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Neue Bonus-Regeln bei Tui sorgen für Streit

Weil ein Gewinneinbruch den Vorstandschef um sämtliche Bonuszahlungen bringt, sollen sich die Vergütungsregeln ändern. Unter Aktionärsschützern regt sich Widerstand.

Nach der Pleite des Wettbewerbers Thomas Cook ist die Tui in diesen Tagen darum bemüht, für Vertrauen bei potenziellen Kunden zu werben. Mögliche Bedenken, Anzahlungen bei Europas größtem Pauschalreiseveranstalter könnten sich als ebenso ungesichert erweisen wie bei der einstigen Nummer zwei, möchten die Hannoveraner gar nicht erst aufkommen lassen.

Schließlich erreicht das Buchungsgeschäft in den ersten acht Wochen nach Weihnachten, so berichten es Reisebüros, üblicherweise den Höhepunkt. Auf der am 11. Februar in Hannover geplanten Hauptversammlung erwartet die Aktionäre deshalb ein Reigen von Beschwichtigungen, für die Aufsichtsratschef Dieter Zetsche schon zu Weihnachten den Ton vorgab: „Die Tui ist kerngesund“, ließ sich der frühere Daimler-Chef in einer Pressemitteilung zitieren.

Dass diese Beschreibung wohl zu rosig ausfiel, wird Vorstandschef Fritz Joussen derzeit bei einem Blick auf das eigene Bankkonto klar: Bei der „Jahreserfolgsvergütung“, die ihm im Vorjahr noch einen Bonus von mehr als zwei Millionen Euro einbrachte, ging der seit 2013 amtierende Chef zum Geschäftsjahresende komplett leer aus.

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Vom Aufsichtsrat gesteckte Ziele beim Nettogewinn, Cashflow und bei der Kapitalrendite blieben für Joussen unerreichbar. Auch auf Aktienzuteilungen, über die ihm Tui 2018 noch 2,2 Millionen Euro zukommen ließ, muss Joussen verzichten.

Der Grund dürfte nachvollziehbar sein: Zeitweise fiel der Tui-Kurs unter den Wert, den die Aktie beim letzten Führungswechsel vor sieben Jahren markiert hatte. Mit bitteren Folgen für den 56-jährigen Joussen: Flossen ihm 2018 noch 5,5 Millionen Euro zu, muss er sich diesmal mit seiner Grundvergütung von 1,1 Millionen Euro begnügen.

Auf den Ertragseinbruch von mehr als 26 Prozent, der dem Vorstandschef die Bezüge verhagelte, reagiert Aufsichtsratschef Zetsche nun überraschend. Statt den Reisekonzern vor äußeren Risiken besser zu schützen, die 2019 wieder einmal das Geschäft bestimmten, bittet er die Aktionärsversammlung um Nachsichtigkeit: Sie soll den Weg frei machen, die erst vor zwei Jahren neu geregelte Vergütung abzuändern – zugunsten des Vorstandsvorsitzenden.

Aktionärsvertretung DSW tendiert zum Veto

Zetsches Begründung passt kaum zu dem Bild einer „kerngesunden“ Tui: „In dem Fall, in dem über mehrere Jahre trotz guter Leistungen in einem sehr herausfordernden Marktumfeld keine Auszahlung zu erwarten ist“, schreibt er, „verfehlt die variable Vergütung ihre Anreizfunktion.“
Aufseiten der Anteilseigner zeigt man sich irritiert. „Falls uns nicht noch überzeugendere Argumente vorgelegt werden, tendieren wir zu einer Ablehnung“, sagt Alexander von Vietinghoff-Scheel, der auf der Hauptversammlung die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) vertritt. Weshalb man nun gleich mehrere Jahre auf Besserung warten müsse, habe ihm der Aufsichtsratschef bislang nicht hinreichend erläutert.

2019 waren es gleich zwei Miseren, die den Konzern belasteten. Wohl am schlimmsten traf ihn das Flugverbot für die Boeing 737 Max, die nach zwei fatalen Abstürzen weltweit am Boden bleiben musste. Weil die Hannoveraner Ersatz für ihre Flieger chartern mussten, schlugen Zusatzkosten von 293 Millionen Euro zu Buche.
Die für 2020 erwarteten Sonderbelastungen von 130 Millionen Euro, die Tui in der diesjährigen Ertragsprognose für die 737 Max berücksichtigte, sind längst schon wieder Makulatur. Die vom Reisekonzern im April erwartete Flugerlaubnis wird es nicht geben, machte die US-Luftfahrtbehörde FAA vor wenigen Tagen klar. Vor Juni oder Juli sei mit einem Start nicht zu rechnen.

Dauert das Startverbot bis September, klettern die Zusatzaufwendungen in Hannover nach eigenen Berechnungen auf 220 bis 270 Millionen Euro. Hinzu kommen hausgemachte Fehler. So erwies sich das Urlaubsland Spanien 2019 mit Rekordwerten als Boomregion – nur nicht für Tui. Im Gegensatz zu anderen bekamen die Hannoveraner ihre Hotelkapazitäten kaum verkauft – und mussten sie am Ende verramschen.

Für Joussen besonders ärgerlich: Der Ertragsschwund im Veranstaltergeschäft fiel – selbst ohne den Boeing-Effekt – mit 113 Millionen Euro höher aus als der gesamte Gewinn seines neuen Hoffnungsträgers: der frisch zusammengetragenen Sparte „Zielgebietserlebnisse“.

Das Geschäft mit Urlaubsveranstaltungen, Besichtigungen und Attraktionen, das der Vorstandschef vor gut zwei Jahren zu einem neuen Pfeiler seines Konzerns erkor, warf im Geschäftsjahr 2018/19 gerade einmal 56 Millionen Euro Ertrag vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebita) ab.

Einer der Gründe: Für die Vermarktung hat Joussen reichlich teuer zugekauft. Die Mailänder Onlineplattform „Musement“, über die solche Angebote ins Netz wandern, erwarb er laut Geschäftsbericht inklusive Schuldenübernahme zum Preis von 40,2 Millionen Euro. Die italienische Internetfirma, die gerade einmal ein Nettovermögen von 1,5 Millionen Euro besitzt, hinterließ Tui 2018/19 bei 40 Millionen Euro Umsatz einen Verlust von 13,8 Millionen Euro.

Bei der Vorlage der Jahresergebnisse ließ sich Joussen von alldem wenig anmerken. Tui habe in einem für die Touristikindustrie schwierigen Jahr „operative Stärke“ und eine „solide Bilanz“ gezeigt, erklärte er. Ohne die Belastung durch das Flugverbot wäre das bereinigte Betriebsergebnis „auf dem sehr hohen Vorjahreswert“ ausgewiesen worden. Was der Vorstandschef verschwieg: Ursprünglich hatte es um mehr als zehn Prozent zulegen sollen. Am Ende aber schrumpfte es um gut ein Viertel.


Cashflow reicht nicht für Dividendenzahlung

Die Analysten der Ratingagentur Moody‘s sehen die Bilanz seither nur noch als bedingt solide an. Weil der Geldzufluss aus dem laufenden Geschäft nicht mehr ausreichte, um die Investitionen zu stemmen, verwandelte sich das Nettoguthaben des Konzerns von 124 Millionen Euro binnen Jahresfrist in eine Nettofinanzschuld von 910 Millionen Euro.

Eine Trendwende sehen die Bonitätsprüfer auch in diesem Jahr nicht. Für 2020 erwartet Moody‘s, dass der von Tui erwirtschaftete Cashflow die Dividendenzahlung nicht decken wird. „Falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden“, schreiben die Analysten, werde sich die Liquidität damit weiter verringern. Die vor einem guten Monat vorgenommene Bonitätsherabstufung auf „Ba3, Ausblick negativ“ übersetzen Finanzexperten mit der Beschreibung: „Spekulative Anlage – bei Verschlechterung ist mit Ausfällen zu rechnen.“

Eine solche Warnung scheint auf den ersten Blick geeignet, deutsche Pauschalurlauber in Unruhe zu versetzen. Immerhin hortete Tui zum Bilanzstichtag 30. September 2019 nicht weniger als 2,91 Milliarden Euro Kundenanzahlungen in der Firmenkasse. Da auf deutsche Urlauber zuletzt ein Umsatzanteil von 28,2 Prozent entfiel, kommen sie rechnerisch auf überlassene Vorauszahlungen in Höhe von 820 Millionen Euro.

Gegen mögliche Insolvenzfolgen versichert sind davon lediglich 110 Millionen – und das noch nicht einmal mit letzter Sicherheit: Vergangenen Herbst erklärte die Finanzaufsicht Bafin das Versicherungsmodell des Pauschalreiseanbieters für unzureichend. Die angemahnte Nachbesserung lässt bis heute auf sich warten.

Die Gefahr einer Insolvenz von Tui sieht Moody‘s aber nicht – zumindest nicht in den kommenden zwölf bis 18 Monaten. Zwar werde im urlaubsschwachen ersten Quartal ein Übergangskapital in Höhe von 1,8 bis zwei Milliarden Euro gebraucht, ein Engpass aber drohe nicht. Zum Bilanzstichtag besaß Tui eine Liquidität von 1,77 Milliarden Euro neben einem ungenutzten Kreditrahmen über 1,53 Milliarden Euro. Erst 2022 muss dieser neu vereinbart werden.

Bis dahin allerdings dürfte sich die gesamte Verschuldung im Konzern noch erhöhen. Zwischen 750 und 900 Millionen Euro will Joussen allein in diesem Jahr für die Modernisierung seiner Airlines, Anzahlungen für Schiffsneubauten, acht neue Hotels und IT-Erweiterungen ausgeben. Zudem werden 475 Millionen Euro für Dividenden fällig. Die Nettoverschuldung werde all dies, plant Joussen, von 0,9 auf 1,8 bis 2,1 Milliarden Euro nach oben treiben.

Konzernchef betreibt Kassenpflege

An vielen Stellen drängt er deshalb seit Kurzem darauf, die Firmenkasse anderweitig zu füllen – oder zumindest zu schonen. Die vollständige Übernahme des Feriendampfers „Mein Schiff 2“ aus dem Joint Venture mit Royal Caribbean setzte er aus, was dem Reisekonzern schätzungsweise Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe ersparte. Zudem fahndet der Tui-Chef seit Kurzem nach einem Joint-Venture-Partner für seine Luxus-Reederei Hapag-Lloyd, an deren Finanzierung er sich beteiligen soll. Dass Joussen seinen Plan per Pressemitteilung kundtat, dürfte die Suche beschleunigen.

Auch Verkäufe von Konzerntöchtern, mit denen Hannover angeblich „das Profil der Tui im Veranstaltergeschäft weiter schärfen“ will, dienen der Kassenpflege. Für die Spezialveranstalter „Berge & Meer“ und „Boomerang Reisen“ kassierten die Hannoveraner laut aktuellem Geschäftsbericht 128 Millionen Euro. Der Deal bescherte Tui einen satten Buchgewinn von 100 Millionen Euro.

Dass der Reiseveranstalter im laufenden Geschäftsjahr auch Kunden gewinnen wird, die vormals bei Thomas Cook buchten, bringt dem Urlaubsverkäufer mit dem Smiley-Logo vermutlich wenig. „Deren Einfluss auf die Gewinnsituation wird übersichtlich bleiben“, glauben Moody‘s-Ratingexperten. Als Grund führen sie die niedrigen Margen im Pauschalreisegeschäft an, die bei Thomas Cook zuvor nicht einmal zum Überleben reichten.

Auch die Anteilseigner müssen daher ihren Teil zur finanziellen Gesundung beitragen. Ab 2021, so hat es der Aufsichtsrat beschlossen, soll die Dividende für das zurückliegende Geschäftsjahr auf 30 bis 40 Prozent des Gewinns pro Aktie beschränkt werden – wobei er eine Mindestzahlung von 35 Cent in Aussicht stellt. Der Einschnitt ist erheblich. Für das abgelaufene Jahr wird letztmals auf der Hauptversammlung noch eine Ausschüttungsquote von gut 60 Prozent erwartet.

Es sind wohl Hoffnungen, die Anteilseigner weiter an den Konzern binden. Am Ende, so hat es ihnen Joussen in Aussicht gestellt, könnte Boeing die angeschlagene Firmenkasse mit einer kräftigen Entschädigungszahlung wieder auffüllen. Andere, etwa Goldman-Sachs-Analyst Felix Schlüter, sind da skeptischer: „Wann und vor allem in welcher Höhe Tui von Boeing Entschädigungszahlungen erhält, steht derzeit noch in den Sternen“, schreibt er – und empfiehlt die Aktie zum Verkauf.