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DGB-Chef Reiner Hoffmann äußert Sympathie für Konsumgutscheine

Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds spricht im Interview über steigende Arbeitslosenzahlen, die Schwächen des Sozialstaats und Helikoptergeld.

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, hält ein Konjunkturprogramm für erforderlich, um einen Absturz am Arbeitsmarkt zu verhindern. „Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm vorbereiten will. Es muss dann aber auch eine Lenkungsfunktion erfüllen“, sagte Hoffmann dem Handelsblatt. Es müsse in nachhaltige und moderne Arbeitsplätze investiert werden, weil Themen wie der Klimawandel oder die Digitalisierung durch das Corona-Virus ja nicht verschwänden.

Der Idee der Grünen, Konsumgutscheine an die Bürger zu verteilen, kann Hoffmann etwas abgewinnen. „Das ist ein interessanter Vorschlag, solange er zielgenau funktioniert und vor allem Menschen mit geringem Einkommen zugutekommt“, sagte der Gewerkschafter. „Jetzt einfach Helikoptergeld auszustreuen, das Wohlhabende im Zweifel nur auf die hohe Kante legen, macht keinen Sinn.“

Lohnzurückhaltung zur Bewältigung der Corona-Folgen will der DGB-Chef nicht versprechen: „Von der Parole, den Gürtel enger zu schnallen, halte ich nichts.“ Die Sozialpartner hätten bisher in der Krise ein sehr verantwortungsbewusstes Handeln an den Tag gelegt. Die Gewerkschaften hätten mit den Arbeitgebern das gemeinsame Interesse, die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen. „Aber wenn sie wieder läuft, müssen die Beschäftigten auch wieder angemessen an den Gewinnen beteiligt werden.“

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Lesen Sie hier das komplette Interview:

Der Shutdown lässt die Wirtschaft einbrechen. Wird es Massenarbeitslosigkeit geben?
Im Moment verhindert die Kurzarbeit, dass die Arbeitslosigkeit durch die Decke schießt. Es ist gut, dass wir aus der Finanzmarktkrise die Lehre gezogen haben, die Arbeitsagentur mit einer ausreichenden Rücklage auszustatten.

Wir müssen uns aber auch darauf einstellen, dass temporär die Arbeitslosenzahl nach oben gehen kann. Deshalb ist es gut, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds zumindest zeitweise um drei Monate verlängert wird. Trotzdem droht sich die soziale Spaltung zu vertiefen. Das müssen wir verhindern.

Warum so pessimistisch?
Viele Beschäftigte in Kurzarbeit haben Einkommensverluste von bis zu 40 Prozent, müssen aber weiter Miete oder die Stromrechnung zahlen. Das wird mit zu einer sozialen Verwerfung beitragen. Daran ändert auch der Koalitionskompromiss wenig, dass es nach vier Monaten nun 70 und nach sieben Monaten 80 Prozent Kurzarbeitergeld geben soll. Da hätte ich mir eine ambitioniertere Lösung gewünscht.

Von den Schwächsten am Arbeitsmarkt, die jetzt zuvorderst um ihren Job fürchten müssen, haben Sie gar nicht geredet: Leiharbeiter, Menschen mit Zeitverträgen, Minijobber …
Danach haben Sie ja noch nicht gefragt! Wir haben immer kritisiert, dass Minijobber nicht in der sozialen Sicherung sind und keinen Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld haben. Auch dass Soloselbstständige über eine Bürgerversicherung abgesichert werden sollten, fordern die Gewerkschaften schon lange. Die Coronakrise macht diese Defizite unseres Sozialstaats besonders deutlich.

Wird Ihnen schwindelig, wenn Sie sehen, welche Milliardenbeträge jetzt für Rettungspakete mobilisiert werden?
Es ist richtig, dass die Regierung rasch und zielgerichtet geholfen hat und Unternehmen vor dem Absturz schützt. Bei den Kosten wird mir nicht schwindelig. Nach derzeitigen Berechnungen steigt die Staatsverschuldung durch Coronahilfen auf 80 bis 85 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist verkraftbar. Bedenken habe ich an anderer Stelle.

Nämlich?
Ich bin nicht sicher, ob die Schuldenlast wirklich innerhalb von 20 Jahren abgetragen werden kann wie im Gesetz vorgesehen. Und mir macht Sorgen, dass Länder wie Spanien, Italien und Griechenland viel härter von der Krise getroffen werden als das wirtschaftlich starke Deutschland. Wir brauchen mehr europäische Solidarität.

Indem deutsche Arbeitnehmer, die um ihren Job fürchten, woanders Kurzarbeit und Arbeitslosengeld finanzieren?
Einspruch! Die 100 Milliarden Euro für das geplante europäische „Sure“-Programm zur Finanzierung von Kurzarbeit sind Kredite, die zurückgezahlt werden müssen. Wir sollten aber auch den nächsten Schritt hin zu einer europäischen Arbeitslosenversicherung gehen. Eine funktionierende Arbeitslosenversicherung wirkt als ökonomischer Stabilisator. Und im eng verflochtenen Exportland Deutschland können Arbeitnehmer kein Interesse daran haben, dass die Wirtschaft in unseren EU-Nachbarländern regelrecht abstürzt.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagt, man darf dem Gesundheitsschutz nicht alles andere unterordnen. Richtig?
Herr Schäuble hat darauf hingewiesen, dass wir einen sehr behutsamen Wiedereinstieg ins gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben brauchen. Denn wenn wir die Pandemie nicht in den Griff bekommen und ein zweiter Shutdown erforderlich sein sollte, wären die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen um ein Vielfaches größer.

Ist der Arbeitsmarkt ohne Konjunkturprogramm zu retten?
Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm vorbereiten will. Es muss dann aber auch eine Lenkungsfunktion erfüllen. Es muss in nachhaltige und moderne Arbeitsplätze investiert werden, weil Themen wie der Klimawandel oder die Digitalisierung durch das Virus ja nicht verschwinden.

Die Coronakrise hat der digitalen Arbeit einen enormen Schub verliehen, sie legt zugleich aber auch Schwächen unserer digitalen Infrastruktur offen. Wir müssen dafür sorgen, dass mobiles Arbeiten sozial verantwortlich geregelt wird.

Was halten Sie von Konsumgutscheinen für die Bürger?
Das ist ein interessanter Vorschlag, solange er zielgenau funktioniert und vor allem Menschen mit geringem Einkommen zugutekommt. Jetzt einfach Helikoptergeld auszustreuen, das Wohlhabende im Zweifel nur auf die hohe Kante legen, macht keinen Sinn.

Ist die Zeit großer Lohnerhöhungsrunden jetzt erst einmal vorbei, damit die Wirtschaft nach Corona wieder ans Laufen kommt?
Von der Parole, den Gürtel enger zu schnallen, halte ich nichts. Die Sozialpartner haben bisher in der Krise ein sehr verantwortungsbewusstes Handeln an den Tag gelegt. Wir haben mit den Arbeitgebern das gemeinsame Interesse, die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen. Aber wenn sie wieder läuft, müssen die Beschäftigten auch wieder angemessen an den Gewinnen beteiligt werden.

Die Koalition will künftig Belastungen für Beschäftigte und Unternehmen durch Gesetze und andere Regelungen möglichst vermeiden. Fürchten Sie, dass Gewerkschaftsanliegen wie die Regulierung der sachgrundlosen Befristung jetzt auf der Strecke bleiben?
Wenn einige Arbeitgeber jetzt ein Belastungsmoratorium fordern, dann ist das die falsche Antwort, denn ein Moratorium bedeutet immer Stillstand. Wir müssen aber, wenn das Schlimmste überwunden ist, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt organisieren. Da hilft es gar nicht, mit alten Forderungen aus der Mottenkiste zu kommen und zu sagen, jetzt ist wieder mal kein Geld da oder nicht der richtige Zeitpunkt.

2021 stehen Bundestagswahlen an. Könnte der Arbeitsmarkt wahlentscheidend sein?
Die Wähler werden die Parteien daran messen, welche Auswege aus der Krise sie aufzeigen – und da sind die Leistungen der Großen Koalition durchaus beachtlich, auch wenn die Union gerade bei sozialpolitischen Themen auf der Bremse steht. Ich hoffe sehr, dass ein paar Erkenntnisse aus der Krise von Dauer sein werden. Wir dürfen nicht heute die neuen Heldinnen und Helden der Arbeit feiern und morgen wieder vergessen, dass sie auch ordentliche Löhne und Arbeitsbedingungen brauchen.