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„In Deutschland wartet man auf die Zukunft, statt sie anzugehen“

Fast 30.000 Euro kostet der Schulplatz an der Deutschen Schule im Silicon Valley. Aber liegt's allein am Geld, dass der Distanzunterricht dort so gut gelingt? Nein, sagt die Schulleiterin, die beide Welten gut kennt.

Wie kann gutes digitales Lernen gelingen? Auch während der neuen Schulschließungen funktioniert der Distanzunterricht in Deutschland teils mangelhaft.  Foto: dpa
Wie kann gutes digitales Lernen gelingen? Auch während der neuen Schulschließungen funktioniert der Distanzunterricht in Deutschland teils mangelhaft. Foto: dpa

Kathrin Röschel, 55 Jahre, kommt aus Berlin. Sie studierte an der Humboldt-Universität Mathematik und Physik, ging gleich nach dem Mauerfall nach New York, wo sie einen Forschungsaufenthalt in Mathematik-Didaktik anschloss. Sie unterrichtete an der Deutschen Schule in Washington, leitete die deutsch-amerikanische John-F.-Kennedy-Schule und die Gail-S.-Halvorsen-Schule in Berlin. Seit März ist sie Schulleiterin der Deutschen Internationalen Schule im Silicon Valley, die zum Netzwerk der 140 deutschen Auslandsschulen gehört. In Mountain View wohnt sie zusammen mit ihrem Mann und ihrem jüngsten Sohn. Ihr Dienstwagen zum Pendeln zwischen den beiden Schulstandorten ist ein E-Auto.

WirtschaftsWoche: Frau Röschel, Sie waren Schulleiterin in Berlin, führen seit März die bilinguale Deutsche Internationale Schule im Silicon Valley (German International School of Silicon Valley (GISSV), kennen also beide Systeme. Sieht es an Ihren Schulstandorten in Mountain View und San Francisco ähnlich aus wie in der Heimat: Kein W-Lan in der Schule, zwei Dutzend Tablets für hundert Schüler, und Lehrer, die vom digitalen Unterricht sprechen, wenn sie Arbeitspapiere einscannen und als E-Mail schicken?
Kathrin Röschel: Nein, das gibt es bei uns selbstverständlich nicht, aber was Sie beschreiben, sind sicher die Extreme. Ich habe an meiner Schule in Berlin vorher auch keine Brieftaube losgeschickt.

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Viele deutsche Schulen sind vom System Brieftaube aber nicht so weit entfernt. Gerade zeigen die neuen Schulschließungen, wie wenig seit dem Frühjahr passiert ist – auch ein Grund, weshalb über schnelle Schulöffnungen trotz hoher Infektionszahlen debattiert wird. Um bei der Brieftaube zu bleiben: Es gibt immer noch Schulen, bei denen die Lehrer keine E-Mail-Adressen haben.
E-Mail-Adressen sind hier Standard, aber der größte Unterschied ist wohl tatsächlich die technische Ausstattung. An deutschen Schulen gibt es einen Lehrer, der sich zwei Stunden pro Woche um die gesamte IT der Schule kümmert. Hier habe ich technische Mitarbeiter, die nur fürs W-Lan und die Pflege der Geräte zuständig sind. Ab der dritten Klasse gibt es für alle Schüler Tablets von der Schule, ab der 9. Klasse bringt jedes Kind seinen Laptop mit. Auch digitale Lernplattformen haben wir vor der Pandemie schon genutzt.

Die GISSV ist allerdings auch eine Privatschule, die ein Programm von „Diaper“ bis „Diploma“ bietet: Die Ganztagsbetreuung im Kindergarten kostet pro Jahr rund 28.000 Dollar, die Grundschule rund 22.000 Dollar, die weiterführende Schule rund 28.000 Dollar, hinzu kommen weitere Gebühren für Aufnahme und Ausstattung. Macht Geld allein den Unterschied?
Es wäre überheblich zu sagen, dass das Geld keinen Unterschied macht. Natürlich ist es ein Luxus, wenn wir jedem Grundschüler zur Schulbuchausgabe ein Tablet überreichen, aber andererseits kostet so ein Gerät auch nicht viel mehr als der Bücherstapel, den jedes Kind bekommt. Außerdem sind viele Unterrichtsformen auch am Smartphone möglich, was es in den meisten Haushalten geben dürfte. An der Technik dürfte es in Deutschland also auch nicht scheitern – und am Geld eigentlich auch nicht, denn über den Digitalpakt stehen ja seit 2019 fünf Milliarden Euro für die digitale Bildung zur Verfügung.

Im Schnitt 120.000 Euro für jede der rund 40.000 Schulen. Das Geld kommt allerdings kaum an: Bis zum Sommer sind gerade einmal 15,7 Millionen Mittel abgeflossen. Sind Bürokratie und Föderalismus die größten Bremsen für die schnelle Digitalisierung der Schulen?
Erstmal ist es richtig und wichtig, dass es diesen Digitalpakt gibt. Ebenso, dass die Schulen Konzepte schreiben müssen, denn das Geld soll ja nicht irgendwo versickern. Aber die Bürokratie dahinter ist doch fraglich – denn spätestens jetzt hätten doch alle Schülerinnen und Schüler Tablets haben müssen.

Aber das schönste Tablets nutzt ja nichts, wenn der Lehrer keine Lust auf digitalen Unterricht hat?
Nur, weil wir hier an der einen Ecke Google und an der anderen Apple haben, sind wir Lehrer ja noch längst nicht alle Tech-Freaks. Allerdings ist die Offenheit für Veränderung hier doch größer. In Deutschland wartet man darauf, was das zuständige Kultusministerium entscheidet, was die Kultusministerkonferenz (KMK) beschließt – ja, man wartet eigentlich, bis die Zukunft über einen kommt.

Das kommt im Silicon Valley vermutlich eher selten vor.
Wir haben uns als Lehrer doch mal dafür entschieden, junge Leute fit für die Zukunft zu machen, dann können wir doch nicht überrascht sein, wenn die Zukunft herausfordernd ist. Wir selbst müssen also die Veränderung sein. Aber das funktioniert natürlich nicht mit dem Motto: „Der Lehrer hat morgens recht und nachmittags frei“. Sondern man muss dann auch mal von den Schülern Rat annehmen und sich mit den Kollegen intensiver austauschen.

Haben Sie vorm Lockdown also eine Art Schnellkurs gemacht?
Wir haben uns vorm ersten Lockdown im März mit dem Kollegium formell und informell zusammengesetzt, da durften auch die vermeintlich blödesten Fragen zu den Geräten und Plattformen gestellt werden, wobei jeder von uns schon vorher ein Tablet hatte. Und dann ging’s los. Seither unterrichten wir bis auf eine dreiwöchige Ausnahme im Oktober im Distanzunterricht.

Und wie klappt das?
Super. Die Erstklässler konnten schon vor Weihnachten alle Buchstaben. Und ich treffe meine Schüler für Mathe und Physik im digitalen Klassenzimmer und unterrichte am Bildschirm, die Schülerinnen und Schüler machen anschließend ihre Arbeitsbögen oder schreiben im Hefter, fotografieren die Seiten ab, schicken sie mir rüber und ich korrigiere sie dann am Tablet. Da braucht es nicht viel mehr Technik, als die Kids ohnehin schon in der Hand haben.

Läuft es denn auch so gut, weil digitales Lernen schon vorher üblich war?
Nicht in dieser Form, die ja mitunter eher ein Rückschritt als ein Fortschritt ist.

Inwiefern?
Weil wir quasi wieder viel mehr Frontalunterricht machen. Guter Digitalunterricht bedeutet aber, dass die Medien und Plattform einen Mehrwert beim Lernen bringen sollen. Richtig eingesetzt, ermöglichen sie individuelleren und kreativen Unterricht, in dem ich Schülern je nach Fortschritt eigene Lernpakete zusammenstellen kann oder Medien kreativer genutzt werden.

Lernformen, die durch die Pandemie mehr Schub bekommen können?
Ja, das hoffe ich. Ich summe gerade permanent den REM-Song: „It’s the end of the world as we know it... and I feel fine.“ Das passt doch perfekt, oder? Meine größte Sorge ist tatsächlich, dass wir zum „old normal“ zurückgehen, statt die Chance zu nutzen, ein „new normal‘ für unsere Schulen zu definieren.


„Darauf muss man aber Lust haben – sonst bringt der Digitalpakt nichts“

Was Ihnen Hoffnung macht, bereitet anderen womöglich eher Sorgen.
Im Idealfall kombinieren wir künftig das, was wir uns jetzt über die technischen Mittel und Plattformen angeeignet haben mit der klassischen Didaktik und Pädagogik, um neue Unterrichtsformen auszuprobieren. Darauf muss man aber Lust haben – sonst bringt der Digitalpakt nichts. Deshalb hoffe ich auch, dass er zur Aus- und Fortbildung der Lehrer genutzt wird, dass Didaktik für den Einsatz digitaler Medien künftig Pflichtfach ist. Denn eines ist klar: Darauf hoffen, dass der Digitalisierungskelch an einem vorübergeht, sollte man als Lehrer nicht mehr.

Dass digitaler Unterricht behindert wird, liegt aber teils auch gar nicht an Lehrern, sondern an Eltern und ihren zu großen Datenschutzbedenken oder Abneigung gegen zu viel Technik. Kennen Sie das auch aus dem Silicon Valley, wo Apple-Gründer Steve Jobs seinen Kindern ja angeblich die Nutzung von Tablets verboten hat?
Ja, klar werden hier auch solche Sorgen geäußert, eher von Eltern, die gerade hergezogen sind und weniger von Expats, die schon 20 Jahre hier leben. Aber wir haben da ganz klare Regeln: Deutsche Auslandsschulen nutzen künftig die Schulcloud des Hasso-Plattner-Instituts (HPI). Bei Veröffentlichungen verwenden wir nur die Vornamen der Kinder, der Unterricht findet in Echtzeit statt und darf nicht aufgezeichnet werden, Eltern sollen sich nicht zur „Qualitätskontrolle“ dazu schalten. Die Datenschutzstandards sind also sehr hoch.

Ist Informatik eigentlich Pflichtfach an Ihrer Schule?
Wir unterrichten Informatik in der Mittelstufe, im Abitur gibt‘s Informatik als Wahl-Prüfungsfach. Im Nachmittagsangebot haben wir Robotik, Programmieren und Entrepreneurship mit jährlichem „Shark Tank“, sowie einen neu eingerichteten „Maker Space“.

Auf Ihre Schule gehen aber nicht nur Kinder mit einem deutschsprachigen Hintergrund, sondern auch Eltern aus amerikanischen Familien. Was finden die an einer deutschen Schule überhaupt interessant?
Auch, wenn das jetzt nach den ganzen Klagen über die digitale Bildung merkwürdig klingt: Grundsätzlich wird das deutsche Bildungssystem hier sehr geschätzt. Wir unterrichten wie alle Auslandsschulen nach dem Thüringer Curriculum, neben der Bilingualität ist eine zweite Fremdsprache bei uns Pflicht, ab der sechsten Klasse unterrichten wir alle drei Naturwissenschaften parallel, was hier im Valley sehr geschätzt wird. Im amerikanischen System gibt es in der 9. Klasse Bio, in der 10. vielleicht Chemie und mit Glück in der 11. Physik. Auch der Literaturunterricht aus dem Land der Dichter und Denker kommt gut an – und das Holzspielzeug für die Kleinen.

Holzspielzeug, ein Renner im Silicon Valley?
Ja, denkt man vielleicht nicht, ist aber so. Aber es geht um die Qualität insgesamt. Die Lehrer haben eine Hochschulausbildung, im Kindergarten gibt es ausgebildete Erzieherinnen, die auf frühkindliche Bildung spezialisiert sind. Und dass Lehrer aus Deutschland hier regelmäßig Station machen, soll die Qualität dauerhaft sichern. Denn die Aufgabe der Deutschen Auslandsschulen ist neben der Förderung der deutschen Sprache und Kultur ja auch die Stärkung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes Deutschland.

Wie lange werden Sie in Mountain View bleiben?
Mein Vertrag läuft zunächst über drei Jahre, maximal können es sechs werden. Mit der Pandemie ist es natürlich gerade schwer mit den gegenseitigen Besuchen, ansonsten gefällt es mir, meinem Mann und meinem Sohn hier aber gut, alles ist hier sehr „low key“, ob die Eltern im Monat eine Million machen oder nie, weiß man nicht, denn alle laufen nur in Flipflops rum.

Sie sind während Ihrer Beurlaubung weiter Landesbeamtin in Berlin. Tauschen Sie sich aktuell mit der Berliner Senatsschulverwaltung über Ihre Erfahrungen aus?
Würde ich gerne, denn ich habe hier viele Ideen gesammelt. Gleichzeitig kenne ich die Rahmenpläne, das Schulgesetz und die Abläufe, weiß also, wo man ansetzen muss. Deshalb habe ich in den vergangenen Monaten mehrfach einen Austausch angeboten. Darauf wurde von Berliner Senatsseite bisher, sagen wir mal, selbstbewusst, verzichtet.

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