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Bundesregierung stellt erneut Milliarden im Kampf gegen Corona bereit – Doch die Kritik ist groß

Die Krise ist noch nicht ausgestanden. Daher verlängern Union und SPD unter anderem Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen für Unternehmen. Nicht nur Ökonomen warnen.

Noch ist kein Ende der Krise in Sicht. Foto: dpa
Noch ist kein Ende der Krise in Sicht. Foto: dpa

Man wolle „mit Wumms aus der Krise“, hatte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) im Juni das Ziel des neuen Konjunkturpakets umschrieben. Jetzt legten die Spitzen von Union und SPD nach und verlängerten die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes, die Überbrückungshilfen für Kleinbetriebe sowie die Aussetzung der Insolvenzantragsfristen.

Für Ifo-Präsident Clemens Fuest ist das jetzt zu viel Wumms: „Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes kommt zu früh“, sagte er dem Handelsblatt. „Man hätte die Wirtschaftsentwicklung abwarten sollen, bevor man die Verlängerung zusagt.“

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Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unions-Bundestagsfraktion, Christian von Stetten, nannte die Beschlüsse zum Kurzarbeitergeld realitätsfremd: „Es hätte völlig ausgereicht, nur die Branchen, welche besonders von den staatlichen Beschränkungen betroffen sind, zusätzlich bis Ende 2021 zu schützen.“

DIHK-Präsident Eric Schweitzer spricht sich dafür aus, das Insolvenzrecht bis zum Jahresende durch moderne Instrumente für Unternehmenssanierungen zu ergänzen. „Denn schon jetzt geht Vertrauen in der Wirtschaft verloren, und die Sorge greift um sich, dass es wegen verschleppter Insolvenzen zu gefährlichen Kettenreaktionen kommt.“

Helfen die neuen Unterstützungsprogramme wirklich der Wirtschaft – oder vor allem Union und SPD im Wahlkampfjahr? „Die Große Koalition versucht offenbar, sich Zeit zu kaufen, um über die Bundestagswahl hinauszukommen“, argwöhnt FDP-Chef Christian Lindner.

Streitthema Wahlrechtsreform

Die Spitzen der Großen Koalition waren sich schnell handelseinig bei der weiteren Bekämpfung der Coronakrise. Nach zwei Stunden stand das Ergebnis am Dienstagabend weitgehend fest. Dass der Koalitionsausschuss noch mehrere Stunden in die Verlängerung ging, lag nur am Streitthema Wahlrechtsreform.

Als „eine runde Geschichte“ bezeichnete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Beschlüsse. „Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses sind ein wichtiges Signal für Unternehmen und Beschäftigte“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Mit ihren Maßnahmen helfe die Bundesregierung „Arbeitnehmern und Mittelstand, diese ernste Krise zu überstehen und Arbeitsplätze zu erhalten“.

Dass die Wirtschaft in der Coronakrise staatliche Hilfen dringend gebraucht hat und noch braucht, ist unzweifelhaft. Aber es steht die Frage im Raum, warum die Bundesregierung etwa die Kurzarbeit gleich bis Ende nächsten Jahres verlängern musste.

So schnürte die Bundesregierung gemessen an den zuvor gestellten Forderungen bei der Kurzarbeit ein Maximalpaket. Die verlängerte Bezugsdauer von 24 Monaten soll für Betriebe gelten, die bis zum 31. Dezember 2020 Kurzarbeit eingeführt haben, und bis zum Ende des kommenden Jahres greifen.

Auch die vor allem von den Gewerkschaften geforderte Aufstockung auf bis zu 87 Prozent des Nettoeinkommens sowie der erleichterte Zugang bleiben erhalten. Nur einen Wunsch erfüllte die Bundesregierung nicht: Die von den Arbeitgebern geforderte volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für Kurzarbeiter wird nur bis Ende Juni 2021 verlängert.

„Wir haben mit der tiefsten Wirtschaftskrise unserer Generation zu tun, und die wird nicht ab dem 1. Januar vorbei sein“, rechtfertigte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Beschlüsse. Der Wirtschaftsflügel der Union sieht das anders.

Der Chef der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann (CDU), sagte: „Ich habe das Gefühl, wir sind in einer künstlichen Ökonomie angekommen. Dass man bis Ende nächsten Jahres das Kurzarbeitergeld verlängert, halte ich für viel zu lang. Es hätte ausgereicht, bis zum Frühjahr auf Sicht zu fahren.“

Die Wirtschaftsentwicklung sieht aus Arbeitsmarktsicht gar nicht so schlecht aus. Das Ifo-Beschäftigungsbarometer, das die Münchener Konjunkturforscher monatlich exklusiv für das Handelsblatt berechnen, ist im August weiter auf 95,4 Punkte gestiegen; im Vormonat hatte es noch bei 93,2 Zählern gelegen. So gebe es im Dienstleistungssektor erste Anzeichen für Neueinstellungen, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe.

Angesichts der einsetzenden wirtschaftlichen Erholung hält der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (IfW), Gabriel Felbermayr, die Verlängerung des Kurzarbeitergelds für zwar „nachvollziehbar, aber auch kritisch“. Je länger die Medizin verabreicht werde, desto eher drohten unliebsame Nebenwirkungen, weil zunehmend Betriebe mit Kurzarbeitergeld finanziert würden, die nicht mehr marktfähig seien.

Und billig ist die Maßnahme auch nicht. Die Kosten für die Regelungen zur Kurzarbeit bezifferte Finanzminister Scholz für das kommende Jahr auf rund zehn Milliarden Euro. Die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit (BA) von knapp 26 Milliarden Euro wird aber schon dieses Jahr aufgebraucht sein, weshalb die Behörde voraussichtlich eine Finanzspritze des Bundes von knapp fünf Milliarden Euro benötigt.

Die nun noch darüber hinausgehenden Kosten durch die Verlängerung bis Ende 2021 übernimmt ebenfalls der Bund. Die Verlängerung wird also nicht aus Sozialbeiträgen, sondern aus Steuergeldern bezahlt. Das sei „kostspielig“, räumte Arbeitsminister Heil ein. Ein Rückfall in die Massenarbeitslosigkeit wäre wirtschaftlich und gesellschaftlich allerdings um ein Vielfaches teurer.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer lobte, dass der Bund für die Kosten einsteht: „Gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten brauchen wir eine handlungs- und leistungsfähige Bundesagentur für Arbeit.“

Auch Überbrückungshilfen werden verlängert

Neben der Kurzarbeit hat die Bundesregierung auch die staatlichen Hilfen für besonders von Corona betroffene Unternehmen verlängert. So sollen die im Juni beschlossenen Überbrückungshilfen nun bis Ende des Jahres laufen. Bisher war das Programm bis Ende August befristet.

Erstattet werden nach derzeitigem Stand für die Monate Juni bis August fixe Betriebskosten von bis zu 150.000 Euro. Für die Zuschüsse hat der Bund 25 Milliarden Euro eingeplant. Die Auszahlung der Gelder aber läuft schleppend, auch weil das Verfahren komplex ist. Bislang wurden erst Gelder in Höhe von 700 Millionen Euro beantragt.

Aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums macht die Verlängerung dennoch Sinn: „Wir beobachten, dass die Antragstellungen sehr viel zielgenauer vorgenommen werden, als das vielleicht noch vor einigen Monaten bei den Soforthilfen der Fall war, und zwar genau von den Unternehmen und Branchen, wo die Lage weiter ernst ist“, sagte eine Sprecherin. „Diese Entwicklung und die höhere Zielgenauigkeit sind gerade ein gutes Signal.“

Die dritte große Maßnahme, die Union und SPD am Dienstagabend beschlossen: Auch die Lockerungen im Insolvenzrecht sollen länger laufen, um in der Coronakrise eine Pleitewelle zu verhindern. So wird die Regelung über die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für den Antragsgrund der Überschuldung bis Ende des Jahres weiterhin ausgesetzt.

Die Insolvenzantragspflicht war ursprünglich bis Ende September ausgesetzt worden für Fälle, in denen eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung von Firmen auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht.

Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), Bertram Brossardt, begrüßt diese Entscheidung: „Es wäre kontraproduktiv, wenn Firmen nur wegen der kurzen Frist einen Insolvenzantrag einreichen müssten, der im schlimmsten Fall zum Ende des Unternehmens führt und viele Arbeitsplätze vernichten kann.“
FDP-Chef Lindner hält die Verlängerung dagegen für problematisch. „Die Konjunktur hellt sich auf. Das bedeutet, dass möglicherweise auch früher ein Ausstieg aus staatlichen Hilfen, die mit Schulden finanziert werden müssen, möglich ist“, sagte er. Die FDP wünsche sich einen schnellen Strategiewechsel – weg von der Konservierung von Strukturen und der Staatsintervention hin zur Förderung von neuer Beschäftigung.

Neben diesen großen Entscheidungen verlängerte die Bundesregierung auch den leichteren Zugang zur Grundsicherung für Kleinunternehmer und Soloselbstständige, die keine Aufträge haben. Außerdem sollen gesetzlich Versicherten in diesem Jahr wegen der Coronakrise mehr Krankentage zur Betreuung ihrer Kinder oder von Pflegeangehörigen zur Verfügung stehen.

Zudem will die Bundesregierung mit 500 Millionen Euro EU-Geldern eine digitale Bildungsoffensive aufsetzen, noch einmal der gleiche Betrag soll in die Förderung einer „Corona-gerechten Umrüstung“ von Klimaanlagen fließen.

Merkel berät mit Ministerpräsidenten

Während sich die Spitzen der Koalition am Dienstagabend vor allem mit den wirtschaftlichen Folgen der Krise beschäftigten, geht es beim nächsten Krisentreffen an diesem Donnerstag wieder um gesundheitspolitische Maßnahmen. Dann beraten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten in einer Videokonferenz über das weitere Vorgehen angesichts steigender Infektionszahlen.

Die Kanzlerin hatte bereits deutlich gemacht, dass sie ein entschlossenes Vorgehen zur Eindämmung der steigenden Infektionszahlen wünscht. Den ganzen Mittwoch war Kanzleramtschef Helge Braun damit beschäftigt, sich mit Vertretern der Länder auf ein möglichst einheitliches Vorgehen zu einigen.

Doch die Gespräche verliefen wie erwartet zäh. Einige Länder wie Sachsen oder Sachsen-Anhalt verweisen auf die bei ihnen nur niedrigen Infektionszahlen. Andere wollen ein möglichst strenges und einheitliches Vorgehen. Dazu zählt vor allem Bayern.

Es brauche zumindest eine „einheitliche Grundidee“ beim Vorgehen, forderte Ministerpräsident Söder. Dem CSU-Vorsitzenden schwebt eine Vereinbarung vor, die je nach regionaler Infektionslage Maßnahmen vorschreibt.

Damit erreiche man „Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit“. Söder forderte höhere Strafen für Maskenverweigerer und Quarantänebrecher. Zudem sprach er sich gegen Lockerungen wie etwa die Genehmigung von Großveranstaltungen aus.

In Berlin sieht man die Sache inzwischen ähnlich: Nachdem vor einigen Wochen ein Protestzug gegen die Corona-Politik noch zugelassen worden war, untersagte der Berliner Senat nun eine für das Wochenende geplante Großdemonstration. Eine Maßnahme, die sehr umstritten ist.