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Warum Belegschaftsaktien in Deutschland kaum Fans haben

Nur wenige Konzerne in Deutschland bieten ihren Mitarbeitern Aktien an – auch das Interesse seitens der Beschäftigten ist mäßig. Dabei lohnen sich die Programme fast immer.

Mit Abstand die meisten Aktionäre hat Siemens: 305.000 der gut 380.000 Mitarbeiter halten Firmenaktien. Foto: dpa
Mit Abstand die meisten Aktionäre hat Siemens: 305.000 der gut 380.000 Mitarbeiter halten Firmenaktien. Foto: dpa

Was kann ein Unternehmen für seine Mitarbeiter tun? Bei Unternehmensberatern und in Bücherbestsellern reichen die Antworten von firmeneigenen Kindergartenplätzen, Sportprogrammen, Homeoffice und kostenlosen Snacks bis hin zum regelmäßigen Pizza-Treffen mit dem Vorstand.

Doch geht nicht noch viel mehr? Warum eigentlich werden Mitarbeiter „mit einer aus Abhängigkeit heraus verhandelten Lohnsumme abgespeist?“, stichelte Juso-Chef Kevin Kühnert – und fragte mit Blick auf die ungleichen Vermögensverhältnisse: „Warum gehört ihnen nicht zu gleichen Anteilen dieses Unternehmen?“

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Ganz so weit von solch kollektivistischen und revolutionär klingenden Eigentumsverhältnissen sind viele Unternehmen gar nicht entfernt. Zwar entwickeln sich Vorstandsgehälter und Tariflöhne immer weiter auseinander.

Miteigentümer sind viele Beschäftigte trotzdem: Rund ein Drittel der börsennotierten Unternehmen in Deutschland bietet seinen Mitarbeitern Aktien an und macht sie so zu Anteilseignern. Das ermittelte kürzlich das Deutsche Aktieninstitut.

Große fördern häufiger als Kleine: Jeder zweite Dax-Konzern wartet mit entsprechenden Programmen auf. Auf diese Weise können sich in Deutschland nach Handelsblatt-Berechnungen knapp eine halbe Million Angestellte der Dax-Konzerne als Miteigentümer bezeichnen. Dazu gehören die Gewinnbeteiligung durch Dividenden, mögliche Kurssteigerungen und das Mitspracherecht, einschließlich des Wahlrechts auf den Jahreshauptversammlungen.

Der Markenriese Henkel beteiligt seine Mitarbeiter seit 2001, der Chemieproduzent BASF seit 1999, die Lufthansa seit 1996 und BMW seit 1989. Bei der Deutschen Bank und Daimler reichen die Beteiligungsprogramme bis in die 70er-Jahre zurück.

Beim Versicherer Allianz kauften Mitarbeiter im vergangenen Geschäftsjahr 407.495 Aktien. Ihr aktueller Wert: 85 Millionen Euro. Insgesamt halten 36.042 Angestellte 1,22 Prozent des Konzerns. Das entspricht einem Wert von 1,1 Milliarden Euro. Rechnerisch kommt demnach jeder Einzelne auf durchschnittlich 30.000 Euro in Form von Allianz-Aktien.

Am stärksten ist das Prinzip der „kapitalistischen Unternehmenskollektivierung“ bei SAP ausgeprägt: 90 Prozent der rund 20.000 in Deutschland Beschäftigten halten Anteilsscheine an Deutschlands wertvollstem Unternehmen. Die Angestellten sind damit gut gefahren: In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Kurs an der Börse beinahe vervierfacht, dazu kamen noch einmal gut 100 Prozent Plus durch jährliche Dividenden und Boni des Unternehmens auf die erworbenen Aktien.

Mit Abstand die meisten Aktionäre hat Siemens: 305.000 der gut 380.000 Mitarbeiter halten Firmenaktien. 2018 gab Siemens Gratisaktien im Wert von knapp 68 Millionen Euro an seine Mitarbeiter in 65 Ländern aus, insgesamt 702.300 Stück. Wie wohl kein anderes Unternehmen bewirbt Siemens seine entsprechenden Programme.

Ziel ist es, die Belegschaft enger ans Unternehmen zu binden, sie zu motivieren und beim Vermögensaufbau zu unterstützen. „Man muss die Mitarbeiter am Gewinn beteiligen und nicht nur die Manager“, sagte Konzernchef Joe Kaeser Anfang des Jahres dem Handelsblatt.

Zusammen halten die Angestellten derzeit etwas mehr als drei Prozent aller Siemens-Aktien im Wert von 2,5 Milliarden Euro – sie sind damit der drittgrößte Investor des Konzerns. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung errechnete vor zwei Jahren, dass ein ehemals 18-jähriger Siemens-Mitarbeiter, der alle steuerfreien Aktienangebote angenommen und zwischenzeitlich keine Aktien verkauft hat, mit 65 Jahren in seinem Depot 2176 Aktien im Wert von 217.600 Euro hält. Bei einem Eigeninvestment von 18.319 Euro in 47 Jahren verbliebe ihm ein Gewinn von 199.281 Euro. Hinzu kommen Einnahmen aus Dividenden, Bezugsrechten und Steuerguthaben von 81.855 Euro.

Die Eigentümerkultur hat bei Siemens lange Tradition: 1858 wurden die Beschäftigten von Siemens & Halske erstmals am Gewinn beteiligt. Zu den Pionieren in Deutschland zählen auch Bayer und RWE, die in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Belegschaftsaktien einführten.

Aber: „Nur wenige Unternehmen erweisen sich als Leuchttürme“, ermittelten die Autoren der Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Längst nicht alle Firmen zeigen Interesse, einige haben sich aus der Förderung sogar wieder zurückgezogen.

In den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts beteiligte Volkswagen seine Mitarbeiter mit einem Belegschaftsaktienangebot zum Vorzugspreis. Das Programm wurde 1999 durch Aktienoptionen ersetzt, die für die Angestellten ohne Risiko blieben. Seit 2007 bietet Volkswagen keine Mitarbeiteraktien mehr an, Eon seit 2016 nicht mehr.

Die Deutsche Telekom legte mit ihrem ersten Börsengang 1996 ein Aktienprogramm für ihre Belegschaft auf. Erklärtes Ziel war es damals, die Motivation und Unternehmensbindung zu stärken und die Arbeitsproduktivität zu verbessern.

Warum es seit einigen Jahren Angebote nur noch für leitende, nicht aber mehr für alle Angestellten gibt, darüber schweigt der Konzern auch auf mehrfache Nachfrage – und die anderen halten sich ebenfalls bedeckt.

Ein Grund für das geringe Interesse ist nach Meinung von Experten die niedrige staatliche Förderung. Nur für maximal 360 Euro jährlich können Unternehmen Aktien anbieten, ohne dass ihre Mitarbeiter diese versteuern müssen. In den anderen Industrieländern sind die Freibeträge höher: in Großbritannien sind es 3500 Euro, in Österreich 4500 Euro und in Irland sogar 12.700 Euro.

Darüber hinaus spiegelt der Aktienkurs aus Sicht der Unternehmen oftmals nicht die wirtschaftliche Entwicklung wider. Ein langfristiger Kursverfall, wie etwa bei Eon und der Telekom, sorgt bei Mitarbeitern eher für Frust, anstatt sie zu motivieren. „Das kann nicht im Interesse der Unternehmen sein“, urteilt der Wissenschaftler Markus Sendel-Müller aus Saarbrücken, der schon etliche Firmen bei Mitarbeiterprogrammen beraten hat.

Mitarbeiteraktien gegen Rentenlücke

Doch nicht nur Unternehmen, auch Mitarbeiter zeigen nur mäßig oder gar wenig Interesse. Beim Markenkonzern Henkel beteiligt sich in Deutschland trotz Gratisaktien und breit angelegter Kommunikationskampagnen, wozu Infomails, Artikel, Flyer und Poster zählen, nur jeder zweite Mitarbeiter. Beim Chemieriesen BASF griffen im vergangenen Geschäftsjahr rund 20.000 Angestellte in Deutschland zu – nur knapp ein Drittel der Belegschaft.

Wenig höher ist die Beteiligung bei Bayer. Sie liegt in den vergangenen Jahren stabil bei rund 35 Prozent. Gründe dafür sind nach Ansicht Sendel-Müllers die im internationalen Vergleich guten Löhne und Sozialsysteme sowie die unter Hinzurechnung der betrieblichen Vorsorge immer noch hohen Altersbezüge.

Unternehmen und Mitarbeiter, die so denken, unterliegen jedoch nach Meinung der Chefin des Deutschen Aktieninstituts, Christine Bortenlänger, einem fatalen Irrtum. Die Aktien-Lobbyistin glaubt nicht daran, dass sich die staatliche Rente auf Dauer durch höhere Steuereinnahmen absichern lässt. „Die große Rentenlücke, die auf uns zukommt, wird uns spätestens ab 2025 beschäftigen.“

Doch nicht nur die großen Dax-Konzerne, auch kleinere Firmen in der zweiten und dritten Reihe, wie der digitale Fotospezialist Cewe, der Medienverlag Axel Springer und der Onlinehändler Zalando verkaufen ihren Angestellten rabattierte Aktien. 8000 der 14.000 Zalando-Mitarbeiter halten firmeneigene Anteile.

Insgesamt dürfte es in Deutschland knapp eine Million Belegschaftsaktionäre geben. Diese verteilen sich nach einer Erhebung des Bundesverbands Mitarbeiterbeteiligung AGP auf 700 Aktiengesellschaften. Hinzu kommen gut 3000 mittelständische Betriebe. Sie beteiligen ihre Mitarbeiter über Genussrechte oder stille Beteiligungen am Gewinn des Unternehmens, so wie etwa der Landmaschinenhersteller Claas, der Einzelhändler Globus und der Spezialist für Industriebatterien, Hoppecke.

Allerdings, Deutschland liegt damit im internationalen Vergleich weit hinten. In den meisten anderen europäischen Ländern bieten rund drei von vier Unternehmen vergünstigte Mitarbeiteraktien an. In Frankreich gibt es viermal so viele Belegschaftsaktionäre wie hierzulande, in Großbritannien dreimal so viele.

Dabei sind Belegschaftsaktien für alle Seiten vorteilhaft. Die Unternehmen bekommen treue Aktionäre und motivierte Mitarbeiter, was angesichts des demografischen Wandels und Fachkräftemangels immer wichtiger ist, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Das gilt noch stärker als bei den Großkonzernen für die vielen Mittelständler“, so Sendel-Müller.

Der Grund: Ihre finanziellen Ressourcen, um neue Fachkräfte zu akquirieren, wenn langjährige hochqualifizierte Mitarbeiter abwandern, sind geringer als bei vielen Großkonzernen. Hinzu kommt die schwächere öffentliche Wahrnehmung und überregionale Bekanntheit, um Einsteiger anzulocken.

Michael Kramarsch, Partner des Vergütungsberaters HKP, ist überzeugt, dass Mitarbeiterprogramme „in 95 Prozent der Unternehmen langfristig immer vorteilhaft sind“. Seine Rechnung geht so: Geht man davon aus, dass Mitarbeiter für drei gekaufte Aktien je eine umsonst dazubekommen, so wie es viele Unternehmen handhaben, dann kommen die Angestellten bei den Dax-Konzernen, bei Einberechnung der staatlichen Förderung, seit 1996 auf eine jährliche Rendite von neun Prozent. Angesichts der vielen Gratisaktien muss das Papier schon sehr tief fallen, damit ein Verlust entsteht.

Allerdings, nichts ist unmöglich. Bei der Deutschen Bank kauften im vergangenen Jahr 12.500 Mitarbeiter konzerneigene Aktien. Das entsprach einer Quote von 24 Prozent. Wer von den Angeboten Gebrauch machte, dürfte wenig Freude an seinem Investment haben. Die Aktie verlor in den vergangenen fünf Jahren 70 Prozent, auf Zehnjahressicht 80 Prozent. Da helfen auch keine Rabatte, Gratisaktien und Dividenden zum Gewinn.

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