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Scholz versprüht Zuversicht - die Deutschen folgen ihm nicht

(Bloomberg) -- In der Ampelkoalition knirscht es, das Gespenst einer tiefen Rezession geht um, die industrielle Basis, auf der Wohlstand und Wachstum in Deutschland beruhen, wankt.

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Bundeskanzler Olaf Scholz will die Bürger davon überzeugen, dass er diese und weitere Herausforderungen meistern kann — doch zum Ende der ersten Halbzeit seiner Kanzlerschaft gehen ihm die Deutschen zunehmend von der Fahne. Wie selten seit der Wiedervereinigung ist das Land unter Scholz in seinen Grundfesten erschüttert.

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Die Lieferung von Panzern aus deutscher Produktion an die Ukraine und die Stationierung russischer Atomraketen in Belarus sind nur zwei Facetten einer schlagartig veränderten Sicherheitslage. Gleichzeitig vollzieht sich eine überstürzte Energiewende, die durch das Ende russischer Gaslieferungen an Dringlichkeit gewonnen hat. Derweil bedroht eine Schwemme chinesischer Elektroautos die deutsche Automobilindustrie, die nach wie vor das Rückgrat der Wirtschaft ist.

Diese Kombination von Herausforderungen erhöht den Druck auf den 65-jährigen Kanzler, dessen begrenztes Charisma nicht gerade hilfreich ist. Seine Antwort ist ein seltsam heiterer Ton, der Hoffnung und Zuversicht verbreiten soll. Eine zutiefst verunsicherte Öffentlichkeit nimmt ihm das aber nicht ab.

“Viele Bürgerinnen und Bürger sind sich nicht so sicher, wie die Zukunft sein wird — gar nicht jetzt, sondern in 10, 20 und 30 Jahren”, sagte Scholz am Freitag gegenüber Journalisten der Bundespressekonferenz. “Für mich heißt das, dass man Politik machen muss, bei der die Bürgerinnen und Bürger für sich genügend Gründe haben, an eine gute Zukunft zu glauben.”

Seine Botschaft ist eine direkte Reaktion auf den Aufstieg der Alternative für Deutschland, die in Umfragen die Sozialdemokraten überholt hat und hinter der Union zur zweitbeliebtesten Partei geworden ist. Gleichzeitig hat CDU-Chef Friedrich Merz es nicht vermocht, von der Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition zu profitieren.

Mit rund 20% ist die AfD schwächer als vergleichbare Parteien in Frankreich oder Italien, steht aber wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands unter besonderer Beobachtung.

Scholz’ Berater vermuten, dass es ein Gefühl des drohenden Abstiegs ist, das die Deutschen nach rechts treibt. Der Kanzler selbst glaubt laut einer ihm nahestehenden Person, dass eine Gesellschaft, die das Vertrauen in die Zukunft verliert, sich extremistischen Parteien zuwendet.

Der passionierte Leser, der stets ein Werk eines großen Denkers in seiner Aktentasche hat, verriet kürzlich, dass er sich mit dem Buch Pragmatismus als Antiautoritarismus des amerikanischen Philosophen Richard Rorty beschäftigt. Das könnte seinen politischen Ansatz durchaus beeinflussen.

“Um an sozialer Hoffnung festzuhalten, müssen die Mitglieder einer solchen Gesellschaft sich selbst eine Geschichte erzählen können, die davon handelt, wie alles besser werden kann”, stellt Scholz auf seiner eigenen Website fest und bezieht sich dabei auf Rorty. “Und sie dürfen keine unüberwindlichen Hindernisse für das Wahrwerden dieser Geschichte sehen.”

Ein Hintergrundrauschen von Inflation und Rezession ist da nicht hilfreich, ebenso wenig wie das Gefühl, dass Deutschland seinen Zenit überschritten haben könnte.

So ergab eine Allensbach-Umfrage im Januar, dass nur noch 39% der Befragten glauben, dass das Land in 10 bis 15 Jahren eine führende Industrienation sein wird — ein Rückgang um ein Fünftel gegenüber 2018.

Jüngste Umfragen zeigen inzwischen eine Unzufriedenheit von bis zu 79% mit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Auch die Beteiligung der SPD an Bundesregierungen seit 2013 spielt eine Rolle.

“Als Spitzenpolitiker in Krisenzeiten ist es wahrscheinlich zu viel von ihm verlangt, die Menschen zu trösten und ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu geben”, sagt Olaf Hoffjann, Kommunikationswissenschaftler und Professor an der Universität Bamberg. “Es fällt ihm schwer, die Herzen der Menschen zu gewinnen.”

Regierungsinsider im Kanzleramt bleiben zuversichtlich und betonen, dass die Unterstützung für die AfD schwinden wird, sobald die Koalitionsparteien die aktuellen Meinungsverschiedenheiten überwunden haben und die Wähler die Ergebnisse der jüngsten politischen Entscheidungen tatsächlich sehen.

Kreise verweisen als Beispiel auf die Entscheidung der Intel Corporation, mehr als 30 Milliarden Euro in eine neue Halbleiterfabrik in Sachsen zu investieren — einem der drei ostdeutschen Bundesländer, in denen die AfD bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr voraussichtlich stärkste Partei werden wird.

Aus dem Kanzleramt verlautet, dass noch ähnliche Ankündigungen anstehen, einschließlich der Errichtung weiterer Fabriken. Gespräche mit mehreren Unternehmen aus den USA und Asien stünden vor einem Abschluss.

Das Vorzeigeprojekt von Scholz und seinen beiden Koalitionspartnern, vor allem den Grünen, ist jedoch der Umbau Deutschlands zur CO2-Neutralität. Der Versuch, ab nächstem Jahr den Einbau neuer fossiler Heizkessel zu verbieten, hat zu einem Aufschrei der Hausbesitzer geführt, beflügelt von der Bild-Zeitung, die von einem “Heizungshammer” sprach.

Der Erfolg der AfD beruht auf der Unzufriedenheit mit dem Umgang mit diesen und ähnlichen großen nationalen Herausforderungen. Mit ihren Positionen — Infragestellung des menschengemachten Klimawandels, Eindämmung der Masseneinwanderung und Zweifel an der alleinigen Schuld Russlands am Krieg in der Ukraine — unterscheidet sie sich von den etablierten Parteien.

Anfang des Monats gewann die AfD erstmals die Bürgermeisterwahl im sachsen-anhaltinischen Raguhn-Jessnitz. Eine Woche zuvor holte sie sich den Landratsposten in Sonneberg, Thüringen.

Die Zuversicht des Hanseaten Scholz beruht manchmal mehr auf Hoffnung als auf Erwartung.

Im Januar wagte er sich auf Bloomberg TV weit aus der Deckung mit der Einschätzung, er sei “fest davon überzeugt”, dass Deutschland nicht in eine Rezession geraten werde. Diese Vorhersage wurde bald durch Daten widerlegt, die zeigten, dass die Wirtschaft zu diesem Zeitpunkt bereits das zweite Quartal in Folge schrumpfte.

Der Streit in der Koalition war nicht hilfreich. Insbesondere die Energiepolitik brachte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck gegen Finanzminister Christian Lindner auf, dem er vorwarf, Gesetzesvorhaben im Parlament sabotieren zu lassen.

Insider sagen, dass Scholz das Zerwürfnis in der Koalition und den Aufstieg der AfD als Beweis dafür ansieht, dass die Deutschen die Fähigkeit zum Kompromiss verloren haben.

Wie sehr er unter Druck steht, konnten die Wähler bei einer Kundgebung in Berlin im vergangenen Monat beobachten, als er gegenüber rechten Demonstranten, die ihn wegen der Hilfe für die Ukraine der Aggression bezichtigten, die Beherrschung verlor. In der Bundespressekonferenz verriet er, dass er sich darauf freue, in den Urlaub zu fahren.

Der Kanzler ist indes entschlossen, durchzuhalten. Er bleibt seinem zuversichtlichen Ton treu und kanzelt die AfD als “Schlechte-Laune-Partei” ab, der die Gründe für ihren Aufstieg abhanden kommen werden.

“Ich bin ganz zuversichtlich, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht viel anders abschneiden wird als bei der letzten“, sagte er am Freitag.

Überschrift des Artikels im Original:Germans Aren’t Buying Scholz’s Plan to Keep Them Safe and Rich

--Mit Hilfe von Alexander Weber, Kamil Kowalcze, Francine Lacqua und Michael Nienaber.

(Wiederholung vom Samstag)

©2023 Bloomberg L.P.