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Die neue Annäherung – Wie die Wirtschaft die Grünen umgarnt

Die Grünen wollen ihre Idee für eine ökologisch-orientierte Wirtschaft gemeinsam mit den Unternehmen vorantreiben. Auch viele Topmanager suchen den Dialog.

Nicht nur die Grünen-Parteispitze trifft sich dazu regelmäßig mit Topmanagern, sondern auch die Fraktionschefs. Foto: dpa
Nicht nur die Grünen-Parteispitze trifft sich dazu regelmäßig mit Topmanagern, sondern auch die Fraktionschefs. Foto: dpa

Ein begeistertes Publikum konnte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) nicht erwarten, als sie vor wenigen Wochen beim Berliner Stahldialog vor die versammelte Branche trat. Sie warb dort für ihren ungeliebten Klimaschutzplan. Selbst als die Ministerin von den beschlossenen 45 Millionen Euro Fördermitteln für Dekarbonisierung sprach, zuckten manche anwesenden Manager und Lobbyisten nur mit den Schultern.

Denn über das drängendste Problem verlor Schulze kein Wort: Wie sollen die Unternehmen die steigenden Kosten durch den Klimaschutz verkraften, wenn gleichzeitig die Konkurrenz aus dem Ausland wächst, die solche Belastungen nicht hat? Ausgerechnet eine Grünen-Politikerin gab bei der anschließenden Podiumsdiskussion den Firmenvertretern darauf eine Antwort.

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Kerstin Andreae machte sich mit der Forderung nach einem EU-weiten Ausgleichszoll für CO2-belasteten Stahl aus dem Ausland ein zentrales Anliegen der Branche zu eigen.

„Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, brauchen einen Ausgleich mit Blick auf die Konkurrenz im Ausland, die zu ökologisch schlechteren Bedingungen produziert“, erklärte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion – und erntete dafür begeisterten Applaus.

Es war eine bemerkenswerte Szene. Zuspruch für die Grünen aus einer traditionellen deutschen Kernindustrie, die eine rigide Umweltpolitik fürchtet – das hätte es vor einigen Jahren noch nicht gegeben. Das Aufeinandertreffen auf dem Berliner Stahldialog ist bezeichnend für eine Entwicklung, die in den vergangenen Monaten an Schwung gewonnen hat.

Angesichts des Wahlerfolgs und einer perspektivischen Regierungsbeteiligung der Grünen sucht die Wirtschaft engen Kontakt zu den Entscheidern in der Partei. Die Grünen-Spitze wiederum geht auf die Topmanager und Unternehmen zu, um für ihre Ziele zu werben und einen gemeinsamen Weg bei deren Umsetzung zu finden.

Nicht nur die Grünen-Parteispitze aus Annalena Baerbock und Robert Habeck trifft sich dazu regelmäßig mit Topmanagern, sondern auch die Fraktionschefs.

Anton Hofreiter tauschte sich jüngst mit Siemens-CEO Joe Kaeser und Bahn-Chef Richard Lutz aus. Katrin Göring-Eckardt diskutierte mit Vertretern des Verbandes der Chemischen Industrie und der Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, Marija Kolak.

Grünen-Politiker treffen entweder die Wirtschaftsbosse selbst oder deren Lobbyisten. Die Bayer AG, die wegen ihrer Agrarchemie von den Grünen scharf angegangen wird, hat extra einen aus den Reihen der Partei für die Zusammenarbeit engagiert: Der bekennende Grüne Matthias Berninger ist seit Jahresbeginn Cheflobbyist beim Leverkusener Konzern.

Viele Chefs suchen den Kontakt zur Öko-Partei

„Die Grünen wollen zeigen, dass ihre ökologische Agenda nicht gegen die Industrie gerichtet ist“, erläutert Parteienforscher Michael Lüthmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. Es gelinge ihnen zunehmend, die Wirtschaft, die klimapolitische Leitplanken braucht, von sich zu überzeugen, beobachtet er.

Richtig überzeugt sind Manager wie BASF-Chef Martin Brüdermüller und der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess von den Grünen sicher noch nicht. Doch es sind prominente Manager, die zwei Dinge erkennen: Klima- und Umweltschutz wird die Politik mehr und mehr bestimmen. Und ein enger Dialog mit der Ökopartei ist nötig, wenn die Wirtschaft dabei Vorstellungen und Bedenken einbringen will.

Von Daimler heißt es, dass sich das Verhältnis zur Partei der Grünen nach dem Auftritt des damaligen Daimler-CEO Dieter Zetsche auf dem Parteitag im November 2016 positiv entwickelt habe, „trotz teilweise sehr unterschiedlicher Positionen was die individuelle Mobilität angeht“.

Man habe ein „gutes, konstruktives Verhältnis zur Landesregierung in Baden-Württemberg“. Das gelte „vor allem auch für die Beziehung zu Ministerpräsident Winfried Kretschmann“.

VW-Chef Diess etwa tauscht sich regelmäßig mit dem Grünen-Wirtschaftsexperten Cem Özdemir aus. Im April traf der VW-Vorstandsvorsitzende auch mit Partei-Chef Habeck zusammen, sie diskutierten viele Gemeinsamkeiten – etwa die Vorstellung von der E-Mobilität, auf die VW voll einschwenkt.

Diess klingt bisweilen in Reden so, als wolle er aus dem Autohersteller eine neue Umweltbewegung machen. „Ich habe viel Verständnis und Sympathie für streikende Schüler, die Angst um unseren Planeten haben,“ sagt er. Mit den Grünen kommt Diess nach eigenem Bekunden gut zurecht.

Den intensiven Kontakt zu der Ökopartei pflegt seit einigen Monaten auch Brudermüller. Der Chef des weltgrößten Chemiekonzerns BASF ist aktuell der profilierteste Vertreter der neuen Verbindung von Grünen und Unternehmen. Andreae kam im Februar zu Besuch zu BASF und sprach mit Brudermüller über Klimaschutz.

Der CEO machte klar, dass die Chemie an neuen Produktionsverfahren arbeite, um weniger CO2 auszustoßen. Doch um die Emissionen gegen null zu senken, bräuchten die Firmen riesige Mengen an regenerativer Energie, die ständig und sicher verfügbar sein müssten.

Brudermüller will seine Sicht und die der Chemieindustrie in die Klimaschutzdebatte einbringen. Auch deswegen ist er im Herbst 2018 in den Wirtschaftsbeirat der Grünen eingetreten. Die bisherigen Sitzungen seien von „großer Offenheit und durch eine Vielfalt von Perspektiven“ geprägt, sagt er.

„Wir sind nicht immer und in allen Fällen einer Meinung. Wichtig ist der Dialog.“ Der BASF-Chef legt großen Wert auf mehr Nachhaltigkeit, er will aber auch, dass dabei die ökologische, soziale und wirtschaftliche Komponente ausbalanciert wird.

Grüne geben sich lernbereit

Ob im Wirtschaftsbeirat, im ostdeutschen Braunkohlegebiet oder bei der Salzgitter AG, die an klimaneutralen Hochöfen forscht: Die Grünen geben sich lernbereit. „Es geht nicht darum, grüne Politik zu präsentieren, sondern schlauer zu werden“, sagt Andreae über ihre Besuche bei den Firmen vor Ort.

Die alles überlagernde Frage lautet: Klimaschutz und Wirtschaft – wie bringt man das zusammen? Zwar sind die Grünen beseelt davon, dass nur eine nachhaltige Wirtschaft zukunftsfähig ist. Doch den Weg dahin wollen sie nach eigenen Angaben verlässlich, gerecht und krisenfest gestalten – und dabei auch noch die Unternehmen mitnehmen.

Der Wirtschaftsbeirat soll dafür Ideen und Wege entwickeln. Er ist für die Grünen der wichtigste Zirkel für die Debatte mit Unternehmen über einen klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft. Die Idee dazu hatte Andreae, die sich in der Wirtschaft einen guten Ruf erworben hat.

Erstmals kam die handverlesene Gruppe von 50 Managern, Unternehmern und Beratern im Oktober 2018 in Berlin zusammen. Neben Brudermüller sind Topmanager wie Hagen Pfundner, Vorstand des Pharmakonzerns Roche, Premal Desai, Vorstandssprecher von Thyssen-Krupp Steel Europe, und Christian Knell, Deutschlandchef des Bauzulieferers Heidelberg Cement, dabei.

Geplant waren zunächst zwei bis drei jährliche Treffen. Doch in diesem Jahr hat sich die Gruppe bisher schon zweimal zusammengefunden – und das, obwohl alle Mitglieder stets persönlich erscheinen müssen.

Das Interesse am Wirtschaftsbeirat ist groß, weil viele Unternehmer bei den Grünen einen Wandel erkennen: „Die Grünen haben sich von alten Weltanschauungen und ihrer Skepsis gegen neue Technik verabschiedet“, sagte Arndt Kwiatkowski, Geschäftsführer von Bettermarks, einem Anbieter digitaler Lernsysteme aus Berlin.

Die Partei habe sich mehr als andere auf nachhaltiges Wirtschaften fokussiert und „nun begriffen, dass technische Innovationen dafür der Treiber sind“, sagt der Gründer, der im Wirtschaftsbeirat sitzt.

Parteichefin Baerbock gibt sich überzeugt: „Viele Unternehmen haben erkannt, dass eine fossilfreie, digitale Industrie und Wirtschaft neue Wertschöpfungsketten und neue Jobs schaffen wird“, sagt sie und fügt hinzu: „Aber dieser Wettbewerb kann sich nur entfalten, wenn es einen Rahmen gibt im Sinne einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Er muss der Wirtschaft Planungs- und Investitionssicherheit geben.“

Planungssicherheit – das kommt bei Firmen gut an. Baerbock heimste damit schon Anfang Juni bei einem Auftritt auf einer Veranstaltung des Bundesverbands der Deutschen Industrie viel Beifall ein. Der BDI gilt nicht als Fanclub der Grünen – allerdings, und das ist auch wichtig, ist der Verband auch kein Verfechter der Politik der Großen Koalition mehr. BDI-Chef Dieter Kempf tauscht sich seit Monaten intensiver mit Baerbock aus.

Möglich mache dies die gewachsene Bedeutung der Partei und die Wahl der von ihr vorangetriebenen Themen, sagt Hubertus Bardt, Geschäftsführer beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Die Unternehmen würden das Signal der Grünen zum Dialog aufnehmen. Es gebe aber weiterhin große Unterschiede in den Positionen, etwa bei technischen Vorgaben im Klimaschutz.

Grüne arbeiten an neuem Grundsatzprogramm

Trotz aller Dialogbereitschaft behalten aber viele Unternehmer ihre Skepsis und Vorsicht gegenüber den Grünen bei. „Sie mussten grüne Klimaschutzpolitik bisher als teuer, aber wenig wirkungsvoll kennen lernen. Diese Erfahrung sitzt tief und macht misstrauisch“, beobachtet Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands „Die Familienunternehmer“.

„Viele erwarten von den Grünen jetzt Zeichen für ein Verständnis der Belange der Wirtschaft, auch für die Risiko- und Kostenseite.“

Wenn das den Grünen gelingt, könnte die Partei ihre Sympathien in der Wirtschaft ausbauen. Mehr Klimaschutz schreiben sich mittlerweile viele Unternehmen auf die Fahne und sehen es sogar als Chance, weil die Innovationen dafür aus Deutschland kommen könnten. Sie vermissen dafür aber verlässliche Rahmenbedingungen von der Politik.

Die Bundesregierung habe es in den letzten Jahren versäumt, sich für Klimaschutz zu positionieren, kritisiert Jan Rinnert, CEO der Heraeus-Holding. Jetzt müsse die Politik erklären, wie denn moderne Klimapolitik finanziert werden soll, ohne Wirtschaft und Steuerzahler weiter zu belasten. „Machen wir es richtig, wird gute Klimapolitik helfen, unsere führende Position als eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt zu erhalten.“

Viele Wirtschaftsvertreter äußern sich besorgt, dass die Grünen auf steigende Umfragewerte mit einer noch radikaleren Umweltpolitik reagieren könnten. Die Radikalität steigt eher mit zunehmendem Klimawandel, heißt es in der Partei.

Derzeit arbeiten die Grünen an einem neuen Grundsatzprogramm, das 2020 vorgestellt werden soll. Hier wird sich zeigen, wie rigide die Partei etwa in der bisherigen Ablehnung der Gentechnik bleibt oder ob sie sich neuer Technik öffnet.

Habeck und Baerbock verströmen zwar auch in den Augen vieler Unternehmer ein angenehmes Lebensgefühl. Aber die Skepsis sitzt bei manchen tief, weil ihre Erfahrungen mit Grünen in Landesregierungen zwiespältig sind.

Arndt Kirchhoff, CEO der sauerländischen Kirchhoff-Gruppe, hat schlechte Erinnerungen an die Grünen, die an der bis 2017 amtierenden NRW-Landesregierung beteiligt waren: Sie hätten eine „ideologisch gefärbte Politik verfolgt, die sich immer neue Vorschriften, Vorgaben und Regulierungen ausgedacht hat, ohne deren fatale Auswirkungen auf Wachstum und Arbeitsplätze zu berücksichtigen“.

Kirchhoff kann sich mit Blick auf die unterschiedlichen politischen Flügel der Grünen noch nicht vorstellen, für welche Politik die Partei tatsächlich stehen wird, wenn sie in Berlin politische Verantwortung übernehmen muss.

Nikolas Stihl, der Beiratsvorsitzende des schwäbischen Motorsägenbauers Stihl, ist da weniger pessimistisch: „Die Erfahrung zeigt: Grüne in Regierungsverantwortung erkennen schnell, dass grüne Ziele nur mit einer starken Wirtschaft umgesetzt werden können“, sagt er: „Der in Baden-Württemberg erfolgreiche Ansatz ‚Kooperation statt Oberlehrer‘ bringt Ergebnisse und zufriedene Bürger. Klimaschutz geht nur mit Bürgern und Firmen – nicht dagegen.“

Mehr: Ob Energiewende, E-Mobilität oder Gentechnik: In vielen Politikfeldern bewegen sich die Öko-Partei und die Wirtschaft aufeinander zu. Eine Analyse.