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Kim-Eva Wempe und Thierry Stern im Interview: „Geld ist wirklich nicht alles“

Die Juwelierin und der Patek-Philippe-Chef sprechen über Familienwerte in Krisenzeiten, Luxus trotz Lockdown und ihren Argwohn gegenüber E-Commerce.

Die Uhrenbranche blickt pessimistisch in den Corona-Herbst: „Die Situation ist natürlich schrecklich. Nicht nur in unserer Branche werden sich noch viele Firmen verabschieden, fürchte ich“, sagt Thierry Stern, Chef und Eigentümer der Genfer Prestige-Manufaktur Patek Philippe, im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Die Corona-Ungewissheiten sind groß“, warnt auch Kim-Eva Wempe, Chefin der Hamburger Juwelierkette. Zugleich hoffen beide derzeit vor allem auf Kunden aus Deutschland.

„Das Geld für verschobene Urlaubsreisen wurde bei uns ausgegeben und führte zu einem Umsatzplus von 35 Prozent“, so Wempe. „Der Umsatz mit Touristen und internationalen Kunden bleibt aber weiterhin nahe null.“

Die Firmenchefin hofft auf eine Rückkehr des internationalen Tourismus, denn auch die Geschäfte in Metropolen wie London, Paris, Wien oder Madrid seien derzeit „eine große Herausforderung“. Auch Stern beobachtet: „Der Markt in Deutschland entwickelt sich zurzeit deutlich erfreulicher als der in vielen anderen Ländern.“ Gemeinsam haben die beiden in Frankfurt gerade eine Patek-Boutique eröffnet, die von Wempe geführt wird.

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Trotz der Coronakrise will Patek Philippe dieses Jahr genauso viele Uhren produzieren und verkaufen wie 2019: rund 60.000. „Wir gehen nur keine allzu großen Risiken ein, stellen sehr wenig Neuheiten vor und konzentrieren uns auf jene Modelle, die sich schon bewiesen haben“, sagte Stern dem Handelsblatt.

„Viele andere Marken träumen davon, mal so profitabel zu werden, wie wir selbst jetzt sind. Unsere Zahlen sind gut, auch wenn ich da nicht in die Details gehen möchte“, so Familienunternehmer Stern, der dem E-Commerce trotz des allgegenwärtigen Digitalisierungsbooms eine klare Absage erteilt: „Wir haben damit experimentiert. Unsere Händler durften sechs Wochen während der Corona-Monate online einige unserer Uhren anbieten. Aber das hat schlicht nicht funktioniert.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Frau Wempe, Herr Stern, mitten in der großen Coronakrise eröffnen Sie hier in Frankfurt einen großen Flagship-Store, der sich ausschließlich um die eine Marke dreht: Patek Philippe. Ein Beleg dafür, dass Manufakturen und Handel nun enger zusammenrücken?
Stern: Es ist zunächst mal ein Beleg dafür, wie eng Wempe und wir seit Jahrzehnten zusammenarbeiten. Schon unsere Väter haben sich ja regelmäßig ausgetauscht …
Wempe: … und während ich dann früh ein Praktikum in der Patek-Zentrale in Genf machen durfte, verbrachte Thierry einige Monate hier in unserer großen Frankfurter Niederlassung. Das schafft viel Verständnis – und damit auch Vertrauen.

Inwieweit profitieren Sie voneinander?
Stern: Wir steuern nur drei eigene Salons weltweit – in Genf, Paris und London –, verkaufen nichts via Internet und setzen voll auf den Fachhandel. Das sind lange gewachsene Beziehungen zu Profis, die nicht nur unsere Marke verstehen, sondern auch ihre und damit unsere Kunden …
Wempe: … die wir dann auch präziser beraten können. Eine Marke wie Patek Philippe ist zudem natürlich auch Publikumsmagnet und Prestigeobjekt.

„Wir sind tatsächlich eine Familie“

Wie haben Sie beide die Zeit seit dem Lockdown erlebt?
Wempe: Es war natürlich eine belastende Zeit, zumal all unsere Geschäfte zunächst geschlossen bleiben mussten. Andererseits hat sie den Zusammenhalt in der Firma gestärkt. Unsere Mitarbeiter haben gesehen: Wir sind nicht nur ein Familienunternehmen. Wir sind tatsächlich eine Familie.

Mussten Sie Beschäftigte entlassen?
Wempe: Nein. Ein Großteil ging zwar in Kurzarbeit. Aber mittlerweile konnten alle zurückkehren.
Stern: In derart herausfordernden Zeiten müssen Sie vor allem Ihr eigenes Team unterstützen. Ihre Mitarbeiter sind es, die für den Erfolg der Firma verantwortlich sind. Das unterscheidet uns beide sicher auch von Firmen, die keine familiären Wurzeln mehr haben und entsprechend kurzatmig in der Krise reagieren mussten – mit teils drastischen Personalmaßnahmen.

Die Shops waren lange geschlossen, der globale Tourismus kam zum Erliegen, die Umsätze sind dadurch bei manchen Marken um 70 Prozent und mehr eingebrochen – wie geht es der Haute Horlogerie generell?
Stern: Die Situation ist natürlich schrecklich. Nicht nur in unserer Branche werden sich noch viele Firmen verabschieden, fürchte ich. Andererseits weisen meine Eltern gern darauf hin, dass auch sie schon viele Krisen erlebt haben. Diese Krisen gehören zum Leben. Wichtig ist, dass man vorbereitet ist und entsprechende Reserven bereithält. Man muss dann schnell reagieren und die Marke beschützen – auch gegen die eigene Nervosität. Keine leichte Aufgabe, aber unbedingt notwendig. Man muss akzeptieren, dass man auch mal Geld verliert. Geld ist wirklich nicht alles.

Wie viele Uhren produzieren Sie?
Stern: Es waren im vergangenen Jahr 60.000. Selbst in tollen Jahren wollten und konnten wir immer nur vorsichtig wachsen. Aber auch dieses Jahr sollen es 60.000 Uhren werden. Wir gehen nur keine allzu großen Risiken ein, stellen sehr wenig Neuheiten vor und konzentrieren uns auf jene Modelle, die sich schon bewiesen haben.

„International bleibt es besonders diffizil“

Wie sieht Ihre wirtschaftliche Prognose aus – für Patek wie für andere Marken?
Stern: Viele andere Marken träumen davon, mal so profitabel zu werden, wie wir selbst jetzt sind. Unsere Zahlen sind gut, auch wenn ich da nicht in die Details gehen möchte.
Wempe: Als wir Ende April anfingen, unsere Niederlassungen wiederzueröffnen, lautete unsere Prognose für Deutschland 20 Prozent weniger Umsatz mit lokalen Kunden und ein Umsatzrückgang von 100 Prozent mit Touristen. Ein aus damaliger Sicht optimistisches Szenario. Dies hätte in Deutschland allein zu einem zweistelligen Jahresverlust geführt. Im Juni und Juli merkten wir allerdings, dass sich unsere engen Kundenbeziehungen vor Ort auszahlten.

Die lokalen Kunden kamen zurück?
Wempe: Genau. Das Geld für verschobene Urlaubsreisen wurde bei uns ausgegeben und führte zu einem Umsatzplus von 35 Prozent. Der Umsatz mit Touristen und internationalen Kunden bleibt aber weiterhin nahe null. Ebenfalls positiv ist der Verkauf von Uhren und Schmuck in New York in dieser schwierigen Situation. Obwohl die Stadt meist menschenleer ist, freut uns der Umsatz, den wir auch hier mit lokalen Kunden tätigen. International bleibt es aber besonders diffizil. Das Geschäft in Paris läuft weiterhin sehr schlecht. Auch London, Wien und Madrid sind eine große Herausforderung.

Was ist zurzeit schwerer: Uhrmacher oder Händler zu sein?
Stern: Jeder hat da so seine eigenen Herausforderungen, würde ich denken, oder, Kim? Was wir aber wohl beide wissen: Der eine funktioniert nicht ohne den anderen.
Wempe: Wenn Sie Modehändler sind, haben Sie eine ganze Saison verloren. Das ist schon schmerzhaft. In unserem Fall geht es um hochwertigen Schmuck und kostbare Uhren, also um nachhaltige Produkte. Der Druck ist nicht ganz so gewaltig. Aber natürlich müssen auch wir sehen, wie sich nun der Rest des Marktes entwickelt.

„Wir werden unsere Uhren nicht via Internet verkaufen“

Welches sind die wichtigsten Märkte für Patek?
Stern: Wir haben immer darauf geachtet, uns nicht zu sehr auf eine Region zu fokussieren, auch wenn die USA sicher unser Topmarkt waren und sind. Ein Europa-Anteil von 45 Prozent hat sich für uns zugleich bewährt. Und selbst wenn China nun gut durch die Coronakrise gekommen zu sein scheint und die Nachfrage in ganz Asien enorm steigt – wir haben gar nicht genug Uhren, um alle Wünsche in Asien befriedigen zu können. Es war jedenfalls immer unsere Strategie, vor allem die lokale Klientel zu bedienen, die Kim vorhin andeutete. Das kann sich auch jetzt auszahlen.

Was ist die größte Herausforderung für Wempe?
Wempe: Die Frage, wann die Flughäfen wirklich wieder in den Normalbetrieb zurückfinden. Nicht weil wir dort viele Geschäfte hätten, sondern weil in den großen Metropolen natürlich vor allem der Tourismus das Geschäft mit Luxus beeinflusst und in Paris sogar dominiert.

Was verändert Corona generell für Ihre Branche?
Wempe: Wenn man es positiv sehen will: Wir alle fliegen weitaus weniger. Eine Videokonferenz jagt die nächste. Und tatsächlich erleben wir alle gerade einen wahnsinnigen Boom digitaler Technologien.
Stern: All diese Veränderungen deuteten sich ja schon vor Corona an. Aber sie haben sich durch die Corona-Monate trotzdem unglaublich beschleunigt.

Wird Corona Ihre Digitalstrategie verändern, was E-Commerce angeht?
Stern: Für uns verändert die Pandemie zwar, wie wir unser Produkt kommunizieren, aber weiterhin nicht, wie wir es verkaufen. Also ja, wir nutzen digitale Technologien und Plattformen wie Instagram künftig noch stärker für den Austausch mit unseren Kunden. Und nein, wir werden unsere Uhren nicht via Internet verkaufen.

„Das Bling-Bling spielt vielleicht eine geringere Rolle“

Patek Philippe bleibt dem E-Commerce also fern?
Stern: Wir haben damit experimentiert. Unsere Händler durften sechs Wochen während der Corona-Monate online einige unserer Uhren anbieten. Aber das hat schlicht nicht funktioniert. Wir gehen den Patek-Weg des Verkaufs. Dazu ist das Erlebnis, das Glas Champagner oder der Espresso beim Anprobieren, das Fachsimpeln mit dem Juwelier einfach zu wichtig.
Wempe: Da kann ich natürlich nur zustimmen, auch wenn wir selbst ja bereits einen eigenen Onlineshop steuern. Jede Uhrenmarke muss selbst wissen, ob und wie sie dort vertreten sein will. Die Umsätze sind bislang überschaubar. Uns ist eine Omnichannel-Strategie wichtig. Unsere Kunden sollen die Möglichkeit haben, sich über Produkte digital zu informieren und sie in unseren Geschäften live anzuschauen. Das Internet bietet uns und auch den Kunden eine Riesenchance. „Wir bekommen heute Bestellungen aus Orten, deren Namen ich vorher noch nicht einmal gehört habe.“ Das ist vor allem fürs Schmuckgeschäft durchaus eine große Chance. Und es gibt mittlerweile eine Klientel, die via Internet bereit ist, relativ spontan wirklich hohe Summen zu bezahlen.

Was ist typisch deutsch, wenn es um den Verkauf kostbarer mechanischer Uhren geht?
Wempe: Auch wenn man das nicht zu sehr verallgemeinern sollte: Die Äußerlichkeiten, das Bling-Bling spielt vielleicht eine geringere Rolle. Hierzulande gibt es dagegen eine sehr große Affinität für technische Fragen rund um Komplikationen und Präzision …
Stern: … was für uns als Uhrmacher wiederum eine schöne Herausforderung ist. Und auch für uns kann ich sagen: Der Markt in Deutschland entwickelt sich zurzeit deutlich erfreulicher als der in vielen anderen Ländern.

Es gibt Uhrenmodelle von Patek Philippe, die so begehrt sind, dass ihre Preise auf Graumarkt-Plattformen oft deutlich höher liegen als in den Stores selbst, wo man dann aber eh kaum eine bekommt. Führen Sie Wartelisten für Modelle wie Nautilus oder Aquanaut?
Stern: Ein sehr kompliziertes Thema!
Wempe: Man muss natürlich aufpassen, dass man gerade bei den Fans einer Marke nicht das Frustrationspotenzial überreizt. Stammkunden und Sammlern bieten wir eine Neuheit zuerst an, von der wir wissen, dass das Interesse groß ist. Die Balance zu finden ist wichtig, wenn auch nicht immer einfach.
Stern: Und natürlich versuchen wir gemeinsam mit Juwelieren wie Wempe vor allem jene Kunden zu bedienen, von denen wir wissen, dass sie unsere Uhren auch tragen und behalten wollen.

„Die Corona-Ungewissheiten sind groß“

Was ist die teuerste Patek, die man hier sofort mitnehmen könnte?
Stern: Es dürfte ein Split-Chronograph sein, der rund 250.000 Euro kostet, auch wenn das immer noch nicht die Spitze unserer Kunst darstellt.

Wie wichtig ist heute die Fraktion der Sammler fürs Geschäft von Wempe wie von Patek Philippe?
Stern: Sehr wichtig. Sammler denken immer schon an die nächste Uhr. Und sie gehen mit großer Leidenschaft ihrem Hobby nach. Anders als früher tragen sie ihre Kostbarkeiten auch am Handgelenk und genießen die Aufmerksamkeit. Früher hatte man die Uhren eigentlich nur in Panzerschränken oder bei der Bank. Und dafür sind sie ja eigentlich nicht gemacht.

Wie sieht Ihre Prognose für 2021 aus?
Stern: Ich habe wirklich keine Ahnung, was da auf uns zukommt.
Wempe: Wir wissen zurzeit ja nicht einmal, wie wir unsere Ware zum Beispiel nach Großbritannien liefern können. Und die Corona-Ungewissheiten sind groß.
Stern: Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Das könnte ein neuer Shutdown sein, aber auch ein Boom. Bei den Menschen wächst längst wieder ein natürliches Bedürfnis, rauszugehen, sich zu sehen und zu sprechen. Es liegt einfach in unserer Natur. Insofern: Man muss sich an Corona gewöhnen und lernen, damit zu leben. Und übrigens: Verträge sind immer schon mit einem Handschlag besiegelt worden. Ich sehe gar nicht ein, dass sich das nun ändern soll.
Wempe: Auch in Hamburg gehört der Handschlag zum Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“. Es wäre schade, wenn er wegfällt.
Stern: In ein paar Wochen wird überdies die Grippe zurückkehren. Mit der haben wir auch längst zu leben gelernt, wenngleich sie nun auch von einer neuen Panik begleitet wird. Wir müssen uns eben anpassen.

Was sind die wichtigsten Ratschläge, die Sie beide von Ihren Vätern bekommen haben?
Stern: Er erklärt mir immer noch gern, wie wichtig es ist, mit Menschen zu sprechen, sie zu verstehen und auch Verständnis zu schaffen. Das gilt für unsere Mitarbeiter und Kunden, aber natürlich auch für unsere Partner im Handel.
Wempe: Das Credo meines Vaters war immer: „Du kannst tun, was du willst. Aber tu etwas, sonst wirst du nur unglücklich.“

Frau Wempe, Herr Stern, vielen Dank für das Interview.