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Europäische Innovationen setzen US-Tech-Konzerne unter Druck

Lange galten Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley als unverwundbar. Doch auf der Digitalkonferenz DLD zeigt sich: Deutsche Unternehmer ziehen nach.

Sheryl Sandberg ist eine begabte Rhetorikerin: In ihrem Vortrag auf der Burda-Digitalkonferenz DLD stellt die Facebook-Chefin, wo immer möglich, Gemeinsamkeiten mit einem Publikum her, das dem sozialen Netzwerk nach dem Missbrauch von Nutzerdaten durch die zwielichtige Analysefirma Cambridge Analytica (CA) und anderen Skandalen mit Misstrauen begegnet.

„Welches Internet wollen wir?“, überschreibt sie ihre Rede und dieses „wir“ ist dann wechselnd die ganze Gesellschaft und das Management von Facebook – als hätte man ohnehin immer die gleichen Ziele und Interessen. Dabei spricht Sandberg doch von Facebooks ureigenen Problemen: „Wir müssen Missbrauch schneller stoppen, müssen die Daten unserer Nutzer besser schützen, müssen Vertrauen zurückgewinnen, nicht nur mit Worten, sondern mit Taten.“

Taten plant sie einige: Sandberg kündigt in München eine Initiative mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik an, um die Beeinflussung der Europawahl durch ausländische Akteure zu verhindern. Mit 7,5 Millionen Dollar will sie ein unabhängiges Institut für Ethik der Künstlichen Intelligenz an der TU München gründen. Sandberg will nach vorn schauen, doch jedes Projekt ist eine Reaktion auf die Fehler der Vergangenheit.

Die Datenskandale, das schwächelnde Nutzerwachstum, der Absturz der Aktie und Gerüchte, dass die lange unumstrittene Sandberg um ihre eigene Karriere kämpft. 2018 war ein Horrorjahr für Facebook. „Warum die Vergangenheitsform?“, fragt der ehemaliger Amazon-Topmanager Diego Piacentini sarkastisch, als er nach Facebook gefragt wird.

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Das neue Jahr sei doch weitergegangen wie das alte – wenige Tage vor Sandbergs DLD-Auftritt meldete die „Washington Post“, dass die Aufsichtsbehörde FTC eine Rekordstrafe gegen Facebook wegen der CA-Affäre ausspreche.

Von Europa aus wird das Straucheln des blauen Riesen erstaunt verfolgt. Lange galten die Konzerne aus dem Silicon Valley als unverwundbar. Drang einer von ihnen auf einen neuen Markt, stürzten die Aktienkurse der Etablierten. Wer ein großes Tech-Unternehmen aufbauen wollte, musste oft sowieso ins Silicon Valley, um nah bei potenziellen Mitarbeitern und Kapitalgebern zu sein.

Rocket Internet, Europas größter Kapitalgeber für Start-ups, gründete seine E-Commerce-Unternehmen meist da, wo Amazon noch nicht war – den direkten Wettbewerb scheute sein Chef Oliver Samwer.

Das hat sich geändert. Starke Konkurrenten sind die Amerikaner immer noch, doch der deutsche Minderwertigkeitskomplex ist weg: „Früher hat es Sinn gemacht, ins Silicon Valley zu fahren und sich anzuschauen, wie Innovationen passieren“, sagt Albert Wenger, Managing Partner bei Union Square Ventures in New York. „Heute kann man sich das genauso gut in Berlin oder London anschauen.“

Der gebürtige Franke Wenger kennt sich auf beiden Kontinenten aus: Union Square Ventures hat früh in Twitter, Tumblr und Etsy investiert, aber auch in die Berliner Menstruations-App Clue oder den Londoner Kreditanbieter Funding Circle. Er selbst sitzt im Aufsichtsrat der Münchener Cloud-Computing-Firma SimScale. „Der Standort einer Firma wird immer unwichtiger“, sagt Wenger.

Neue Fonds mit Europa-Fokus

Für den alten Kontinent sei dies ein Vorteil. „Inzwischen fließt sehr viel Kapital in neue VC-Firmen mit Fokus Europa.“ Laut dem „European Venture Report“ des Datenanbieters Pitchbook überschritten die Risikokapitalinvestments in Europa 2018 erstmals die Grenze von 20 Milliarden Euro.

Der Investor Lakestar und die vor allem in Nordeuropa und Asien tätige Investitionsgruppe EQT haben neue Fonds mit Europa-Fokus aufgesetzt. Top-Financiers von der Westküste geben ihr Geld in Europa aus, darunter Sequoia oder Benchmark. Der Letztgenannte bewies einst bei Ebay, später bei Instagram und Uber das richtige Gespür. Anfang Dezember investierte Benchmark in das Kölner Spracherkennungs-Start-up DeepL, das als besseres Google Translate gilt.

Auch bei Unternehmern ist das neue europäische Selbstbewusstsein zu spüren: Wenn Andreas Kunze das Silicon Valley besucht, wohnt er immer noch im Zimmer über der Garage von Andreas von Bechtolsheim.

Der Multi-Gründer und frühe Google-Investor, der mit seinen Erfindungen den Internetboom der 90er-Jahre erst ermöglichte, zählt zu den Investoren von Kunzes Münchener Sensorik-Start-up Konux. Konux stattet Gleisanlagen mit smarten Sensoren aus, die Alarm schlagen, bevor die Weichen ausfallen und es zu Verspätungen kommt. Die Deutsche Bahn ist bereits ein Kunde, in Frankreich und Schweden wird die Technologie getestet.

Der 27-jährige Kunze begeistert die US-Investoren. Zu seinen Financiers zählen neben von Bechtolsheim etwa NEA, eine der ältesten und größten Risikokapitalfirmen der Welt.

Doch eines unterscheidet die beiden gebürtigen Bayern Bechtolsheim und Kunze: Während Bechtolsheim nach seinem Stanford-Studium Kalifornien nie mehr den Rücken kehrte, sieht Kunze keinen Grund, ins Valley umzuziehen. Der Hauptsitz des 50-köpfigen Start-ups liegt in München – und soll auch da bleiben.

„Vor fünf Jahren bin ich noch ins Silicon Valley gefahren, um Geld einzusammeln, heute kriege ich es auch hier“, sagte Kunze am Rande des DLD. Zwanzig der insgesamt 50 Millionen Dollar Investment kommen aus Deutschland, darunter von den deutschen Fonds MIG und Upbeat Ventures.

Auch der Talentsuche für sein Unternehmen schadet die Heimatverbundenheit Kunzes nicht: Der junge Gründer zog sogar Talente von der US-Westküste nach Deutschland. Sebastien Schikora von Tesla etwa, der für den Elektroautobauer die Energie-Produktlinien organisierte. Auch eine ehemalige IBM-Spezialistin, die vorher im Valley arbeitete, ist jetzt in München.

Von Diego Piacentini sollte man eigentlich ein vernichtendes Urteil über Europas digitale Hoffungen erwarten. Der Mailänder hat das Beste und das Schlimmste gesehen: Ab dem Jahr 2000 baute er Amazons internationales Geschäft auf und wurde zu einem der wichtigsten Manager von Amazon-Chef Jeff Bezos. 2016 kehrte er nach Italien zurück, um die bürokratische Verwaltung des Landes zu digitalisieren.

Doch Piacentini sieht viele Bereiche, in denen europäische Digitalunternehmen mit der US-Konkurrenz mindestens auf Augenhöhe seien: beim digitalen Bezahlen, bei Gesundheitsdiensten, im Maschinenbau oder bei KI-Anwendungen.
Dabei sieht er nicht alles rosig. Er fleht geradezu, die neuen Schlachten zu schlagen statt die alten: „Versucht nicht, das europäische Google zu bauen“, sagt er. „Google gibt es schon. Versucht die Voraussetzungen zu schaffen, dass so etwas wie Google auch in Europa entstehen kann.“

Piacentini meint damit die guten US-Universitäten wie Stanford, wo die Google-Gründer Larry Page und Sergej Brin ihre Suchmaschine entwickelten. „Das sollte Europa kopieren.“

Bei den Plattformkämpfen der 2000er- und 2010er-Jahre sei die Kleinteiligkeit Europas ein Nachteil gewesen. „Von den USA aus haben wir Europa immer als einheitlichen Markt gesehen“, sagt Piacentini. So hätte Amazon immer einen Vorteil gegenüber den weitgehend nationalen Händlern gehabt, von den Umsätzen aus dem großen Heimatmarkt ganz zu schweigen.

Bei den Geschäftsfeldern, die aktuell aufgeteilt werden, sei pure Größe dagegen selten entscheidend. Den Netzwerkeffekt, der Amazon half, kleinere Online-Marktplätze platt zu walzen, gebe es in diesen Märkten nicht oder sie funktionierten anders.

Bei der KI muss Europa hoffen, dass das stimmt. Der Kontinent hat keine großen Plattformen à la Google und Amazon oder ähnlich viele Daten und klar definierte Staatsziele wie die Chinesen. Der ehemalige Google-Präsident in China und heutige KI-Investor Kai-Fu Lee sagt, für Europa bleibe die „Bronze-Medaille“ im KI-Rennen – aus seiner Sicht ein wertloser Trostpreis.

Chancen bei Künstlicher Intelligenz

Chris Boos widerspricht. Die Europäer stünden besser da, als oft behauptet wird, argumentiert der Co-Gründer von Arago, einem KI-Pionier aus Frankfurt. „Wir besitzen das nötige Wissen über Industrie, Wirtschaft und Prozesse in den Fabriken oder beim Maschinenbau, das für gute KI unabdingbar ist“, sagt Boos. Bisher beruht der Boom bei KI auf Maschinenlernen. Neuronale Netze erkennen die Welt, indem sie Informationen auswerten.

„Doch nicht alle Probleme lassen sich mit vielen Daten lösen“, argumentiert Boos. Man nehme nur das autonome Fahrzeug, das sich mithilfe von Maschinenlernen ein Abbild der Umwelt verschafft. „Doch weil die Welt sich rasant weiterentwickelt, veraltet das Wissen noch während die Maschinen lernen und wird irrelevant.“ So könne die Maschine etwa bei Sonnenschein navigieren, nicht jedoch bei Regen oder Schnee.

Nicht nur bei neuen Technologien, selbst in etablierten Branchen trotzen europäische Unternehmer der US-Konkurrenz, statt sich einschüchtern zu lassen. Niklas Östberg ist seit 2011 Chef von Delivery Hero, vor knapp einem Jahr brachte er den globalen Betreiber von Essensliefer-Plattformen an die Börse, wo er heute mit mehr als sechs Milliarden Euro bewertet ist.

Doch der größte Einschnitt in der Geschichte des Berliner Unternehmens kam im Dezember – als Delivery Hero seine Keimzelle verkaufte: das Deutschland-Geschäft rund um Lieferheld und den Fahrradlieferdienst Foodora. „Wir haben größere Schlachten zu schlagen, im Nahen Osten, in Ostasien oder Lateinamerika“, sagt Östberg.

„Uber Eats ist dort ein starker Konkurrent geworden.“ Seit 2014 lässt der Taxi-Dienst aus San Francisco seine Fahrer auch Essen bringen. Für den in diesem Jahr geplanten Börsengang von Uber ist „Eats“ der wichtigste Erzählstrang der künftigen Wachstumsstory.

Östberg hat deshalb radikal gehandelt: Er hat das Deutschland-Geschäft nicht bloß verkauft, vielmehr auch noch an den Lieferando-Betreiber Takeaway aus Amsterdam, mit dem man sich jahrelang eine teure Werbeschlacht lieferte. Neben 508 Millionen Euro bezahlte Takeaway auch mit 18 Prozent seiner Aktien.

Die einst verfeindeten Unternehmen sind nun aufeinander angewiesen. „Die ärgsten Feinde werden manchmal besonders enge Partner – weil sie sich respektieren“, sagt Östberg. Ein ziemlich europäischer Gedanke.