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Kampf um Klimaschutz – Erderhitzung könnte die Wirtschaft fast eine Billion Dollar kosten

Viele Firmen verstärken ihre Anstrengungen zum Klimaschutz. Es geht um die Akzeptanz in der Öffentlichkeit und bei Investoren – und ums nackte Geschäft.

Mit so einer Ankündigung schafft es sogar ein Miniunternehmen mit zehn Beschäftigten in die Schlagzeilen der großen Nachrichtenportale: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen drei Tage mehr Jahresurlaub, verkündete die Berliner „Weiberwirtschaft“ vorige Woche – vorausgesetzt, sie verzichten ein Jahr lang auf Flugreisen.

Das Berliner Zentrum für Gründerinnen und Unternehmerinnen wollte intern einen Anreiz für klimafreundliches Handeln setzen. Geschäftsführerin Katja von der Bey war vom großen Medienecho überrascht. Sie weiß, dass der Klimaschutzeffekt bei so einer kleinen Firma begrenzt ist – hofft aber, dass die Idee bei anderen Firmen Schule macht.

Tatsächlich haben viele Firmen ihre Anstrengungen zum Klimaschutz in Produktion und der Geschäftspolitik bereits ausgebaut – und wollen dies mit Blick auf den Druck von Öffentlichkeit und Investoren weiter vorantreiben. Denn das Thema wächst angesichts von „Fridays for Future“ und dem Erfolg der Grünen bei der Europawahl in eine neue Dimension.

„Die Industrie merkt, dass sie an gesellschaftlicher Akzeptanz einbüßt, wenn es ihr nicht gelingt, sich als Teil der Lösung und nicht als zentraler Teil des Problems zu präsentieren“, sagt Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie.

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Doch die Wirtschaft muss nicht nur auf den öffentlichen Druck reagieren. Es geht auch ums Geschäft – und das sehen viele Unternehmen durch die Folgen des Klimawandels bedroht, wie eine Untersuchung des britischen Carbon Disclosure Project (CDP) zeigt: 215 der weltgrößten Konzerne beziffern demnach ihre Risiken auf mehr als 970 Milliarden Dollar. CDP hat Daten und Einschätzungen von Firmen aus aller Welt gesammelt, darunter Apple, Microsoft, Nestlé und aus Deutschland BASF, Bayer, Allianz, BMW und Adidas.

Mehr als 80 Prozent der befragten Unternehmen erwarten große Klimaauswirkungen auf ihre Geschäfte, zum Beispiel durch extremes Wetter, ansteigende Temperaturen und höhere Preise für die Emission von Treibhausgasen. Die Firmen gehen zudem davon aus, dass es zu einer wesentlich schärferen Regulierung in Umweltfragen kommen wird. Allein das könnte die großen Unternehmen in Summe 500 Milliarden Dollar kosten, wie das CDP berechnet.

Dazu kommen mögliche hohe Abschreibungen als Folge des Wertverlusts von Geschäften, die vom Klimawandel und zunehmender Regulierung betroffen sind und nicht mehr rentabel betrieben werden können. Engagiert sich ein Konzern nicht nachweislich für mehr Klima- und Umweltschutz, so droht auch eine Abstrafung durch Investoren, die sich verstärkt an Nachhaltigkeitskriterien orientieren.

Bosch geht vorweg

Ein Ziel, das die meisten Unternehmen mittlerweile verfolgen, ist die Klimaneutralität. Das bedeutet, dass die Aktivitäten einer Firma die Kohlendioxid-Konzentration der Atmosphäre unter dem Strich nicht noch weiter steigen lassen. Viele Dienstleister haben das bereits erreicht. Für energieintensive Konzerne ist es hingegen ein Kraftakt. Die Initiativen für Klimaschutz nehmen aber in beiden Sektoren zu, wie ein Blick in die deutsche Wirtschaft zeigt. Es geht dabei um weit mehr als nur den Bezug von grünem Strom.

Der Bosch-Konzern hat sich das in der Industrie derzeit wohl ambitionierteste Ziel gesetzt: Bis 2020 wollen die Schwaben weltweit in allen 4000 Werken CO2–neutral sein. Das wäre schneller als jeder andere Industriekonzern. Bosch kann das nur mithilfe von Kompensationen erreichen. Das heißt: Was das Unternehmen an unvermeidbaren Treibhausgasen ausstößt, soll an anderer Stelle ausgeglichen werden – etwa durch Aufforstung in Panama, Waldschutz in Afrika oder den Ausbau von Windkraft auf den Philippinen. Bosch erwartet allein dadurch Mehrkosten von einer Milliarde Euro – und viel Aufwand: In Panama werde streng kontrolliert, dass die aufgeforsteten Projekte nicht wieder abgeholzt werden, betont Torsten Kallweit, Chef des CO2-Projekts bei Bosch. Eine weitere Milliarde fließt in den Ausbau regenerativer Energien und die Energieeffizienz. Zusätzlich will Bosch alle Dienstflüge CO2-neutral stellen.

Die Mobilität der Mitarbeiter steht bei vielen im Fokus, wenn es um mehr Klimaschutz geht. Der Versender Otto Group hält seine Mitarbeiter an, Dienstreisen zu vermeiden und auf Videokonferenzen umzustellen. Wenn nötig, dann sollen sie bei Inlandsreisen mit der Bahn fahren. Diese Vorgabe gilt mittlerweile auch beim Softwarekonzern SAP.

Große Beratungsgesellschaften versuchen ebenfalls, ihre Consultants mehr mit der Bahn reisen zu lassen. Bei Bain soll auf Kurzstrecken wie Düsseldorf–Hamburg bald niemand mehr fliegen. Weil es ohne das Flugzeug bei den Beratern aber nicht geht, stecken auch Boston Consulting und McKinsey viel Geld in die Kompensation. „Unsere Projekte fokussieren sich auf Aufforstung und den Küsten- und Regenwaldschutz“, sagt Wolfgang Dörner, Personalchef bei BCG. Alle drei großen Consultants arbeiten CO2-neutral.

Zum Flugverzicht rufen mittlerweile auch Politiker auf: Kurz vor der Europawahl hatten sich die beiden Spitzenkandidaten Manfred Weber (EVP) und Frans Timmermans (Sozialdemokraten) dafür ausgesprochen, Kurzstreckenflüge in Europa einzuschränken. Die Airline-Manager haben die Sprengkraft des Themas erkannt und versuchen gegenzusteuern. „Seit diesem Jahr kompensieren wir den CO2-Ausstoß aller Dienstflüge bei der Klimaschutzstiftung Myclimate“, sagt Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Auch für die Kunden werde man die Möglichkeit, bei der Buchung eine Kompensation zu erwerben, sichtbarer machen. Noch dazu sollen die Gebäude und Antriebe der Fahrzeuge am Boden zu 100 Prozent emissionsfrei werden. Gleichzeitig sortiert die Branche ihre Kurzstrecken zumindest da aus, wo etwa die Bahn mit Hochgeschwindigkeitszügen eine echte Alternative ist. So wird die Lufthansa-Tochter Eurowings die Verbindung von Nürnberg nach Berlin Mitte Juni einstellen.

Ideen der Mitarbeiter

Kritiker bezeichnen die weitverbreitete Kompensation von Treibhausgas-Emissionen als „Ablasshandel“. Doch Produktion und Reisen sind nicht von heute auf morgen umzustellen, weshalb der Ausgleich derzeit als zweitbeste Lösung angesehen wird.
Bei Siemens steht nach eigenen Angaben die Reduzierung von Emissionen im Mittelpunkt, erst im zweiten Schritt sollen Kompensationen zum Tragen kommen. CEO Joe Kaeser will den Konzern bis 2030 klimaneutral machen. Ab 2020 sollen 70 Prozent des Stromverbrauchs von Siemens aus erneuerbaren Quellen kommen – dafür wollen die Münchener auch alte Produktionsstandorte im Ausland modernisieren wie jüngst in Indien. Kaeser nimmt zudem Zulieferer in die Pflicht: „Wir werden unseren Lieferanten klarmachen, dass sie nur dann langfristige Partner bleiben können, wenn sie zur C02-Reduktion beitragen.“

Dank Kompensation konnte SAP die Emissionen unter dem Strich im vorigen Jahr senken. Die Rechenzentren nutzen zu 100 Prozent Ökostrom. Der Softwarekonzern setzt auf Videokonferenzen statt Reisen – viel zu tun hat er aber noch beim Fuhrpark. Nur sieben Prozent der 17 000 Dienstwagen laufen bei SAP mit Elektro- oder Hybridmotoren. Die Quote soll bis 2020 auf 20 Prozent steigen – auch per finanzieller und technischer Unterstützung der Mitarbeiter. Der Handelskonzern Metro macht dies bereits: Am Mitarbeiter-Parkhaus in Düsseldorf wurden jüngst 62 zusätzliche Säulen für kostenloses Laden von Elektroautos in Betrieb genommen.

Viele Firmen setzen beim Klimaschutz auf das Engagement der Mitarbeiter: So hat die Belegschaft der Otto Group selbst eine Community gegründet, in der sie sich über Umweltschutz im Arbeitsalltag austauscht – sogar eine App ist daraus entstanden. Solche kleinen Initiativen finden sich in vielen, vor allem mittelständischen Unternehmen.

Etwa beim bayerischen Senf- und Feinkosthersteller Develey. „Jeder Manager wird bei uns am CO2-Ausstoß seines Werks gemessen“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Michael Durach. Er will das Unternehmen bis 2022 klimaneutral machen, etwa durch verstärkte Nutzung von Erdwärme und Biogaskraftwerken. Durach freut sich aber auch über Initiativen der Mitarbeiter, die auf dem Firmendach Gemüse anbauen. Jeden Freitag gibt es einen fahrstuhlfreien Tag – alle, die können, sollen dann die Treppe nehmen. Die Idee zum Stromsparen hatten die Azubis. Firmenchef Durach gefiel sie so gut, dass er noch einen drauflegte: In der Zentrale ließ er den Aufzug extra langsam einstellen. „Damit die Leute lieber zu Fuß gehen!“

Mehr: Unternehmen stecken in der Klemme: Neue Technologien lösen ihre Geschäftsmodelle in Luft auf. Nun droht auch noch die politische Disruption, kommentiert Handelsblatt-Autor Dieter Fockenbrock.