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Manchmal nehmen Verkehrsplaner Stillstand bewusst in Kauf

Die Deutschen stehen immer häufiger im Stau. Schuld daran sind die explodierenden Mietpreise. Wenn nur mehr Straßen gebaut würden, wäre das Problem gelöst. Halt! Stimmt das? Sechs Stau-Mythen – und was wirklich dran ist.

Stau kostet Zeit, Nerven und Geld. 120 Stunden standen die Deutschen 2018 durchschnittlich allein im innerstädtischen Verkehr im Stau, wie Verkehrsdatenanalysten von Inrix berechnet haben. Die Kosten, die Staus verursachen, werden je nach Berechnungsgrundlage auf einen Wert zwischen zehn und 100 Milliarden Euro pro Jahr taxiert. Ähnlich weit auseinander gehen auch die Einschätzungen zu Häufigkeit, Ursachen und möglichen Abhilfen des Stauproblems. Wir haben uns sechs Mythen angesehen – und was wirklich dran ist.

1. Wir stehen immer häufiger im Stau

Egal ob man mit Berufspendlern oder Urlaubsreisenden spricht, alle klagen: Von Jahr zu Jahr stünden sie öfter und länger im Stau. Doch ist das so? Zahlen, die der ADAC erhoben hat, legen das zumindest nahe: Demnach wurden 2018 rund 745.000 Staus auf deutschen Autobahnen gemeldet, rund 2000 pro Tag. 2010 waren es noch 185.000 Staus – seitdem hat der Wert stetig zugenommen.

Mit dieser Einschätzung ist der Lobby-Verband nicht allein. „Das Ausmaß der Staus auf den Bundesautobahnen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, sagt auch Justin Geistefeldt, Professor am Lehrstuhl für Verkehrswesen der Ruhr-Universität Bochum. Was die Ursachen für die Zunahme der Staus anbetrifft, gibt es viele Erklärungen. Nicht alle sind belastbar.

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2. Die hohen Mietpreise sind schuld am Stau

In deutschen Großstädten sind die Mieten in den vergangenen Jahren explodiert, was viele Menschen in die umliegenden Regionen gedrängt hat. Ihre Arbeitsplätze dagegen sind häufig in den Innenstädten verblieben. Insbesondere zu den Stoßzeiten hat das Folgen: Mehr Pendler, mehr Staus. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine Analyse der Verkehrsmuster durch die Navigations-Firma TomTom.

Demnach seien Städte mit starken Mietsteigerungen auch überdurchschnittlich oft von staubedingten Verkehrsbehinderungen betroffen, insbesondere am Morgen und am Abend an Ein- und Ausfall- sowie Ringstraßen. „Die Trennung von Wohnort und Arbeitsstätte spielt dabei eine wichtige Rolle“, heißt es in der Untersuchung.

Das erklärt die Zunahme der Staus allerdings nur teilweise. „Die Wohnkostenexplosion ist ein Phänomen der vergangenen zehn Jahre“, sagt Tobias Kuhnimhof, Professor am Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen. „Die Fahrleistung dagegen ist über die vergangenen Jahrzehnte stetig gewachsen.“ Die Fahrleistung bezeichnet die aufsummierte Kilometerzahl, die alle Fahrzeuge in Deutschland zurückgelegt haben. „Insgesamt erleben wir bei einer stagnierenden Bevölkerungszahl in den vergangenen 20 Jahren eine wachsende Mobilität“, sagt Kuhnimhof.

Eine bessere Erklärung ist aus seiner Sicht: Mehr Wohlstand führt zu einem gestiegenen Wohnraumbedarf pro Person. Ebenso wie er dazu führt, dass mehr Menschen sich Fahrzeuge leisten können und mehr unterwegs sind. „Vor dem Hintergrund der CO2-Zielsetzungen ist das definitiv zu viel Mobilität“, sagt Kuhnimhof. „Wollten wir unsere Zielsetzungen erreichen, müssten wir unsere Fahrleistung wieder auf das Niveau vor 20 Jahren zurückschrauben.“

3. Stau ist das Ergebnis schlechter Verkehrsplanung

Stau hat vielfältige Ursachen, manche davon nehmen Verkehrsplaner sogar ganz bewusst in Kauf. „Die häufigsten Ursachen von Staus sind zu hohes Verkehrsaufkommen in Verbindung mit einer nicht ausreichenden Kapazität der Autobahn, Engpässe an Baustellen sowie Unfälle“, sagt Verkehrsforscher Justin Geistefeldt. Im Gegensatz zu Baustellen und Auslastung seien Unfälle nicht absehbar und führten teilweise zu erheblichen Fahrzeitverlängerungen.

„Aber selbst wenn Unfälle komplett ausgeschlossen wären und es keine Baustellen gäbe, müssten die Fahrer auf deutschen Autobahnen mit durchschnittlich einer Stunde Stau pro Woche rechnen“, erklärt Kuhnimhof. Das hat mit der so genannten 50. Stunde zu tun, auf die die Autobahnkapazitäten in Deutschland ausgelegt werden. „Die Planung lässt an 50 Stunden pro Jahr Stau mehr oder minder bewusst zu, alles andere hätte überdimensionierte Fahrbahnen zur Folge.“

Das hat einen einfachen Hintergrund: Selbst notorische Staustellen wie das Aachener Kreuz passieren Autofahrer die meiste Zeit des Jahres ohne Probleme. Stau entsteht zumeist nur zu bestimmten Tageszeiten, wenn die Nachfrage temporär die Streckenkapazitäten deutlich übersteigt, etwa aufgrund des Pendlerverkehrs. „Theoretisch könnten wir Autobahnen bauen, an denen so etwas nie passiert – aber die meiste Zeit des Jahres würden die Kapazitäten die Nachfrage in irrwitziger Weise überschreiten“, sagt Kuhnimhof. Der volkswirtschaftliche Schaden einer solchen Überdimensionierung wäre enorm, die notwendige Flächenversieglung ebenfalls. „Bereits heute sind fünf Prozent der Flächen in Deutschland für Verkehrswege asphaltiert“, betont der Verkehrsforscher. Das entspricht der Fläche des Bundeslandes Sachsen.


Mehr Straßen produzieren auch mehr Verkehr

4. Rücksichtslose Fahrer sind Schuld am Stau

Wenn der Verkehr gerade noch flüssig läuft, kann ein einziger Autofahrer, der sich in Lücken drängelt und versucht zu überholen einen Stau auslösen, denn er produziert sogenannte Stoßwellen. „Der Fahrer hinter ihm bremst, dessen Hintermann muss auch bremsen“, erklärt Kuhnimhof. „Das schaukelt sich hoch und zehn Minuten später entsteht ein paar hundert Meter weiter hinten ein Stau.“ Häufige Tempo- und Spurwechsel und die daraus resultierenden Bremsmanöver befördern also die Stauentstehung.

Umgekehrt gilt allerdings auch: „Effizientes Verhalten der Verkehrsteilnehmer bei hoher Verkehrsdichte kann einen kleinen Beitrag zur Vermeidung von Staus leisten, aber nicht die in vielen Netzbereichen bestehenden Kapazitätsdichten kompensieren“, sagt Verkehrsforscher Geistefeldt.

Ursächlich für die Zunahme der Staus sind laut Geistefeldt insbesondere zwei Faktoren: Einerseits habe die gute wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen Jahren zu einer Zunahme des Verkehrsaufkommens geführt, vor allem in den Ballungsräumen. Andererseits sorgten Bautätigkeiten aufgrund des hohen Sanierungs- und Ausbaubedarfs für zusätzliche Engpässe im Autobahnnetz. Ist also zumindest auf absehbare Zeit Besserung in Sicht?

5. Mehr Spuren helfen

Eine zusätzliche Spur auf der Autobahn entlastet den Verkehr – allerdings nur kurzfristig. Der Ausbau des Verkehrssystems führt langfristig dazu, dass es mehr Verkehr gibt. Das lässt sich seit Jahrzenten beobachten. „Was im Volksmund gilt, ist mittlerweile auch unter Verkehrsforschern unbestritten“, sagt Tobias Kuhnimhof. „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Die Fachwelt spricht in diesem Zusammenhang von induziertem Verkehr.

Dahinter steckt ein simpler Zusammenhang: Über die Jahrhunderte habe es sich eingependelt, dass die Menschen circa 80 Minuten am Tag auf Mobilität verwendeten – das gelte weltweit in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Als Pferdekutschen das Hauptverkehrsmittel waren, kam man damit nicht allzu weit. In den 1970ern lag die zurückgelegte Strecke in diesen 80 Minuten bereits zwischen 20 und 30 Kilometern. Heute legt ein Mensch im Schnitt 40 Kilometer pro Tag zurück. „Die Reisezeit bleibt in etwa konstant“, erklärt Kuhnimhof. „Wenn die Verkehrssysteme schneller werden, fahren wir weiter.“

6. Weniger Stau dank Tempolimit

Bei Geschwindigkeiten zwischen 80 und 100 km/h fließt der Verkehr am effizientesten, darüber sind sich Verkehrsforscher einig. Im Optimum trägt ein Fahrstreifen bei diesen Geschwindigkeiten pro Stunde 1800 bis 2400 Fahrzeuge. Bei höheren Geschwindigkeiten müssen die Sicherheitsabstände zwischen den Fahrzeugen größer werden – und es finden weniger Fahrzeuge auf dem Fahrstreckenabschnitt Platz. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Stau kommt. So weit, so unbestritten.

Allerdings herrscht an den meisten Punkten in Deutschland, an denen die Staugefährdung besonders hoch ist, bereits eine Geschwindigkeitsbegrenzung, betont Kuhimhof. Auf Autobahnen regeln dynamische Verkehrszeichen den Verkehr auf 120 km/h, bei Bedarf auch auf 100 km/h oder auf 80 km/h. „Diese Maßnahme dient dazu, die Geschwindigkeit so zu regeln, dass Lkw und Pkw ähnliche Geschwindigkeiten haben, was trotz hoher Kapazitätsauslastung dazu beiträgt, Stau zu verhindern“, erklärt er. Ob ein allgemeines Tempolimit bezüglich der Stau-Problematik Abhilfe schafft, ist also fraglich, gilt es an den meisten neuralgischen Punkten doch bereits. Mit Blick auf Umwelt- und Personenschutz wäre es in jedem Fall hilfreich.

Was wirklich hilft

Zürich hat die Stauproblematik innerhalb der Innenstadt mit einer einfachen Maßnahme erfolgreich bekämpft: Es hat die Zahl der Parkplätze begrenzt. In der indonesischen Hauptstadt Jakarta müssen sich die Autofahrer abwechseln: An manchen Tagen dürfen nur diejenigen mit einem geraden, an anderen nur diejenigen mit einem ungeraden Nummernschild in die Stadt hineinfahren. Und in Singapur existiert eine Citymaut, die die Fahrt in die Stadt zu besonders verkehrsintensiven Zeiten teurer macht.

„All diese Maßnahmen sorgen dafür, dass sich Autofahrer Alternativen suchen, um zum Zielort zu gelangen“, sagt Kuhnimhof. Gerade wenn es in den Städten voller wird, zeigt sich: Das Auto ist ein sehr ineffizientes Verkehrsmittel. Im Durchschnitt sitzen 1,5 Personen in einem Pkw, bewegt wird er nur drei Prozent seiner Lebenszeit und trotzdem nimmt er viel Platz ein. „Wenn es darum geht, 1000 Menschen durch die Stadt zu bringen, sind S-Bahnen und Busse deutlich platzsparender als Autos – selbst wenn die Autos voll ausgelastet wären“, sagt Kuhnimhof. Deswegen plädiert er für eine intelligente Citymaut ähnlich wie in Singapur. Allerdings tun sich Politik und Verkehrsplanung nach wie vor schwer damit, solche unpopulären Maßnahmen durchzusetzen.