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Rocket Internet und die Mieter: Es ist kompliziert – immer noch

Vor mehr als einem Jahr ist Rocket Internet in Berlin ins Immobiliengeschäft eingestiegen – und brachte schnell Mieter gegen sich auf. Vor allem in der Urbanstraße 67. Was hat sich beim Vermieter-Debüt von Rocket getan?

Ende Juni mussten sich Grafikdesigner Claudius Bartmuß und seine Mitmieter geschlagen geben. Seit 2014 hatten sie zusammen in einem Atelier gearbeitet – in einer ehemaligen Fabrik im Hinterhof eines Berliner Wohnblocks: der Urbanstraße 67. Mitten in Kreuzberg. Mitten auf dem angespanntesten Wohnungsmarkt der Republik. Keine fünf Minuten sind es von hier zum mindestens stadtbekannten Hermannplatz. Vor drei Monaten ist Bartmuß ausgezogen. Gemeinsam mit seinen Mitmietern. Das Atelier lösten sie auf, suchten sich neue Räumlichkeiten. Jeder auf eigene Faust. Die Verhandlungen mit der Hausverwaltung? Gescheitert. Die Immobilie, in der das nun ehemalige Atelier liegt, gehört seit bald einem Jahr einer bekannten Start-up-Schmiede: Rocket Internet.

Den Verlust des Ateliers muss Bartmuß wohl befürchtet haben, als er mit anderen Mieterinnen und Mietern vor dem Rocket Tower gegen „Verdrängung“ und die Investments von Rocket Internet auf dem Berliner Wohnungsmarkt protestierte. Oder als er im vergangenen Jahr gemeinsam mit Mieterin Malina Peekhaus auf der Hauptversammlung der Rocket Internet SE Gründer und Geschäftsführer Oliver Samwer zu den Plänen für die Urbanstraße 67 befragte.

Diese Hauptversammlung ebnete Rocket Internet erst den Weg in den Immobilienmarkt. Eigentlich sind Marc, Oliver und Alexander Samwer mit ihrem Start-up-Inkubator 2007 nämlich fernab vom Immobiliensektor gestartet. Im Internet. Sie haben Zalando groß gemacht, Delivery Hero den Weg in den Dax geebnet. Aus kleinen Unternehmen und ihren Gründern haben die Brüder erfolgreiche Unternehmen und erfahrene Manager geformt. Das muss Oliver Samwer mit der „Geschichte“ meinen, von der er noch einige Monate vor der Hauptversammlung gesprochen hatte: „Rocket braucht keine neue Geschichte. Unsere Strategie ist, Start-ups zu gründen, sie operativ zu unterstützen und sich an zukunftsträchtigen Unternehmen zu beteiligen“, sagte er in einem Interview. Die „Geschichte“ schrieb Samwer selbst im Rocket Tower am 6. Juni 2019 um, erweiterte sie um ein renditeträchtiges Kapitel. Und das klingt so gar nicht nach hipper Start-up-Kultur: Samwer besorgte sich das Ja der Aktionäre zur Änderung von § 2 Abs. 1 der Satzung der Gesellschaft. Diese Änderung ermöglicht Rocket Internet das „Betreiben von Immobiliengeschäften aller Art“ – und damit auch den umstrittenen Kauf ganzer Wohnblöcke.

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„Im zweiten Halbjahr 2019 hat der Konzern zwei gemischt genutzte Immobilien (Wohnen und Gewerbe) erworben, die vermietet werden“, heißt es im Geschäftsbericht unter dem innovativ anmutenden Punkt „New Businesses“. Die Urbanstraße 67 und eine weitere Immobilie im Berliner Rudolfkiez. Zugeschlagen hat etwa im Fall der Urbanstraße nicht Rocket selbst, sondern ein Tochterunternehmen. Zugegeben: Der Buchwert der beiden Immobilien macht mit gut 19 Millionen Euro weniger „als ein Prozent der Bilanzsumme aus“, wie es bei Rocket Internet heißt. Doch dieser kleine Prozentsatz sorgt für Schlagzeilen über Rocket und für Angst bei den Mietern.

Grafikdesigner Bartmuß arbeitete im „Filetstück“ der Urbanstraße 67, wie er selbst sagt: der Fabrik im Hinterhof. Zur Straße hin befinden sich die Wohnhäuser mit Mietwohnungen. Und das Filet sorgt für die meisten Konflikte. Immerhin arbeiten hier Gewerbemieter wie ehemals auch Bartmuß mit Wohnmietern wie Malina Peekhaus unter einem Dach. Ihnen hatte Rocket schon früh den Dialog und gesetzestreues Verhalten als Eigentümer zugesichert. Etwa als Bartmuß und Peekhaus auf der Hauptversammlung 2019 dabei waren: Eine Antwort Samwers auf ihre Fragen „war, dass Rocket Internet sich mit dem, was das Unternehmen vorhabe, im rechtlichen Rahmen bewegen werde“, sagte Peekhaus der WirtschaftsWoche. Auf der diesjährigen Hauptversammlung legte Samwer nach und bekräftigte diese Zusage – insbesondere mit Blick auf die „ Mieter, die wir bei der letzten Hauptversammlung kennengelernt haben“: Peekhaus und Bartmuß.

Und immerhin: Rocket gab sich im Fall von Bartmuß und seinen Mitmietern im Atelier verhandlungsbereit. Den im Juni auslaufenden Mietvertrag hätten die Kreativen verlängern können. Um drei weitere Jahre, sagt Bartmuß. Der Preis: eine Mieterhöhung um mehr als 60 Prozent. Zu viel für sie. Kurz vor Ende der Verhandlungen sei ein letztes Angebot von Rocket Internet gekommen: Verlängerung ohne Mieterhöhung, Vertragslaufzeit gerademal ein Dreivierteljahr. Bartmuß und seine Mitmieter hatten sich zu dem Zeitpunkt schon neue Räumlichkeiten gesucht.

Sein Engagement für die Urbanstraße 67 bestehe aber weiter, versichert Bartmuß. Immerhin würden manche Mieter seit 30 Jahren in der Fabrik wohnen, und nun nicht wissen, wie es weitergehen soll. Eine WG habe schon von der Fabrik ins Mietshaus wechseln müssen. Die Autowerkstatt im Erdgeschoss soll die Kündigung schon 2019 erhalten haben. Ein anderer Mieter hat die Kündigung im März bekommen, sollte im Sommer raus. Nach öffentlichkeitswirksamen Äußerungen der Mietergemeinschaft zu einer Kündigung mitten in der Ausbruchsphase der Pandemie nahm Rocket Internet die Kündigung „bis auf weiteres“ zurück. Der betroffene Mieter sei inzwischen trotzdem aus Fabrik ausgezogen. Er habe keine Perspektive mehr gesehen, sagt Bartmuß.

Ob Florian Schmidt, der zuständige Bezirksstadtrat, solche Zustände schon im Juli 2019 bei einer Kundgebung vor dem Firmensitz der Start-up-Schmiede befürchtete? Rocket Internet habe dem Bezirksamt eine „richtig unzumutbare Abwendungserklärung“ geschickt, nachdem das Unternehmen eine strengere Erklärung angeblich nicht unterschreiben wollte, sagte Schmidt. Er sprach über sein Megafon etwa davon, dass das Unternehmen von sich behaupte, sich um die Bewohner der Fabrik kümmern zu wollen, sich dazu in der Erklärung aber nicht verpflichten würde. Mit einem solchen Einstieg in den Berliner Immobilienmarkt käme Rocket Internet nicht weit, „soweit wir eben gegenhalten können“, kündigte der Bezirksstadtrat damals an.

Schmidt konnte nicht gegenhalten: Ein geplanter Vorkauf der Urbanstraße durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg scheiterte, Rocket Internet setzte sich durch. Es folgte ein Jahr mit Kündigungen, Protesten und kaum Dialog zwischen Mietern und Rocket. Fast alles laufe über die Hausverwaltung, sagt Bartmuß. Doch bei all den Befürchtungen der gesamten Mietergemeinschaft: Das Interesse von Rocket scheint sich tatsächlich vorrangig um die Fabrik zu drehen, wenn Wohnmieter von dort in die Mietshäuser der Immobilie umgesiedelt werden. „Die Fabrik soll leer werden“, so Bartmuß. Regelmäßig fänden Aufräum- und Vermessungsarbeiten statt. „Eine Idee oder Strategie können wir nicht erkennen.“ Eine Anfrage der WirtschaftsWoche zu den Plänen für die Urbanstraße 67, den Verhandlungen mit den Mietern und der Zukunft der verbliebenen Mieter in der Fabrik ließ Rocket Internet unbeantwortet.

Auf der diesjährigen Hauptversammlung kündigte das Unternehmen allerdings an, erst einmal keine weiteren Immobilien zuzukaufen, und begründete das mit dem „krisenbedingt schwierigen Marktumfeld“. Bleibt abzuwarten, wie lange diese Rocket-Aussage nun Bestand hat. Immerhin investieren die Samwer-Brüder abseits von Rocket Internet in deutlich größerem Stil in Immobilien – nicht nur in Berlin. Claudius Bartmuß und die Mieter der Urbanstraße bereiten sich vor: „Wir stehen mit dem andereren Haus, das eine Tochtergesellschaft von Rocket Internet gekauft hat, und anderen Häusern der Samwers in Kontakt, haben uns vernetzt – und wollen das noch ausbauen“, sagt er.

Mehr zum Thema: Die Samwer-Brüder haben ihre Versprechen an der Börse nicht einlösen können. Bei ihren ehemaligen Beteiligungen sieht es besser aus – auf den ersten Blick.