Klüger als gedacht
Wer Erfolg hat, besitzt auch Feinde. Börsengehandelte Indexfonds (ETFs) haben von beidem eine Menge. Viele aktive Manager sind schlecht auf sie zu sprechen. Der Hauptvorwurf: Passives Geld ist dummes Geld. Das ist auf den ersten Blick sicher nicht ganz falsch. Wer in ETFs investiert, liefert sich dem Auf und Ab des Marktes aus. Es gibt kein Risikomanagement, das vor Verlusten schützt, wenn es abwärts geht. Und es gibt keinen Manager, der nach guten Investmentchancen sucht. Doch ETFs sind nicht mehr so simpel gestrickt wie früher. Mittlerweile können Anleger mit Indexfonds nicht nur in einzelne Assetklassen investieren, sondern auch komplexe Anlagestrategien umsetzen.
Für diese Strategie-ETFs hat sich in den vergangenen zwei Jahren ein neues Schlagwort eingebürgert: Smart-Beta. Manchmal ist auch von Strategic-Beta- oder Faktor-ETFs die Rede. Dahinter verbergen sich Indexfonds, die keine klassischen, nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes nachbauen, sondern nach alternativen Kriterien gewichtete Marktbarometer.
Die Anbieter bedienen sich eines Kunstgriffs: Die ETFs bauen zwar weiter einen Index nach. Der hat aber nicht viel mit herkömmlichen Marktbarometern zu tun, sondern wird von den Anbietern selbst gestaltet. „Smart Beta ist kein Strohfeuer, sondern eine dauerhafte Weiterentwicklung der Indexfondsbranche“, sagt Detlef Glow, leitender Fondsanalyst beim Datenanbieter Thomson Reuters Lipper.
Zu den ältesten und beliebtesten Smart-Beta-Strategien gehört der sogenannte Low- oder Minimum-Volatility-Ansatz. Entsprechende Indexfonds gewichten gering schwankende Aktien besonders hoch. Der französische ETF-Anbieter Ossiam gehörte zu den Ersten, die entsprechende ETFs auf dem deutschen Markt anboten. Mittlerweile haben andere wie DB X-Trackers nachgezogen: Mitte November hat die Tochter der Deutschen Asset Management zwei neue Minimum-Volatilitäts-ETFs auf den Markt gebracht. Anleger sollen damit in Aktien aus den USA und der Euro-Zone investieren. „Wir erwarten, dass das schnelle Wachstum der Strategic-Beta-Produkte in den kommenden Jahren anhalten wird“, sagt Martin Weithofer, Leiter des Bereichs Strategic Beta bei der Deutschen Asset Management.
Zwei weitere gängige Smart-Beta-Strategien sind im Fachjargon unter den Namen "Size" und "Momentum" bekannt. Size-ETFs bauen Indizes nach, die sich aus Aktien von Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung zusammensetzen. Die Idee: Kleine Unternehmen besitzen größere Wachstumschancen als Konzerne. Anders als bei Small-Cap-ETFs, hier werden die Indexwerte nach Größe sortieren, haben Werte in Size-ETFs oft den gleichen Anteil.
Momentum-ETFs setzen dagegen gezielt auf Aktien, deren Kurse steigen - in der Annahme, dass sich der Anstieg fortsetzen wird. Fundamentaldaten spielen für die alternativ gewichteten Momentum-Indizes keine Rolle, es zählt allein die Kursentwicklung der jüngeren Vergangenheit. Die Zusammensetzung der Indizes wird regelmäßig überprüft und angepasst.
Nicht alle Strategie-ETFs sind kompliziert
Volatilität, Marktkapitalisierung und Momentum sind Faktoren, die die Performance von Aktien beeinflussen können - daher der Name Faktor-ETF. Nicht jeder Faktor kommt zu jeder Zeit zum Tragen. „Jede Strategie hat ihre Zeit. Keine der Strategien funktioniert immer“, warnt Glow. Zum Beispiel Minimum-Volatility-ETFs: „Die Strategie reduziert zwar in Abwärtsphasen die Verluste, kann aber in Aufwärtsphasen die Renditechancen schmälern.“ Anleger sollten nicht dem Trugschluss erliegen, mit einem oder zwei Smart-Beta-ETFs für jede Marktphase gut positioniert zu sein.
Die Indexfondsbranche ist inzwischen einen Schritt weiter. Seit einiger Zeit bringen ETF-Anbieter Produkte an, die auf mehrere Faktoren gleichzeitig setzen. Ein Beispiel: der „Europe Equity Multi Smart Allocation Scientific Beta UCITS ETF“ des französischen Anbieters Amundi. Der Indexfonds mit dem komplizierten Namen baut gleich vier Sub-Indizes nach, bei denen die Titelauswahl auf Basis der Faktoren Value, Size, Momentum und Volatilität erfolgt. Auch andere Anbieter, etwa iShares, Lyxor, Wisdom Tree und Invesco Powershares setzen verstärkt auf eine Kombination unterschiedlicher Faktoren. Multi-Faktor-ETFs sollen eine besonders stetige Performance liefern, weil sie nicht nur in einer einzigen Marktphase funktionieren. Von herkömmlichen ETFs sind sie allerdings weit entfernt. Wegen ihrer Komplexität gelten sie unter Marktkennern eher als halb-aktive Fonds.
Nicht alle Strategie-ETFs sind derart kompliziert. Anleger können mit Indexfonds auch auf altbekannte Strategien wie Value oder Growth setzen, also gezielt in Substanz- oder Wachstumswerte investieren. Und noch einen weiteren Klassiker gibt es in Indexfonds-Form: Dividendenstrategien. Dabei investieren Anleger in Aktien mit besonders hoher Ausschüttung. Wegen der niedrigen Zinsen sind Dividendenstrategien derzeit besonders beliebt.
Ausgerechnet dort machen sich aber die Schwächen von ETFs bemerkbar. Erstens sind einige Branchen in Dividenden-ETFs überproportional stark vertreten, etwa die Finanzbranche. Zweitens sind hohe Dividendenrenditen nicht immer auf hohe relative Ausschüttungen zurückzuführen, sondern könnten genauso gut auf gefallene Aktienkurse hindeuten. Bankanteilsscheine etwa bieten üblicherweise hohe Ausschüttungen. Als sie im Zuge der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 Probleme bekamen, stürzten Dividenden-ETFs reihenweise ab. Viele aktive Dividendenfondsmanager hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die Bankaktien-Quote in ihren Portfolios reduziert und konnten hohe Verluste vermeiden. In der Folge hieß es wieder einmal, passives Geld sei dummes Geld. Was in diesem Einzelfall dann tatsächlich stimmte.
KONTEXT
Die besten Anlagen im ersten Halbjahr 2016
Aktien USA
Zu Jahresbeginn ging es auch für die großen US-Aktienindizes kräftig nach unten, später erholten sich die Börsen jedoch - anders als in Europa wieder deutlich - und steuerten sogar auf neue Jahreshochs zu. Der Brexit verhagelte auch US-Anlegern die Stimmung. Dennoch liegt Leitindex Dow Jones auf Halbjahressicht 2,9 Prozent im Plus. Für Euro-Anleger ist der Gewinn etwas geringer, aus 100.000 investierten Euro wurden für sie aber immerhin 100.720 Euro.
Aktien Schwellenländer
Die Aktien der Schwellenländer haben sich insgesamt von ihrem Absturz des vergangenen Jahres erholt als der MSCI Index für Emerging Markets noch um 16 Prozent abgestürzt war. Im ersten Halbjahr 2016 legte der auf Dollar lautende Index gut fünf Prozent zu. In Euro gerechnet blieb ein Plus von 3,07 Prozent - aus 100.000 Euro machten Anleger 103.070 Euro.
US-Staatsanleihen
Die Unsicherheit der Investoren hat US-Staatsanleihen Zulauf beschwert Dazu kommt, dass Investoren inzwischen nicht mehr daran glauben, dass die US-Notenbank Fed ihren im Dezember vergangenen Jahres ganz vorsichtig eingeleiteten Zyklus der Leitzinserhöhungen fortsetzt. Wer Anfang des Jahres 100.000 Euro in US-Staatsanleihen gesteckt hat, hat jetzt 103.320 Euro.
Euro-Unternehmensanleihen
Seit Juni kauft die Europäische Zentralbank (EZB) Euro-Anleihen von Unternehmen abseits der Bankbranche mit guter Bonität. Die Käufe beziehungsweise schon vorher die Erwartung der EZB als neuen großen Investor trieben die Kurse. Gemessen am Index der Bank of America Merrill Lynch verdienten Anleger mit den Firmenbonds 5.350 Euro, wenn sie im Januar 100.000 Euro investierten.
Deutsche Staatsanleihen
Bundesanleihen sorgten im ersten Halbjahr für viel Aufsehen. Die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank, die Niedrigzinsen und die Unsicherheit der Anleger über die wirtschaftliche Entwicklung bescherten den deutschen Staatsanleihen regen Zulauf. Selbst die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe rentiert im Minus, am Tag nach dem Brexit-Entscheid fiel sie auf bis zu minus 0,17 Prozent. Für Anleger, die gleich zu Jahresbeginn 100.000 Euro in deutsche Staatsanleihen investierten machten damit Gewinn aus den minimalen Zinsen und den deutlichen Kurssteigerungen von 6.800 Euro.
Anleihen Schwellenländer
Die Anleihen der Schwellenländer haben sich kräftig erholt. Das liegt auch daran, dass die US-Zinswende stockt und die Renditen der US-Staatsanleihen so deutlich gefallen sind. Außerdem haben sich die Fundamentaldaten in vielen Emerging Markets verbessert. Euro-Anleger machten mit auf Dollar lautenden Staatsanleihen gemessen am Index von JP Morgan einen Gewinn von 10.160 Euro, wenn sie am Jahresanfang 100.000 Euro investierten.
Gold
Gold glänzte nach einer fünfjährigen Talfahrt wieder. Zum einen sorgte die Unsicherheit der Anleger mit Blick auf die Weltwirtschaft für die Flucht in die Krisenwährung Gold. Zum anderen machen die Negativrenditen vieler Staatsanleihen in der Euro-Zone und in Japan Gold als Anlage erneut attraktiver. Allein im Juni stieg der Goldpreis um 8,5 Prozent. So stark ist er in einem Juni zuletzt im Jahr 1980 gestiegen. Wer Anfang des Jahres 100.000 Euro in Gold investierte hat nach einem halben Jahr 122.860 Euro.
Öl
Der Ölpreis fiel zwar bis Ende Januar auf ein Zwölfjahrestief von rund 27 Dollar, setzte dann aber zu einer Rally an und kostet aktuell rund 50 Dollar. "Das liegt vor allem, dass die USA deutlich weniger Öl produzieren", erklärt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank. In Euro gerechnet wurden aus 100.000 am Ölmarkt investierten Euro auf 130.450 Euro.
Sojabohnen
Auftrieb gab es auch bei vielen Agrarrohstoffen, die ebenfalls ihre jahrelange Talfahrt stoppten. Hauptgründe dafür waren Dürren und extreme Wetterlagen, die teils die Ernte bedrohen. Allen voran stieg der in Dollar notierte Preis für Sojabohnen um fast 35 Prozent. Aus 100.000 in den Agrarrohstoff investierten Euro wurden so im ersten Halbjahr 131.800 Euro.
Aktien Peru
Die Börse in Peru ist als Überraschungsaufsteiger weit nach vorne gerückt, nachdem die Kurse zuvor fast vier Jahre stetig gefallen waren. Aus 100.000 an der Börse in Lima investierten Euro wurden in diesem Jahr bislang 142.990 Euro. Die US-Bank Goldman Sachs sieht Peru "makrookönomisch in optimaler Verfassung" mit zunehmenden Wirtschaftswachstum und sinkender Inflation. Allerdings sind die Umsätze an der Börse gering, und dort sind nur wenige Werte notiert.
Aktien Brasilien
Der brasilianische Bovespa-Index legte in den ersten sechs Monaten des Jahres zweistellig zu, nachdem er im Januar noch auf ein Siebenjahrestief gefallen war. Da auch der zuvor unter die Räder gekommene Real deutlich aufwertete machten Anleger die 100.000 Euro in Brasiliens Leitindex investiert haben, daraus im ersten Halbjahr 143.420 Euro. Besser schnitt keine andere Anlage ab. Dabei setzen Anleger nach der Ablösung von Präsidentin Dilma Rousseff auf ein Ende des politischen Stillstands und auf Reformen. Aber: Brasilien steckt nach wie vor in der Rezession, als wirtschaftlich gerechtfertigt, gilt der Börsenaufschwung in dieser Form nicht.
Schlussstand für alle Werte: 30.06.2016, Angaben ohne Transaktionskosten
KONTEXT
Die zehn größten Fondsanbieter am deutschen Markt
Franklin Templeton
19 Milliarden Euro
Generali Invest
31 Milliarden Euro
Blackrock
40 Milliarden Euro
Helaba Invest
113 Milliarden Euro
HSBC Trinkaus&Burkhardt
169 Milliarden Euro
Universal-Investment
206 Milliarden Euro
Union Investment (Volksbanken)
220 Milliarden Euro
Deka (Sparkassen)
222 Milliarden Euro
DeAWM (Deutsche Bank)
291 Milliarden Euro
Allianz Global Investors
367 Milliarden Euro
Quelle
Quelle: Fondsverband BVI
Dargestellt ist das Publikums-/Spezial-/Immobilienfondsvermögen // Gesamtvolumen 2600 Milliarden Euro
Stand: 31.12.2015