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Drei Viertel der Bundesbürger lehnen Roboter-Entscheidungen ab

Künstliche Intelligenz birgt ein „gigantisches Potenzial“ für die Industrie. Doch eine Umfrage zeigt: Deutschland ist in der algorithmischen Welt noch nicht angekommen.

Wenn Angela Merkel an diesem Mittwoch nach China reist, wird auch das Thema künstliche Intelligenz eine Rolle spielen. Mit einer 18-köpfigen Wirtschaftsdelegation will die Bundeskanzlerin auch die Metropole Shenzhen besuchen, die als Zentrum für chinesische Start-Ups und Künstliche Intelligenz gilt.

Die Zukunftstechnologie ist in aller Munde. Sie zählt zu den Schlüsselkomponenten, die nicht nur in den Produktionshallen für umfassende Veränderungen sorgen wird. Doch so weit ist es noch lange nicht. Merkel drückt daher aufs Tempo.

Man erlebe derzeit eine Explosion in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, sagte sie kürzlich auf einem DGB-Kongress in Berlin. „Und bei dieser Beschleunigung müssen wir mitmachen“, betonte die Kanzlerin. Die Bürger sollten keine Angst vor Daten und deren Nutzen haben. „Wer Angst vor Daten hat, wird bei der Künstlichen Intelligenz nicht mitmachen können“, warnte Merkel.

Doch in der Bevölkerung herrscht noch großes Unbehagen über die Zukunftstechnologie. Und das, obwohl die Technik dahinter, sogenannte Algorithmen, längst in unserem Alltag angekommen ist, wie der Einsatz von Sprachassistenten oder intelligenten Robotern zeigt.

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Trotzdem haben nur zehn Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen eine genaue Vorstellung davon, was Algorithmen sind und wie sie funktionieren. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.

Allenfalls hinter Dating-Apps wie Tinder oder individuell zugeschnittener Werbung im Internet vermuten etwa 50 Prozent der 1.221 Befragten algorithmischen Einfluss. Dass künstliche Intelligenz auch bei der Vorauswahl von Job-Bewerbern eingesetzt wird, weiß hingegen nur ein Drittel. Den meisten fehlt folglich eine Vorstellung davon, welche Bedeutung Algorithmen mittlerweile für ihr Leben haben.

In der Umfrage wird gar eine große Sorge deutlich, gerade wenn Maschinen komplett losgelöst vom Menschen entscheiden. 73 Prozent der Befragten unterstützen demnach ein Verbot von sogenannten vollautomatisierten Entscheidungen, die nur von Software und ohne direkte menschliche Beteiligung getroffen werden.

Die Ablehnung bezieht sich dabei nicht nur auf besonders intime Lebensbereiche, wie etwa im Gesundheits- oder Gerichtswesen, sondern umfasst sogar einfache Themen wie die Rechtschreibprüfung in Textverarbeitungsprogrammen. „Wenn Vertrauen in Technik fehlt, verkennen viele die Chancen von Algorithmen“, resümiert Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Viele Menschen schreckten vielmehr vor dem Gefühl zurück, einer algorithmischen Entscheidung ausgeliefert zu sein – egal wie trivial sie sei.

Gleichwohl wird auch der praktische Nutzen von Algorithmen – etwa als präzises und zeitsparendes Hilfsmittel – von der Hälfte der Befragten erkannt. Besonders positiv werden Algorithmen von denjenigen gesehen, die allgemein eine optimistische Einstellung zu technischem Fortschritt haben. Auch Menschen, die eine ungefähre Vorstellung über die Funktionsweise von Algorithmen haben, sehen sie in einem bessern Licht. Männer erkennen eher die Chancen als Frauen. Das Alter und formale Bildungsniveau spielt hingegen keine Rolle.

Der Bertelsmann-Experte Dräger wertet den Befund als Hinweis darauf, dass es in Deutschland noch an grundsätzlichem Wissen über den digitalen Wandel fehlt. „Wir müssen dringend lernen, die Chancen und Risiken von Algorithmen richtig abzuwägen.“

Dass 46 Prozent aller Befragten keine festgelegte Haltung zu Algorithmen hätten, zeige, dass die gesellschaftliche Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen sei. „Algorithmen und künstliche Intelligenz“, so Dräger, „sind bislang kaum Teil der öffentlichen Debatte.“ Dabei könnten sie zu mehr Chancengerechtigkeit, aber auch zu mehr Diskriminierung führen. Deshalb, mahnte Dräger, müsse jetzt darüber diskutiert werden, „wie wir Algorithmen in den Dienst der Gesellschaft stellen können“.

In der Wirtschaft ist der Nutzen unbestritten. Immer mehr Entscheidungen werden durch entsprechende Systeme automatisch getroffen. Und Roboter übernehmen schon heute zahlreiche Arbeitsschritte in den Werkhallen. Auf der Hannover Messe wurden jüngst aber auch die Vorbehalte gegenüber der Technologie diskutiert.

Es sei Aufgabe von Ingenieuren und Informatikern, einen Kontrollverlust beim Einsatz von künstlicher Intelligenz nicht zuzulassen, sagte seinerzeit Ralph Appel, Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure VDI. Entscheidungen, die von KI-Systemen vorgeschlagen oder getroffen würden, müssten für den Anwender plausibel und transparent sein. „Hierfür müssen die aktiven Player in die Pflicht genommen werden.“

Laut einer Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft BVDW glauben 48 Prozent der Befragten, dass der Mensch die Kontrolle beim Verhältnis Mensch-Maschine verlieren werde. 69 Prozent geht davon aus, dass durch Künstliche Intelligenz massenhaft Arbeitsplätze entfallen werden. Dass sich negative und positive Effekte die Waage halten werden, meint aber etwa die Hälfte (53 Prozent).

Einen Grund für die Befürchtungen sieht Ingo Notthoff vom BVDW darin, „dass das tatsächliche Verständnis, wie Künstliche Intelligenz funktioniert, insgesamt sehr gering ist“. Es handele sich um ein „sehr komplexes Thema“, für das zunächst Vertrauen aufgebaut werden müsse.

Gleichwohl wird die Industrie - schon allein, um wettbewerbsfähig zu bleiben - auf neue Technologien der Künstlichen Intelligenz gar nicht verzichten können. Neben den USA wird vor allem China als mächtiger Konkurrent gesehen. „China verfügt über einen riesigen Markt und eine große Anzahl von Menschen, die sich mit KI beschäftigen“, sagte Kurt Bettenhausen, Vorsitzender des VDI-Gremiums Digitale Transformation.

Neben Robotern und selbstlernenden Systemen gibt es eine Vielzahl an Verfahren. Viele seien von der Idee her nicht neu, aber heute hätten wir die Datenmengen und Technologien zur Verfügung, um sie zu realisieren, sagte Peter Breuer, Mathematiker bei der Beratungsagentur McKinsey. In neuronalen Netzen etwa, die dem menschlichen Gehirn nachgebildet sind, steckt nach Erhebungen von McKinsey ein „gigantisches“ Potenzial. Allein bei Technologien wie dem sogenannten Deep Learning sehen die Berater ein Wertschöpfungspotenzial in Höhe von bis zu 5,8 Billionen Dollar jährlich.

Um dieses Potenzial auch wirklich ausschöpfen zu können, muss aber bei den Bürgern noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Denn die Bertelsmann-Umfrage ergibt auch, dass sich das Unbehagen gegenüber Algorithmen auch bei denjenigen zeigt, die mehr über die Technologie wissen.

Zwar sieht diese Gruppe mehr Chancen in algorithmischer Entscheidungsfindung (42 Prozent) als die Gesamtbevölkerung (31 Prozent). Gleichzeitig haben diese Befragten aber auch für die Risiken ein geschärftes Bewusstsein (53 Prozent im Vergleich zu 47 Prozent aller Befragten).

Viele Menschen befürchten etwa, dass Programmierer zu viel Macht über das Leben von Menschen erhalten und Algorithmen manipulierbar sind. Es besteht unabhängig vom Bildungsniveau oder Einkommen der Wunsch nach einer engmaschigeren Kontrolle. Unterm Strich denken nur 13 Prozent der Menschen in Deutschland, dass Algorithmen gerechtere Entscheidungen treffen als Menschen.

Für den Bertelsmann-Experten Dräger steht somit fest, dass auf allen Ebenen Kenntnisse im Umgang mit Algorithmen fehlen. „Jeder Bürger braucht Digitalkompetenz, denn wir alle sind regelmäßig und direkt von algorithmischer Entscheidungsfindung betroffen.“ Zudem würde eine verstärkte öffentliche Auseinandersetzung über die Chancen und Risiken von Algorithmen helfen, den Einsatz von Algorithmen besser im Sinne der Bürger zu gestalten.

Dräger bemängelt, dass auf staatlicher Ebene die Digitalisierung nur langsam vorankommt und der Einsatz hilfreicher Algorithmen kaum stattfindet. „Der Staat sollte sich in den Fahrersitz setzen und Vorbild in der Anwendung und Förderung kluger, teilhabeförderlicher Algorithmen werden.“ Es sei auch eine staatliche Aufgabe, zu überprüfen, ob Algorithmen im Sinne der Menschen gestaltet werden, und die Bürger über deren Einsatz zu informieren. Ansonsten, warnt Dräger, sei es langfristig schwierig, das nötige Vertrauen der Menschen in den unaufhaltsamen technologischen Fortschritt aufzubauen.