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EU-Kommission wehrt sich gegen Kritik an ihrer Haushaltskontrolle

Hochrangige EU-Vertreter stellen sich dem Vorwurf entgegen, sie rechneten den finanzpolitischen Spielraum von Krisenländern künstlich klein.

Es kommt selten vor, dass Topbeamte der EU-Kommission öffentlich ihre Politik verteidigen. Adam Tooze und Robin Brooks haben sie mit ihrer „Kampagne gegen unsinnige Produktionslücken“ dazu gebracht. Auf dem Ökonomieportal „Vox“ begründen hochrangige Kommissionsvertreter, warum deren Kritik „konzeptionell und empirisch falsch“ sei.

Die Kommission rechne bei der finanzpolitischen Aufsicht über die Mitgliedstaaten falsch. Autoren sind Marco Buti, Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen, Werner Röger, Leiter der Abteilung Modelle, und vier weitere Ökonominnen und Ökonomen der Kommission.

Der Brite Tooze, ein renommierter Historiker an der Columbia University, und der Deutsche Brooks, Chefvolkswirt der internationalen Großbankenlobbyorganisation Institute of International Finance (IIF), hatten in ihrer über soziale Meiden betriebenen Kampagne kritisiert, die Budgetvorgaben für die EU-Mitgliedstaaten gäben – anders als beabsichtigt – Ländern mit schlechter Konjunkturlage keine Spielräume für höhere Defizite.

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Ob ein Land in einer Konjunkturkrise steckt und zusätzlichen Spielraum bekommen sollte, misst die Kommission am Abstand von Wirtschaftsleistung und potenzieller Wirtschaftsleistung, der sogenannten Produktionslücke. Diese ist ein Maß für die Unterauslastung der Produktionsfaktoren.

Das Problem dabei: Das Produktionspotenzial kann man auf viele verschiedene Weisen schätzen. In der EU wurde sich auf eine einheitliche Methode verständigt, die Tooze und Brooks angreifen. Dabei berufen sie sich auch auf Studien von Philipp Heimberger vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.

Dieser hat nachgewiesen, dass quasi automatisch Ländern mit schwachem Wirtschaftswachstum ein geringes Wachstumspotenzial zugeschrieben wird. Denn die Wachstumsraten der jeweils letzten Jahre nimmt das Rechenmodell zum Maßstab des Möglichen.

Das führte zum Beispiel zeitweise dazu, dass Spanien eine Vollauslastung des Produktionspotenzials attestiert bekam, obwohl die Arbeitslosigkeit bei rund 20 Prozent lag. Und dazu, dass Italien, das seit Jahren in einer Wirtschaftskrise steckt, für 2019 die gleiche minimale Unterauslastung zugeschrieben wird wie der deutschen Wirtschaft.

Berechnungsmethode führt zu Fehldeutungen

Was bisher vor allem ein Thema für die Südländer war, könnte bald für Deutschland wichtig werden, das gerade in die Rezession gleitet. Denn nicht nur die EU-Regeln der Haushaltskontrolle, auch die deutschen Regeln zur Defizitbegrenzung richten sich nach der EU-Methode zur Berechnung der Produktionslücke.

Die Kommissionsvertreter gehen in ihrer Erwiderung mit dem Titel „Potential output and EU fiscal surveillance“ nicht auf die Kritik ein, dass durch die Berechnungsmethode länger andauernde Konjunkturkrisen automatisch in ein schwaches Wachstumspotenzial umgedeutet würden.

Sie argumentieren, es sei kein Wunder, dass die Produktionslücken von Deutschland und Italien sich trotz des sehr unterschiedlichen Wachstums gleich entwickelt hätten. Denn sowohl das Wachstum als auch das Potenzialwachstum seien in Deutschland dreimal so hoch gewesen wie in Italien. Damit setzen sie die von den Kritikern angegriffene eigene Potenzialschätzung als korrekt voraus.

Entsprechend wenig beeindruckt sind die Kritiker von der Kommissionserwiderung. „Der Artikel bietet keine Antwort auf die zentrale Kritik der „Campaign Against Nonsense Output Gaps“, urteilt Philipp Heimberger: dass nämlich methodenbedingt die Schätzungen der Produktionslücken regelmäßig mit dem tatsächlichen Wachstum nach unten angepasst werden.

Das geringe Wachstum in Ländern wie Italien ist aus Kommissionssicht nicht Zeichen einer Konjunkturschwäche, sondern strukturell bedingt, unter anderem durch zu geringe Investitionen. Das Argument der Kritiker, die dauerhaft niedrige Inflation mache eine Vollauslastung der Produktionskapazitäten unplausibel, kontert sie mit der Feststellung, es gebe viele Einflüsse, die auf die Inflationsrate einwirkten, darunter geringe Lohnsteigerungen und Sondereinflüsse wie sinkende Ölpreise.

Frage nach der relevanten Inflationsrate

Dem hält Robin Brooks entgegen, dass er mit Kerninflationsraten argumentiere, die Sondereinflüsse weitgehend ausklammerten. Das niedrige Lohnwachstum, das die Kommissionsvertreter zur Erklärung der niedrigen Inflation anführen, reklamiert Brooks als Argument für seine eigene Sichtweise: „Niedriges Lohnwachstum ist ein anerkannter Indikator für Unterauslastung des Arbeitskräftepotenzials und widerspricht damit der These von der Vollauslastung der Produktionskapazitäten.“

Adam Tooze weist darauf hin, dass die Kommission nur auf die europäische Inflationsrate eingehe, nicht aber auf die wichtigeren Unterschiede zwischen den Südländern und dem Norden.

Dem Argument von den strukturellen Wachstumshemmnissen in Italien hält Tooze entgegen, dass diese wegen ihrer langfristigen Natur kaum taugten, ausgeprägte Schwächeperioden wie seit der Finanzkrise zu erklären. Brooks ergänzt, dass die niedrigen Investitionen in Italien und Spanien auch Folge der restriktiven Finanzpolitik seien und insofern eine indirekte Folge der Unterschätzung des Produktionspotenzials.

Die Kritiker schreiben den Produktionslücken nach Ansicht der Kommission eine zu große und zu mechanische Rolle bei der Fiskalüberwachung zu. Man habe die Möglichkeit, die Schätzung der Produktionslücke zu modifizieren, wenn sie unplausibel erscheine. Davon habe man im Fall von Spanien und Slowenien bereits Gebrauch gemacht.

Heimberger ist nicht überzeugt. Es sei nun einmal von wesentlicher Bedeutung, ob das maximal zulässige Defizit im Haushalt für 2020 bei gut zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liege, wie nach den Berechnungen der EU-Kommission, oder bei drei bis dreieinhalb Prozent, wie sie sich bei einer für Heimberger plausibleren Unterauslastung ergeben würde. Die Annahme beeinflusst wesentlich die Möglichkeiten der italienischen Regierung, die Konjunktur zu stützen.

Kommission bewertet Methode als robust

Letztlich widerspricht ein Ermessensspielraum der Kommission auch dem Ziel einer einheitlichen Methodik, Ungleichbehandlungen aufgrund der unterschiedlichen Größe und Macht der Länder oder der politischen Ausrichtung der Regierungen möglichst auszuschließen.

Eine Sprecherin der Kommission erklärte, die Methode zur Berechnung der Produktionslücken sei mit und von den Mitgliedstaaten entwickelt worden und habe sich über die Jahre als robust erwiesen. „Die Produktionslücke ist nur ein Teil des gesamten Analyserahmens und alle relevanten Faktoren müssen in Betracht gezogen werden“, fügte sie hinzu.

Als Alternative zur derzeitigen Methodik schlägt Robin Brooks vor, auf Maße der Unterbeschäftigung abzustellen, anstatt das Produktionspotenzial aus dem Wachstumstrend der letzten Jahre abzuleiten. Heimberger schlägt vor, die Potenzialschätzung nur noch alle drei bis fünf Jahre zu revidieren, anstatt zweimal im Jahr.

Dann hätte eine Regierung wenigsten in den ersten Rezessionsjahren den erwünschten Spielraum für die Konjunkturpolitik. Im günstigsten Fall könnte sie so die Abwärtsspirale aus Konjunkturschwäche und restriktiver Finanzpolitik vermeiden.