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Was das neue Zehn-Milliarden-Paket der Bundesregierung bringt

Die Große Koalition einigt sich überraschend schnell auf neue Corona-Hilfen für Arbeitslose, Familien und Unternehmen. Ökonomen vermissen aber eine Strategie.

Die Kosten der Beschlüsse belaufen sich auf etwa zehn Milliarden Euro. Foto: dpa
Die Kosten der Beschlüsse belaufen sich auf etwa zehn Milliarden Euro. Foto: dpa

Zu seiner Premiere hat Armin Laschet ein Geschenk mitgebacht: Der neue CDU-Chef überreichte den Koalitionspartnern am Mittwochabend eine Gesamtausgabe der Werke des Dichters Heinrich Heine. Das Präsent kam in der SPD gut an. „Da ist für jeden das Passende dabei“, sagte SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans. Jeder könne sich raussuchen, was ihm gefalle.

Diese Umschreibung von Walter-Borjans sollte dann auch das Leitmotiv des ersten Koalitionsausschusses von Union und SPD im Superwahljahr werden. In dem Beschluss war für jede Koalitionspartei etwas dabei: Jeder konnte sich Wünsche raussuchen, die erfüllt wurden.

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So greifen die Sozialdemokraten Arbeitslosen, Familien und Kulturschaffenden in der Coronakrise finanziell unter die Arme, die Union setzte Steuererleichterungen für Unternehmen durch. Als die Koalitionäre am späten Abend aus dem Kanzleramt in den Berliner Regen traten, stand ein Hilfspaket in Höhe von zehn Milliarden Euro.

Geld hatte in den viereinhalb Stunden zuvor keine große Rolle gespielt. Wichtiger war das Signal, dass Union und SPD aus dem Koalitionsausschuss in die Republik senden wollten: Die Bundesregierung arbeitet in diesen schweren Zeiten solide weiter, statt in den Wahlkampfmodus zu schalten.

So zeigte sich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nach der Sitzung „überrascht von der guten Atmosphäre“. Auch SPD-Co-Chefin Saskia Esken sagte, man sei sich in allen Punkten „erstaunlich einig“ gewesen.

Ökonomen sehen die Beschlüsse dagegen nicht so positiv. So sagte Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft: „Die Bundesregierung beschäftigt sich leider erneut mit dem Nachjustieren einzelner Stellschrauben, anstatt die Unternehmenshilfen insgesamt systematisch, nachvollziehbar und für alle Betroffenen gleich zu gestalten.“

Das Handelsblatt analysiert Kosten und Wirkung der Beschlüsse:

Steuerlicher Verlustrücktrag

Für Unternehmen die wichtigste Nachricht: Der steuerliche Verlustrücktrag wird ausgeweitet. Dabei können Firmen Verluste in der Coronakrise mit Gewinnen aus der Vergangenheit steuerlich verrechnen.

Schon mehrfach hat die Koalition diese Hilfe ausgeweitet, am Mittwoch hob die Koalition den Verlustrücktrag für die Jahre 2020 und 2021 auf maximal zehn Millionen Euro beziehungsweise 20 Millionen Euro bei Zusammenveranlagung an. „Das schafft in der Krise die notwendige Liquidität und ist bürokratiearm zu verwalten“, heißt es im Beschlusspapier.

Man habe in einem ersten Schritt rund 96 Prozent der Unternehmen entlastet, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD). „Jetzt geht es um ein paar weitere. Und wir versuchen gewissermaßen rauszufinden, wo das wirtschaftlich vertretbar ist, ohne dass die Finanzierungsgrundlagen kaputtgehen.“ Die Kosten belaufen sich nach Scholz‘ Angaben auf voraussichtlich weniger als eine Milliarde Euro.

Die Wirtschaft fordert schon lange im Einklang mit nahezu allen Ökonomen eine deutlichere Ausweitung des Verlustrücktrags. Entsprechend gab es Kritik an dem Beschluss des Koalitionsausschusses. So sagte Ökonom Felbermayr: „Der erweiterte Verlustrücktrag ist zwar grundsätzlich richtig, bleibt aber zu bescheiden und bringt größeren Unternehmen nichts.“

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält den Beschluss für unzureichend. „Der Koalitionsbeschluss wird dem Ausmaß der Krise und der Lage insbesondere im Mittelstand nicht gerecht“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Die Erweiterung auf nur zehn Millionen Euro springe deutlich zu kurz. „Andere Industrieländer liegen bei 50 Millionen Euro oder gar unbegrenztem Verlustrücktrag.“

Zudem stört sich der Wirtschaftsverband daran, dass nur Gewinne aus dem Jahr 2019 berücksichtigt werden können und nicht schon aus 2018. Die Familienunternehmen fordern ebenfalls eine großzügigere Ausgestaltung. „Keine andere Hilfsmaßnahme ist so unkompliziert, zielgerichtet und bringt den notleidenden Unternehmen derart schnell Liquidität“, sagte Albrecht von der Hagen, Hauptgeschäftsführer des Verbands „Die Familienunternehmer“. Die Familienunternehmer machen vor allem Scholz für die Begrenzung verantwortlich.

Der Finanzminister hält einen Rücktrag über so viele Jahre für zu bürokratisch. Zudem fürchten die Sozialdemokraten, Unternehmen könnten die Hilfe dann zur Steuergestaltung nutzen.

Steuerberater geben hingegen Entwarnung. Sie halten eine großzügige Ausgestaltung, bei der auch Gewinne aus den vergangenen zwei oder drei Jahren genutzt werden können, für machbar. „Dies sollte für die Finanzverwaltung unseres Erachtens ohne zu großen zusätzlichen Aufwand umsetzbar sein“, sagte Hartmut Schwab, Präsident der Bundessteuerberaterkammer. „Da das Instrument des Verlustrücktrags gut bekannt ist, ist auch der Beratungsaufwand bei den Unternehmen überschaubar.“

Mehrwertsteuersenkung für Gaststätten

Die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie ist ein Herzensanliegen von Markus Söder (CSU). Der bayerische Ministerpräsident setzte schon zu Beginn der Pandemie durch, dass diese Maßnahme Teil des steuerlichen Corona-Hilfspakets wurde.

Nun hat der CSU-Chef erreicht, dass die eigentlich im Sommer auslaufende Maßnahme deutlich verlängert wird. Bis Ende 2022 wird der Mehrwertsteuersatz für Restaurants sieben statt 19 Prozent betragen. „Das hilft der Gastronomie beim Öffnen nach dem Lockdown“, sagte Söder. Denn da die Restaurants seit November 2020 geschlossen seien, profitierten sie bisher kaum, so das Argument.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga ist zufrieden. Die Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung sei „richtig, wichtig und mutmachend“, sagte Dehoga-Präsident Guido Zöllick. Laut einer Verbandsumfrage bangen 75 Prozent der Betriebe um ihre Existenz. Die Stimmung in der Branche sei wegen fehlender Öffnungsperspektiven von Verzweiflung geprägt, heißt es bei dem Verband.

Ökonomen sehen die 3,4 Milliarden Euro teure Maßnahme hingegen kritisch. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Gastronomie spezielle Hilfen erhält, das Friseurhandwerk aber nicht“, sagte Felbermayr. Auch Ifo-Präsident Clemens Fuest kritisierte die Mehrwertsteuersenkung als wenig zielgenau. „Sie hilft Betrieben, die weniger betroffen sind und mehr Umsatz machen, stärker als Betrieben, die härter getroffen sind.“ Außerdem gebe es neben der Gastronomie andere stark belastete Branchen, etwa den Einzelhandel, der davon nicht profitiere.

In dieser „existenziellen Krise“ könnten Arbeitgeber im Gastgewerbe jede Entlastung und jede positive Perspektive dringend gebrauchen, twitterte der Vorsitzende der Gewerkschaft NGG, Guido Zeitler. Das Gleiche gelte aber auch für die Arbeitnehmer im Gastgewerbe. Gemeinsam mit Verdi und den Fraktionschefs von Grünen und Linken hatte sich die NGG für ein Mindestkurzarbeitergeld in Höhe von 1200 Euro im Monat starkgemacht.

Gerade in Niedriglohnbranchen wie der Gastronomie oder dem Handel kämen die Beschäftigten mit einem Kurzarbeitergeld von 60 Prozent des ausgefallenen Nettogehalts nicht über die Runden. Im Koalitionsausschuss fand die Forderung aber keinen Niederschlag.

Familienbonus

Bereits im vergangenen Jahr legte die Koalition einen Kinderbonus von 300 Euro auf. Dieser kam so gut an, dass er auf Drängen der SPD nun wiederholt wird, wenn auch in abgespeckter Version. Eltern erhalten auch in diesem Jahr pro Kind einen Aufschlag von 150 Euro auf das Kindergeld – Kostenpunkt: 2,1 Milliarden Euro. Der Bonus hilft vor allem einkommensschwachen Familien, weil er mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag verrechnet, nicht aber auf die Grundsicherung angerechnet wird.

Laut einer Studie des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts IMK könnte der konjunkturelle Effekt des Kinderbonus pro eingesetztem Euro Steuergeld doppelt so groß sein wie der Effekt der Mehrwertsteuersenkung. Außerdem habe die Einmalzahlung zielgerichtet Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen erreicht, die im Zuge der Pandemie besonders häufig mit zusätzlichen Ausgaben konfrontiert waren.

Von der FDP kam Kritik: Der neue Kinderbonus sei „die typisch sozialdemokratische Gießkanne“, monierte der familienpolitische Sprecher der Liberalen, Grigorios Aggelidis. Viel wichtiger seien zielgerichtete Maßnahmen wie Impfstoff für Erzieher und Lehrer sowie „pandemiefeste“ Kitas und Schulen.

Hartz-IV-Zuschuss

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte den großen Wurf geplant. Weil der wegen der Corona-Pandemie beschlossene erleichterte Zugang zur Grundsicherung Ende März ausläuft, legte der SPD-Politiker im Januar Vorschläge für eine grundlegende Hartz-IV-Reform vor. Ein Kernpunkt: Wer künftig in die Grundsicherung rutscht, soll sich zwei Jahre lang keine Sorgen machen müssen, dass er wegen einer zu großen Wohnung umziehen oder sein Vermögen aufzehren muss.

Daraus wird zunächst nichts. Der Koalitionsausschuss einigte sich zwar darauf, die Überprüfung des Vermögens und der Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger auszusetzen – aber nur befristet bis Ende dieses Jahres.

Neben der bereits verkündeten Ausgabe kostenloser Masken für Bezieher von Grundsicherung und Tablets für bedürftige Kinder haben die Spitzen von Union und SPD zudem einen einmaligen Corona-Bonus in Höhe von 150 Euro beschlossen. Die Kosten belaufen sich auf ungefähr 900 Millionen Euro.

Heil sprach von „wirtschaftlich vernünftigen“ und „sozial gebotenen“ Beschlüssen, wohl wissend, dass er weit hinter den Forderungen von Sozialverbänden zurückgeblieben ist, die für die Dauer der Pandemie einen monatlichen Corona-Aufschlag auf die Grundsicherung verlangt hatten. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, nannte die Krisenbewältigung der Großen Koalition ein „armutspolitisches Trauerspiel“.

Sein Verband fordert, den Hartz-IV-Regelsatz von aktuell 446 Euro auf 600 Euro anzuheben und für die Dauer der Pandemie monatlich einen pauschalen Mehrbedarfszuschlag von 100 Euro zu zahlen.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betonte, statt eines Trostpflasters bräuchten die Erwachsenen und Kinder, die in der Krise von Hartz IV leben müssen, „eine Unterstützung, die auch wirklich Sicherheit und Halt gibt“.

Kulturmilliarde

Immer wieder wurde der Großen Koalition vorgeworfen, Kulturschaffenden in der Coronakrise zu wenig zu helfen. Während milliardenschwere Rettungsprogramme für Unternehmen aufgelegt wurden, beklagten freischaffende Künstler und kleine Kulturinitiativen, durchs Hilfsraster zu fallen. Dabei sind die Existenzängste von Künstlern und Kulturschaffenden groß, Aufführungen und Veranstaltungen fehlen, Gagen gibt es nicht.

Die Bundesregierung hatte deshalb das Programm „Neustart Kultur“ aufgelegt und mit einer Milliarde Euro ausgestattet. Der Andrang war riesig, 900 Millionen Euro sind bereits vergeben. Deshalb haben Union und SPD nun eine Aufstockung um eine weitere Milliarde beschlossen.

Der Ökonom kritisiert die Beschlüsse. Foto: dpa
Der Ökonom kritisiert die Beschlüsse. Foto: dpa