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Grünen-Politiker Bloss: „Wir brauchen schon für 2030 verschärfte Klimaziele“

Der Grünen-Energiepolitiker im Europaparlament hält Ursula von der Leyens Green Deal immer noch für zu wenig. Ein einheitlicher CO2-Preis würde nicht funktionieren.

Bis 2040 soll die EU klimaneutral sein, fordern die Grünen. Foto: dpa
Bis 2040 soll die EU klimaneutral sein, fordern die Grünen. Foto: dpa

Als Teilnehmer der „Fridays-for-Future“-Demonstrationen fordert der 33-jährige Michael Bloss von Politik und Wirtschaft, sich endlich entschieden darum zu kümmern, die Klimaproblematik anzugehen. Seit Mai ist er selbst Teil der Politik: Er gewann für die Grünen ein Mandat für das Europaparlament und ist nun energiepolitischer Sprecher seiner Delegation.

Als solcher kritisiert er die Green-Deal-Pläne der neuen EU-Kommissionspräsidentin als zu wenig. Dabei hatte von der Leyen den Klimaschutz zu einer der Prioritäten ihrer Amtszeit gemacht, um auch die Stimmen der Grünen im Europaparlament von sich zu überzeugen. „Wir müssen also jetzt alles tun, um diese Klimakrise zu verhindern. Deswegen wollen wir Grünen im Europaparlament, dass der CO2-Ausstoß bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert wird und wir in Europa bereits im Jahr 2040 klimaneutral sind“, fordert Bloss.

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Der Autoindustrie in Deutschland käme eine wichtige Rolle bei der Transformation hin zu Klimaneutralität zu, meint Bloss: Deswegen ist es wichtig, dass die Branche gefördert wird, aber zugleich gefordert wird, dass die Umstellung auf Elektromobilität und alternative Antriebstechniken schnell passiert.“

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Bloss, Ursula von der Leyens Green Deal ist Ihnen noch nicht genug. Warum?
Der Green Deal ist ein Vorschlag, der in die richtige Richtung geht. Aber bisher ist dieser Green Deal ja noch nicht wirklich inhaltlich. Es gibt viele Überschriften und viele Ankündigungen, in welchen Bereichen es Gesetzesvorschläge geben soll. Wir müssen jetzt erst einmal genau schauen, was das für Gesetzesvorhaben sind und ob sie uns helfen, die Klimakrise abzuwenden.

Was missfällt Ihnen konkret?
Der für den Green Deal zuständige Vizekommissionspräsident Frans Timmermans hat kürzlich gesagt: Die Klimakrise ist wie ein Kometeneinschlag auf der Erde, bei dem wir schon jetzt berechnen können, dass er in 30 Jahren kommt, wenn wir nicht sofort handeln. Wir müssen also jetzt alles tun, um diese Klimakrise zu verhindern. Deswegen wollen wir Grünen im Europaparlament, dass der CO2-Ausstoß bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert wird und wir in Europa bereits im Jahr 2040 klimaneutral sind.

Kommissionspräsidentin von der Leyen kann auf keine feste Mehrheit im EU-Parlament zählen und muss sich deswegen für ihre Vorhaben immer wieder neue Mehrheiten organisieren. Dementsprechend ist es gut möglich, dass sie den Grünen bei vielen Vorhaben entgegenkommt. Die deutsche Wirtschaft jammert aber schon jetzt, dass sie vor allem das verschärfte 2030-Ziel nicht erreichen kann. Wie soll dann ein Ziel, wie die Grünen es fordern, erreichbar sein?
Nun ja, es gibt durchaus unterschiedliche Stimmen in der Wirtschaft: Viele Unternehmen sagen, dass sie schon bis 2040 klimaneutral sein können. Die Frage ist: Wer sind eigentlich diejenigen, die Produkte herstellen, die in einer dekarbonisierten Welt genutzt werden? Wer stellt die Elektrolyse her, mit der der erneuerbare Wasserstoff hergestellt wird? Wer stellt die Maschinen her, mit denen es komplette Stoffkreisläufe gibt – also keinen Abfall mehr, sondern nur noch Rohstoffe, die wiederverwertbar sind?
Wir wollen, dass diese industrielle Revolution der Dekarbonisierung in Europa stattfindet. Dazu müssen wir gezielt fördern, aber auch strategische Leitplanken setzen, damit sich diese Bereiche der Wirtschaft auch entwickeln können.

Und das Ziel für 2030, wie die Grünen es wollen? Das ist doch nicht machbar.
Wenn wir schon 2040 klimaneutral werden wollen, dann brauchen wir natürlich auch für 2030 verschärfte Ziele. Deswegen müssen wir jetzt die Rahmenbedingungen festlegen, nach denen die Unternehmen ihre Investitionen für die kommenden zehn bis 20 Jahre setzen können, sodass sie international wettbewerbsfähig bleiben in einer ganz veränderten Welt, in der es um dekarbonisierte Produkte geht.

Die Autoindustrie ist die Basis des Wohlstands in Deutschland und wird dadurch vor besonders große Probleme gestellt.
Klar ist die Autoindustrie eine wichtige Industrie in Deutschland. Gerade leidet sie unter unterschiedlichen Dingen, auch daran, dass es große Strafen gibt wegen des Dieselskandals, dass die Absätze in China nicht mehr so stark sind, und es deswegen an Geld für Investitionen mangelt, die dringend nötig sind.
Deswegen ist es wichtig, dass die Branche gefördert wird, aber zugleich gefordert wird, dass die Umstellung auf Elektromobilität und alternative Antriebstechniken schnell passiert. Es geht jetzt wirklich darum, diese Transformation hinzubekommen. Das ist nicht einfach.

Beim Thema Digitalisierung wurden wir schon von den US-Amerikanern und Asiaten abgehängt. Aber auch bei der Elektromobilität hängen wir hinterher: Tesla beispielsweise ist kein europäisches Unternehmen. Wie sollen wir da noch aufholen?
Beim Thema Batterietechnologie ist Europa gerade nicht auf der Höhe der Zeit, sondern die asiatischen Staaten. Südkorea ist dort Weltmarktführer. Deswegen müssen wir zusehen, dass bei der nächsten Generation von Batterietechnologien Europa wieder vorne mit dabei ist.
Denn wenn die nächste Stufe von industrieller Revolution nicht wieder in Europa stattfindet, dann haben wir ganz andere Probleme als die Frage von Strukturwandel; sondern dann werden wir wirklich den Anschluss an die Welt zu verlieren und das ist mit viel stärkeren sozialen Härten verknüpft. Deswegen ist es genau jetzt so wichtig, dort in diese Zukunftstechnologien zu investieren.

Der Autoverkehr gehört mit zu den größten CO2-Emittenden der EU, ebenso wie das Heizen von Gebäuden. Die Europäische Volkspartei (EVP) spricht sich dafür aus, die beiden Sektoren auch in den europäischen Emissionshandel mitaufzunehmen. Die Grünen sind dagegen. Warum?
Wir haben unterschiedliche Möglichkeiten, um unterschiedliche Bereiche zu regeln. Für die Gebäude gibt es zum Beispiel die Energieeffizienz-Richtlinien und für den Bereich Verkehr Flottenbegrenzungen. Das sind ordnungspolitische Maßnahmen, die auch schon Wirkung zeigen und die funktionieren. Wenn wir jetzt zusätzlich noch den Emissionshandel darauf ausweiten, dann haben wir dort eine Doppelbelastung. Das kann zu Schwierigkeiten führen.

Dafür ist die EVP dagegen, die Landwirtschaft in den Emissionshandel mitaufzunehmen. Auch Ursula von der Leyens Green-Deal-Pläne sind in Bezug zur Landwirtschaft sehr vage.
Da etwa 20 Prozent der CO2-Emissionen in Europa auf die Landwirtschaft zurückgehen, muss man sie auf jeden Fall im Rahmen des Emissionshandels thematisieren. Die CO2-Emissionen in dem Bereich müssen sinken, aber anzunehmen, dass der Emissionshandel alles lösen wird, ist falsch. Tatsächlich war er in den letzten zehn Jahren wenig wirksam. Außerdem: Für unterschiedliche Sektoren braucht man unterschiedliche CO2-Preise, um eine Wirkung zu erzielen. Im Energiebereich sorgt bereits ein CO2-Preis von 40 Euro für Änderungen, im Straßenverkehr erst bei rund 200 Euro, bei der Landwirtschaft sieht das nochmal anders aus. Man kann nicht alles miteinander handeln und denken, dass das funktioniert, sondern es braucht Anreize und eine bessere Verteilung von Geldern.

Langstreckenflüge sind sehr schädlich fürs Klima, trotzdem wird so viel geflogen wie nie. Sind deswegen Flugverbote oder -kontingente eine gute Idee?
Es ist eine gute Idee, den Bahnverkehr auszubauen und attraktiver zu machen. Es ist auch eine gute Idee, Fliegen so teuer zu machen, sodass es die ökologischen Kosten abbildet. Wir müssen dafür sorgen, dass es keine Übervorteilung des Flugverkehrs gegenüber dem Bahnverkehr gibt und dass Steuern auf Flugtickets und Flugkerosin erhoben werden. Am Ende muss es darum gehen, innerstaatliche Flüge durch einen guten Zugverkehr überflüssig zu machen. Wir sehen ja auch, dass das klappt: Seitdem es zwischen Berlin und München die Sprinterverbindung der Deutschen Bahn gibt, ist der Flugverkehr signifikant runtergegangen.

Also müssen die Wähler nicht fürchten, dass zukünftig eine Gesetzgebung kommt, nach der jeder pro Jahr nur noch eine Fernreise unternehmen darf oder gar nur eine alle zwei Jahre?
Es ist nicht die Intention der Grünen, dass wir Flugreisen mit Kontingenten versehen oder gänzlich verbieten. Aber es ist trotzdem unsere Intention, das Flugaufkommen zu verringern – und damit erheblich an CO2-Emissionen einsparen –, weil wir so einen guten Bahnverkehr haben.

Dafür müsste man weitere Trassen zwischen den Metropolen bauen. Das aber blockieren diejenigen vor Ort, die durch den Bau und Betrieb Nachteile befürchten. Wie kann man dieses Dilemma lösen?
Diese Konflikte gibt es und sie müssen demokratisch und zielgerichtet gelöst werden. So wie wir das in vielen Bereichen unseres Lebens machen. Dafür bedarf es eines Maßnahmepakets: Die Menschen, die durch neue Trassen betroffen sind, müssen an anderer Stelle mitgenommen werden – beispielsweise der Ausbau der regionalen Infrastruktur. So profitieren auch sie von den neuen Trassen. Es ist auch wichtig, die Verwaltungsverfahren zu beschleunigen, so dass etwas passieren kann.

Wie sehr bringt es Sie auf die Palme, dass nun im Zuge des Green Deals die Förderung von Atomkraft plötzlich wieder im Raum steht?
Dieser Ansatz ist natürlich großer Quatsch. Die Atomkraft ist immer noch so unsicher wie eh und je. Es gibt immer noch keine Lösung, wo genau über Hunderttausende bis Millionen Jahre dieser Atommüll gelagert werden soll. Auch abgesehen davon wird Kernenergie nicht dazu beitragen, diese Klimakrise abzuwenden. Die Bauzeiten von Atommeilern sind viel zu lang, außerdem ist Strom aus Atomkraft teurer als welcher aus erneuerbaren Energien.

Trotzdem bleibt das Problem der Dunkelflaute, also Tage, an denen keine Sonne scheint und kein Wind weht. Wie soll dann die Stromversorgung sichergestellt werden, wenn es keine Grundlastkraftwerke mit Kohle bzw. Atomenergie mehr gibt?
Mittlerweile sind wir in Deutschland bei fast 40 Prozent erneuerbare Energien – ohne Blackouts. Andere Länder sind da sogar noch weiter. Es zeigt einerseits, dass es geht, andererseits das wir die Energiewende nicht zum Nulltarif bekommen. Wir müssen investieren, anstatt wie momentan die Energiewende durch irrsinnige Gesetzesvorhaben abzusägen.
Es gibt also Lösungen. In der EU müssen wir das Stromnetz noch stärker integrieren. Denn irgendwo in Europa weht immer Wind oder scheint immer die Sonne. So wie der windstarke Norden Deutschlands den Süden des Landes versorgen muss, so kann das sonnenreiche Griechenland uns an Flautetagen versorgen – und gleichzeitig dort die Wirtschaft stärken. Die Entwicklung von besseren Speichertechnologien läuft und dann gibt es noch die erneuerbaren Gase, die dann in Grundlastkraftwerken verbrannt werden können.

Europa ist nur für etwa zehn Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Der Green Deal soll internationalen Druck ausüben. Doch wenn man sich das Ergebnis der Klimakonferenz in Madrid ansieht, hat das wohl nicht funktioniert.
Das ist schon sehr bitter, was in Madrid passiert ist. Wir müssen uns jetzt wirklich fragen: Wie ist mit Staaten umzugehen, wie zum Beispiel Brasilien, die partout einer Einigung im Weg stehen? Da müssen wir jetzt alle Register ziehen und ökonomischen Druck ausüben.
Trotzdem ist die EU neben den USA und China einer der größten CO2-Emittenten weltweit und muss deswegen als Vorbild vorangehen und ihre Partnerschaften mit den USA und China nutzen, um beide Länder zu ambitionierteren Zielen zu bewegen.

Was kann Europa denn machen, um die Schwellen- und Entwicklungsländer zu mehr Klimaschutz zu bewegen? Immerhin müssten diese ja auf ihr schnelles Wachstum verzichten.
Die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer haben das Glück, dass sie nicht jede Stufe der industriellen Entwicklung mitmachen müssen, sondern gleich in die neuesten Technologien einsteigen können. Dazu brauchen sie diese Technologien und auch deren Finanzierung von den Industrieländern. Nehmen wir Indien als Beispiel: Dort wurden ganz viele Kohlekraft-Projekte auf Eis gelegt, weil mittlerweile der Strom aus der Sonnenenergie so viel günstiger ist: Für die Inder ist es also sinnvoller Solarkraftwerke zu bauen. Hätten Industriestaaten diese Technik nicht entwickelt, würde das anders aussehen. Auf diese Weise nehmen wir also auch Schwellen- und Entwicklungsländer mit auf unserem Weg in eine klimaneutrale Welt.

Zum Schluss eine kleine Zeitreise ins Jahr 2050. Dann sind Sie knapp über 60. Was denken Sie, wie die Welt dann aussieht?
Wir können uns das noch nicht so richtig vorstellen. Genau, wie wir uns vor 30 Jahren nicht vorstellen konnten, was die Digitalisierung bringt. Im Jahr 2050 wird es dekarbonisierten Stahl geben, sehr viel bessere Zugverbindungen, unsere gesamte Energie werden wir aus den Erneuerbaren beziehen. Die jetzt auf die Straße gehende Klimageneration wird denken: Wow, unsere Generation hat dafür gesorgt, dass dieser Planet gerade noch am Globalinferno vorbeigeschlittert ist.

Und wenn sie es nicht schafft?
Die Wissenschaft sagt uns ziemlich klar, was passieren wird. Wir werden bis zum Ende des Jahrhunderts eine Erderhitzung haben, die zwei Grad auf jeden Fall übersteigt. Die erdatmosphärischen Dynamiken, die dann entstehen, können die Erderwärmung in den nächsten 100 bis 200 Jahren auf vier bis sechs Grad steigen lassen und die Menschheit kann das nicht mehr aufhalten. Bei so einer Temperatur ist menschliches Leben nur noch in sehr wenigen Gebieten auf der Erde möglich. Es wird eine Welt sein mit sehr viel Wüstenbildung und Verteilungskämpfen, mit Leid und Toten. Eine Welt, die wir uns gar nicht vorstellen, geschweige denn haben wollen.

Herr Bloss, vielen Dank für das Gespräch.