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Immer mehr Konzerne wittern das große Geschäft mit veganen Lebensmitteln

Wer im „Froindlichst“ abends einen Platz bekommen will, sollte reservieren. Obwohl es etwas abseits der üblichen Kneipenmeilen Hamburgs liegt, ist das von außen eher unauffällige Restaurant beim jungen Publikum beliebt. Die Küche bedient gleich mehrere Trends: Es gibt Burger, Bowls und Pizza, komplett vegan. Auf der Karte stehen „Pulled Pork“, „Geflügel-Nuggets“ und Burger-Buletten, allesamt aus Fleischersatz. Das Ambiente hat mit Ökobude wenig zu tun: Moderne Lampen, Tische und Bänke sehen aus wie in einem beliebigen Burger-Grill.

Den veganen Zeitgeist, den die zweite Filiale der kleinen Kette in der Hamburger Daimlerstraße auf die Spitze treibt, erkennen neben Start-ups inzwischen auch etablierte Konsumgüterkonzerne und Supermarktketten. Vegetarische und vegane Produkte kommen in der Masse an – und zwar auch bei Menschen, die nicht vollständig auf Fleisch verzichten wollen. In kaum einem anderen Land ist der Anteil veganer Nahrungsmittel und Getränke an den Produkteinführungen so hoch wie in Deutschland.

Eine Studie des Marktforschers Mintel zeigt: In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl veganer Produkteinführungen mehr als verdreifacht. Waren 2013 noch vier Prozent aller neuen Lebensmittel in Deutschland als vegan ausgezeichnet, so waren es 2018 rund 13 Prozent. Weltweit liegt dieser Wert nur bei rund fünf Prozent.

Den Marktforschern zufolge gibt es immer mehr Verbraucher, die aus Gewissensgründen gelegentlich zu vegetarischer oder veganer Ware greifen. Hardliner sind die wenigsten: Einer Umfrage des Ernährungsministeriums zufolge ernährt sich nur ein Prozent der Befragten vegan. Das rasante Wachstum veganer Produkte in Deutschland spiegele auch den Anstieg des ethischen Konsums vor allem bei jüngeren Konsumenten wider, heißt es bei Mintel.

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Zwar habe sich der Boom in Deutschland im zweiten Halbjahr 2018 etwas abgeschwächt. „Langfristig zeigt der Markt für vegane und vegetarische Produkte jedoch weiterhin großes Potenzial“, prognostiziert Mintel-Analystin Julia Büch. Drei Gründe machen diesen Trend für Unternehmen interessant: Etablierte Fleischanbieter können sich mit veganen oder vegetarischen Alternativen breiter aufstellen und für einen möglichen dauerhaften Wandel der Vorlieben rüsten.

Zudem ist der Markt für Lebensmittelhersteller und Gastronomen aus Kostengründen attraktiv, weil die pflanzlichen Rohstoffe viel preisgünstiger als Fleischprodukte sind, aber die Waren zu einem mindestens genauso hohen Preis verkauft werden können.
Zum Dritten lieben die Marketingabteilungen die Veggie-Welle: Denn als vegan gekennzeichnete Produkte gelten vielen Konsumenten als besonders wertig und gesund. Damit können vegane Produkte positiv aufs Firmenimage abfärben.

Auf der Gastronomie-Messe Internorga, die vergangene Woche in Hamburg stattfand, waren vegetarische Produkte ein großes Thema. Nestlé-Manager Martin Sachse ließ am Stand des Nahrungsmittelkonzerns Burger mit dem vegetarischen Patty „Incredible Burger“ verteilen, den die Schweizer gerade in Supermärkte und Restaurants bringen. „Riecht wie Fleisch, schmeckt wie Fleisch, brät wie Fleisch“, erläuterte der Manager das Konzept.

Überzeugte Vegetarier sind nicht die Zielgruppe, sondern Menschen, die seltener Fleisch essen wollen, ohne auf den Geschmack zu verzichten. „Die Nachfrage nach Pflanzenprotein ist kein kurzfristiger Trend, sondern ein Kulturwandel. Wir sind sehr sicher, dass die Nachfrage nicht wieder abebben wird“, sagt Sachse. Auch große Fleischhersteller sichern sich gegen diesen Wandel ab.

Peter Wesjohann, Inhaber des Geflügelkonzerns PHW (Wiesenhof), hat in mehrere Start-ups investiert, die Fleisch im Bioreaktor herstellen wollen oder einen vegetarischen Ei-Ersatz entwickeln. Zudem hat er sich die Vertriebsrechte an „Beyond Meat“ gesichert, dem Vorbild für Nestlés „Incredible Burger“ aus den USA. „Unser Kerngeschäft bleibt die normale Tierhaltung, die wir weiterentwickeln. Aber wir wollen alle Konsumentengruppen bedienen. Mit den Nischen muss man am Ende auch Geld verdienen, sonst lohnt es sich nicht“, sagt Wesjohann.

Einer der Vorreiter unter den Fleischproduzenten in Deutschland war Rügenwalder-Geschäftsführer Godo Röben, der 2015 einen Boom von vegetarischer Wurst ausgelöst hat. Inzwischen macht sein Unternehmen 38 Prozent des Umsatzes mit vegetarischen Varianten. „Seit Ende 2018 bekommt das Thema wieder einen neuen Drive“, sagt er. Röben rüstet sich für den Angriff der internationalen Konkurrenz. „In Blindverkostungen schneiden wir mindestens so gut ab wie Beyond Meat und Nestlé“, sagt er.

Rügenwalder halte 35 Prozent Anteil am 225 Millionen Euro großen deutschen Markt für Fleischersatz. Und der könnte noch deutlich wachsen: Schließlich liege der Umsatz mit echtem Fleisch und Wurst noch bei 8,4 Milliarden Euro und werde langsam von innovativem Fleischersatz mit besseren Nährwerten und gleichem Geschmack abgelöst. Auch Händler springen mit Eigenmarken auf den Trend auf. So bietet Edeka rund 60 Produkte unter dem Label „Bio + Vegan“ an.

Bei der Kette Famila Nordost, die eine umfangreiche Auswahl an veganen Produkten hat, heißen sie „Vegan leben“. Etabliert haben sich im Lebensmittelhandel zudem der Großhändler AVE und die Marke Veganz, die auch eigene Läden betreibt. Von einem großen Hype wollen die Supermarkt-Einkäufer indes nicht reden, eher von einer attraktiven Nische.

„Generell ist weiterhin der Trend erkennbar, dass die Nachfrage und auch das Wachstum bei veganen Produkten hoch sind, jedoch auf einem noch eher niedrigeren Niveau“, sagt Hans-Jürgen Moog, Einkaufschef von Rewe. Selbst wenn einige Unternehmen noch skeptisch sind – schon aus Imagegründen kann sich kaum ein Hersteller erlauben, den Trend zu ignorieren. Nestlé-Manager Sachse: „Die Leute bringen inzwischen das Thema Natürlichkeit sehr stark mit dem Begriff ‚vegan‘ in Verbindung.“

„Neue vegane Formel“ aus der Chemiefabrik

Diesen Effekt nutzen auch Konzerne, die keine großen Summen investieren. Henkel-Chef Hans Van Bylen etwa will das Wachstum seiner Kosmetiksparte mit dem Thema „vegan“ ankurbeln. So hat er im Februar die Shampoomarke „Schauma“ in überarbeiteter Form auf den Markt gebracht. Beim Relaunch hat das preisgünstige Label eine neue Verpackung erhalten, vor allem aber eine „neue vegane Formel“.

Der Clou: Eigentlich gilt für Naturkosmetik, dass aus Erdöl gewonnene Inhaltsstoffe durch pflanzliche Bestandteile ersetzt werden müssen, künstliche Duftstoffe durch ätherische Öle, andere Chemikalien entfallen ganz. Das treibt bei oft schlechterer Wirksamkeit die Kosten in die Höhe. Die Ausweisung als „vegan“ ist billiger. Schließlich sind die Rohstoffe aus der Chemiefabrik in der Regel frei von tierischen Bestandteilen. Trotzdem macht sich das Label gut auf den Produkten.

Ähnlich verhalten sich viele Lebensmittelhersteller. Jahrzehntelang setzten sie etwa in Dosensuppen Speck und Fleischstückchen in teils homöopathischen Dosen zu. Jetzt brauchen sie die relativ teure Zutat nur wegzulassen – und schon können sie als vegan punkten.

Bei einigen Unternehmen allerdings ist die Euphorie bereits verflogen. Großschlachter Tönnies beispielsweise hat seine vegetarischen Fleischalternativen deutlich zurückgefahren. Konzernchef Clemens Tönnies hat beobachtet, dass zu wenig Kunden umsteigen. „Es werden keine Produkte neu entwickelt, der Markt soll auch nicht erschlossen werden“, sagt ein Sprecher. Vielleicht aber hat Tönnies auch einfach einen zu kurzen Atem für den anstehenden Kulturwandel.