Kurserholung: Haben die Märkte einen Boden gefunden?
An der Börse geht es mal wieder scheinbar paradox zu: Der Ukrainekrieg geht ungebremst weiter, die Leitzinsen in den USA steigen erstmals seit drei Jahren wieder – und die US-Märkte setzen zur stärksten Rally seit November 2020 an. Ist der Worst Case jetzt eingepreist?
Der März hat es in sich. In kaum einem anderen Monat werden so dramatische Richtungswechsel vollzogen wie im ersten Frühlingsmonat. 22 Jahre ist es etwa her, als die Internetblase platzte. Vor 13 Jahren endete gleichfalls im März die große Finanzkrise. Und wiederum exakt zwei Jahre ist es her, dass der erdrutschartige Corona-Crash endete.
Im März passieren seltsamerweise viele historische Dinge an der Börse. Heute vor genau 22 Jahren etwa toppte die legendäre Dot.com-Hausse bei über 5000 Punkten aus. Ea dauerte mehr als 16 Jahre, bis die damaligen Hochs wieder erreicht wurden. #Boerse #Aktien #Historie https://t.co/xrc1hIx1rw
— Nils Jacobsen (@crackr) March 10, 2022
Wird in diesen Tagen wieder ein Wendepunkt an den Kapitalmärkten vollzogen? Immerhin seit vier Monaten befinden sich die Aktien- und Kryptomärkte im harten Abwärtstrend, der vielen Technologieaktien Verluste von 50 Prozent und mehr eingebrockt hat. Die Sorge hinter dem Abverkauf begann lange vor dem Ukrainekrieg – nämlich Ende vergangenen Jahres, als die amerikanische Notenbank Federal Reserve die Kehrtwende in ihrer Geldpolitik andeutete.
US-Notenbank hebt Leitzinsen erstmals seit drei Jahren wieder an
Im Dezember vergangenen Jahres ließ die Fed wegen des immer größeren Inflationsdrucks durchblicken, dass die Zinswende überraschend schneller und umfangreicher ausfallen würde als bis dahin erwartet. Auf bis zu sieben Zinsschritte müssen sich Anleger wohl allein in diesem Jahr einstellen, prognostizierten Branchenexperten.
Den ersten Zinsschritt hat die amerikanische Notenbank am vergangenen Mittwoch vollzogen. Mit 25 Basispunkten fiel die erste Leitzinsanhebung seit 2018 jedoch gemäßigter aus als noch vor Monaten erwartet. Dennoch ließ Notenbankchef Jerome Powell durchblicken, dass sich Anleger bis zum Jahresende auf sechs weitere Anhebungen und ein Leitzinsniveau von 1,9 Prozent einstellen müssten. Bis Ende 2023 könnte der Leitzins in den USA bis auf 2,9 Prozent klettern.
Wall Street startet Rally-Modus
Trotz der an sich schlechten Nachrichten – Zinsanhebungen sind historisch betrachtet für spekulative Anlagen wie Aktien ungünstig – reagierten die US-Börsen auf die Notenbanksitzung indes nahezu euphorisch. Tatsächlich verbuchten die amerikanischen Aktienmärkte in der abgelaufenen Woche die größten Kurszuwächse seit November 2020.
The S&P 500 was up at least 1% in each of the last 4 trading days. Going back to 1928, this is only the 15th time in history that we have seen that happen. $SPX pic.twitter.com/X3ymhU4lXN
— Charlie Bilello (@charliebilello) March 18, 2022
Der marktbreite S&P 500-Index legte um mehr als 6 Prozent zu (und gewann erst das fünfte Mal in seiner Geschichte an vier aufeinanderfolgenden Tagen mehr als ein Prozent), während die Technologiebörse Nasdaq, die noch zu Wochenbeginn in den Korrekturmodus gestürzt war, in fünf Handelstagen mehr als 8 Prozent an Wert gewann. „Zu viele Techaktien waren überverkauft. Und zumindest kurzfristig sieht es so aus, als ob der Wall Street kein unmittelbarer Abverkauf bevorsteht, weil die Rohstoffpreise nicht weiter nach oben schießen“, ordnete der Marktanalyst Edward Moya gegenüber der „New York Times“ die Rally ein.
Mehr als eine Bärenmarktrally?
Der Vermögensverwalter James DePorre ist ähnlicher Meinung. „Die Aufwärtsbewegung war größtenteils eine Mischung aus schlechter Positionierung, der Sorge, etwas zu verpassen (FOMO) sowie einem Short Squeeze und schlechten Nachrichten (die eingepreist waren)“, resümiert DePorre.
The Rally Builds Momentum
The move up was largely a function of poor positioning, fear of missing out, and short squeezes -- and not good news. Here's my take on how to position going forward.https://t.co/RU407HQoOW— James DePorre (@RevShark) March 18, 2022
Allein: Ist das Comeback nachhaltig? Im Wochenverlauf hatte Marktkommentator James Cramer der renommierten Charttechniker Tom DeMark mit Verweis auf eine Bodenbildung zitiert. Der S&P 500 und Nasdaq 100 könnten demnach wenige Tage von einem Tiefpunkt entfernt sein, mutmaßt Cramer.
Tom DeMark thinks Wall Street "can see the light at the end of the tunnel, but we’re still in the tunnel," says @JimCramer. https://t.co/VptBjI7ISr
— Mad Money On CNBC (@MadMoneyOnCNBC) March 17, 2022
„RIP Große Depression 5. Januar – 13. März 2022“
Im beliebten Internetforum Reddit ist die Zuversicht unterdessen bereits zurückgekehrt, dass das Tief bereits überwunden ist. „RIP Große Depression 5. Januar – 13. März 2022“, postete ein Witzbold auf den Seiten der Börsen-Boards „Wall Street Bets“. In anderen Worten: Das Schlimmste wäre demnach bereits wieder vorbei.
Seen on WSB: "RIP Great Depression: 1/5/2022 - 3/13/2022"
— Market Rebellion (@MarketRebels) March 18, 2022
Anleger werden hoffen, dass sich die Börsenhistorie im März abermals wiederholt: Vor genau zwei Jahren endete der Ausverkauf im Corona-Crash mit einer schlagartigen Gegenbewegung, die mehr als ein Jahr laufen sollte. Feiner Unterschied: Seinerzeit stand die amerikanische Notenbank mit Leitzinssenkungen aufseiten der Aktionäre.
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