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Deutschland debattiert über Lockerungen – Experten warnen vor exponentieller Ausbreitung

Die Infektionszahlen sinken langsam, die Lockerungsdebatte nimmt wieder Fahrt auf. Doch Experten warnen vor einer dritten Welle und dem dritten Lockdown.

Am Mittwoch beraten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder, wie es ab dem 14. Februar mit dem Lockdown weitergeht. Die Infektionszahlen und die Sieben-Tage-Inzidenz waren zuletzt langsam gesunken, am Sonntag lag der Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen bundesweit bei 75,6.

Darum mehren sich auch die Stimmen, die für erste Lockerungen im Schulbetrieb, in Kitas und bei Dienstleistungen und im Handel plädieren. Die Bundeskanzlerin hatte bis zuletzt eine Sieben-Tage-Inzidenz von unter 50 vorgegeben, damit die Gesundheitsämter die Infektionsketten wieder nachvollziehen und unterbrechen können.

Doch der Plan für Lockerungen steht auf wackeligen Beinen: Virologen und das Robert-Koch-Institut warnen davor, den Lockdown zu früh zu lockern. Mit den Öffnungen könnten die Infektionszahlen schnell wieder exponentiell steigen, was nach Ansicht der Experten zu einem erneuten Lockdown führen könnte.

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Zudem bereitet den Experten die Ausbreitung der Mutationen große Sorgen. Am Montag soll es den ersten offiziellen Überblick geben, wie sich etwa die deutlich ansteckendere Variante aus Großbritannien B.1.1.7 in Deutschland ausgebreitet hat.

Zudem herrscht in der Bundes- und Landespolitik alles andere als Einigkeit bei den Debatten um Lockerungen. Einzelne Ministerpräsidenten haben bereits Stufenpläne für Öffnungen angekündigt, andere warnen vor dem frühzeitigen Aufheben der Beschränkungen. In der Bevölkerung wächst zudem die Unzufriedenheit über die Maßnahmen. Nur noch jeder zweite Deutsche ist gegen eine Lockerung des Lockdowns, zuvor waren es rund 67 Prozent.

Virologin Melanie Brinkmann kritisiert Sieben-Tage-Inzidenz von 50

Die Virologin Melanie Brinkmann hatte zuletzt die Lockerungen der Corona-Einschränkungen bei einer Inzidenz von knapp unter 50 als „fatal“ bezeichnet. „Die Zahlen würden sofort wieder steigen. So eine Mittelinzidenz bedeutet letztlich eine Art Dauer-Lockdown, aus dem man nur zwischendurch mal kurz auftauchen und nach Luft schnappen kann“, sagte die Wissenschaftlerin vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung dem „Spiegel“ am Freitag.

Aus Sicht der Virologin könnten niemals genügend Menschen geimpft werden, „bevor die Mutanten durchschlagen“. Dieser Wettlauf sei längst verloren. „Alles andere entspringt Wunschdenken, genährt von falschen Versprechungen einiger Politiker“, sagte Brinkmann.

Bereits im Herbst habe die Politik zu spät reagiert, so Brinkmann, jetzt wiederhole sie mit Blick auf die mutierten Varianten diesen Fehler. „Wir alle wollen aus diesem verdammten Lockdown raus–- aber die Kanzlerin hat am Dienstag leider verkündet, dass die 50er-Inzidenz weiterhin als Richtschnur dienen soll. Mit diesem Kurs haben wir keine Chance.“

Brinkmann warb erneut für die „No Covid“-Strategie, die sie und weitere renommierte Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche vorgeschlagen hatten. Damit „ließe sich die Sieben-Tage-Inzidenz zügig unter 10 drücken. Die Gesundheitsämter könnten wirklich wieder Infektionsketten nachverfolgen, und wir alle bekämen unser Leben zurück. Zumindest ein Leben, so ähnlich wie im Sommer 2020.“

Christian Drosten: „Bis Ostern noch wenig Bevölkerungsschutz durch die Impfung“

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte der „Passauer Neuen Presse“, er warne davor, gleich auf Bundesebene eine Öffnung oder Lockerung ins Auge zu fassen. „Klug wäre es, gemäß einem hoffentlich inzwischen vorliegenden Plan lokal und regional ab Unterschreiten der magischen Inzidenzgrenze von 50 Lockerungen vorzunehmen. Das hieße, dass man sich in einer Stadt oder einem Landkreis, in dem die Inzidenz schon bei 25 liegt, freier bewegen können sollte als in anderen mit höchsten Infektionsraten.“

Aus Sicht von Montgomery wäre es rein medizinisch am klügsten, zu warten, bis die Sieben-Tages-Inzidenzen überall bei unter 10 lägen. Er warf aber ein: „Das ist nicht realistisch in einem föderalen Staat, und das würde eine coronamüde Bevölkerung nicht hinnehmen. Deswegen darf man die Geduld der Menschen nicht überstrapazieren, muss ihnen aber auch sagen, welches Risiko sie eingehen.“

Auch der Virologe Christian Drosten hat erneut vor zu frühen Lockerungen gewarnt. „Für die Zeit bis Ostern können wir noch nicht viel an Bevölkerungsschutz durch die Impfung erwarten“, sagte der Charité-Wissenschaftler im Podcast „Coronavirus-Update“ bei NDR-Info vom Dienstag. Im Vordergrund stehe der Schutz für die Risikogruppen. Auch wenn durch die Impfungen die Sterblichkeit sinke, bleibe das Verringern der Fallzahlen für ihn essenziell. In diesem Jahr findet Ostern Anfang April statt.

Der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr schloss sich den Warnungen an. Der Inzidenzwert von 50 werde seinen Berechnungen nach voraussichtlich bundesweit um den 18. Februar unterschritten, sagte der Experte für Corona-Prognosen der Deutschen Presse-Agentur in Saarbrücken. Doch er sei noch „viel zu hoch“, um Infektionsketten nachzuverfolgen. Hinzu komme noch die Unwägbarkeit über die Ausbreitung der hochansteckenden Mutanten. „Unsere magische Grenze liegt eher bei 20. Auch wenn das keiner hören will.“

Wenn der aktuelle Lockdown-Zustand beibehalten werde, werde man 20 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche nach Analyse des „Covid-Simulators“ an der Universität des Saarlandes Mitte März erreichen. Bei 10 wäre man Mitte April. Bisher ist der Lockdown bis zum 14. Februar beschlossen.

Lehr betonte, dass im ersten Lockdown 2020 die Sieben-Tage-Inzidenz nie die Schwelle von 50 überschritten hatte. Im Simulator sehe man, dass das Infektionsgeschehen „richtig dynamisch“ geworden sei, nachdem Ende September die Grenze von 20 durchbrochen worden sei. Er ging davon aus, dass die Mutationen bald „mit einer deutlicheren Kraft um sich greifen als was wir bisher sehen“.

Niedersachsen und Schleswig-Holstein setzen sich für Stufenpläne ein

Eine baldige Lockerung der Corona-Regeln ist nach Einschätzung von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nicht in Sicht. „Wir werden über den 14. Februar hinaus noch deutliche Einschränkungen haben“, sagte er in einem Interview des Nachrichtenportals „t-online“. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu relevanten Öffnungsschritten kommen wird.“

Weil forderte einen bundeseinheitlichen Stufenplan für Öffnungen. „Das hatten wir auch so vereinbart“, so der SPD-Politiker. „Ich habe derzeit aber nicht den Eindruck, dass daran sonderlich intensiv gearbeitet wird, der Bund übt sich da noch in Zurückhaltung.“ Nach wie vor liege kein einheitlicher Vorschlag auf dem Tisch. „Einen Sonderweg würden wir in Niedersachsen nur gehen, wenn es sich wirklich nicht vermeiden lässt.“

Niedersachsen hat jüngst einen Stufenplan vorgestellt, der das Vorgehen in der Coronakrise planbarer und verlässlicher machen soll. Abhängig von der Entwicklung des Sieben-Tage-Werts der Neuinfektionen und der Corona-Reproduktionszahl sieht der Plan eine schrittweise Rückkehr zur Normalität oder noch schärfere Maßnahmen als bislang vor.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther will sich ebenfalls für baldige Lockerungen von Corona-Schutzmaßnahmen einsetzen. Dies sagte der CDU-Politiker am Freitag im ZDF-„Mittagsmagazin“. Er bezog sich wie Weil auch auf einen Stufenplan. Sein Land habe sich deshalb verpflichtet gefühlt, einen solchen auch vorzulegen. „Was wir das letzte Mal beschlossen haben, gilt, und von daher wird ein Stufenplan definitiv auch kommen.“

Der Stufenplan der Regierung von Schleswig-Holstein sieht die Möglichkeit vor, ab einer sieben Tage lang stabil unter 100 liegenden Inzidenz – der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen – an Kitas den eingeschränkten Regelbetrieb zu starten und für die Schulklassen 1 bis 6 Wechselunterricht aufzunehmen.

Zudem können Friseure wieder öffnen. Berücksichtigt werden sollen aber auch die Auslastung der Intensivbetten, das Verbreitungspotenzial des Virus, Mutationen, die Situation des öffentlichen Gesundheitsdienstes und die Impfquote. Weitere Lockerungsschritte sieht der Kieler Plan vor, wenn die Inzidenz stabil unter 50 liegt.

Grundschulen und Kitas mit Öffnungsperspektive

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), plädierte für Lockerungen für die Schulen. „Wir wünschen uns Lockerungen für den Schulbetrieb. Ob das der 14. Februar, eine oder zwei Wochen später sein wird, ist im Moment ja noch nicht zu sagen“, sagte sie im Deutschlandfunk.

Ernst sagte, ein harter Lockdown sei mit manchen Lernangeboten nicht vereinbar. Eine systematische Unterstützung der Schüler sei aber dringend notwendig. Insbesondere für Grundschüler sehe sie die lange Dauer der Schließung als sehr problematisch an. Um Lernlücken und Rückstände aufzufangen, die durch den Corona-Betrieb entstehen würden, seien die Bundesländer dabei, entsprechende Konzepte zu erarbeiten. „So ein bisschen Osterferienangebot“ reiche aber absolut nicht aus, betonte die KMK-Präsidentin.

Der SPD-Gesundheitsexperte schloss sich auch den Forderungen der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer an. Sie forderte eine Öffnung von Grundschulen und Kitas. Bei der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ sagte er: „Kinder unter 12 Jahre sind deutlich weniger ansteckend als Erwachsene und stecken sich auch deutlich weniger selbst an. Ab 12 Jahren tut sich zwischen Kindern und Erwachsenen nicht mehr viel. Das gilt insbesondere für die britische Mutation B.1.1.7. Wenn man öffnet, kann man zuerst über die Grundschulen und Kitas nachdenken“, sagte er.

Nordrhein Westfalens Ministerpräsident und der Bundesvorsitzende der CDU, Armin Laschet, hat ebenfalls eine Priorität für Schule und Kinder bei möglichen Lockerungen gefordert. „Uns ist allen klar, Schule, Bildung, Kinderbetreuung muss absolute Priorität haben“, sagte Laschet am Samstag auf dem CDU-Landesparteitag im niedersächsischen Hildesheim.

„Ehe wir irgendein Geschäft oder etwas anderes öffnen, muss die Bildung für unsere Kinder wieder in Gang gesetzt werden, denn wir richten mit dem Lockdown auch Schäden an“, sagte der CDU-Bundesvorsitzende, der zu dem weitestgehend online organisierten Parteitag zugeschaltet wurde. „Wenn Kinder wochenlang nicht in der Schule sind, nicht gesehen werden, gibt es Kindeswohlgefährdung und da werden Bildungschancen gefährdet.“

Die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) äußerte sich auch zur Öffnung von Schulen und sagte, dass sie diese vorerst nur in Ausnahmefällen für möglich hält. Eine flächendeckende Rückkehr zum Präsenzunterricht „dürfte momentan wegen der allgemeinen Infektionslage vermutlich noch verfrüht sein“, sagte die CDU-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Vielleicht kann mit großer Vorsicht ein erster Schritt gegangen werden.“ Damit bezieht sie sich vor allem auf Grundschulen. Kinder unter 12 Jahren sind laut verschiedener internationaler Studien deutlich weniger ansteckend.

Markus Söder bleibt vorsichtig

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Samstag auf dem CDU-Landesparteitag im niedersächsischen Hildesheim: „Wenn die Zahlen sinken, und das tun sie, dann haben wir mehr Perspektiven (...)“. Doch sollte man nichts überstürzen. „Sicherheit ist – glaube ich – am Ende der beste Ratgeber.“

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dem „Münchner Merkur“ (Samstag), schnelle Lockerungen sehe er noch nicht. „Aber wenn man über die Reihenfolge von Lockerungsmechanismen diskutiert, muss nicht zwingend die Schule zu Beginn stehen“, erklärte er. „Ich weiß, dass die Forderungen danach besonders stark sind und es dafür auch gute Gründe gibt, aber ein mögliches Infektionsgeschehen in den Schulen stellt aus meiner Sicht kein unwesentliches Risiko dar.“ Er könne sich Lockerungen beispielsweise bei körpernahen Dienstleistungen oder anderen Bereichen zu Beginn eher vorstellen, dazu gehören etwa Friseurinnen und Friseure.

Bundesinnenminister Horst Seehofer forderte ebenfalls demnächst kleinere Gewerbe wie Friseursalons wieder zu öffnen. „Ich bin in der aktuellen Situation ganz klar für eine Verlängerung der Corona-Schutzmaßnahmen. Wir sollten aber diejenigen Maßnahmen zurücknehmen, die ganz offensichtlich keine Schutzwirkung entfalten“, sagte der CSU-Politiker dem „Spiegel“. Bei Friseuren habe sich regelrecht ein Schwarzmarkt entwickelt. Das sei viel gefährlicher, als Friseurläden mit einem strengen Hygienekonzept die Öffnung zu erlauben.

Peter Altmaier warnt vor Mutationen

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte der „Bild am Sonntag“: „Wir dürfen uns nicht öffentlich mit Lockerungs-Fahrplänen überbieten.“ Die Zahl der Neuinfektionen sei derzeit kaum niedriger als Ende Oktober, als der Lockdown begann. „Erst seit gut zwei Wochen sinkt sie kräftig, die Todeszahlen sind immer noch sehr hoch.“ Er sehe mit großer Sorge, dass die Mutationen des Virus inzwischen fast in ganz Deutschland nachgewiesen würden.

Altmaier versuchte der Bevölkerung aber Hoffnungen zu machen: „Ich hoffe sehr, dass wir spätestens zum Frühlingsanfang, spätestens an Ostern, wenn die Sonne scheint und man draußen sitzen und speisen kann, die Pandemie-Welle endgültig gebrochen haben und Öffnungen möglich sind.“

Er begrüße die Konzepte aus den Ländern zu regionalen Lösungen. „Wir sollten stärker differenziert vorgehen“, sagte der Minister. „Den Lockdown in Super-Hotspots, wie es sie leider immer noch an vielen Stellen in Deutschland gibt, etwa an der Grenze zu Tschechien, aufzuheben, macht keinen Sinn.“ Aber dort, wo in den Bundesländern weite Bereiche sehr niedrige Infektionszahlen hätten, lägen die Dinge anders und besser, meinte Altmaier.

Mit Material von dpa