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„Offensichtliche Trickserei“: Nord Stream 2 will EU-Regulierung entkommen

Gazprom bereitet eine Aufspaltung der Ostsee-Pipeline vor, um Regulierungsdruck zu mindern. Die Große Koalition gibt dem Nord-Stream-2-Eigentümer Rückendeckung.

Am Mittwoch ging es im Wirtschaftsausschuss des Bundestags turbulent wie selten zu. Am Morgen kamen die Obleute zusammen und entschieden, die Tagesordnung zu ändern: Mit dem Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Gasrichtlinie wolle man sich zu einem anderen Zeitpunkt befassen. Dann, kurz vor Ende der Sitzung, meldete sich plötzlich der CDU-Abgeordnete Joachim Pfeiffer zu Wort: Der Entwurf solle nun doch zur Abstimmung gestellt werden.

Wirtschaftsstaatssekretär Christian Hirte, der schon zum nächsten Termin aufgebrochen war, hetzte zurück, sonst wäre das Gremium nicht beschlussfähig gewesen. Schließlich passierte der Entwurf den Ausschuss, wahrscheinlich wird das Gesetz noch diese Woche vom Plenum verabschiedet.

Die Nerven der Koalitionspolitiker sind angespannt. Denn das Milliardenprojekt Nord Stream 2 soll nicht noch in der Schlussphase scheitern. Nicht nur im Deutschen Bundestag, auch beim russischen Staatskonzern Gazprom werden deswegen Vorsichtsmaßnahmen getroffen: Die von Gazprom kontrollierte Nord Stream 2 AG hat nach Informationen des Handelsblatts aus Branchenkreisen bereits eine Gesellschaft gegründet, in die ein Teilstück der Pipeline ausgelagert werden kann.

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Das Stück umfasst demnach die letzten zwölf Seemeilen, die durch deutsche Hoheitsgewässer führen. Die restlichen 1200 Kilometer wären dann von europäischer Regulierung nicht erfasst. Den Angaben zufolge sind die Vorbereitungen weit gediehen. Ein Sprecher der Nord Stream 2 AG erklärte, es sei die Pflicht eines Projektentwicklers, sich auf alle denkbaren Varianten vorzubereiten.

Rechtsstreit mit der EU möglich

Bei der Gründung der Gesellschaft handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme: Sollte es der deutschen Regierung nicht gelingen, die harten EU-Vorschriften bei der Übertragung in nationales Recht aufzuweichen, will man vorbereitet sein. Die Nord Stream 2 AG betont, dass sie mit der Schaffung der neuen Strukturen nur die rechtlichen Anforderungen der EU erfüllen wolle. Doch die Europäische Kommission beobachtet das Vorgehen mit großem Misstrauen.

Kritiker der Pipeline zeigen sich empört: „Ich habe die Kommission schon vor solchen Manövern seitens der Betreibergesellschaft gewarnt“, sagte der grüne Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer dem Handelsblatt. „Die Kommission hat mir klar gesagt, dass das nicht mit der Richtlinie vereinbar wäre.“ Wenn die Nord Stream 2 AG ihre Pläne umsetzt, ist deshalb ein Rechtsstreit mit der EU wahrscheinlich.

Die Angst, europäischer Regulierung unterworfen zu werden, sitzt tief bei der Nord Stream 2 AG, die zu hundert Prozent Gazprom gehört. Seit Jahren versucht Brüssel, unterstützt insbesondere von einer Reihe osteuropäischer EU-Staaten, das Projekt zu torpedieren. Die Bundesregierung dagegen gehört zu den Befürwortern von Nord Stream 2.

Die EU-Kommission hat mehrere Anläufe genommen, die Leitung europäischen Regeln zu unterwerfen. Diese würden bedeuten, dass Gazprom nicht mehr gleichzeitig Eigentümer und Nutzer der Pipeline sein könnte. Durch diese eigentumsrechtliche Entflechtung soll Dritten der Zugang zu der Pipeline ermöglicht werden. Das könnte die Rentabilität des Milliardenprojekts erheblich belasten.

Die Pflicht zur Entflechtung galt bislang nur für solche Gaspipelines, die innerhalb der EU ihren Start- und Endpunkt haben. Nord Stream 2 beginnt jedoch in Russland und endet an der deutschen Ostseeküste in der Nähe von Greifswald. Nach der neuen EU-Gasmarktrichtlinie sollen nun auch solche Leitungen von der europäischen Regulierung erfasst werden, die außerhalb der EU ihren Startpunkt haben.

An der Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht arbeitet der Bundestag gerade – auch mit der eilig in den Wirtschaftsausschuss eingebrachten Änderung. Die praktische Umsetzung der Regulierung wird von der Bundesnetzagentur übernommen werden. Diese Bestimmung war ein Zugeständnis der EU an die Bundesregierung.

Die Große Koalition ist bemüht, Nord Stream 2 den Weg zu ebnen. Vor den jüngsten Änderungen hieß es in Kommissionskreisen, der Gesetzentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium stelle eine „saubere Umsetzung“ der EU-Richtlinie dar. Nun aber sei die Situation eine andere, sagen Teile der Opposition im Bundestag.

Die Nord-Stream-2-Gegner hegen den Verdacht, dass die Regierung versuche, die Gasrichtlinie russlandfreundlicher umzusetzen, als es die EU vorsah. Die EU solle getäuscht werden. Auffällig ist tatsächlich, dass der Gesetzentwurf im letzten Moment an entscheidender Stelle verändert wurde.

Der EU-Richtlinie sieht Ausnahmen für Pipelines vor, „die vor dem 23. Mai 2019 fertiggestellt wurden“. Nord Stream 2 wird erst zum Jahresende fertig, käme damit für eine Freistellung nicht infrage, unterläge also den verschärften Auflagen aus Brüssel. Die Nord Stream 2 AG will sich den Vorschriften nicht fügen, sie wehrt sich vor Gericht.

Die in dieser Woche von den Berliner Regierungsfraktionen eingebrachten Änderungen können so interpretiert werden, dass die Fristregelung aufgeweicht werden soll. Dem widersprachen Koalitionspolitiker im Wirtschaftsausschuss allerdings. Die Umformulierungen dienten allein der Klarstellung, beteuerten sie, es solle „größere Rechtssicherheit“ geschaffen werden.

Die Nord-Stream-2-Kritiker geben sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Sie verweisen darauf, dass die Änderung des Gesetzentwurfs damit begründet wird, dass es eine Einzelfallprüfung geben soll. Darüber hatte zuerst die „Bild“-Zeitung berichtet.

Dem Handelsblatt liegt der Änderungsantrag ebenfalls vor. Darin steht: „Vor diesem Hintergrund ist bei der Bestimmung, ob die Leitung vor dem Inkrafttretenstermin fertiggestellt worden ist, allen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen.“

Koalition will „Klarheit schaffen“

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Aussagen von Bernd Westphal, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, über die Änderungen: „Damit wird Nord Stream 2 abgesichert“, sagte er dem Handelsblatt. „Wir wollen Klarheit schaffen. Es soll keinen Zweifel mehr daran geben, dass das Projekt jetzt an den Start gehen kann.“

In Koalitionskreisen heißt es zudem, Nord Stream 2 sei zwar am 23. Mai 2019 nicht fertiggestellt gewesen. Man müsse aber berücksichtigen, dass die Projektgesellschaft bis zu diesem Termin schon Milliardeninvestitionen getätigt und einen erheblichen Teil der Leitung verlegt habe.

Es gebe keine feststehende rechtliche Definition des Begriffs Fertigstellung. In Branchenkreisen werden allerdings Zweifel geäußert, ob dieser Vorstoß der Regierungskoalition Bestand haben könne. Das sei „offensichtliche Trickserei“.

So oder so: Nord Stream 2 hat vorgebaut – und bekommt auch dafür Rückendeckung aus der GroKo. In Koalitionskreisen hieß es: Selbst wenn die Bundesnetzagentur den Antrag der Nord Stream 2 AG auf Freistellung von der Regulierung negativ bescheiden würde, müsste Nord Stream 2 lediglich die letzten zwölf Seemeilen entflechten.

„Gazprom betreibt die Pipeline bis kurz vor dem Eintritt in deutsche Hoheitsgewässer, der Teil bis zur Anlandung liegt dann in den Händen einer anderen Gesellschaft“, hieß es weiter.

Auch über andere Varianten wird spekuliert. So könnte Gazprom sein Eigentum an Nord Stream 2 an ein befreundetes russisches Unternehmen übertragen. Der eigentumsrechtlichen Entflechtung könnte man so ihren Schrecken nehmen.

Auch ein Kompromiss erscheint nicht ausgeschlossen. Statt eine komplette eigentumsrechtliche Entflechtung zu verlangen, könnte sich die europäische Seite auf die Forderung beschränken, die Pipeline von einem unabhängigen Systembetreiber bewirtschaften zu lassen. Die Europäer könnten dann beispielsweise verlangen, dass zehn Prozent der Pipelinekapazitäten für Dritte freigehalten werden.

In jedem Fall scheint Nord Stream 2 auf die Unterstützung der deutschen Regierung zählen zu können.

Bei den Gegnern der Pipeline ist die Verbitterung darüber groß. „Es ist skandalös, dass die GroKo das Brüsseler Interregnum ausnutzen will, um mit Putin gegen alle europäischen Institutionen und die große Mehrheit unserer Nachbarn einen deutsch-russischen Deal durchzuziehen“, kritisierte Grünen-Politiker Bütikofer.