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Forscher warnen Union vor wachsendem Populismus in den eigenen Reihen

Eine neue Studie zeigt: Vor allem Union und FDP laufen Gefahr, im Umgang mit der AfD sich selbst zu schaden. Nur eine Partei scheint alles richtig zu machen.

Rechtspopulismus, Hass und eine Bundesregierung im Krisenmodus: Ein Jahr nach der Bundestagswahl gibt es viel Anlass für Verunsicherung in Deutschland. Wie stark bröckelt der Zusammenhalt? Sind Stabilität und das Vertrauen in Politik und Staat in Gefahr? Herrschen bald Weimarer Verhältnisse?

Dass die politische Unsicherheit derzeit so groß ist, hat viel mit einer Partei zu tun – der Alternative für Deutschland (AfD) – und den Reaktionen der anderen Parteien auf den ausgeprägten Populismus der AfD-Funktionäre im Bund und in den Ländern. Ein Grundproblem dürfte darin bestehen, dass es Union, SPD, Grüne, FDP und Linke bislang nicht vermocht haben, eine wirksame Strategie zu entwickeln, um die Rechtspopulisten im Zaum und aus den Parlamenten zu halten.

Dabei hätte es durchaus Möglichkeiten gegeben, der AfD Paroli zu bieten, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) zeigt, die am heutigen Montag in Berlin vorgestellt wurde. Die Parteien hätten verstärkt auf Gerechtigkeitsthemen setzen können. Stattdessen haben aber manche dem AfD-Populismus einen eigenen Populismus entgegengesetzt.

So etwa der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Nach seinen Äußerungen über eine „Anti-Abschiebe-Industrie“ wurde der CSU-Politiker von der SPD in die Nähe der AfD gerückt. Aber auch in der CSU kamen solche Ausfälle nicht gut an. Selbst langjährige Mitglieder fühlten sich von der Parteilinie in Asylfragen nicht mehr vertreten.

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Ende Juni verabschiedete sich etwa der Bamberger Domkapitular Peter Wünsche aus der CSU – nach 44 Jahren Parteizugehörigkeit. Er tat damit seinen Unmut kund über eine Entwicklung, die er nicht mehr bereit war, mitzutragen. Eine Entwicklung, die auch in der Bertelsmann-Studie eine Rolle spielt.

In der im Mai und August 2018 von Infratest Dimap durchgeführten Befragung von 3.400 Wahlberechtigten kommen die Forscher zu interessanten Ergebnissen. Ein Jahr nach der Bundestagswahl haben populistische Einstellungen in der Bevölkerung demnach zugenommen – vor allem in der Mitte. Dass die AfD als Auslöser dieses Trends gilt und somit auch davon profitiert, ist nicht überraschend. Neu ist, dass der zunehmende Populismus nicht ohne Wirkung auf die anderen Parteien geblieben ist, ihnen aber eher schadet als nützt.

Als besonders problematisch erweist sich laut der Studie die Zunahme populistischer Einstellungen für die CDU/CSU und abgeschwächt auch für die FDP: „Beide Parteien riskieren durch mehr Populismus ihren unpopulistischen Markenkern“, resümieren die Wissenschaftler.

Sowohl die Union als auch die Liberalen hätten in der unpopulistischen Mitte mehr zu verlieren, als sie bei populistischen Wählern gewinnen können. Das nütze vor allem den Grünen, „die im klar unpopulistischen Segment der linken Mitte zum Marktführer werden“. Die SPD reibe sich dagegen im Spagat zwischen den populistischen und unpopulistischen Segmenten ihrer Wählerschaft zunehmend auf.

Mit ihrem sogenannten „Populismusbarometer“ knüpfen die Forscher an eine Untersuchung aus dem Wahljahr 2017 an, in der sie die populistischen Einstellungen der Deutschen und ihr daraus resultierendes Wahlverhalten schon einmal untersucht haben. Seinerzeit waren populistische Einstellungen in Deutschland bereits weit verbreitet.

„Wähler der Mitte wählen AfD, weil sie populistisch ist“

Doch seit der Bundestagswahl, so das zentrale Ergebnis der aktuellen Untersuchung, hat sich dieser Befund weiter verschärft. Mehr als drei von zehn Wahlberechtigten in Deutschland (30,4 Prozent) sind populistisch eingestellt. Das sind etwa 4 Prozent mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig hat sich der Anteil explizit unpopulistischer Wähler um gut 11 Prozent verringert.

Befördert wurde die Entwicklung laut der Studie vor allem dadurch, dass der Populismus inzwischen weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist. Die Wissenschaftler stellen demnach die größten Verschiebungen dort fest, wo sowohl die größten Anstiege als auch die größten Abnahmen populistischer Einstellungen sichtbar werden.

In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies: Etwa jeder achte Wahlberechtigte (12,7 Prozent) ist derzeit populistisch eingestellt und verortet sich selbst in der politischen Mitte. Im Vorjahr war es noch etwa jeder Neunte. Verschärft wird diese Zunahme des Populismus in der politischen Mitte durch den gleichzeitig um etwas mehr als ein Fünftel abnehmenden Anteil explizit unpopulistischer Wähler.

Profitieren konnten davon bisher vor allem die politischen Ränder und mit Abstand am stärksten die AfD. Die Veränderung der Wahrscheinlichkeit AfD zu wählen, steige mit zunehmendem Populismus in der Mitte deutlich stärker als bei den rechten Wählern der AfD, ergibt die Analyse der Wissenschaftler. Damit übernehme der Populismus der AfD in der politischen Mitte eine ähnliche Mobilisierungsfunktion wie ihre ideologisch rechte Positionierung im Spektrum rechter Wähler.

„Rechte wählen AfD, weil sie rechts ist. Wähler der Mitte wählen AfD, weil sie populistisch ist. Populismus ist damit das trojanische Pferd der AfD in der politischen Mitte“, erläutert Wolfgang Merkel, Demokratieforscher des WZB und Mitautor der Studie. Denn an sich ist das Wählerpotenzial der AfD begrenzt, wie die erstmals im „Populismusbarometer“ erhobenen negativen Wahlabsichten zeigen.

Am ganz rechten Rand käme die AfD auf 70 Prozent

Danach lehnen mehr als sieben von zehn (71 Prozent) aller Wahlberechtigten die AfD grundsätzlich ab und würden sie „auf keinen Fall“ wählen. Damit liegt die AfD in der Wählerablehnung in etwa auf dem Niveau der rechtsextremen NPD.

Andererseits erreicht die AfD laut der Studie im „extrem populistischen Segment“ der deutschen Wähler eine Zustimmung von durchschnittlich mehr als 30 Prozent und im „extrem rechtspopulistischen Segment“ sogar von etwa 60 Prozent. Am ganz rechten Rand der Populisten in Deutschland liegt das Wahlergebnis der AfD sogar bei 70 Prozent. Das heißt: Sieben von zehn der extremen Rechtspopulisten wählen AfD. Bei den unpopulistischen Wählern fällt die Zustimmung zur AfD dagegen deutlich geringer aus. Laut der Studie sind gut zwei Drittel (69,6 Prozent) der Deutschen gar nicht oder nicht explizit populistisch eingestellt.

Aber was bedeutet der Befund für den politischen Kampf um die Wähler der politischen Mitte? Wie könnten erfolgversprechende Gegenstrategien der etablierten Parteien aussehen? Die Antworten der Wissenschaftler sind hier relativ eindeutig. Sie warnen insbesondere die Union davor, die AfD mit deren Mitteln zu bekämpfen.

Schon jetzt befänden sich CDU und CSU in einer „Zangenbewegung zwischen zunehmend unpopulistisch-bürgerlichen Grünen aus der linksliberalen Mitte und der rechtspopulistischen AfD von rechts“, heißt es in der Studie. „Das passive Hinnehmen oder gar aktive Betreiben eines weiter anschwellenden Populismus in ihren Reihen wäre deshalb für die Union eine höchst riskante Strategie mit sehr ungewissem Ausgang.“

Im Zweifel können solche strategischen Fehler der AfD sogar einen noch größeren Rückenwind bescheren. „Je populistischer die anderen Parteien agieren, desto stärker bestätigen sie das populistische Original und öffnen der AfD damit neue Wählerschichten“, warnen die Forscher. Gleichzeitig gäben sie ihre eigenen Wähler aus der unpopulistischen Mitte preis.

Populismusresistenz wird bei den Grünen zum neuen Markenkern

Die einzig erfolgversprechende Strategie der etablierten Parteien liegt aus Sicht der Experten deshalb in einer entschlossenen Bekämpfung des Populismus, nicht in seiner Nachahmung. „Durch kluge Politik und eine klare Haltung, die mit dem Anspruch verbunden ist, die politische Mitte über die Gefahren des Populismus für die Demokratie aufzuklären und den anschwellenden Populismus der Mitte zu stoppen.“

Wie das geht und wie erfolgreich man damit bei den Wählern sein kann, zeigen ihrer Ansicht nach die Grünen. Durch den wachsenden Populismus der bürgerlichen Parteien werde die unpopulistische Ausrichtung der Öko-Partei zu ihrem neuen Alleinstellungsmerkmal: „Sie sind im Populismusbarometer 2018 die mit Abstand am wenigsten populistische Partei“, resümieren die Forscher. „Ihre Populismusresistenz wird zu einem neuen Markenkern der grünen Wählerschaft.“

Dabei schneidet die Partei bei den negativen Wahlabsichten mit einem Wert von 31 Prozent schlechter ab als die politische Konkurrenz. CDU/CSU und FDP liegen bei 29 Prozent. Die SPD erhält von allen Parteien die geringsten Ablehnungswerte (23 Prozent), während der Wert bei der AfD bei über 70 Prozent liegt.

Das ist jedoch nur als Momentaufnahme zu verstehen, zumal, wie die Forscher zu bedenken geben, die populistische Mobilisierung der AfD in der politischen Mitte immer mehr Wähler anspricht.

Wirksame Anti-AfD-Strategie nur mit Fokus auf Sozialpolitik

Mit welchen Themen und Positionen die etablierten Parteien auch populistisch eingestellte Menschen erreichen könnten, zeigt das Populismusbarometer anhand von Fragestellungen zu verschiedenen Sachthemen. Wie schon vor der Bundestagswahl 2017, bleibt die Forderung nach „mehr Europa“ auch 2018 eine von allen Parteien bislang ungenutzte Mobilisierungschance.

Laut der Studie sind es aber vor allem sozialpolitische Themen, wie „steuerpolitische Umverteilung“ und „Wohnungsbau“, die sich als „Brückenthemen“ zwischen den populistischen und unpopulistischen Wählerlagern am besten eignen. Allein die Forderung nach „viel höheren Investitionen in den sozialen Wohnungsbau“ erhöht aus Sicht der Forscher die Zustimmung bei Populisten und Nicht-Populisten um jeweils 15 Prozentpunkte.

„Die sozialen Fragen sind die wichtigsten Brückenthemen für eine Gesellschaft, die sich kulturell und sozial immer tiefer spaltet“, ist der Wissenschaftler Merkel überzeugt. „Sollten sich die etablierten Parteien nicht um diese soziale Themen kümmern, werden die Populisten das übernehmen.“