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Ehemaliger Start-up-Star Ali Jelveh wagt ein Comeback

Die schwüle Hitze scheint selbst für die Server unerträglich zu sein. Ein Handventilator kühlt die Rechner, die aus ihren Gehäusen befreit wurden. Ali Jelveh sitzt in kurzer Hose, T-Shirt und Flipflops in seinem Büro. Außer ein paar Tischen, einem Sofa und Computern steht hier nichts weiter. Ein ehemaliges Museum auf einer künstlichen Insel außerhalb San Franciscos, das ist Jelvehs Arbeitsplatz.

Rein optisch hat dieser mit seiner Vision nicht viel gemein: Denn der 37-jährige Gründer will sein Start-up groß rausbringen. „Unsere Absicht ist es, Protonet zur weltweiten Nummer eins für Kommunikation in privaten Clouds zu machen.“ Die Software, die ihm den Weg dorthin ebnen soll: Protonet Soul – ein Organisationstool, mit dem Firmen die Zusammenarbeit im Team vereinfachen können. Jelveh ist sich sicher, dass er damit die Art, Projekte zu planen und umzusetzen, revolutionieren kann.

Der Studienabbrecher zählte einst zu den Stars der deutschen Start-up-Szene, mit schickem Büro in Hamburg und 40 Mitarbeitern. 2014 stellten 1800 Schwarminvestoren in weniger als einer Woche drei Millionen Euro bereit. Nie zuvor hatte ein Start-up hierzulande so viel in so kurzer Zeit eingesammelt. Doch vor über einem Jahr ging Protonet pleite, Jelveh verschanzte sich in San Francisco. Von den Millionen der Crowdfunder ist nichts mehr übrig.

In Kalifornien wagt Jelveh jetzt sein Comeback. Von hier aus will er auch in Deutschland wieder durchstarten. Das heißt aber nicht, dass die Crowdfunder ihr investiertes Geld wiedersehen werden. „Das ist schwierig“, gibt Jelveh zögernd zu. Für ihn zähle in erster Linie der Erfolg. „Daran würden wir dann auch die Crowd beteiligen“, sagt er.

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Verschenkte Software

Es ist nicht das erste Mal, dass Jelveh großspurig etwas ankündigt. Schon einmal wollte er einen Riesen-Coup landen – mit orangefarbenen, blumentopfgroßen Servern. Mitten im NSA-Skandal versprach er, die Daten auf diesen privaten Cloud-Rechnern in Deutschland zu speichern. Eine Idee, die bei den Crowdinvestoren gut ankam. „Nach der erfolgreichen Finanzierung waren wir uns sicher, dass alles von alleine laufen würde“, sagt Jelveh heute. „Wir haben unserem eigenen Hype geglaubt.“ Er war so überzeugt, dass er seine Mails mit „Chief Revolutionary Officer“ signierte. Doch die Revolution blieb aus: Protonet verkaufte seine Server an gerade einmal 2500 Unternehmen.

Das Geld drohte auszugehen, bis im Frühjahr 2016 Y-Combinator einstieg – ein US-Gründerzentrum, das Start-ups in der Anfangsphase mehrwöchige Trainingscamps bietet. Heutige Milliardenkonzerne wie Airbnb oder Dropbox wurden so gefördert.

Voraussetzung: Jelveh musste eine neue Gesellschaft in den USA gründen, die Protonet Inc. Doch auch nach dem Umzug ins Silicon Valley schrieb Protonet nur rote Zahlen. Der Fehler: Jelveh veräußerte die Server für einige Tausend Euro pro Stück, verschenkte die Software aber auf Lebenszeit – ein Geschäftsmodell ohne wiederkehrende Umsätze.

Aufgeben kam für Jelveh auch nach der Insolvenz nicht infrage. Ohne Geld, ohne Mitarbeiter und ohne Investoren programmierte er weiter an seinem Lebenswerk. All das in einem Büro, in dem die Mauern bröckeln. In einem Gebäude, das den Charme des Vergänglichen versprüht. In einer Stadt, in der es mit Slack, Facebook und Dropbox von Konkurrenten nur so wimmelt.

Heute glaubt der Gründer zu wissen, woran er gescheitert ist. Er zeigt auf sein verschwitztes T-Shirt, auf dem die Antwort steht: „Make something people want.“ Vorher wollte er es den Investoren und der Vision recht machen, sagt er. „Jetzt zählt für mich nur noch der Wert für den Nutzer.“ Jelveh befreite deswegen seine Software aus den orangefarbenen Büchsen und lizenzierte sie.

Die Kunden mussten für Protonet Soul fortan eine monatliche Gebühr bezahlen, mittlerweile 79 Euro. Feste Mitarbeiter gibt es bei Protonet kaum noch. Je nach Aufwand arbeiten sechs bis zwölf freie Programmierer aus allen Ecken der Welt für das Start-up. Die Strategie scheint aufzugehen. Geld stecke zwar weiterhin nicht in Protonet, nur Umsatz. Aber angeblich wieder genug, um die Rechnungen zu bezahlen.

Protonet ist im Vergleich zur Konkurrenz ein kleiner Fisch

Jelveh blickt stolz auf seinen Überlebenskampf. Amerikanische Investoren würden das honorieren. „Im Valley suchen sie nicht nach Schön-Wetter-Entrepreneurs. Es geht darum, die zu finden, die sich durch Krisen durcharbeiten“, sagt er. In Deutschland sei das anders.

Tatsächlich dürfte es schwer werden, deutsche Crowdfunder von einem erneuten Investment zu überzeugen. Denn als Jelveh sein Start-up in die US-Gesellschaft überführte, kam es zum Streit mit den Schwarminvestoren. Sie befürchteten, dass ihre Anteile an Wert verlieren. Für manche sah der Umzug nach Amerika gar wie eine Flucht aus. Ein Vorwurf, den Jelveh zurückweist. „Ich habe die deutschen Crowdinvestoren nicht abgezockt“, betont er. Bis spätestens Ende 2022, so steht es im Vertrag, muss Protonet seine Finanzierer ausbezahlen. Allerdings nur, wenn die Firma bis dahin schwarze Zahlen schreibt.

Auf ihr Geld können aber nur jene hoffen, die über eine Beteiligungsgesellschaft am US-Unternehmen partizipieren. Ein halbes Jahr vor der Insolvenz hatten Investoren die Möglichkeit, in dieses Konstrukt zu wechseln. Wer das nicht tat, blieb an der deutschen GmbH beteiligt – und hat sein Investment so gut wie verloren. Der Hamburger Insolvenzverwalter Klaus Pannen hatte noch versucht, Protonet zu veräußern. Doch da die Software der US-Gesellschaft gehört, war die GmbH praktisch wertlos – niemand wollte sie kaufen.

Mit seiner Software will Jelveh nun von den neuen Datenschutzregeln der EU profitieren. An diesem Freitag tritt die Datenschutzgrundverordnung in Kraft. Auf der neuen Internetseite wirbt Protonet mit der DSGVO. Monatelang hatte sich dort nichts verändert: „Eine neue Homepage hatte keine Priorität, für uns ging es ums Überleben“, sagt Jelveh. Vor allem Anwälte würden nun auf seine Software aufmerksam. Ansonsten nutzen vor allem Mittelständler die Software.

Einer davon ist die Firma Becker aus Wuppertal, ein Hersteller für Vakuumpumpen. Ausbildungsleiter Marco Hausmann nutzt Protonet, um mit seinen Lehrlingen zu kommunizieren oder Projekte an seinen zwei Ausbildungsstandorten zentral zu organisieren. „Das Tool ist auch für die Azubis selbsterklärend. Ohne das können wir gar nicht mehr arbeiten.“

Nach Jelvehs Angaben gibt es rund 400 Kunden. Verglichen mit der Konkurrenz ist Protonet aber ein kleiner Fisch. Das US-Start-up Slack etwa, das ähnliche Funktionen anbietet, wird täglich von sechs Millionen Usern genutzt – und ist zudem mit über fünf Milliarden Dollar bewertet.

Das nächste Projekt

Kaum scheint Jelveh die Rettung seiner Firma gelungen zu sein, hat der umtriebige Hamburger schon das nächste Projekt im Sinn: Er arbeitet an künstlicher Intelligenz, hat schon ein neues Unternehmen gegründet – finanziert durch amerikanische Investoren. Die ersten Patente hat er bereits angemeldet. Details will Jelveh noch nicht verraten, nur so viel: „Dieses Mal wird es funktionieren.“

Christopher Blum wird bei diesem neuen Projekt nicht dabei sein. Gemeinsam mit Jelveh hatte er Protonet einst gegründet. Beide hatten davor bei Xing gearbeitet. Blum hält noch Anteile, aus dem operativen Geschäft hat er sich aber zurückgezogen. Nicht weil er am Erfolg von Protonet zweifelt, sagt er. Blum wolle in Hamburg bei seiner Familie bleiben. Er arbeitet jetzt als Berater.

Der Co-Gründer spricht mit ruhiger Stimme, wirkt zurückhaltend. Ganz anders als der quirlige Jelveh. Das sei damals eine gute Mischung gewesen, erinnert sich Blum. „Ali ist ein fantastischer und ehrgeiziger Mensch, der es versteht, andere Personen zu motivieren“, sagt Blum. „Aber er braucht Leute um sich herum, die ihn ab und zu auf den Boden zurückholen.“ Womöglich fehlt Jelveh gerade in diesem Moment genau so eine Person.