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„Sonderopfer“ für viele Unternehmen: Infektionsschutzgesetz sorgt für Frust in der Wirtschaft

Die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes hat Bund und Ländern mehr Rechtssicherheit gegeben. Teile der Wirtschaft empfinden sie allerdings als Zumutung – und fordern Entschädigungen.

Im erneuerten Infektionsschutzgesetz wird ein Katalog an möglichen Maßnahmen aufgeführt. Foto: dpa
Im erneuerten Infektionsschutzgesetz wird ein Katalog an möglichen Maßnahmen aufgeführt. Foto: dpa

Ein Mann mit Mundschutz zieht sich die leeren Taschen aus der Hose. Auf seiner Schürze prangt die Aufschrift „Letztes Hemd“. Mit dieser plakativen Abbildung wirbt die Kanzlei Gansel um Mandanten aus dem Gastgewerbe.

Das Versprechen: „Wir gehen gegen die Bundesländer vor und setzen Ihre Rechte durch, zum Beispiel aus dem Infektionsschutzgesetz.“ Es geht um die Frage, ob die von Schließungen betroffenen Einzelhändler, Hoteliers und Gastwirte eine Entschädigung verlangen können.

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Stichwort: Staatshaftung. Gansel weiß, wie das Geschäft mit Massenklagen läuft: Die Kanzlei wurde mit Klagen von Dieselfahrern gegen VW bekannt.

Doch der juristische Weg dürfte nicht einfach werden, auch nach der von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Neufassung des Infektionsschutzgesetzes. Die schwarz-rote Koalition stellte mit der Novelle die Corona-Verordnungen auf ein festeres rechtliches Fundament – und verankerte Schwellenwerte zur Bewertung des Infektionsgeschehens.

Was regelt das Gesetz?

Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten Anfang Mai über die Lockerung der Maßnahmen aus dem Frühjahr diskutierten, vereinbarten sie eine Art regionale Notbremse: In Landkreisen oder kreisfreien Städten mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen müssten Beschränkungen wieder eingeführt werden.

Als Grund für den 50er-Wert führte Merkel damals an, dass bis zu dieser Grenze die Gesundheitsämter vor Ort die Infektionsketten nachverfolgen könnten. An dieser Argumentation hat sich nichts geändert. Zuletzt lag die Sieben-Tages-Inzidenz bundesweit bei rund 140.

Nun hat der Wert Eingang in den neuen Paragrafen 28a des Infektionsschutzgesetzes gefunden. Für Kreise und kreisfreie Städte gilt demnach, dass sie bei einer Überschreitung der 50er-Marke „umfassende Schutzmaßnahmen“ umsetzen müssen.

Bereits wenn mehr als 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen registriert werden, müssten regional erste Maßnahmen ergriffen werden. Außerdem seien bei einer Überschreitung des 50er-Wertes „bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben“.

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Doch es gibt Zweifel an der Aussagekraft der Sieben-Tages-Inzidenz und der Grenzwerte. Professor Gérard Krause vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung kritisierte: „Die alleinige Reduktion der Lageeinschätzung auf einen einzigen Messwert ist epidemiologisch nicht begründbar und entspricht nicht dem Stand der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz.“

Im novellierten Infektionsschutzgesetz wird ein Katalog an möglichen Maßnahmen aufgeführt. Dazu zählen Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverbote und Maskenpflicht ebenso wie die Absage von Veranstaltungen, Reisebeschränkungen und Beherbergungsverbote.

Möglich ist auch die „Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel“, die Gastronomie darf ebenfalls dichtgemacht werden. Viele dieser Maßnahmen wurden im Laufe der Pandemie bereits ergriffen, nun existiert aber eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage.

Die Verhältnismäßigkeit muss weiter gegeben sein. In Paragraf 28a heißt es, dass bei Entscheidungen über Corona-Maßnahmen „soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen“ zu berücksichtigen seien.

Was bedeutet das für die Wirtschaft?

Ifo-Chef Clemens Fuest sieht in dem Gesetz daher auch keine „Zumutung“ für die Wirtschaft. „Das Gesetz fordert bei der Verhängung von Lockdown-Maßnahmen eine Abwägung zur Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialer Aspekte“, sagte Fuest dem Handelsblatt.

In einigen Branchen wird das Gesetz aber sehr wohl als Zumutung gesehen. Die Sorge ist, dass damit Beschränkungen zementiert werden könnten, unter denen Gastronomie oder Tourismus besonders leiden.

Der Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV), Norbert Fiebig, kritisiert, „dass das Infektionsschutzgesetz die Möglichkeit eröffnet, von bestimmten Branchen – wie zum Beispiel von Reiseveranstaltern bei Ausspruch von Reise- beziehungsweise Beherbergungsverboten – ein Sonderopfer zu fordern, ohne eine entsprechende Entschädigungsregel vorzusehen“.

Es werde „keine ausreichende Begründung geliefert“, warum Reise- und Beherbergungsverbote das Pandemiegeschehen maßgeblich beeinflussen könnten, sagte Fiebig.

Gastgewerbe schreibt Brandbrief

Frust herrscht auch im Gastgewerbe. Rund 40 führende Gastronomen etwa der Steakhauskette Eugen Block, Feinkost Käfer, aber auch Promi-Gastronom Tim Mälzer und Brauerei-Chefs drückten ihren Ärger über das Infektionsschutzgesetz in einem Brief an Merkel und die Ministerpräsidenten aus.

Mirko Silz, Chef der Pizza- und Pastakette L’Osteria, sagte: „Ich sehe dringend Nachbesserungsbedarf – speziell bei den angekündigten Entschädigungen.“ Die Politik lasse Gastronomen „mit Verzögerungstaktiken und bürokratischem Klein-Klein bei der Beantragung der Hilfen am langen Arm verhungern“.

Johannes Bühler, Geschäftsführer der Burgerkette Hans im Glück, begrüßt zumindest die Rechtssicherheit durch die Neuregelung. „Sie beantwortet jedoch nicht annähernd die Frage der Verhältnismäßigkeit zwischen entstehenden wirtschaftlichen Schäden und Eingrenzung der Pandemie-Situation.“

Der Branchenverband Dehoga hält das Infektionsschutzgesetz für grundrechtswidrig. „Das Gastgewerbe erhält quasi Berufsverbot, erbringt ein Sonderopfer, damit die sonstige Wirtschaft und Schulen nicht in den Lockdown müssen“, sagte Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges.

„Wenn solche harten Maßnahmen ergriffen werden, dann müssen auch Entschädigungen im Gesetz vorgesehen sein.“ Diese fehlten komplett, deshalb werde der Verband Verfassungsbeschwerde einlegen.

Der Einzelhandelsverband HDE ist überzeugt, dass die Geschäfte auch bei hohen Fallzahlen offen bleiben können. Hauptgeschäftsführer Stefan Genth sagte, der Einzelhandel habe mit Hygienekonzepten in den vergangenen Monaten bewiesen, dass Einkaufen auch in Pandemie-Zeiten sicher sei.

„Das hat die Politik honoriert, und ich gehe davon aus, dass deshalb auch mit dem neuen Infektionsschutzgesetz keine Geschäfte mehr geschlossen werden müssen.“ Grundsätzlich müssten die politischen Entscheidungen „immer wieder begründet und auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden“.

Auch der Messeverband Auma hofft, dass ein Überschreiten von Schwellenwerten nicht zu Absagen führt. Am Ende komme es auf die Umsetzung des Gesetzes an. „Die Länder können Messen durchaus auch künftig mit bestimmten Einschränkungen zulassen, etwa mit den erfolgreich erprobten Hygiene- und Abstandsauflagen“, erklärt der Verband.