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„Justiz vor Ort kann sich nicht mehr alleine helfen“

Jens Gnisa ist seit diesem Frühjahr Vorsitzender des Deutschen Richterbundes (DRB), dem Berufsverband der Richter und Staatsanwälte in Deutschland. Im Interview spricht er über die Folgen des Putschversuchs in der und die „Säuberungen“, die Präsident Recep Tayyip Erdoğan praktiziert.

Herr Gnisa, der türkische Staatspräsident Erdogan geht seit Tagen massiv gegen mutmaßliche Beteiligte des Putschversuchs vor. Auch Richter und Staatsanwälte geraten zunehmend unter Druck. Wie bewerten Sie die Vorkommnisse?
Die Verhältnisse in der Türkei sind schon länger besorgniserregend. Richter werden drangsaliert, erhalten Reiseverbote. Offensichtlich wird versucht, die Justiz als mögliche Gegenspielerin Erdogans einzuschüchtern und zu entmachten. Nach dem Putsch hat die Situation nun eine neue Qualität.

Warum?

Tausende Richter wurden aus dem Dienst entfernt und verhaftet, schon wenige Stunden nach dem Beginn des Putsches.

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Es ist unmöglich, innerhalb so kurzer Zeit festzustellen, wer daran beteiligt gewesen ist und wer nicht. Es ist also anzunehmen, dass Erdogan den Putsch als Vorwand genommen hat, um missliebige Richter aus dem Verkehr zu ziehen.

Was sind die Folgen dieser „Säuberungen“, wie die türkische Regierung es nennt?

Der Rechtsstaat ist in der Türkei akut gefährdet. Die richterliche Unabhängigkeit ist ein ganz wesentliches Kriterium für den Rechtsschutz des Bürgers und der Unternehmen. Sie garantiert, dass die Gerichte nur an das Gesetz und nicht an politische Vorgaben gebunden sind. Ist die richterliche Unabhängigkeit nicht gewährleistet, kann ein Fall von der Politik durch Anweisungen in eine bestimmte Richtung gelenkt und damit nicht allein nach Recht und Gesetz entschieden werden. Das sehen wir in der Türkei nun genau so kommen.

Womit müssen Unternehmen nun konkret rechnen?

Im Falle eines Interessenkonflikts zwischen einem ausländischen Unternehmen und einem ortsansässigen Politiker oder Unternehmer, der über gute Kontakte zur Regierung verfügt, fehlt es dann an Rechtssicherheit. Das ausländische Unternehmen kann sich nicht sicher sein, die Justiz und das Recht im Rücken zu haben. Es muss damit rechnen, dass Investitionen verloren gehen. Gehen Streitigkeiten, etwa um ein Grundstück oder einen Auftrag vor Gericht, wird die Klage des ausländischen Unternehmers dann vermutlich wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Was muss aus Ihrer Sicht nun geschehen?

Die rechtsstaatlichen Garantien insgesamt sind aktuell in der Türkei nicht mehr gewährleistet. Die Politik muss die türkische Regierung unter Druck setzen. Die Justiz vor Ort wird sich nicht mehr alleine helfen können.

Herr Gnisa, wir danken für das Gespräch.

KONTEXT

Maßnahmen des Ausnahmezustands

Hintergrund

Bei einem Ausnahmezustand können nach der Verfassung in der Türkei Grundrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kann weitgehend per Dekret regieren. Eine Auswahl von Maßnahmen, die das Kabinett unter Erdogan nach dem Gesetz zum Ausnahmezustand beschließen kann, aber nicht beschließen muss.

Ausgangssperren

Ausgangssperren können verhängt werden.

Verkehr

Der Fahrzeugverkehr kann zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Gegenden verboten werden.

Demonstrationen

Versammlungen und Demonstrationen können verboten werden - sowohl unter freiem Himmel als auch in geschlossenen Räumen.

Sicherheit

Sicherheitskräfte dürfen Personen, Fahrzeuge oder Anwesen durchsuchen und mögliche Beweismittel beschlagnahmen.

Evakuierung

Bestimmte Gegenden können abgeriegelt oder evakuiert werden.

Land, See und Luft

Der Verkehr zu Land, See und Luft kann kontrolliert werden.

Zeitungen

Druckerzeugnisse wie Zeitungen, Magazine oder Bücher können verboten oder mit der Auflage versehen werden, dass sie nur mit Genehmigung erscheinen dürfen.

Rundfunk

Alle Arten von Rundfunkausstrahlung und die Verbreitung von Texten, Bildern, Filmen oder Tönen können kontrolliert und nötigenfalls eingeschränkt oder ganz verboten werden.