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Mehr Geld, weniger Kontrolle: Türkei setzt sich beim zweiten Teil des Flüchtlingsdeals durch

Die Türkei holt für die Zahlung der zweiten, größeren Tranche des Flüchtlingspakts bessere Bedingungen für sich heraus. Die Bundesregierung ist damit offenbar unzufrieden.

Über dieses Thema wird in Brüssel nicht gerne geredet. Bei den Verhandlungen über eine zweite Tranche des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei hat Ankara viel Druck gemacht. Die Unterhändler des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan forderten für das zweite Drei-Milliarden-Euro-Paket, dass ein größerer Teil des Geldes direkt dem türkischen Staat zukommt – und nicht in Projekte westlicher Hilfsorganisationen fließt.

Nun hat sich die Bundesregierung erstmalig in der Angelegenheit geäußert. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei deutet das Auswärtige Amt an, dass Ankara die Bedingungen bestimmen konnte – und es mal wieder einen europäischen Dissens bei dem Thema gibt.

Das meist Flüchtlingspakt genannte EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen ist eine Erfolgsgeschichte. Die Türkei erhält zwei Mal je drei Milliarden Euro aus Europa. Im Gegenzug soll die Türkei die 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien im eigenen Land versorgen, anstatt sie nach Europa weiterziehen zu lassen.

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Seit Einführung des Flüchtlingspakts dürfen Schutzsuchende aus dem Kriegsland in der Türkei kostenlos zum Arzt gehen, ihre Kinder die Schule besuchen oder an Universitäten studieren. Die Ärmsten erhalten eine Art Sozialhilfe – vieles davon wird von der EU bezahlt oder kofinanziert.

Bei der Verteilung der ersten drei Milliarden Euro aus dem Flüchtlingspakt verwalteten Organisationen der Vereinten Nationen wie etwa Unicef oder das World Food Program noch zwei Drittel des Gesamtbudgets. Damit kontrollierte die internationale Staatengemeinschaft die Verwendung dieser Gelder.

Wunsch nach mehr Eigenverantwortung geht in Erfüllung

Auch europäische Entwicklungsgesellschaften wie die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder die französische Agentur für Entwicklung hatten zuvor größere Projekte übernommen. Türkische Hilfsorganisationen sahen sich benachteiligt.

Die türkische Regierung habe in den Verhandlungen über die zweite Drei-Milliarden-Tranche „ihren Wunsch nach Übernahme von mehr Eigenverantwortung“ geäußert, bestätigt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage vorangegangene Recherchen des Handelsblatts.

Die türkische Führung hat sich durchgesetzt – und das gleich doppelt. Während laut Bundesregierung in der ersten Tranche rund 660 Millionen Euro „für die Grundversorgung im Rahmen der Humanitären Soforthilfe (Familien- und Gesundheitsministerium) geleistet“ wurden, sind es in der zweiten Tranche bereits jetzt 955 Millionen Euro.

Interessant ist ein weiterer Teil der Antwort: Demnach fließen von der knappen Milliarde rund 255 Millionen in ein Budget für das „Emergency Social Safety Net“, also die Sozialhilfe für besonders bedürftige Flüchtlinge.
Es ist eine gute Nachricht, dass das Projekt weiterläuft.

Doch in der ersten Tranche war die UN-Organisation World Food Program für das Projekt zuständig, baute Strukturen auf und gab dem Programm einen professionellen und unabhängigen Anstrich. Jetzt werden diese Gelder direkt an das türkische Familienministerium vergeben. Ob die projektgemäße Vergabe der Mittel jetzt noch von den Geldgebern überwacht werden kann, ist damit nicht klar.

Das Handelsblatt hatte auch über neue Vergaberegeln berichtet, durch die praktisch alle UN-Organisationen bei der Bewerbung um Projektgelder aus dem Flüchtlingspakt raus sind. Das liegt daran, dass die EU bei den jüngsten Ausschreibungen für die Projektgelder eine Obergrenze für Verwaltungskosten in Höhe von vier Prozent festgelegt hat.

UN-Gruppen wie Unicef oder WFP müssen jedoch sechs bis sieben Prozent ansetzen. So schreibt es ihre Satzung vor, die von allen UN-Mitgliedstaaten abgesegnet worden ist.

Die Türkei darf zulangen

„Damit können UN-Gruppen für einen großen Teil der Projekte aus dem Flüchtlingspakt keine Ausschreibung gewinnen“, erklärt ein Insider dem Handelsblatt. Auch die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ging bisher leer aus, wie ein Sprecher dem Handelsblatt bestätigt.

Die Gesellschaft habe sich demnach im Rahmen der 1,4 Milliarden Euro schweren Ausschreibung mit einem Projektantrag beworben, aber keinen Zuschlag erhalten. „Weil der eingereichte Antrag indirekte Kosten in Höhe von sieben Prozent vorsah, wurde er aufgrund formaler Gründe abgelehnt“, erklärte der Sprecher auf Anfrage.

Offenbar ist man in Berlin nicht einer Meinung mit der indirekten Absage an bekannte westliche Hilfsorganisationen. Gemäß Haushaltsordnung der EU sei die EU-Kommission „berechtigt, eine Quote von bis zu sieben Prozent festzusetzen“. Doch die hat in ihrer jüngsten Ausschreibung, die dem Handelsblatt vorliegt, eine Maximalquote von vier Prozent festgelegt.

Weiter heißt es: „Die Bundesregierung hat sich für die Anwendung der üblichen Verwaltungskostenpauschale eingesetzt, um dem internationalen Standard, der Transparenz und Planungssicherheit gerecht zu werden.“

Im Klartext: In Berlin sieht man jetzt offenbar genau diese Transparenz gefährdet. Die Bundesregierung gab darüber hinaus an, dass die EU-Kommission für die Zukunft „eine Rückkehr zum üblichen Prozentsatz in Aussicht gestellt“ habe.

Doch bis dahin darf der türkische Staat zulangen. In einer Auflistung der EU-Kommission über die konkrete Vergabe der Gelder an verschiedene „Durchführungsorganisationen“, die dem Handelsblatt vorliegt (letzte Aktualisierung der Liste: 30. September 2019), ist jüngst ein Posten in Höhe von 500 Millionen Euro vertraglich festgesetzt worden. Empfänger ist eine Organisation mit dem Namen „IFRC“. Es handelt sich um die größte Summe, die in der zweiten Tranche an eine einzelne Organisation vergeben worden ist.

IFRC steht für die „Internationale Föderation der Rot-Kreuz-Organisationen“, zu der auch das Deutsche Rote Kreuz gehört. Im Präsidium der Dachorganisation sitzt Kerem Kinik. Er ist gleichzeitig Präsident des Türkischen Roten Halbmondes.

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