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Ein Linksbündnis in Bremen könnte zum Rettungsanker der SPD werden

Die SPD steht in Bremen vor einer herben Wahlschlappe. Das Schlimmste, auch für die Bundespartei, lässt sich nur mit einem Linksbündnis abwenden.

Das Bundesland Bremen gilt als rote Bastion, seit Kriegsende stellt die SPD ununterbrochen den Regierungschef. Wilhelm Kaisen, Hans Koschnick, Henning Scherf - die politische Ahnengalerie der SPD-Bürgermeister ist lang und Carsten Sieling will nicht als derjenige in die Geschichte eingehen, der als erster seit Kriegsende einem CDU-Kandidaten Platz machen muss.

Der Sozialdemokrat Sieling regiert in dritter Legislaturperiode mit den Grünen. Aber: Für eine vierte Auflage reicht es nach Umfragen derzeit nicht. Demoskopen erwarten ein Wahlbeben am 26. Mai, das auch Berlin erschüttern könnte. Es sei denn, Sieling bekommt noch irgendwie die Kurve und kann weiterregieren. Den Grünen kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu.

In Umfragen liegt die oppositionelle CDU derzeit zwischen 26 und 28 Prozent, die SPD um die 24 Prozent. Demnach wäre rechnerisch ein Bündnis aus CDU und SPD möglich. Dies hat Sieling allerdings vor kurzem ausgeschlossen. Bei der Landtagswahl 2015 erreichte die SPD noch 32,8 Prozent, die CDU kam damals auf 22,4 Prozent. Womöglich reicht es auch knapp für Schwarz-Grün. Ansonsten kämen ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP sowie Rot-Rot-Grün infrage.

Der SPD-Bundesvize Ralf Stegner setzt auf ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis. „Ich halte ein linkes Bündnis in Bremen unter Führung der SPD natürlich für möglich“, sagte Stegner dem Handelsblatt. Aus seiner Sicht hätte eine solche Bündniskonstellation auch eine Signalwirkung für den Bund – insbesondere auch deshalb, weil die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, ihren Posten abgeben will. „Es wird sich zeigen, ob sich die Linke, nach dem Rückzug von Sahra Wagenknecht, zu einem möglichen Koalitionspartner auf Bundesebene entwickelt“, sagte Stegner. „Die Chancen hierzu sind gestiegen.“

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Stefan Liebich vom Reformerflügel der Linkspartei wirbt ebenfalls für ein linke Regierungskoalition in Bremen. „In Bremen gibt es die Chance, dass die Linke das erste Mal Teil einer Landesregierung in einem westdeutschen Bundesland wird, auch wenn es eher im Norden liegt“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. „30 Jahre nach dem Mauerfall ist das kein Aufreger mehr, zum Glück.“ Sollte den Linken in der Hansestadt dies gelingen, so Liebich weiter, „verheißt das wichtigen Rückenwind für die Bundesebene in den Debatten für eine künftige Mitte-links-Regierung und eine soziale Politik für ganz Deutschland“.

Entscheiden wird sein, wie sich die Grünen positionieren. Die haben sich aber noch in keine Richtung festgelegt. „Carsten Sieling hat bei Veranstaltungen bereits mehrfach die Grünen dafür kritisiert und damit argumentiert, dass man CDU bekommt, wenn man Grün wählt“, sagte der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst dem Handelsblatt. „Dazu muss man wissen, dass tatsächlich an der Basis der Grünen und in Teilen ihrer Wählerschaft eine Jamaika-Koalition oder ein Bündnis mit der CDU unbeliebt ist.“ In manchen Umfragen liege eine Linkskoalition unter allen Wählern teilweise „deutlich“ vor einer Jamaika-Koalition oder einer Ampel-Koalition.

Aus Probsts Sicht ist das von besonderer Relevanz für die Genossen im Bund unter ihrer Vorsitzenden Andrea Nahles. „In jedem Fall wäre es für Bremen, aber auch für die Bundes-SPD ein tiefer Einschnitt, wenn die bisherige sozialdemokratische Hochburg Bremen zum ersten Mal an die CDU fallen würde“, sagte der Politik-Professor.

Allein, dass mit Bremen dann eine der letzten Bastionen der SPD verloren gehen würde, wöge schon schwer. Problematisch wäre zudem, so Probst, wenn die SPD bei der Europawahl so schlecht abschneide wie die Umfragen andeuten. „Dann hat der Ausgang der Bremer Wahl natürlich auch Auswirkungen auf die Diskussionen auf Bundesebene“, sagte er. „Zumindest wird es innerhalb der SPD rumoren und erneut Personaldiskussionen geben.“

Aufstand gegen Nahles?

Schon jetzt sitzt SPD-Partei- und Fraktionschefin Nahles alles andere, als fest im Sattel. Zuletzt berichtete die „Welt am Sonntag“ von Überlegungen zu einem Aufstand gegen Nahles, falls die Europa- und die Bremen-Wahl verloren gehen. Dann solle sie aus der Bundestagsfraktion heraus dazu bewegt werden, freiwillig auf das Amt der Fraktionsvorsitzenden zu verzichten, schrieb die Zeitung unter Berufung auf mehrere SPD-Abgeordnete und -Funktionäre aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post forderte gar eine offene Debatte über die Zukunft der Parteiführung. „Die dringend erforderliche Erneuerung der Partei fängt an der Spitze an. Man sollte die Verantwortung nicht auf die ganze Partei delegieren“, sagte Post kürzlich dem Handelsblatt. „Es ist die Nahles-Scholz-SPD, die für den derzeitigen Zustand der Partei verantwortlich ist“, fügte er hinzu.

Ein Wahldesaster der SPD in Bremen und bei der Europawahl könnten die Ruhe in Berlin auch in andere Hinsicht nachhaltig stören. Die Sozialdemokraten könnten versucht sein, die Große Koalition zu verlassen. Für diesen Fall halten viele in der Union eine vorgezogene Neuwahl des Bundestags schon im Herbst nach einer Übergangsfrist mit einer CDU/CSU-Minderheitsregierung für recht wahrscheinlich. Dann dürfte sich auch entscheiden, ob Annegret Kramp-Karrenbauer von ihrer Förderin Angela Merkel nicht nur den CDU-Vorsitz, sondern auch das Kanzleramt übernehmen könnte.

Ein Ausstieg aus der GroKo birgt für die SPD jedoch angesichts ihrer aktuellen Umfragewerte ein „hohes Risiko“, glaubt der Politikwissenschaftlers Probst. Sie könne nur hoffen, dass sie bei möglichen Neuwahlen gegen eine CDU-Spitzenkandidatin Kramp-Karrenbauer ein besseres Ergebnis als bei der letzten Bundestagswahl erziele.

„Ausgeblutete und politisch blutleere SPD“

Dass ausgerechnet der Ausgang der Bremen-Wahl eine solche Entwicklung mit befördern könnte, liegt vor allem an der SPD selbst. Ihr dortiger Bürgermeister Sieling gilt zwar als ein kompetenter Fachmann, vor allem in Finanzfragen. An die Popularität seiner Vorgänger konnte er aber nicht anknüpfen. „Ihm fehlt das Präsidiale, über den Parteien stehende“, urteilt Politikexperte Probst.

Hinzu kommt, dass ein harter Sparkurs den Gestaltungsspielraum des Bremer Senats zu Gunsten der Bürger stark eingeschränkt hat. „Die SPD konnte ihre Rolle als großzügig verteilende Sozialstaatspartei in den vergangenen Jahren nicht mehr ausspielen“, erläuterte Probst. Als schwere Hypothek gilt auch die Bildungspolitik, die die Sozialdemokraten seit 73 Jahren verantworten – mit wenig Erfolg.

Bremen ist und bleibt meistens Schlusslicht bei entsprechenden Vergleichen. Ein weiterer Punkt sei, so Probst, dass die Öffentliche Verwaltung in den letzten Jahren „teilweise in einem verheerenden Zustand“ gewesen sei, „so dass viele Bürgerinnen und Bürger über die Leistungen zu Recht verärgert waren“.

Diese Umstände, zusammen mit dem negativen Bundestrend, seien eine Erklärung dafür, dass die rote Hochburg Bremen dieses Mal für die SPD verloren gehen könnte. „Es gibt zwar keine unbedingte Wechselstimmung“, so der Politikwissenschaftler Probst. Eine Mehrheit der Wähler würde sich unter den Koalitionsoptionen eine Fortsetzung von Rot-Grün wünschen. „Aber angesichts der Abnutzungserscheinungen einer organisatorisch zum Teil ausgebluteten und politisch blutleeren Partei gibt es eine weit verbreitete Stimmung, dass nach 73 Jahren doch einmal ein Regierungswechsel notwendig ist.“

Davon profitiere auch die CDU mit ihrem Quereinsteiger Carsten Meyer-Heder, der sich, wie Probst beobachtet hat, „bewusst als Anti-Politiker inszeniert“. Somit wäre eine Linkskoalition die „letzte Chance“ für die SPD, doch noch führende Regierungspartei zu bleiben.

Bundes-Linke wirbt für Rot-Rot-Grün

Für den Bundeschef der Linken, Bernd Riexinger, ist die Sache klar. „Ich erwarte, dass wir zum ersten Mal in einem westlichen Bundesland in eine linke Regierung eintreten“, sagte Riexinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Es sieht so aus, als würde Rot-Rot-Grün eine Mehrheit bekommen.“ Damit erhöhte Riexinger auch den Druck auf die Grünen. Diese wollen sich bislang nicht auf eine Koalition festlegen. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich die Grünen für Jamaika entscheiden“, sagte er.

Die Bremer Grünen wissen um ihre sich anbahnende Schlüsselrolle als „Zünglein an der Waage“. Wie der quirlige Landesverband entscheidet, wird zentral davon abhängen, wie deutlich der Abstand zwischen SPD und CDU ist. Die Grünen in Bremen wären wohl bereit, auch mit einer zweitplatzierten SPD zu regieren. Wenn die CDU ihr Ziel von „30 Prozent plus x“ aber auch nur annähernd erreichte, wäre ein Wechsel zu Jamaika begründbar.

Allerdings müsste auch die Kluft zwischen Grünen und FDP überbrückt werden. „Das sollte ja vier Jahre halten“, sagt ein Grüner in Bremen. Die vier Jahre werden ohnedies lebhafter werden, denn die derzeit mit einem Abgeordneten vertretene AfD dürfte als sechste Partei in Fraktionsstärke in den Landtag einziehen.

Mehr: Wenn die SPD verliert, geht ein weiteres Stammland der Partei an die CDU. Für die Sozialdemokraten könnte das der Auftakt eines grausamen Wahljahres werden, meint unser Redakteur Christian Rothenberg.