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Genossenschaft – eine Lösung für Firmen mit Nachfolgeproblem?

Auch wenn das Betriebsklima seit jeher gut ist: Standing Ovations hatte es bei einer Mitarbeiterversammlung der IT-Firma Iteratec für die beiden Gründer Klaus Eberhardt und Mark Goerke, beide Mitte 50, dann doch noch nie gegeben. Zwei Jahre lang hatten sie gegrübelt, wie sie als Alleineigentümer einmal ihre Nachfolge regeln sollten.

Übernahmeangebote von großen Systemhäusern und anderen Bietern hatte es immer wieder gegeben. Bei einem Verkauf aber sahen viele der 300 Beschäftigten die kreative Firmenkultur in Gefahr. Das Thema sorgte für Unruhe.

Und dann stellten Eberhardt und Goerke vor einigen Wochen bei ihrem Workshop in Oberstdorf in einer prächtigen Bergkulisse ihre Lösung vor: Sie gründen eine Genossenschaft für die Kollegen, auf die in zwei Schritten alle Anteile an der Iteratec GmbH übertragen werden.

Mitglied der Genossenschaft kann jeder Beschäftigte werden. Die Kollegen waren erst einmal verdutzt – und standen dann auf und applaudierten. „Wir glauben, das ist ein tolles Modell für die Nachfolge, um ein Unternehmen in seinem Kern zu erhalten“, sagt Mitgründer Eberhardt.

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Die kreative Softwarefirma, die namhafte Großkonzerne wie Daimler, BMW und die Deutsche Bahn zu ihren Kunden zählt, geht damit aus zweierlei Gründen einen ungewöhnlichen Weg. Zum einen gibt es bislang nur relativ wenige IT-Firmen, die sich für das Genossenschaftsmodell entschieden haben.

Modell ist noch wenig verbreitet

Die Datev ist der prominenteste Fall. Im Beritt des Bayerischen Genossenschaftsverbands gibt es aber inzwischen etwa ein Dutzend IT-Genossenschaften. „Die Zahl hat in den vergangenen Jahren zugenommen“, sagt Genossenschaftspräsident Jürgen Gros. Oft schließen sich zum Beispiel Freiberufler mit gemeinsamen Interessen zu einem Genossenschaftsbündnis zusammen. Das Modell passe perfekt in ein Zeitalter, in dem alle von Vernetzung reden, ist Gros überzeugt.

Bislang ist die Genossenschaft als Nachfolgemodell noch wenig verbreitet. Viele übertragen an die nächste Generation. „Diese Bürde würde ich meinen Kindern nicht auferlegen wollen“, sagt Goerke. Andere verkaufen an einen größeren Wettbewerber oder wählen ein Stiftungsmodell.

Dass bei Iteratec das Unternehmen nun über den Weg der Genossenschaft in den Besitz der Kollegen übergehen soll, ist kein Zufall. Manager und Unternehmer betonen üblicherweise immer, dass für sie der Kunde an erster Stelle stehe. „Man sollte es ja gar nicht laut sagen, aber bei uns sind die Mitarbeiter noch wichtiger als die Kunden“, sagt Goerke.

Er und Mitgründer Eberhardt haben dafür auch eine plausible Begründung. „Wir müssen immer die besten Mitarbeiter gewinnen“, sagt Eberhardt, „unsere Leute müssen besser sein, als die Kollegen in den eigenen IT-Abteilungen der Kunden.“ So aber hatte BMW die Spezialisten von Iteratec beauftragt, die Software hinter dem Drive-Now-Carsharing-Angebot zu entwickeln, statt dies im eigenen Haus zu tun.

Dass sich alles um die Mitarbeiter dreht, zeigt sich schon bei einem Blick in die neue Zentrale. Bunte Sessel und Lounges laden überall zum Entspannen ein, es gibt einen Kreativraum mit Sitzsack und einen Innenhof mit modernem Grill. In der Bistroküche treffen sich die Beschäftigten gern auch noch nach Feierabend.

Bei der Gestaltung durften die Mitarbeiter mitentscheiden, und so gibt es einen spacigen Orange-Raum ebenso wie ein Superheldenzimmer. Sogar eine Band haben die Beschäftigten gegründet.

Dabei ist Iteratec aus der Startup-Phase schon herausgewachsen. Goerke und Eberhardt haben das Unternehmen 1996 gegründet, zuvor hatten sie bereits einige Jahre bei einem IT-Systemhaus gearbeitet. Die junge Firma war ohne Unterstützung der Banken finanziert und ist bis heute im Alleinbesitz der beiden Gründer. So konnten sie sich ihre ganz eigene Firmenkultur leisten.

„Wir sind nicht zahlengetrieben“, sagt Eberhardt. Das Ergebnis eines Jahres sei eher unerheblich. Es gelte, spannende Kundenprojekte zu entwickeln, und die Qualität der Mitarbeiter weiter zu verdichten. Ziel sei es, eine „Umgebung von Exzellenz“ zu schaffen.

Und so hatten die beiden früh auf einen Führungsstil gesetzt, der heute modern ist: Flache Hierarchien, keine Abteilungsstrukturen, Kritikkultur. Ihre Aufgabe nennen die beiden „dienende Führung“, sie wollten das Umfeld zu einer „intrinsischen Motivation“ führen. Das mag für manche ein wenig esoterisch klingen, doch es zeitigt Erfolg – und damit stimmen auch die Zahlen.

Die Umsätze wachsen in den meisten Jahren prozentual zweistellig. Zuletzt kam Iteratec auf Erlöse von 37 Millionen Euro, die angegliederte Beratung Kobaltblau Management Consultants steuert noch einmal zehn Millionen Euro bei. Iteratec entwickelt für zahlreiche Kunden individuelle Softwaresysteme und ist an Technologieprojekten wie dem neuen Otto-Shop und der Mini-Datenbrille beteiligt.

Die beiden Gründer wollten nach eigenen Angaben schon immer erreichen, dass die Mitarbeiter „das Unternehmen selbst gestalten“. Einen ähnlichen Ansatz hat ja zum Beispiel auch Siemens-Chef Joe Kaeser, der eine Unternehmerkultur etablieren will. Dazu förderte er die Ausgabe von Mitarbeiter-Aktien und appellierte an die Beschäftigten, stets so zu handeln, als ob es ihr eigenes Unternehmen wäre.

„Ein Modell, das sich aus sich heraus finanziert“

In einem Großkonzern mit all seiner Bürokratie und den Hierarchien ist das noch einmal schwerer als in einem Softwarehaus mit 300 Beschäftigten, die auf mehrere Standorte verteilt sind. Da ist nun die Übertragung der Anteile an eine Mitarbeiter-Genossenschaft nur konsequent. „Wir hatten uns überlegt, dass es am besten wäre, die Verantwortung zu 100 Prozent an die Mitarbeiter zu übertragen“, sagt Eberhardt.

Bei einem Management-Buyout hätten sich einige wenige Führungskräfte hoch verschulden müssen, beim Verkauf an einen Konzern hätte eine zahlengetriebene Unternehmenskultur gedroht. „Wir hätten ein schlechtes Gewissen gehabt“, sagt Goerke.

Stattdessen werden nun 49 Prozent der GmbH-Anteile übertragen, der Rest soll in fünf bis sieben Jahren folgen, wenn sich das Modell bewährt hat. Goerke und Eberhardt verschenken das Unternehmen nicht. Allerdings geben sie die Firma zum halben Preis der fairen Bewertung ab. Und den Kaufpreis geben sie der Genossenschaft gleich wieder als Darlehen.

Wenn die Geschäfte weiter gut laufen, kann sich dieses langfristig auszahlen. „Es ist ein Modell, das sich aus sich heraus finanziert“, sagt Eberhardt. Für die beiden Gründer bedeute dies aber auch, dass man mit dem Modell nicht reich werde, ergänzt Goerke: „Doch wir haben uns gefragt: Wie wichtig ist uns Geld? Wir nagen ja nicht am Hungertuch.“

Jeder Beschäftigte kann künftig gegen Zahlung eines Beitrags Mitglied der Genossenschaft werden. Die Mitgliedschaft endet bei Ausscheiden aus der Firma. Die Genossenschaft hält die Anteile an der GmbH, die weiter eine operative Geschäftsführung hat.

„Es ist wichtig, klare Strukturen zu haben“, sagt Goerke. Auch Genossenschafts-Präsident Gros betont, Unternehmen wie die Datev hätten einen normalen Vorstand und Aufsichtsrat. „Wenn die Strukturen etabliert sind, kann man genauso gut und schnell entscheiden wie bei anderen Modellen.“

Einer der wenigen Vorläufer von Iteratec ist die Hamburger Oose Innovative Informatik eG. Teilhabe und Eigenverantwortung der Mitarbeiter haben man nicht nur predigen, sondern auch leben wollen, heißt es dort. Und so wandelte man die 1998 gegründete Firma 2014 in eine Genossenschaft um.

Die Datev war eher aus einer Notlage heraus als Genossenschaft gegründet worden. In den 60er-Jahren standen die Kanzleien von Steuerberatern vor einer Flut arbeitsintensiver Buchhaltungsaufträge. Fachkräfte waren nur schwer zu finden.

Differenzierungsfaktor gegenüber börsennotierten Konkurrenten

Die elektronische Datenverarbeitung versprach Abhilfe – war aber teuer. So schlossen sich 65 Steuerbevollmächtigte aus dem Kammerbezirk Nürnberg 1966 zu einer Genossenschaft zusammen, um die neuen Möglichkeiten der EDV gemeinsam nutzen zu können.

„Gemeinsam Ziele zu erreichen, das ist der Grundgedanke einer jeden Genossenschaft“, sagt Datev-Chef Robert Mayr. „Wir sind nicht an kurzfristiger Gewinnoptimierung interessiert, sondern am Erfolg unserer Mitglieder heute und in Zukunft.“

Die genossenschaftliche Aufstellung sei ein wichtiger Differenzierungsfaktor gegenüber zum Beispiel börsennotierten Konkurrenten. Heute hat die Datev 40.500 Mitarbeiter und kommt als einer der größten IT-Dienstleister und Softwarehäuser in Deutschland auf knapp eine Milliarde Euro Umsatz.

Genossenschaftspräsident Gros hofft, dass das Modell von Iteratec Schule macht. „Es stehen viele Unternehmensübertragungen an.“ Bislang gehöre das Genossenschaftsmodell sicher nicht zum Standard-Werkzeug der Berater. „Wir werben aber dafür.“ Denn das Modell erlaube einen langfristig planbaren, sukzessiven Übergangsprozess, der sowohl den Interessen des Unternehmers, als auch der Mitarbeiter entgegenkomme.

Davon sind sie auch bei Iteratec überzeugt. Natürlich gebe es auch Risiken. „Doch das Unternehmen kann in seinem Kern erhalten werden“, ist Goerke überzeugt. Nun müsse man nur weiter daran arbeiten, immer die richtigen Mitarbeiter zu finden. Und da kann das Versprechen, Miteigentümer des Unternehmens werden zu können, durchaus ein gewichtiges Lockmittel sein.