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"Die Geschäftsleitung kannte die Zahlen": Geschasste Mitarbeiterin wirft RBB-Direktoren Falschaussagen vor

RBB-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus (rechts) begrüßt die neue Interims-Intendantin Katrin Vernau. Wann wussten er und die anderen Direktoren, dass das Digitale Medienhaus des Senders über 188 Millionen Euro kosten sollte? - Copyright: Christophe Gateau/picture alliance via Getty Images
RBB-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus (rechts) begrüßt die neue Interims-Intendantin Katrin Vernau. Wann wussten er und die anderen Direktoren, dass das Digitale Medienhaus des Senders über 188 Millionen Euro kosten sollte? - Copyright: Christophe Gateau/picture alliance via Getty Images

Als der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) im Sommer in die Schlagzeilen geriet, rückte die Führung des öffentlich-rechtlichen Senders hinter den Kulissen zusammen. Für diskrete Absprachen nutzte der Führungszirkel um Intendantin Patricia Schlesinger plötzlich einen Verteiler mit privaten E-Mailadressen. So könnten Intendantin und Direktoren angesichts der drohenden Krise "ohne Mitlesende" kommunizieren, heißt es in einer internen Nachricht des RBB-Pressesprechers. Die Anweisung des Senders, "dienstliche Kommunikationswege" zu nutzen, spielte offenbar keine Rolle mehr.

Im Verborgenen beriet die RBB-Spitze dann auch über die Verteidigungsstrategie. Der Medienanwalt Christian Schertz sollte Angang Juli gegen die Enthüllungen von Business Insider zu dubiosen Beraterverträgen und Dinnerabenden bei Schlesinger vorgehen – für ein Stundenhonorar von 500 Euro, zuzüglich Mehrwertsteuer. "Ist das aus Eurer Sicht ok.?", fragte Susann Lange, die Juristische Direktorin, in einer vertraulichen E-Mail an die übrige Geschäftsleitung. "Wir zahlen bislang höchstens 350 Euro." Die Juristin bot an, die hohen Anwaltskosten über ihre Kostenstelle abzurechnen. Denn es gehe darum, "allgemein Schaden vom rbb und der GL (Geschäftsleitung, Anm.) fernzuhalten". Anschließend beauftragte der RBB Schertz tatsächlich – mit überschaubarem Erfolg.

Nach der fristlosen Entlassung von Schlesinger bemühen sich die verbliebenen Direktoren nun um persönliche Schadensbegrenzung. Sie präsentieren sich in der Rückschau ahnungslos, machtlos. Die übrigen Intendanten der ARD-Anstalten entzogen der Geschäftsleitung unlängst das Vertrauen. Jetzt ermittelt die Berliner Generalstaatsanwaltschaft nicht nur gegen Schlesinger, sondern nimmt auch Verwaltungsdirektor Hagen Brandstäter und Lange, die Juristische Direktorin, ins Visier.

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Die Ermittlungsbehörde wirft Brandstäter derzeit Untreue und Lange Beihilfe zur Untreue vor. Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner erklärte auf unsere Anfrage, der Vorwurf beziehe sich insbesondere auf die Einführung eines variablen Vergütungssystems beim RBB sowie Gehaltsfortzahlungen an Mitarbeiter, die keine Beschäftigung mehr ausübten. Beides hatte Business Insider enthüllt. Brandstäter und Lange äußerten sich auf Anfrage nicht zum Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft. "Wir bitten um Verständnis, dass es zum aktuellen Zeitpunkt kein Statement des RBB zum Vorgang gibt", erklärte eine RBB-Sprecherin.

Spätestens mit der Ausweitung der staatsanwaltlichen Ermittlungen kämpft das Führungspersonal der Ära Schlesinger ums Überleben an der Senderspitze. Wie lange können sich die Direktoren noch halten? Zur Ex-Intendantin sind ihre früheren Gefolgsleute längst auf Distanz gegangen. Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus, bis zur Wahl von Interims-Intendantin Katrin Vernau geschäftsführender Sender-Chef, sprach in einer Betriebsversammlung nur noch von "Frau Schlesinger", statt wie bisher von "Patricia".

Frühere Leiterin der Intendanz soll gehen

Abgerückt ist die Geschäftsleitung auch von der Leiterin der Intendanz, Verena Formen-Mohr, bei der viele Fäden für den Bau eines Digitalen Medienhauses (DMH) zusammenliefen. Sie wurde zunächst freigestellt. Nun droht ihr eine außerordentliche Kündigung. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, die Kostenentwicklung beim Medienhaus-Projekt verschleiert zu haben. Die Personalabteilung konfrontierte Formen-Mohr mit einem umfangreichen Fragenkatalog – hauptsächlich zum DMH. Business Insider liegen die von einer Anwaltskanzlei an den RBB übermittelten Antworten vor. Das 37 Seiten lange Schreiben bringt die Verantwortlichen in Erklärungsnot. Es weckt Zweifel an der Arglosigkeit der Top-Manager bei dem teuren Bauvorhaben.

Nach einer drohenden Kostenexplosion auf 188 Millionen Euro hat der RBB das Prestigeprojekt vorläufig gestoppt. Die offenbar lange unter Verschluss gehaltene Summe schlug Ende Juli in der Belegschaft ein wie eine Bombe. Ein Mitarbeiter sprach in einer internen Versammlung in Anspielung auf die ausufernden Kosten des Berliner Flughafens von einem „kleinen BER“. Eine zentrale Frage in der jetzigen Aufarbeitung lautet, wer im Sender wann von den verheerenden Zahlen gewusst habe. Interne Dokumente zeigen, dass die Direktoren frühzeitig im Bilde waren. Haben diejenigen, die Aufklärung versprachen, ihre eigene Rolle in dem Planungsdesaster herunterspielen wollen?

"Die Geschäftsleitung kannte die Zahlen"

Folgt man den Führungskräften, konzentrierte sich das Herrschaftswissen in der obersten Chefetage. Dagegen erklärt Formen-Mohr über ihren Anwalt: "Die Geschäftsleitung kannte die Zahlen." Aber allen Beteiligten sei klar gewesen, dass diese "keinerlei Verbindlichkeit" hätten. Formen-Mohr zeichnet den Informationsfluss aus ihrer Sicht minutiös nach. Schon am 1. November 2021 soll ein Projektmanager der Führungsebene "detailliert und ausführlich" seine "konkreten Schätzungen" erläutert haben. Die Geschäftsleitung habe eine "vorgezogene Optimierungsphase" beschlossen, um die Kosten zu drücken. Schlesinger soll mit ihren Direktoren damals Stillschweigen verabredet haben, mit wenigen Ausnahmen. Zu den Eingeweihten gehörten demnach Formen-Mohr und RBB-Chefredakteur David Biesinger, die beiden Vorsitzenden des Medienhaus-Lenkungsausschusses, sowie Unternehmenssprecher Justus Demmer.

Dann legte der Projektmanager einen Quartalsbericht vor – offenbar erstmals mit der brisanten Kalkulation über 188 Millionen Euro. Eine der Fragen der Personalabteilung an Formen-Mohr lautet: "Stimmt es, dass Sie in der Folge weder dem Lenkungsausschuss noch anderen am Projekt Beteiligten die neue Kostenschätzung mitgeteilt haben?" Doch offenbar war Formen-Mohr nicht die einzige, die den Bericht kannte. Am 27. November 2021 leitete sie das Dokument weiter. Adressaten waren die Intendantin und ihre Direktoren. In Kopie ging die E-Mail, die Business Insider vorliegt, auch an Chefredakteur Biesinger und RBB-Sprecher Demmer. Den zwischenzeitlich zurückgetretenen Chef des Verwaltungsrats, Wolf-Dieter Wolf, will die Leiterin der Intendanz im vergangenen November ebenfalls über die Kostenschätzung unterrichtet haben.

Als "unrichtig" weist Formen-Mohr daher eine Aussage von Biesinger zurück, der im Namen des Lenkungsausschusses vor der Belegschaft beklagt hatte: "Alle Fragen nach Zahlen, alle Fragen nach Verträgen, Beraterverträgen wurden über zwei Jahre immer deutlich abgemeiert mit: Das ist Sache der Intendanz." Die Punkte seien Sache der Geschäftsleitung gewesen – also auch der Direktoren. Sie und Biesinger hätten sich "verbindlich verpflichtet", die Zahlen vorerst nicht weiterzugeben. Die nun aufgetauchten E-Mails werfen ein neues Licht auf die angebliche Unwissenheit des Chefredakteurs.

Verwaltungsdirektor Brandstäter und sein Finanzchef sollen den Quartalsbericht mit den 188 Millionen Euro laut Formen-Mohr schon vor ihr gehabt haben, für Modellrechnungen zur Finanzierung. Auch vor Kreditgesprächen im vergangenen Frühjahr kalkulierten die Finanzleute des RBB mit 188 Millionen Euro für das Medienhaus. Das belegen interne Dokumente aus dem März und April. Der Betrag taucht in einer mittelfristigen Finanzplanung bis 2026 auf. Er findet sich auch im Entwurf eines Antwortschreibens an die brandenburgische Staatskanzlei. Damals bemühte sich der RBB für die Banken um eine Haftungszusage der Länder Berlin und Brandenburg. Verschwand die horrende Zahl aus der endgültigen Fassung des Schreibens nach Potsdam? Brandenburgs Regierungssprecher Florian Engels bestätigte am Dienstag einen Mailverkehr mit dem Sender. Eine Summe in Höhe von zirka 189 Millionen Euro sei jedoch nicht genannt worden.

Als Brandstäter am 9. März im Verwaltungsrat gebeten wurde, die Zahlen für das Großprojekt zu erläutern, wich der für das Geld zuständige Direktor aus. Er könne "leider keine Angaben zum Gesamtkostenrahmen" machen. Zwar blieb die Kostenschätzung in Höhe von 188 Millionen Euro laut Protokoll unerwähnt. Sehr wohl ging es im Verwaltungsrat aber um einen Teilbetrag: 125 Millionen Euro, die ein Generalunternehmer allein für den Bau des Medienhauses erhalten sollte. Das heißt: Für das Kontrollgremium hätte auf der Hand liegen müssen, dass das Großprojekt noch deutlich teurer kommt. Denn investieren musste der RBB unter anderem auch in die Medientechnik.

Kritisch zeigte sich damals die heutige Vorsitzende des Verwaltungsrats, Dorette König. Sie erwarte mehr Kostentransparenz, erklärte König. Denn es handele sich um ein "riesiges Investment" des RBB. Sie bekam das Angebot, mit Formen-Mohr und Beratern über das Bauvorhaben zu sprechen, stellte aber weiter Fragen. Das veranlasste ihren Vorgänger als Chef des Verwaltungsrats, König daran zu erinnern, dass er "zuständiger Berichterstatter" für das Digitale Medienhaus sei. Das schrieb Wolf-Dieter Wolf am Tag vor der nächsten Sitzung des Verwaltungsrats in einer E-Mail an König. Wolf reklamierte für sich, Fragen zu dem Großprojekt zuerst mit den Verantwortlichen im Sender zu besprechen und dann an den Verwaltungsrat weiterzugeben. "Das ist im Interesse der Transparenz sicher auch nach Ihrer Auffassung der richtige Weg", schrieb er in der E-Mail an König.

Bei einer Klausur der Geschäftsleitung am 22. März mahnte Intendantin Schlesinger angeblich, man müsse die Anforderungen herunterschrauben. Das Haus dürfe nicht mehr als 160 Millionen Euro kosten. So wird die ehemalige Sender-Chefin in Formen-Mohrs Anwaltsschreiben an die Personalabteilung wiedergegeben. Doch in den folgenden Kostenprognosen blieb es bei 188 Millionen Euro, unter anderem im ersten Quartalsbericht 2022. Formen-Mohr versandte ihn am 23. Mai an die Geschäftsleitung und den Chefredakteur. Betreff: "Persönlich/vertraulich!"

Programmchef Schulte-Kellinghaus sagte Anfang September den Beschäftigten, die Intendanz habe die Zahlen "schon im Dezember oder im November" gekannt. Formen-Mohr, die als enge Vertraute von Schlesinger galt, habe "entschieden, wem sie welche Kostenstände sagt". Ihm und der Geschäftsleitung soll vermittelt worden sein, man komme "von diesen Summen runter", erklärte Schulte-Kellinghaus. "Ich habe jetzt im Sommer gelernt, dass die 188 Millionen doch verlässlich sind und eigentlich schon stehen." Selbstkritisch fügte er an: "Da kann man sagen: Lieber Herr Schulte-Kellinghaus, was für einer Gurkentruppe gehörst du an, dass ihr das nicht irgendwie geschnallt habt, aber es ist so."

Zahlen zum Digitalen Medienhaus: Mitarbeiterin fühlt sich "unter Druck" gesetzt

Öffentlich bekannt wurde die schwindelerregende Kalkulation für das Digitale Medienhaus erst mit den Vorwürfen gegen Schlesinger. Daraufhin habe die Juristische Direktorin Lange versucht, sie "per Mail unter Druck zu setzen", so Formen-Mohr. In ihrem Antwortschreiben an die Personalabteilung ist eine E-Mail von Lange abgedruckt. Darin geht es um eine Kostenübersicht vom 25. Juli, in der unter "Kostenprognose intern" erneut 188 Millionen Euro stehen. "Daraus ergeben sich höhere Kosten für das Bauprojekt als bislang prognostiziert", schreibt Lange zu der internen Übersicht. Diese Zahlen seien der Führung "bislang so nicht bekannt" gewesen. Sollte der Eindruck entstehen, die Verantwortlichen hätten aus diesem Dokument zum ersten Mal von einer Kalkulation in dieser Größenordnung erfahren? Formen-Mohr solle die Geschäftsleitung "von der Kenntnis der Kostenschätzung freistellen", habe Lange verlangt. "Sie machte Formulierungsvorschläge am Telefon, wie ich auf die Mail von ihr zu antworten habe", schildert Formen-Mohr.

Auch bei den umstrittenen Beraterverträgen für das Digitale Medienhaus bemühen sich die Direktoren mittlerweile, eine Brandmauer zwischen sich und die gestürzte Intendantin Schlesinger zu ziehen. Programmdirektor Schulte-Kellinghaus berichtete bei der Betriebsversammlung am 1. September, auf der Führungsebene habe es "richtig Zoff" gegeben, als es darum ging, den Immobilienexperten Martin Lepper weiter als Berater zu beschäftigen. Lange habe als Juristische Direktorin auf eine Ausschreibung bestanden. "Ich brauche eine Justiziarin, die Lösungen liefert und nicht Bedenken hat", soll Schlesinger sie darauf angefahren haben. Als Schulte-Kellinghaus das in der Schalte mit den Mitarbeitern erzählte, konnte Lange ein Lächeln nicht verbergen, berichten Teilnehmer.

Unerwähnt ließ der Programmchef, was Business Insider kürzlich enthüllte: 2020 durfte der RBB den Experten Lepper nach einer abgebrochenen Ausschreibung nicht mehr als Berater für das Medienhaus engagieren. Um Lepper im Projekt zu halten, gingen Schlesinger und ihre Direktoren im Oktober 2020 mehrere Lösungen durch. Das belegen Ermittlungsakten. Ein Vergaberechtsexperte wertet diese Überlegungen als "Verabredung zum Rechtsbruch". Im Fragenkatalog der Personalabteilung wird Formen-Mohr mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe den Protokollführer aufgefordert, die heiklen Passagen aus dem Sitzungsprotokoll zu streichen. Dagegen erklärt die freigestellte Leiterin der Intendanz, dass Justiziarin Lange darum gebeten habe, diese "nicht schriftlich" festzuhalten.

Den Akten zufolge soll Formen-Mohr vorgeschlagen haben, den Berater über die Tochterfirma RBB Media zu beauftragen. Lange war zum damaligen Zeitpunkt eine von zwei Geschäftsführerinnen des Unternehmens, das sich hauptsächlich ums Werbegeschäft des Senders kümmert. Tatsächlich erhielt Lepper in der Folge einen Vertrag bei der RBB Media als Berater für die "Campus-Entwicklung" rund um das geplante Medienhaus. Daneben sollte der als Rechtsanwalt zugelassene Immobilienexperte als Subunternehmer einer Anwaltskanzlei fungieren. Anhand von internen Dokumenten lässt sich nachvollziehen, dass Lepper weiterhin für den RBB am Digitalen Medienhaus arbeitete.

Die Auftritte bei der Betriebsversammlung hat Formen-Mohr offenbar aufmerksam registriert. Ihr Anwalt wirft der Geschäftsleitung eine "in Teilen falsche Darstellung der Sachverhalte" vor. Die Rede ist von einem "Narrativ", das die Führung "von allen Versäumnissen (und möglicherweise auch Haftungsfragen?) freistellen" solle.