reform untersuchen soll.

Reform soll Tricks der Krankenkassen unterbinden

Die Absicht aber ist, dass die Risikostruktur der Versicherten in den unterschiedlichen Kassen besser abgebildet wird, um die Finanzmittel passgenauer zuzuweisen. Wenn so viel Geld im Spiel ist, geht aber nicht immer alles mit rechten Dingen zu. Immer wieder versuchten in der Vergangenheit Krankenkassen, die Geldverteilung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Spahn hatte die Krankenkassen ermahnt, um die beste Versorgung und „nicht um die besten Finanztricks“ zu konkurrieren. Der Minister wollte verhindern, dass Kassen ihre Versicherten auf dem Papier kränker aussehen lassen, um mehr Mittel aus dem Finanztopf abzugreifen.

Der Trick verlief ungefähr so: Krankenkassen ermunterten Ärzte mit vertraglich festgehaltenen Vergütungsanreizen dazu, bei Patienten bestimmte Diagnosen zu dokumentieren, die ihnen Zuweisungen aus dem Finanzausgleich bescherten. Das Vorhaben von Spahn, dass Kassen in Versorgungsverträgen mit der Ärzteschaft die Vergütung nicht mehr an bestimmte Diagnosen knüpfen dürfen, strichen die Gesundheitspolitiker von SPD und Union bei den Beratungen im Bundestag aber aus dem Gesetz.

Ihre Befürchtung war, dass Krankenkassen künftig nicht mehr zielgerichtet mit Hausärzten bei der Versorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes kooperieren können. Allerdings: Es gibt keine einheitliche Aufsicht, die Verträge auf unlautere Anreize für Ärzte prüft, bei Patienten bestimmte Krankheitsdiagnosen zu dokumentieren und Kassen damit Zuweisungen aus dem Finanztopf zu bescheren.

Besonders aktiv auf dem Gebiet der Versorgungsverträge sind die AOKs, die wiederum durch ihre starke regionale Stellung in vielen Bundesländern gute Beziehungen zu den dortigen Landesregierungen pflegen. Die bundesweit tätigen Kassen beschweren sich, dass die regionalen Ortskrankenkassen von den Behörden in den Ländern zu wohlwollend geprüft werden und einen Wettbewerbsvorteil haben.

Ursprünglich wollte Spahn das Problem mit der Öffnung des AOK-Lagers angehen und so auch alle regionalen Kassen unter die Aufsicht des Bundesversicherungsamts (BVA) holen. Das scheiterte an der Blockade aller 16 Bundesländer. Vor allem Bayern, das über die CSU am Berliner Kabinettstisch vertreten ist, verfügte über einen wirksamen Hebel.

Spahns Gesetz sieht immerhin eine „Manipulationsbremse“ vor. Demnach sollen künftig Auffälligkeiten bei bestimmten Krankheitsdiagnosen berücksichtigt werden, die eine Beeinflussung durch Krankenkassen nahelegen. Gibt es einen Manipulationsverdacht, fallen für diese Diagnosen die Zuweisungen aus dem Finanzausgleich weg.

Zufrieden mit dem Ergebnis zeigte sich die für Gesundheitspolitik zuständige Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion, Bärbel Bas. „Mit dem Faire-Kassen-Wettbewerb-Gesetz machen wir den Risikostrukturausgleich fit für die Zukunft“, sagte sie dem Handelsblatt. „Wir schaffen so die Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und stellen sicher, dass kein Versicherter von seiner Krankenkasse aufgrund seines Alters, seines Geschlechts oder seiner Erkrankung diskriminiert wird.“

Allerdings wird es noch etwas dauern, bis eine Bewertung der Reform möglich ist. Das Gesetz soll zwar im Frühjahr in Kraft treten, finanzwirksam für die Krankenkassen werden die Neuregelungen aber erst 2021. Und dann könnte es auch erste Auswirkungen auf die Zusatzbeiträge der Versicherten geben.

Mehr: Spahn stellt endlich den Gesetzentwurf für die Patientenakte vor, der das Gesundheitswesen digitalisieren soll. Datenschutzbedenken hatten ihn verzögert. Doch wieder gibt es Kritik.