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Eine schmerzhafte Lektion: Die Lehren aus dem Fall Wirecard

Der Skandal um den ehemaligen Dax-Konzern offenbart ein multiples Kontrollversagen. Das Fiasko sollte Veränderungen auslösen, damit Wirecard ein Einzelfall bleibt.

Das Jahr 2020 hat den auf attraktive Altersvorsorge durch Aktien setzenden Anlegern eine sehr abschreckende Erfahrung geliefert: den Zusammenbruch des von zwei Wiener Schlaumeiern über Jahre mit Raffinesse aufgebauten Lügengebäudes Wirecard, bei dem sich Milliarden Euro vornehmlich in asiatischen Gefilden verflüchtigten.

Die nun aufscheinenden Missetaten, die durch Vorspiegelung märchenhafter Gewinnaussichten mit Deutschlands „SAP Nr. 2“ und hamelnsche Verführungskünste von Vorstandschef Markus Braun zustande kamen, fanden Gläubige in allen Lagern.

So kam es zum „multiplen Organversagen“ von allen, die es hätten sehen können oder auch müssen: den Analysten, den Aufsichtsbehörden, dem Aufsichtsrat, den Börsen, den Investoren, den Prüfern, der Politik, den Staatsanwälten, den Überprüfern … Was muss also anders beziehungsweise besser werden, um dem Wirecard-Debakel die Chance der Einmaligkeit für viele Jahre zu geben?

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Bei Analysten und Investoren wirkte der Herdenglaube an ein Hightech-Investment. Denn nüchterne Analyse hätte die Unhaltbarkeit der exponentiell gehypten Gewinne aus einem umkämpften, keineswegs schwer verständlichen und margenarmen Geschäft erkennen lassen.

Und was jetzt hoffentlich zum Pflichtprogramm gehört: Häufige, kaum begründbare Wechsel in einem von geringer Expertise angeführten Aufsichtsrat sollten zur Vorsicht raten – genauso wie ein lange fehlender, von unabhängigen Experten angeführter Prüfungsausschuss. Auch hätten die dem Vorsitzenden gezahlten Tantiemen – insgesamt rund 500.000 Euro pro Jahr – angesichts der überschaubaren Unternehmensgröße zumindest zu der Überlegung führen müssen, ob diese Honorierung nicht doch den Blick trübe.

Die Aufsichtsbehörden müssen noch fachspezifischer aufgestellt werden und intensiver zusammenarbeiten. Und wenn sie über deutliche Probleme informiert werden, wie es Ende 2019 ein langjähriger Wirecard-Bank-Vorstand der Bundesbank (und diese sicher der Bafin) machte, dann muss ohne Verzug gehandelt werden.

Auch wäre angezeigt gewesen, dass die Bafin auf der 2016 vorgesehenen Einstufung des Wirecard-Konzerns als von ihr zu beaufsichtigender Finanzholding angesichts des so starken Finanzcharakters der Konzernaktivitäten hätte beharren müssen. Stattdessen wurde wohl eine konzerninterne Umhängung zugelassen, die ihr lediglich für die Wirecard Bank die Aufsichtskontrolle einräumte.

Der Aufsichtsrat hätte spätestens bei der Aufnahme in den Dax 30 eine nachhaltige Qualitätsergänzung erfahren müssen, die ein überzeugendes Prüfungs-, Compliance- und Risikomanagementwesen sichergestellt hätte.

Die mangelnde Expertise und Kontrollstringenz verstärkten sich durch schlecht erklärte Rücktritte kompetenter Aufsichtsräte ab Ende 2017. Und es ist auch keine Marginalie, dass nicht zweifelsfreie Kreditvergaben der Wirecard Bank zwar bemerkt, aber nicht verhindert wurden.

Gerade die für die Regelkonformität von „Prime Standard“-Werten zuständige Frankfurter Börse hätte zumindest beim Überschreiten des Veröffentlichungstermins für 2019 deutlicher reagieren müssen. Dass erst jetzt die Öffentlichmachung einer Verletzung der Publikationsfristen (die noch 120 Tage und nicht kodexkonforme 90 Tage beträgt) gesetzlich geregelt wird, ist nur ein überfälliger Schritt zu neuen „Prime Standard“-Kriterien.

Auch das bis dato für die Dax-30-Familie mögliche Fehlen eines unabhängigen Prüfungsausschusses ist zu kritisieren. Wenig gelungen war auch die überlange (inzwischen geänderte) Dauer von fast zwei Monaten bis zum Exit aus dem Dax 30, die die unerfreuliche Konsequenz hatte, dass die Indexfonds bis dahin Aktien der insolventen Wirecard AG zu erwerben beziehungsweise zu halten hatten.

In die Kritik einbezogen gehört auch die Politik. Dass ein gut vernetzter und mit einer Million Euro honorierter Politikberater es Wirecard ermöglichte, mittels der Kanzlerin den politisch abhängigen Markteintritt in China zu schaffen, sollte zu größerer Vorsicht bei der Wirtschafts-Lobbyarbeit hoher Regierungskreise im Ausland führen.

Das jetzt bisher nur als Referentenentwurf vorgelegte Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) kann bis zur endgültigen Gesetzesform noch an Qualität zulegen: Komplexe, insbesondere internationale Finanzstrukturen müssen verpflichtend im Detail transparent gemacht werden. Dies betrifft auch die bei Wirecard so verhängnisvoll wirkenden Auslagerungen und Vereinbarungen mit dritten Parteien (TPA), denen im konkreten Fall hohe Anzahlungen ohne überzeugenden Grund gewährt wurden.

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Und die Causa Wirecard hat einen weiteren Nachweis dafür geliefert, dass das Ziel des sogenannten Verbandssanktionengesetzes (vulgo: Unternehmensstrafrechtsgesetz), nämlich die Unternehmen statt die tatsächlichen Verursacherpersonen zu bestrafen, falsch angelegt ist. Die dadurch wirklich betroffenen Aktionäre und auch die Mitarbeiter sind nämlich weder die Täter, noch können sie auf diese ernsthaft einwirken.

Bei den Prüfern und den Überprüfern wird ein Mitverschulden immer deutlicher. Gerade bei Anzeichen ausweichender oder verspäteter Beantwortung zwingender Fragen muss prüferische Strenge walten, und Zweifeln muss mit Forensik begegnet werden.

Spätestens als die Ungereimtheiten bei Wirecard in Asien zunahmen, hätten uneingeschränkte Testate verweigert werden müssen. Den Verdachtsmomenten eines mehr als fahrlässigen Prüfungsgebarens hätten entweder die internen Kontrollsysteme der Prüffirma oder die externe, hierzu verpflichtete Deutsche Prüfstelle für Rechnungswesen (DPR) im Zusammenspiel mit der Bafin und nachgelagert die Abschlussprüferaufsichtskommission (Apas) nachgehen müssen. Spätestens als die Zeitung „Financial Times“ deutliche Inkongruenzen aufdeckte, war eine forensische Abklärung geboten.

Und wo angesichts fröhlicher Spekulationsgeschäfte ebenfalls dringender Regelungsbedarf besteht: Bafin, Apas und DPR-Mitarbeiter müssen einem strikten Erwerbsverbot für einzelne Aktien unterliegen.

Lehren aus dem Debakel

Fazit: Das filmreife Fiasko mit deutlichem Rufschaden für das Ansehen des Finanzplatzes Deutschland hatte multiple Ursachen, die intensive Korrekturen und Verbesserungen auslösen sollten. Dass Investoren allzu bereit waren, die wenig plausible Story einer hochtechnologischen Wachstumsfirma fortzuschreiben, wird hoffentlich zu schärferen Analysen der Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen, aber auch der Governance führen.

Und die nun sicher durch zu erfolgreiche Lobbyistenbemühungen sensibilisierte Berliner Politik hat durch maßgeschneiderte Gesetzesergänzungen und Maßnahmen zu beweisen, dass das Prüfungswesen zukünftig früher auf ernst zu nehmende Bedenken reagiert.

Die Wirtschaftsprüfer müssen ihre internen Kontrollsysteme sowie die Hinzuziehung von forensischen Kollegen als notwendige Handelsmaxime verstehen, anstatt nur frühere Prüfwechsel und bei fahrlässigen Versäumnissen erhöhte geltende Haftungssummen verordnet zu bekommen.

Der Hinweis auf raffinierten Betrug darf also nicht zur mangelhaften Erledigung der jetzt anstehenden Verbesserungsaufgaben verleiten. Allein die Größenordnung der Verluste und die andauernde mediale Abarbeitung sollten aber dafür sorgen, dass die so schmerzhafte Lektion auf viele Jahre wirkt.