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Interne Dokumente zeigen, wie Amazon mit Druck und hohen Abfindungen leistungsschwache Mitarbeiter loswerden will

Der zukünftige Amazon-CEO Andy Jassy.
Der zukünftige Amazon-CEO Andy Jassy.

In groß angelegten Werbekampagnen stellt sich Amazon gerne als guter Arbeitgeber dar. Doch Mitarbeiter berichten immer wieder von den unfairen Methoden des Handelskonzerns. Sie bekämen unerreichbare Leistungsziele, stünden unter großem Druck oder bekämen unrealistische Fristen gesetzt. Das geht aus vielen Interviews mit Angestellten hervor, die Redakteure der US-amerikanischen Ausgabe von Business Insider geführt haben. Nun erhärten interne Dokumente diese Vorwürfe.

Erstmals wird in Business Insider vorliegenden Papieren ein Mitarbeiterprogramm namens „Pivot“ thematisiert, das vom Konzern eingesetzt wird, um die Leistung der Angestellten zu beurteilen. Es sei darauf ausgelegt, Entlassungsquoten zu erfüllen, statt Karrieren zu fördern (Business Insider berichtete bereits). „Es gibt nicht wirklich eine Kontrolle oder irgendwelche Regeln“, erklärt ein Mitarbeiter, der das Pivot-Programm durchlaufen hat. „Es macht es nur sehr viel einfacher, Angestellte loszuwerden.“

Für die Mitarbeiter steht viel auf dem Spiel. Wer bei Pivot durchfällt, muss das Unternehmen in der Regel verlassen. Aber nicht nur das: Die gekündigte Person würde auch von zukünftigen Anstellungen bei Amazon ausgeschlossen, erklärt ein Mitarbeiter. Die Personalabteilung teile der gekündigten Person dann mit, sie würde fortan auf einer „Nicht Einstellen“-Liste stehen und hätte auch in anderen Niederlassungen keine Chance mehr. Insgesamt sprach Business Insider mit mehr als 30 Personen über das Pivot-Programm. Aus Angst vor Problemen mit Amazon baten die Interviewten darum, namentlich nicht genannt zu werden. Business Insider hat ihre Identitäten überprüft.

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Ein Amazon-Sprecher sagte zu den Vorwürfen: „Wie die meisten Arbeitgeber stellen wir unseren Managern Möglichkeiten zur Verfügung, die ihren Angestellten dabei helfen sollen, ihre Leistung zu verbessern und in ihrem beruflichen Werdegang zu wachsen. Dazu gehören auch Coachings für Angestellte, die die Erwartungen nicht erfüllen. Wenn jemand glaubt, keine fairen Bewertungen seiner Leistungen zu erhalten, gibt es bei uns mehrere Möglichkeiten, das anzusprechen.“ Wie viele Mitarbeiter das Programm durchlaufen und es erfolgreich absolviert haben, wollte Amazon nicht verraten.

Interne Beurteilungssysteme für Mitarbeiter gibt es nicht nur bei Amazon. Bei Goldman Sachs etwa kommt es zur Entlassung von jährlich rund fünf Prozent der Angestellten aufgrund solcher Programme. Amazon-Insider berichten jedoch, dass der Prozess beim Versandhändler besonders problematisch sei. Das Programm sei weitgehend undurchsichtig und gebe den Vorgesetzten viel Ermessensspielraum, um über die Leistung der Angestellten zu entscheiden. Die Manager bei Amazon stünden unter dem Druck, jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern kündigen zu müssen. Einige Führungskräfte gaben gegenüber Business Insider sogar zu, dass sie Leute nur einstellen, um sie später feuern zu können. Ein Sprecher von Amazon dementiert diesen Vorwurf.

Das harte und undurchsichtige Beurteilungssystem scheint nicht die einzige Sorge der Angestellten zu sein. Larry Pearson, Partner der Anwaltskanzlei Wigdor, vertritt Angestellte, die bei Amazon arbeiten oder gearbeitet haben. Die Klagen stehen hauptsächlich im Zusammenhang mit möglicher Diskriminierung von Führungskräften sowie den Missbrauch des Leistungsbeurteilungssystems. „Leider sind Unternehmen von Amazons Größe anfällig dafür, Führungskräften Freiräume zu schaffen, in denen solche Praktiken unbemerkt bleiben können“, so der Anwalt.

Pivot ist die letzte Stufe in Amazons Beurteilungssystem. Zunächst soll die Leistung mit einem Coaching-Programm namens Focus gesteigert werden. Sind die Chefs immer noch nicht zufrieden, landen Angestellte im Pivot-Programm.

Hohe Abfindungen, um die Angestellten zum Gehen zu animieren

Pivot bietet zwei Optionen: Entweder können die Angestellten mit einer Abfindung das Unternehmen verlassen – oder sie versuchen, ihre Leistung zu steigern. Im zweiten Fall riskieren sie jedoch, mit einem gekürzten Gehalt zu einem späteren Zeitpunkt gekündigt zu werden. Das Unternehmen gibt Mitarbeitern fünf Arbeitstage Zeit, um sich zu entscheiden. Das geht aus den von Business Insider eingesehenen Dokumenten hervor und wurde von Personen bestätigt, die mit dem Programm vertraut sind. Die erste Option führt zu einer „Stufe-eins“-Zahlung. Die Höhe der Abfindung basiert auf der Betriebszugehörigkeit und dem Grundgehalt. Berichten der Angestellten zufolge belaufen sich diese Angebote meist auf Beträge von etwa 30.000 Dollar. Auch die eingesehenen Dokumente bestätigen diese Abfindungen. Angestellte können die Summe annehmen und sofort gehen.

Wählen die Betroffenen Option zwei, bleiben sie in ihrer bisherigen Rolle und „verpflichten sich, die erforderliche Leistungsverbesserung zu zeigen“, indem sie einen „Leistungssteigerungsplan“ aufsetzen. Dieser beinhaltet normalerweise eine oder eine Reihe von Aufgaben, etwa einen schriftlichen Bericht über die Leistungssteigerung zu erstellen.

Obwohl der Plan in der Theorie objektive Ziele wie beispielsweise Fristen festlegt, könnten Vorgesetzten die Vorgaben ändern. „Die Verantwortung, die Leistung auf ein akzeptables Niveau zu bringen, liegt beim Angestellten“, heißt es in den Dokumenten. „Der oder die Vorgesetzte wird die Fortschritte in Form von persönlichen Gesprächen regelmäßig überprüfen. Abhängig von der Leistung kann die Dauer des Plans verlängert oder verkürzt werden.“

„Man macht im Grunde zwei Jobs“

Wenn Mitarbeiter ihren Plan erfolgreich umsetzen, verlassen sie Pivot und nehmen ihre reguläre Arbeit wieder auf. Doch viele Angestellte empfinden die Erwartungshaltungen danach oft als unrealistisch. Die Ziele seien kaum erreichbar und erfordern mehrere Überstunden pro Tag. „Man macht im Grunde genommen zwei Jobs“, berichtet eine Person, die am Pivot-Programm teilgenommen hat. Sie erzählt, dass ihr nach dem Programm eine Aufgabe zugeteilt wurde, für die sie ein paar Wochen Zeit bekam. Diese Aufgabe würde in der Regel ein Jahr oder länger dauern. „Fälligkeitsdaten sind extrem unrealistisch. Und die Ziele sind nicht transparent“, erzählt eine andere Person, die ebenfalls zur Teilnahme am Pivot-Programm gezwungen wurde. „Führungskräfte können das als Druckmittel einsetzen.“ Zwei weitere Personen berichteten, ihre Pivot-Ziele erforderten den Start mehrerer Projekte innerhalb eines Monats. Sie hätten einen viel kürzeren und strikteren Zeitrahmen als bei anderen Projekten mit ähnlichem Aufwand. Hinzu würden einige Aufgaben von der Arbeit anderer Teams abhängen. Das mache es schwieriger, Termine einzuhalten.

Die Ziele des Pivot-Programms seien an vage Formulierungen gebunden, die auf den internen „Amazon Leadership“-Prinzipien basieren. Darin sind 14 Grundwerte des Unternehmens formuliert. So liste der Pivot-Plan etwa mit „Earn Trust“ das Ziel, durch bessere Kommunikation mit Kollegen mehr Vertrauen zu schaffen. Erreichen die Angestellten die Pivot-Ziele nicht, können sie eine geringere Abfindung akzeptieren. Aus den von Business Insider eingesehenen Dokumenten ging hervor, dass sich diese auf etwa 11.000 Dollar beläuft. Doch auch dann können die Mitarbeiter die Entscheidung noch anfechten – und riskieren eine noch kleinere Auszahlung, wenn sie im Pivot-Programm weiterhin nicht erfolgreich sind. In den Dokumenten betrugen diese Abfindungen dann noch knapp 5.000 Dollar.

Amazons interne Jurys

Die Mitarbeiter hätten drei Werktage Zeit, um zu entscheiden, ob sie gegen die Pivot-Entscheidung Berufung einlegen wollen. Vor einigen Jahren erlaubte es Amazon den Mitarbeitern noch, gegen die Teilnahme am Programm Berufung einzulegen. Dann änderte der Handelsriese seine Regeln. Nun können die Betroffenen nur noch gegen die Ergebnisse im Test Einspruch einlegen.

Wer in Berufung geht, müsse unterstützende Dokumente und Beweise vorlegen. Aus ihnen müsse hervorgehen, welche Leistungen erfüllt wurden. Eine Jury, die entweder aus einem einzelnen Vorgesetzten oder bis zu fünf Amazon-Mitarbeitern besteht, treffe dann eine Entscheidung. Sowohl die Angestellten als auch Amazon als Unternehmen hätten ein Mitspracherecht, wer in den Gremien sitzt. Der Konzern stelle eine Liste von Mitarbeitern zur Verfügung, aus der die betroffene Person dann das Gremium zusammenstellen könne. Voraussetzung sei, dass die Person die Leute aus dem Gremium nicht kennt.

Externe juristische Unterstützung dürfe man jedoch nicht in Anspruch nehmen, so ein Mitarbeiter. „Ohne zu wissen, welche Rechte man hat, muss man dieses Programm und den Berufungsprozess allein durchlaufen“, sagte eine der betroffenen Personen. Ein Amazon-Manager sagte, dass die Geschworenen in der Regel eine starke Voreingenommenheit zugunsten der Führungskräfte hätten. Wenn Angestellte Recht bekommen, verlassen sie Pivot und können sich einem neuen Team anschließen. Das sei normalerweise innerhalb von 60 Tagen möglich. Aus den Dokumenten geht hervor, dass es jedoch keine Garantie für eine andere Stelle gibt. Wenn keine neue passende interne Stelle gefunden wird, bleiben die Angestellten in ihrem bisherigen Team bei dem Vorgesetzten, der sie in das Programm gesteckt hat. Als Alternative bleibe ihnen nur, mit einer Abfindung zu gehen.

Dieser Artikel wurde von Julia Knopf aus dem Englischen übersetzt und editiert. Das Original lest ihr hier.