Der nächste deutsche Pharma-Fehlschlag: Fünf Themen des Tages
(Bloomberg) -- Angela Cullen und Tim Loh über bittere Pillen aus deutschen Laboren. — Abonnieren Sie unseren Newsletter Fünf Themen des Tages täglich direkt in ihre Mailbox.
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Verpasste Chancen
Das Mittel gegen Multiple Sklerose sollte den angeschlagenen Pharmakonzern Merck KGaA wieder auf Wachstumskurs bringen — stattdessen zeigte sich Evobrutinib in zwei klinischen Studien als weniger wirksam als erhofft, und schickte dementsprechend die Aktien der Darmstädter auf Talfahrt. Ein großer Hoffnungsträger für Mercks Medikamenten-Pipeline und potenzieller Verkaufsschlager fällt damit wohl aus. Der Zeitpunkt könnte für den Mischkonzern kaum schlechter sein, da gleichzeitig die Covid-Sonderkonjunktur vorüber ist und die Halbleitersparte kämpft.
Mercks Fall erinnert unheilvoll an den großen Rivalen Bayer in Leverkusen, der unlängst ebenfalls einen herben Rückschlag bei seinem Hoffnungsträger Asundexian hinnehmen musste — und bei dem diese Hiobsbotschaft just mit einer potenziell teuren Prozessniederlage bei einem der unzähligen Glyphosat-Verfahren vor US-Gerichten einherging.
Der Verdacht könnte aufkeimen, dass das Modell Gemischtwarenladen vielleicht doch die Aufmerksamkeit des Managements in zu viele Richtungen treibt und es schwer macht, mit den hochspezialisierten Medikamenten zu konkurrieren, mit denen die Branchenriesen von Novartis bis Novo Nordisk zuletzt reüssieren.
Was Marktteilnehmer heute noch bewegen könnte, berichten Ihnen Rainer Bürgin, Alexander Kell, Stephan Kahl und Boris Groendahl: Fertig machen zum Abstieg, Frankfurt statt Footsie, das liebe Geld, maue Merger, und Leichen im Tresor.
Fertig machen zum Abstieg
Geldmarkthändler bereiten sich auf den Abstieg vom Zinsplateau der EZB vor und preisen eine fast 90%-Chance ein, dass der Lockerungszyklus im ersten Quartal 2024 beginnt. Erstmals sind sechs Zinssenkungen um jeweils einen Viertelpunkt im kommenden Jahr vollständig eingepreist, was den Leitzins um 150 Basispunkte auf 2,5% senken würde. Ratsmitglieder warnen zwar immer noch vor der Inflationsgefahr, aber selbst die dem Falkenlager zugerechnete Isabel Schnabel nannte den Rückgang der Inflation jüngst “bemerkenswert” und “ermutigend”. Auf Grundlage der jetzigen Daten bestehe für das erste Halbjahr 2024 keine Notwendigkeit für Zinssenkungen, aber wenn “sich das Gleichgewicht der Risiken für die Preisstabilität verschiebt, könnten sich auch unsere Zinsentscheidungen ändern”, erklärte unterdessen der Lette Martins Kazaks. Der unerwartete Rückgang der deutschen Auftragseingänge im Oktober hat heute gezeigt, in welche Richtung sich die Risiken neigen. Weniger taubenhaft ist man bei Pictet: Hartnäckiger Preisdruck werde der EZB erst im Schlussquartal 2024 eine Lockerung erlauben, heißt es dort.
Frankfurt statt Footsie
2014 hatte Tui im Rahmen der Zusammenlegung mit Tui Travel betont, der Wechsel der Haupt-Börsennotierung nach London werde die Aktie “attraktiv für internationale Anleger” machen. Bis Mitte 2018 legten die Titel auch mehr als 60% zu. Danach ging es allerdings schon vor dem Corona-Schock deutlich abwärts. 2020 fiel Tui aus dem FTSE-100. Die Erholung von der Pandemie blieb an der Börse Episode. Heute wären die Anteilseigner froh über die Kurse, die beim Tief vor drei Jahren gezahlt wurden. Nun teilte der Reisekonzern mit, Aktionäre seien an das Management mit der Frage herangetreten, ob London noch der beste Standort für die Titel sei, zumal die Liquiditätsentwicklung für Frankfurt und den MDax spreche. Jetzt wird der konzerneigene Börsen-Brexit geprüft. Für 2023 meldete Tui ein gutes Q4 und einen Rekordumsatz. 2024 soll das bereinigte Ebit um mindestens ein Viertel steigen. Der Luftfahrtverband Iata hat heute seine Schätzung für den Branchengewinn in diesem Jahr verdoppelt und prognostiziert ebenfalls einen Umsatzrekord.
Das liebe Geld
Ohne einen Kompromiss im Laufe des Tages dürfte die Bundesregierung den Haushalt 2024 kaum noch vor Jahresende durch den Bundestag bringen. In den bis in die Nacht geführten Gesprächen sei kein Durchbruch erzielt worden, hieß es aus Kreisen. Grünen-Fraktionschefin Ricarda Lang sagte im BR-Interview, sie gehe “nicht davon aus, dass heute im Kabinett schon ein neuer Entwurf für den Haushalt beschlossen” werde. Es dürfte aber “sehr, sehr bald eine politische Entscheidung folgen”. Diese könnte der Bundestag auch erst 2024 beschließen, was aber eine vorläufige Haushaltsführung zu Beginn des Jahres bedeuten würde. Um das zu vermeiden, müsste schnell ein Entwurf vereinbart und dem Haushaltsausschuss vorgelegt werden. Kurz vor Weihnachten könnten dann Bundestag und Bundesrat abstimmen. Auf EU-Ebene konkretisieren sich derweil die Vorschläge zur Aufweichung der Haushaltsregeln, weil eine Erhöhung des Anteils der investiven Ausgaben durch Umschichtung politisch nicht durchsetzbar ist. So sollen Italien, Frankreich und Spanien, deren Staatsverschuldung die jährliche Wirtschaftsleistung übersteigt, diese jährlich um einen Prozentpunkt des BIP reduzieren, so ein Vorschlag. Eine Einigung gilt als unsicher.
Maue Merger
Das M&A-Jahr in Deutschland verspricht eines der schwächsten der letzten Dekade zu werden und liegt damit durchaus im internationalen Trend. Zwei kleinere Deals werden heute dennoch bekannt und sind nicht untypisch für die Geschäfte, die tatsächlich noch stattfinden. So erwägt der chinesische Mischkonzern Fosun informierten Kreisen zufolge den Verkauf einer Minderheitsbeteiligung am Fuldaer Fertigungstechniker FTT. Auch bei Messer ging bekanntlich nur eine Minderheit über den Tresen, und Lufthansa will von ihrer Technik ebenfalls nur einen Teil abgeben. Die Chinesen hatten FTT 2019 übernommen, als im Reich der Mitte noch alle Trends nach oben wiesen, sind inzwischen aber eher mit Schuldenabbau beschäftigt. Die ganze Firma könnte 1,5 Milliarden Euro wert sein, allerdings ist alles noch im Frühstadium und es ist nicht sicher, dass der Deal über die Bühne geht. Mehr oder weniger fix ist hingegen der Plan des Rüstungskonzerns Hensoldt für die Übernahme der ESG, was in diesem Fall nicht für das steht, was Sie jetzt denken, sondern für Elektroniksystem- und Logistik-GmbH. Da eine Kapitalerhöhung nötig wird, schwächelt die Hensoldt-Aktie heute ein bisschen.
Leichen im Tresor
Seit Wochen hält das in sich zusammenfallende Immobilienimperium von René Benko die Finanzwelt in Atem. Vor allem geht es um die Frage, welche Folgen der Sturm für die finanzierenden Banken haben wird. Die Ratingagentur Moody’s brachte es in einer am Mittwoch versandten Studie auf den Punkt. “Die Signa-Insolvenz ist negativ für die Bonität bestimmter österreichischer, deutscher und schweizerischer Banken”, betitelten die Analysten ihre Studie. Gerade Institute aus dem deutschsprachigen Raum waren es, die Benko in Hochzeiten mit Krediten versorgt hatten. Moody’s hält es für wahrscheinlich, dass faule Kredite und Risikokosten bei ihnen im vierten Quartal steigen werden. Zwar sind viele Darlehen laut der Ratingagentur gut besichert, was die Verluste begrenzen werde. Doch die als Sicherheiten dienenden Assets seien zuletzt selbst unter Druck geraten, unter anderem wegen des höheren Zinsniveaus. Das erhöhe die Risiken bei der Abwicklung der Kredite. Es bleibt spannend.
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Grüner Knüppel
Keine Dividende
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