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Urteil aus Karlsruhe wird zum Eigentor für Deutschlands Standing in Europa

In Frankreich, Italien und Spanien wird Deutschland als selbstherrlich und egoistisch kritisiert. Die Bundesrepublik respektiere weder EU-Recht noch die Unabhängigkeit der EZB.

Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag könnte die Macht der Notenbank empfindlich einschränken. Foto: dpa
Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag könnte die Macht der Notenbank empfindlich einschränken. Foto: dpa

Deutschland hat im Zuge der Coronakrise eigentlich in vielen EU-Ländern an Ansehen gewonnen. Trotz Diskussionen um die Solidarität mit den besonders hart getroffenen Ländern galt die Bundesrepublik als guter Partner. Doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) stellt nun alles auf den Kopf: Selten hat es einen solchen Shitstorm gegen Deutschland gegeben. Der Spruch aus Karlsruhe löst einen Grundsatzkonflikt aus und erweckt den Eindruck, Berlin halte es mit George Orwell: Alle sind gleich, nur wir sind gleicher.

Vor allem in Frankreich und Italien, aber auch in Spanien herrscht Unverständnis, ja Empörung über dieses Urteil. „Die Entscheidung des Karlsruher Verfassungsgerichts ist kein Element der Stabilität“, sagte Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Mittwoch. „Die europäischen Verträge garantieren die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank“, betonte Le Maire. Die Notenbank entscheide über die Bedingungen für die Ausübung ihres Mandats unter der ausschließlichen Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs, der wiederum Hüter der Verträge sei.

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Auch Italiens Premier Giuseppe Conte zeigte sich entsetzt. „Es ist nicht die Sache irgendeines Verfassungsgerichts, zu entscheiden, was die EZB machen oder nicht machen kann“, sagte er im Interview der Zeitung „Il Fatto Quotidiano“.

Die Unabhängigkeit der EZB sei Dreh- und Angelpunkt der europäischen Verträge, die auch Deutschland anerkenne. Auch EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni wies darauf hin, dass ein nationales Gericht nicht das Recht habe, „ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes infrage zu stellen“. „Urteile des EuGH sind für alle nationalen Gerichte bindend.“

EU-Handelskommissar Phil Hogan sekundierte und warnte zugleich: „Ich kann ihnen versichern, dass die EU-Kommission als Hüterin der Verträge, die den EuGH enthalten, alles dafür tun wird, damit jeder Mitgliedstaat den Vorrang europäischen Rechts verstehen wird.“

Protest kam auch aus Spanien. Wirtschaftsministerin Nadia Calviño, die vorher viele Jahre in der EU-Kommission gearbeitet hatte, zuletzt als Generaldirektorin für das Budget, verteidigte „die Unabhängigkeit der EZB als ein „zentrales Element der Europäischen Union“. Sie sei in den „Verträgen festgeschrieben“.

Wie ihr französischer Amtskollege sagte Calviño, es sei „die Aufgabe des Gerichtshofs der Europäischen Union, die Rechtmäßigkeit der Handlungen der europäischen Institutionen zu kontrollieren“. Und dieser habe „sich über das Kaufprogramm von Staatsanleihen durch die EZB bereits geäußert“.

„Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB“

Erstaunen löst in Frankreich auch das Schweigen der Bundesregierung aus. Staatspräsident Emmanuel Macron wollte sich nicht selber äußern, doch im Off heißt es, es wäre jetzt hilfreich, „wenn die Bundesregierung Stellung bezöge“. Der Vorrang des EuGH müsse anerkannt werden, andernfalls sei der einheitliche Rechtsraum in Gefahr, wenn das Karlsruher Urteil Schule mache. Dann könnte zum Beispiel Polen jede Aufforderung der EU, rechtsstaatswidrige Handlungen zu unterlassen, unter Hinweis auf nationales Recht zurückweisen.

In den Medien wird ebenfalls Kritik laut. Die Wirtschaftszeitung „Les Echos“ schreibt: „Das ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB, mitten in einer weltweiten Krise, und behindert das seit 2015 betriebene Quantitative Easing.“ Doch Seux gibt auch zu bedenken, dass das BVerfG teilweise „die richtigen Fragen stellt, selbst wenn es die falschen Antworten gibt.“ Die EZB habe ihr Aktionsfeld immer weiter ausgeweitet. Karlsruhe lege den Finger in die Wunde: „Wer ist auf europäischer Ebene der Sparringspartner der EZB, wenn es um die Wirtschaftspolitik geht? Es gibt ihn nicht.“

Die französische Zeitung Le Monde formuliert eine schärfere Kritik: „Das deutsche Verfassungsgericht hat eine Zeitbombe an das Fundament der Währungsunion gelegt.“ Zugleich liefert die linksliberale Zeitung aber eine Interpretation, die französischen Auffassungen sympathisch sein könnte: „Die deutschen Richter werfen auch die Frage auf, ob „die deutschen, ob alle europäischen Bürger sicher sein können, dass ihre gewählten Vertreter eine ausreichende demokratische Kontrolle über die EZB ausüben.“

Sehr viel gröber geht Jean-Luc Mélenchon, Chef der linken französischen Partei „Insoumis“ ans Werk. Er twitterte zum Urteil: „Übler Schlag des deutschen Europas: Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB infrage gestellt! Ein Signal für steigende Zinsen, die Italien und Frankreich töten werden.“

In Italien äußern sich zwei der Amtsvorgänger von Conte, Romano Prodi und Enrico Letta, sehr scharf über das Karlsruher Urteil und die Bundesrepublik insgesamt. In der Substanz zeige es die Haltung Deutschlands gegenüber Europa: „weder heiß noch kalt, sondern eher lauwarm“, so Prodi. „Deutschland hat das Vertrauen in Europa verloren.“ Jetzt bestehe das Risiko, dass die Unzulänglichkeit und das Fehlen einer starken europäischen Politik die Krise verlängere und die antieuropäischen Kräfte die populistischen Vorbehalte gegen Europa einsammeln.

„Deutschland will kein starkes Europa“

Ex-Premier Letta hält das Urteil nicht für unmittelbar besorgniserregend. Der Schaden sei begrenzt, denn die EZB werde die Anleihekäufe fortsetzen. „Es ist aber eine schlimme Nachricht, weil die Bundesrepublik jetzt „die Deutschen zuerst“ gesagt hat“, so Letta in einer Talkshow. Stattdessen müsse es heißen: diejenigen zuerst, die Not haben. „Und wir Italiener brauchen die Deckung des ganzen europäischen Systems, denn kein Land kann es allein schaffen.“

In spanischen Medien wird ebenfalls deutlich, wie sehr das Urteil dem Ansehen Deutschlands schadet. So ätzte die konservative Tageszeitung El Mundo: „Deutschland will kein starkes Europa, sondern ein starkes Deutschland in einem deutschen Europa. Es torpediert jede mögliche energische Reaktion auf die Coronakrise“. Die Entscheidung des Karlsruher Richter sei „ein Akt egoistischer Gewalt und eine neue Wendung für den Euro. Ein weiterer Schritt in der allmählichen Verwässerung Europas, der von demjenigen begangen wird, der der europäischen Integration alles verdankt.“

Auch die liberale Online-Zeitung El Confidencial sieht in dem Urteil „die deutsche Waffe für die Verhandlungen mit Südeuropa“. Sie argumentiert, der Richterspruch stelle die deutsche Bereitschaft in Frage, einen gemeinsamen Ausweg aus der aktuellen Krise zu finden und die Märkte würden diese Botschaft verstehen. „Das wichtigste Land der EU sagt der Union, dass es selbst in letzter Instanz seine Aktionen bewertet.“

Selbst wenn sich das Problem nach drei Monaten mit der Stellungnahme der EZB löse, werde das Urteil den Nordeuropäern in der Zwischenzeit als Instrument dienen, um den Ländern des Südens zu drohen, sich nicht am Anleihekaufprogramm der EZB zu beteiligen, wenn die nicht auf die Bedingungen des Nordens eingehen. „Es wird eine mächtige Verhandlungswaffe für die stärkeren Staaten gegen die schwächeren sein.“

Die linke Tageszeitung El País warnt, das Urteil könne den Rechtsnationalismus nähren, weil es den Europäischen Gerichtshof als obersten Ausleger des Unionsrechts in die Schranken verweist. Nötig sei deshalb nicht nur eine klare Stellungnahme der EZB, sondern auch des EU-Gerichtshofes. Zwar weise das Urteil darauf hin, dass es nicht die Fähigkeiten der EZB infrage stelle, aber es „widerspricht ihrer unverzichtbaren Feuerkraft gegen die Pandemiekrise.“