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Warum es in Deutschland so wenige Tech-Börsengänge gibt

Selbst deutsche Wachstumsunternehmen wie Biontech oder Curevac gehen lieber in New York an die Börse als in Frankfurt. Woran liegt das?

Lieber an die New Yorker Nasdaq als an die Frankfurter Börse. Foto: dpa
Lieber an die New Yorker Nasdaq als an die Frankfurter Börse. Foto: dpa

Während es in den USA und China immer neue Rekorde bei den Börsengängen von Technologieunternehmen zu vermelden gibt, herrscht in Europa Ebbe. Laut Datenanbieter Bloomberg wurden bis August nur 16 Neuemissionen, sogenannte IPOs, von Technologieunternehmen in Europa gezählt. Die Erlöse addierten sich auf 650 Millionen Dollar. In den USA wurden dagegen 9,2 Milliarden erlöst und gut 23 Milliarden in Asien. Das chinesische Fintech Ant will demnächst sogar 35 Milliarden Dollar über einen dualen Börsengang in Hongkong und Schanghai einnehmen.

Speziell in Deutschland können die wenigen Newcomer an der Börse die Investoren kaum überzeugen – Siemens Energy oder der Rüstungselektronikwert Hensoldt notieren nach ihrem IPO im September noch immer nahe dem Ausgabekurs. Die deutschen Biotech-Hoffnungsträger Curevac und Biontech entschieden sich lieber gleich für einen Börsengang in den USA.

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Selbst wenn bei so manchem hochgehandelten Tech-IPO in den USA der Hype-Verdacht mitschwingt: Mit jedem Unternehmen, das sich für einen Börsengang in New York oder Schanghai entscheidet, verlieren die hiesigen Finanzplätze ein Stück Zukunft. Denn aus einigen der Börsenneulinge von heute, das lehrt die Erfahrung, werden die Teslas und Googles von morgen.

Woran aber liegt es, dass speziell die kontinentaleuropäische Finanzhauptstadt Frankfurt ausgerechnet beim Tech-Börsenboom außen vor bleibt? „In Deutschland mangelt es an einer ausgeprägten Aktienkultur“, sagt Norbert Kuhn, Leiter Unternehmensfinanzierung beim Deutschen Aktieninstitut (DAI). Diese Kultur könne sich nur entwickeln, wenn in der Altersvorsorge stärker auf die Aktie gesetzt werde, wie das etwa in den USA oder Schweden der Fall sei: „Das kommt nicht nur der Börse, sondern auch der Wirtschaft insgesamt zugute.“

Umgekehrt hat die fehlende Aktienkultur auch Rückwirkungen auf die Start-up-Szene. „Wenn es in Zukunft mehr Einhörner in Deutschland geben soll, muss für sie der Exitweg über IPOs offenstehen“, heißt es in einer Analyse der öffentlichen Förderbank KfW.

„Einhörner“ sind Start-ups, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind. Deutschland hat zwölf davon, China hat 103, die USA führen mit 216. Eine solch hohe Bewertung bedeutet, dass die Unternehmen mehr Kapital zur Verfügung haben, schneller wachsen können und bessere Chancen haben, das Rennen gegen die digitale Konkurrenz zu gewinnen.

Selbst wer in Deutschland groß wird, geht deshalb noch lange nicht in Deutschland an die Börse. Das Tübinger Biotechunternehmen Curevac hat einen neuartigen Impfstoff gegen das Sars-CoV-2-Virus in der klinischen Erprobungsphase. Tatsächlich hätte Curevac verschiedene Optionen für einen Börsengang geprüft, sagte CEO Franz-Werner Haas.

Aber mit Blick auf ihren gentechnisch modifizierten Impfstoff, der auf der sogenannten Messenger-RNA-Technologie basiert, fühlten sich die Tübinger in den USA am besten aufgehoben. „Die Entscheidung für die Nasdaq hat stark damit zu tun, dass wir in den USA viele Analysten finden, die sich mit mRNA-Technologie auskennen und damit auch unsere künftigen Produktentwicklungen validieren könnten“, sagte Haas.

Auch die deutsche Biontech aus Mainz fand ihr Glück in den USA. Biontech hatte beim IPO mehr als 150 Millionen Dollar eingesammelt und ist aktuell fast 16 Milliarden Dollar wert. Und Curevac, die beim Börsengang mehr als 200 Millionen Dollar erlöste, wird heute mit mehr als neun Milliarden Dollar bewertet. Zwei Börsenstars made in Germany, von denen nun der Finanzplatz New York profitiert.

Dabei lässt sich die Entscheidung von Curevac und Biontech für den Schritt in die USA durchaus nachvollziehen: Dort bringen Investoren nicht nur weitaus größere Finanzressourcen und Risikobereitschaft mit. Geldgeber und Aktienanalysten verfügen auch über tiefere Kenntnisse in Biochemie und Medizin – und damit über größeres Know-how in der Beurteilung junger Biotechunternehmen. Tendenziell sind die Bewertungen für Biotechfirmen in den USA damit höher als in Deutschland und Europa.

Das haben auch die deutschen Biotechunternehmen Immunic und Immatics genutzt: Die Münchener Immunic ging im April 2019 über eine Fusion mit der an der Nasdaq gelisteten Firma Vital Therapies, die sozusagen als Firmenhülle agierte, an die Technologiebörse. Und das auf Krebstherapien spezialisierte Unternehmen Immatics nutzte im Juli dieses Jahres die gleiche Strategie mit der Firma Arva Science für eine Notierung in den Vereinigten Staaten.

In den USA gibt es laut DAI-Experte Kuhn sowohl Analysten, die die Tech-Aktien abdecken und regelmäßig darüber berichten, als auch zahlreiche Investmentbanken, die bereit seien, kleine IPOs zu begleiten. In Deutschland liege der Fokus zu stark auf großen Börsengängen, weil es einfach wegen des fehlenden Ökosystems noch zu wenig kleine gebe. „So werden Chancen gerade bei Technologiewerten links liegen gelassen“, meint Kuhn.

Boden gutmachen konnte in den vergangenen Monaten die Mehrländerbörse Euronext. Der größte Tech-Börsengang in den ersten sechs Monaten 2020 gelang im Mai trotz der Coronakrise dem Videokonferenzunternehmen Pexip an der Börse Oslo, die inzwischen Teil der Euronext ist. Durch den IPO erzielte der europäische Zoom-Wettbewerber einen Bruttoerlös von 217 Millionen Euro, am Tag der Erstnotiz konnte der Kurs um über 40 Prozent gegenüber dem Emissionspreis zulegen.

Politik muss den Rücken stärken

„Um Deutschland bei Zukunftsbranchen voranzubringen und eine Finanzierung über die heimische Börse zu forcieren, sollte die Politik sich stärker hinter den Finanzplatz stellen, so wie das in anderen europäischen Ländern auch geschieht“, sagt Oliver Diehl. Er leitet das Geschäft mit Aktienemissionen in Kontinentaleuropa bei der Investmentbank Jefferies.

So gebe es zum Beispiel in Skandinavien oder Großbritannien eine breitere Investorenbasis und bessere Rahmenbedingungen für IPOs von mittelständischen Unternehmen, bis hin zu Steuererleichterungen für Aktieninvestitionen an der britischen Börse AIM für junge Unternehmen.

Um die Finanzierung junger Technologiefirmen zu verbessern, hat die Deutsche Börse 2015 die Plattform „Venture Network“ gegründet, auf der sich Investoren und Wachstumsfirmen gegenseitig beschnuppern können. Zudem richtet das Unternehmen Schulungen und Kapitalmarkttrainings für Start-ups aus, um diese auf mögliche Börsengänge vorzubereiten.

2017 führte Deutschlands größter Börsenbetreiber das Segment „Scale“ ein, in dem neben Wachstumsunternehmen auch viele Mittelständler gelistet sind. Unternehmen müssen dabei eine Reihe von Mindestanforderungen erfüllen und sich von Analysten durchleuchten lassen.

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Auf diese Weise will die Deutsche Börse sicherstellen, dass sich eine Skandalserie wie am „Neuen Markt“ nicht wiederholt. Dieser war 1997 inmitten des Technologiebooms geschaffen worden. Bis 2000 schossen die Kurse vieler Internetfirmen in die Höhe. Nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ stürzten sie jedoch ins Bodenlose. 2003 stellte die Börse das Segment ein.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier weiß, dass Handlungsbedarf besteht. Der CDU-Politiker hat deshalb einen schnellen Start des Zehn-Milliarden-Euro-Zukunftsfonds angekündigt, mit dem mehr privates Kapital für innovative Start-ups mobilisiert werden soll, die dann auch an die Börse gehen könnten. Im ersten Quartal 2021 will er ein Ergebnis vorstellen.

Mut macht das Nachbarland Polen: An der Warschauer Börse startet einer der größten Börsengänge Europas. Der polnische Amazon-Rivale Allegro wird bei seinem Debüt – in Euro gerechnet – ein Emissionsvolumen in Milliardenhöhe erlösen.