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Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz: „Helfen kann nur die Amputation“

Der ehemalige Schlecker-Insolvenzverwalter rechnet mit steigenden Insolvenzanmeldungen. Deutschland fehle es an einer Kultur des Scheiterns.

Arndt Geiwitz, der als Insolvenzverwalter von Schlecker bekannt wurde und zurzeit bei Galeria Karstadt Kaufhof als Generalbevollmächtigter das Schutzschirmverfahren begleitet, rechnet „mit Tausenden Unternehmen in Deutschland, denen die Insolvenz droht“, wie er im Interview mit dem Handelsblatt sagt. „Die Zahl der Insolvenzen wird ab Herbst stetig steigen, und dann über mehrere Monate“, so seine Prognose.

Ein Grund: Das Bundesjustizministerium hat im März die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Das bedeutet, dass Unternehmen, die als Folge der Covid-19-Pandemie zahlungsunfähig oder überschuldet sind, nicht innerhalb von drei Wochen Insolvenz anmelden müssen. Die gesetzliche Regelung gilt vorerst bis zum 30. September. Eine Entscheidung über die Fortführung werde „unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte rechtzeitig getroffen werden“, heißt es aus dem Bundesjustizministerium.

Geiwitz hält eine Verlängerung nur bei Überschuldung für angebracht. „Die Unternehmen haben sich viel Geld durch Staatshilfen besorgt und brauchen Zeit, um die Schulden abzubauen, zum Beispiel durch Verkäufe von nicht betriebsnotwendigem Vermögen oder von Betriebsteilen. Der M & A-Markt ist aber gerade tot, da findet man keine Käufer.“

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Anders sehe es bei Zahlungsunfähigkeit aus, die sei für alle Vertragspartner unzumutbar. „Ich vergleiche das gern mit einem Patienten, der ein Raucherbein hat. Der Arzt kann ihm immer wieder Morphium verschreiben, aber das wird ihn nicht heilen. Helfen kann nur die Amputation.“

Mit einem zweiten, vielleicht noch größeren Ansturm auf Staatshilfen ab Herbst rechnet Geiwitz allerdings vorerst nicht. „Nur wenn wir noch einmal das öffentliche Leben und die Wirtschaft runterfahren. Rein ökonomisch gesehen wird sich Deutschland aber keinen zweiten Lockdown leisten können“, ist er überzeugt.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Geiwitz, der Bund hat die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen bis Ende September ausgesetzt. Das soll Firmen in der Coronakrise Luft verschaffen, um staatliche Hilfen zu beantragen und die Sanierung voranzutreiben. Erwarten Sie, dass danach all die Insolvenzanträge nachgeholt werden, die derzeit nicht gestellt werden müssen?
Ich rechne durchaus mit Tausenden Unternehmen in Deutschland, denen die Insolvenz droht. Klar ist: Die Zahl der Insolvenzen wird ab Herbst stetig steigen, und dann über mehrere Monate.

Sollte es eine Verlängerung geben?
Teilweise. Ein Insolvenzantrag muss gestellt werden, wenn ein Unternehmen überschuldet oder zahlungsunfähig ist. Die Überschuldung als Grund weiter auszusetzen, macht Sinn. Die Unternehmen haben sich viel Geld durch Staatshilfen besorgt und brauchen Zeit, um die Schulden abzubauen, zum Beispiel durch Verkäufe von nicht betriebsnotwendigem Vermögen oder von Betriebsteilen. Der M & A-Markt ist aber gerade tot, da findet man keine Käufer. Anders sieht es aus, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig ist.

Warum?
Weil ein Unternehmen, das zahlungsunfähig ist, nicht überleben kann und die Zahlungsunfähigkeit für alle Vertragspartner unzumutbar ist. Ich vergleiche das gern mit einem Patienten, der ein Raucherbein hat. Der Arzt kann ihm immer wieder Morphium verschreiben, aber das wird ihn nicht heilen. Helfen kann nur die Amputation.

Nach einem Run auf die KfW-Mittel hat die Nachfrage mittlerweile nachgelassen. Wird es ab Herbst einen zweiten, vielleicht noch größeren Ansturm auf Staatshilfen geben?
Nur wenn wir noch einmal das öffentliche Leben und die Wirtschaft runterfahren. Rein ökonomisch gesehen, wird sich Deutschland aber keinen zweiten Shutdown leisten können.

Welche Branchen sind besonders von Insolvenzen bedroht?
Das sind natürlich die Branchen, denen durch die Coronakrise der Umsatz weggebrochen ist: Einzelhandel, Tourismus, Gastronomie. Und alle Bereiche, die mit Großveranstaltungen zu tun haben, etwa Messeveranstalter oder -bauer. Nicht ganz so offensichtlich, aber ebenfalls bedroht, sind mittelständische Autozulieferer.

Werden nur zehn oder 20 Prozent weniger Autos in Deutschland produziert, geraten viele von ihnen gehörig unter Druck. Die meisten sind von einem oder zwei Herstellern abhängig, haben geringe Margen, sind mit wenig Eigenkapital und viel Fremdkapital finanziert, um die hohen Investitionen aus der Vergangenheit stemmen zu können.

Ist es gerade zu leicht, an Geld vom Staat zu kommen? Prüft die KfW sorgfältig genug, dass sie keine sogenannten Unternehmenszombies unterstützt?
Sie können gar nicht verhindern, dass in dieser Krise auch Unternehmen vom Staat unterstützt werden, denen es schon vor der Krise schlecht ging. Aber ich mache da niemandem einen Vorwurf, auch der KfW nicht. Sie vergibt keine Kredite an Unternehmen, die zum Stichtag 31.12.2019 in Schwierigkeiten waren. Ist das eine Garantie? Nein. Das ist pragmatisch und richtig, denn es braucht in dieser Ausnahmesituation Pragmatismus.

Im Juli 2019 ist die EU-Restrukturierungsrichtlinie in Kraft getreten, aber in Deutschland noch nicht umgesetzt. Damit sollen sich Unternehmen außerhalb eines formellen Insolvenzverfahrens sanieren können. Ohne Stigmatisierung. Wird das helfen?
Der politische Druck ist maximal. Ich denke, der Gesetzesentwurf wird bald vorgelegt werden. Die Richtlinie ist aber kein Allheilmittel, denn sie hilft nur Unternehmen, die zu hohe Verbindlichkeiten, also Bankkredite oder Anleihen, haben. Sie hilft nicht, wenn Unternehmen Überkapazitäten haben, zum Beispiel Teile des Betriebs schließen müssen.

Was hilft da?
Das Schutzschirmverfahren. Damit verbunden sind Sonderkündigungsrechte mit Blick auf Mitarbeiter oder auch Mietverhältnisse, wie bei Galeria Karstadt Kaufhof. Außerdem wird die Sanierung auf viele Schultern verteilt, nicht nur auf die Fremdkapitalgeber. Alle müssen ihren Beitrag leisten: Mitarbeiter, Lieferanten, Vermieter, der Staat, Pensionsfonds. Leider konnte sich das seit März 2012 existierende Verfahren aufgrund der konjunkturellen Wachstumsphase noch nicht etablieren.

Mancher sagt, dass es auch deswegen oft nicht angewendet wird, weil es längst nicht allen Insolvenzverwaltern so bekannt ist, wie es sein müsste. Können Sie das bestätigen?
Wenn man auf die Menge an Verfahren schaut, dann stimmt das. Aber nicht, wenn man auf die Größe schaut. Bei kleinen Unternehmen ist es oft zu spät, die sind finanziell schon am Ende, wenn sie zu uns kommen; haben Gehälter schon ein, zwei Monate nicht gezahlt oder sind hoffnungslos überschuldet. Je größer ein Unternehmen ist, desto besser sind die Chancen, dass ein Schutzschirmverfahren erfolgreich ist. Dafür gibt es viele Belege in der Vergangenheit.

War es ein Fehler, das Schutzschirmverfahren als Teil des Insolvenzrechts auszulegen? So bleibt das Stigma der Pleite.
Sicher hätten viele meiner Kollegen wie ich auch es besser gefunden, wenn es ein eigenes Restrukturierungsgesetz zum Schutzschirmverfahren gegeben hätte. Aber es liegt auch an der nicht vorhandenen Kultur des Scheiterns in Deutschland. Bei uns ist schnell die Rede von Managementfehlern und Versagen. Das ist im angelsächsischen Raum anders. Nehmen Sie Chapter 11 in den USA. Das Verfahren wird eher als Chance gesehen. Ich sage immer: Lasst unsere Unternehmer auch mal scheitern, ein Insolvenzverfahren ist ab einer gewissen Größe in den meisten Fällen keine Liquidation, sondern ein Neuanfang.

Aber oft auf Kosten der Mitarbeiter...
In Deutschland finden viele der gekündigten Mitarbeiter fast immer neue Jobs, auch wenn wir in einigen Branchen Corona-bedingt dauerhaft weniger Arbeitsplätze haben werden und die Mitarbeiter in neue Jobs umqualifizieren müssen. Für eine Stigmatisierung des Insolvenzverfahrens als Restrukturierungsinstrument gibt es überhaupt keinen Grund. Nach einer Studie der Weltbank hat Deutschland das drittbeste Insolvenzrecht der Welt.

Wenn man das Schutzschirmverfahren „salonfähig“ macht, besteht dann nicht die Gefahr, dass zu viele Unternehmen leichtfertig darauf zurückgreifen?
Das denke ich nicht. Es bleibt immer das Restrisiko, dass der Eigentümer sein Unternehmen verliert. Deswegen überlegt es sich jeder zweimal, ob er diesen Weg geht. Auch in den USA, wo nicht sofort mit dem Finger auf einen gezeigt wird.

Sind weitere Erleichterungen für Unternehmen in der Krise denkbar?
Ja. Wir könnten für Unternehmen, die durch die Krise unverschuldet in Not geraten sind, das Insolvenzrecht noch benutzerfreundlicher machen. Sozusagen einen Covid-Schutzschirm aufsetzen. Damit könnten Unternehmen mithilfe eines Insolvenzplans saniert und dann auf den bisherigen Eigentümer zurück übertragen werden. Vielleicht auch schneller, also über drei statt sechs Monate. Das wäre etwas für kleinere Betriebe wie Restaurants, Hoteliers oder Reisebüros. Die meisten Unternehmer in Deutschland sind nicht protzende Sportwagenfahrer, sondern fleißige Menschen, die enorm viel arbeiten und Gewinne größtenteils im Unternehmen belassen. Wir können es uns nicht leisten, sie im Stich zu lassen.

Herr Geiwitz, vielen Dank für das Interview.