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Seehofers riskanter Angriff auf WhatsApp

Das Innenministerium will Anbieter von Messengerdiensten zur Kooperation mit Sicherheitsbehörden zwingen. Das Vorhaben torpediert einen wichtigen Beschluss der Bundesregierung.

Die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Messenger-Dienste wie WhatsApp zu verpflichten, den Sicherheitsbehörden Zugang zu verschlüsselten Nachrichten zu verschaffen, stoßen parteiübergreifend auf Widerstand. Selbst in der Union regt sich Unmut.

„Sollte es solche Pläne geben, so widersprechen sie der Digitalen Agenda und der bisherigen Beschlusslage der Bundesregierung“, sagte der Vorsitzende des netzpolitischen Vereins der Unionsparteien „cnetz“, Thomas Jarzombek (CDU), dem Handelsblatt.

Jarzombek spielt auf ein Kernziel der Digitalen Agenda der Bundesregierung an, nämlich hierzulande sichere Kommunikation zu ermöglichen, indem Deutschland zum „Verschlüsselungsstandort Nummer eins“ gemacht wird. So steht es in einem Bericht, den das Bundeswirtschaftsministerium in der vergangenen Legislaturperiode veröffentlicht hat. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es zudem, man wolle „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für jedermann verfügbar machen“.

Bei dieser Art der Verschlüsselung sind Inhalte von Kommunikation grundsätzlich nur für Absender und Empfänger im Klartext sichtbar. WhatsApp hat rund 1,5 Milliarden Nutzer weltweit und stellt als einen Vorteil des Dienstes die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung heraus. Dieser Vorteil wäre dahin, müsste der Dienst für Behörden eine Schnittstelle bereithalten.

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Jarzombek warnte vor den Folgen, würden starke Sicherheitsvorkehrungen nun zu Fahndungszwecken ausgehebelt. „Sollte es ein Verschlüsselungsverbot geben, so wäre dies sehr gefährlich für die Wirtschaft und insbesondere den Mittelstand, der sich ohnehin zahlreichen IT-Angriffen und Spionageinitiativen ausgesetzt sieht“, sagte der Bundestagsabgeordnete, der auch Koordinator der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt ist. Die Technologie und Infrastruktur deutscher Unternehmen müsse geschützt werden.

Grüne sprechen von „digitalpolitischem Offenbarungseid“

Der SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann sieht es genauso. Für ihn muten die Vorschläge von Seehofer denn auch „geradezu abenteuerlich“ an. „Eine sichere Ende-zu-Ende Verschlüsselung schützt unsere Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft vor Cyberangriffen und Spionage“, sagte Zimmermann dem Handelsblatt. „Diesen Schutz sehenden Auges zu schwächen, wäre fahrlässig.“

Scharfe Kritik kommt auch von den Grünen. „Horst Seehofers neuerster Angriff auf die Bürgerrechte ist ein digitalpolitischer Offenbarungseid erster Güte und eine echte Kampfansage an die IT-Sicherheit“, sagte Fraktionsvize Konstantin von Notz dem Handelsblatt. „Statt konkrete Gefahren zielgerichtet abzuwehren, zielt der Innenminister auf Verschlüsselung insgesamt.“ Auch von Notz erinnerte an das Versprechen in der „Digitalen Agenda“, Deutschland zum Verschlüsselungsland Nummer eins auf der Welt machen zu wollen. „Nun scheint es so, als würde Horst Seehofer daran arbeiten, dass Deutschland Überwachungsland Nummer eins auf der Welt wird.“

Nach den Ministeriumsplänen, über die der „Spiegel“ zuerst berichtet hatte, sollen die Behörden nicht selbst die Möglichkeit erhalten, die starke Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anzugreifen. Die Dienste sollen vielmehr per richterlicher Anordnung aufgefordert werden, die Kommunikation ihrer Kunden mitzuschneiden und an Behörden zu schicken - in lesbarer Form, also unverschlüsselt. Ein Sprecher des Innenministeriums sprach von gesetzlich geregelten Ausnahmefällen, in denen ein staatlicher Zugriff auf Kommunikationsinhalte ermöglicht werden solle.

Um eine Gleichbehandlung von „klassischer“ Telekommunikation und „internetbasierten Kommunikationsdiensten“ zu gewährleisten, sei lediglich eine gesetzliche Klarstellung vorgesehen. Dies hätte dann aber auch zur Folge, dass Kommunikationsunternehmen im Zweifel gesperrt werden können, wenn sie sich einem Chat-Zugriff verweigern. Schon heute sei es der Bundesnetzagentur möglich, betonte der Ministeriumssprecher, einem Telekommunikationsdienst, der seinen Verpflichtungen nicht nachkomme, „die Erbringung seines Dienstes zu untersagen“.

Sicherheitsbehörden wollen mehr Befugnisse

Bislang ist gesetzlich nur eine sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung möglich. Diese ist aber für die Ermittler nicht leicht umzusetzen. Damit kann lediglich auf Kommunikation vor der Verschlüsselung zugegriffen werden – vorausgesetzt, vorher wurde eine Spionagesoftware (Trojaner) direkt auf das Smartphone oder den Computer des Verdächtigen gespielt. Als noch tiefgreifenderer Eingriff gilt die Onlinedurchsuchung, mit der der komplette Computer oder das Smartphone ausgelesen werden können.

Mit seinen neuen Überwachungsplänen reagiert Seehofer auf das Drängen von Sicherheitsbehörden wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Der Präsident der Behörde, Thomas Haldenwang, hatte kürzlich in der „Welt am Sonntag“ moniert, dass der Inlandsgeheimdienst „zunehmend Probleme“ habe, die Kommunikation von Extremisten und Terroristen zu verfolgen.

Deren Kommunikationsmöglichkeiten hätten durch das Internet „enorm zugenommen“, sagte Haldenwang. Sie kommunizierten heute über Messenger-Dienste wie WhatsApp, über Facebook oder aber auch über Chats von Online-Videospielen. „Deswegen muss das G10-Recht, das uns ja unter strengen Voraussetzungen die Überwachung von Telefongesprächen erlaubt, an die moderne Kommunikationswelt angepasst werden.“

Um nicht den Anschluss an moderne Überwachungstechnologien zu verlieren, ist die Bundesregierung schon vor zwei Jahren tätig geworden und hat eine eigene „Hackerbehörde“ gegründet: die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis) in München. Ihre Aufgabe: Verschlüsselungstechnologien knacken und Cyberwerkzeuge für die Polizei und den Verfassungsschutz entwickeln.

Vor einem Jahr sprach der Chef der Behörde, Wilfried Karl, ganz offen darüber, wie sich verschlüsselte Chatnachrichten von Straftätern auslesen lassen. Etwa, indem die Bürger gezwungen werden, ihre Passwörter für Verschlüsselungen zu hinterlegen. Oder, indem Hintertüren in IT-Systeme eingebaut werden. Beides sei aber „nicht Teil der deutschen Kryptopolitik“, betonte Karl seinerzeit.

„Zur Sache geht es dann in Chats, die uns oft verborgen bleiben“

Der Grünen-Innenpolitiker von Notz traut solchen Aussagen nicht. „Jeder auch nur halbwegs mit der Materie vertraute Mensch weiß: Es gibt längst Möglichkeiten, auch auf verschlüsselte Kommunikationen zuzugreifen“, sagte von Notz. Von dieser Möglichkeit werde immer wieder Gebrauch gemacht. „Generelle Hintertüren, wie wir sie sonst nur aus totalitären Staaten kennen, lehnen wir auch vor diesem Hintergrund entschieden ab“, betonte der Grünen-Politiker. Nötig sei daher „sehr viel mehr und bessere Verschlüsselung – und ganz bestimmt nicht weniger“. „Dass der Bundesinnen- und Verfassungsminister die Bedeutung eines effektiven Grundrechtsschutzes im Digitalen bis heute nicht verstanden hat, ist wirklich bitter“, so von Notz.

Auch der CDU-Politiker Jarzombek warnte vor den Risiken etwaiger Hintertüren in Hard- und Software. „Gerade Hacker und Geheimdienste anderer Nationen wären die ersten, die solche Lücken ausnutzen, um gezielt Technologie abzusaugen“, sagte der Bundestagsabgeordnete. Der SPD-Politiker Zimmermann ergänzte: „Bewusst eingebaute Hintertüren würden früher oder später Angreifern leichtes Spiel bieten.“ Statt immer neuer „Überwachungsfantasien“ brauche es daher mehr gut ausgebildetes Personal, klare Zuständigkeiten und bessere Absprechen zwischen den Behörden.

Deutschlands oberster Verfassungsschützer pocht indes auf ein rasches Handeln. Am klassischen Telefon überwache der Verfassungsschutz „oberflächliches Geplänkel“, sagte Haldenwang. „Zur Sache geht es dann in Chats, die uns oft verborgen bleiben.“ Seine Behörde mache die Erfahrung, „dass unser Gegenüber unsere blinden Stellen ausnutzt“.

Möglicherweise ändert sich das schon bald. Geht es nach dem Innenministerium sollen die neuen Verpflichtungen bis Ende des Jahres auf den Weg gebracht werden.

Mehr: Facebook hat sich zur Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bekannt. Für unsere Redakteurin Catrin Bialek beweist diese Vertrauensoffensive den exzellenten Geschäftssinn von Mark Zuckerberg.