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Deutsche Politik wusste seit 2016 von Tierversuchen

Diesel-Abgastests an Menschenaffen? Kanzlerin Angela Merkel verurteilt die Forschung der Autoindustrie. Dabei wussten die Mitglieder des U-Ausschusses zum VW-Abgasskandal seit eineinhalb Jahren Bescheid.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat umstrittene Diesel-Abgastests scharf verurteilt und Aufklärung eingefordert. „Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. „Die Empörung vieler Menschen ist absolut verständlich.“

Dabei sind zumindest die Abgastests an Tieren dem Untersuchungsausschuss zum VW-Abgasskandal seit eineinhalb Jahren bekannt. Schon auf dessen Sitzung am 8. September 2016 berichtete der bekannten Toxikologe Helmut Greim mehrfach davon, dass es entsprechende Tests gegeben habe. Keiner der informierten Politiker nahm jedoch daran Anstoß. Dies geht aus dem stenografischen Protokoll der Sitzung hervor, das dem Handelsblatt vorliegt. Das Statement des Toxikologen für den U-Ausschuss vom 26. August 2016 ist auf der Webseite des Bundestages abrufbar (PDF).

In der vierten Sitzung des Untersuchungsausschusses erklärte Helmut Greim, ehemaliger Lehrstuhlinhaber für Toxikologie und Umwelthygiene an der Technischen Universität München, den Politikern, wie die Forschung ihre Erkenntnisse über die Wirkung von Stickstoff gewonnen habe: „Das ist unsere Information aus Tierversuchen.“ Der ebenfalls geladene Sachverständige Thomas Kuhlbusch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bestätigte den Einsatz von Tierversuchen.

Dem Untersuchungsausschuss gehörten vier Politiker der CDU/CSU-Fraktion an, darunter deren verkehrspolitischer Sprecher Ulrich Lange. Die SPD entsandte ihre Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann. Für die Grünen saß der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Oliver Krischer im Ausschuss. Den Vorsitz des Gremiums hatte der Linken-Politiker Herbert Behrens.

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Keiner der Politiker stellte zum Thema Tierversuche eine Nachfrage. Lühmann konnte sich nicht mehr an den Bericht des von der CDU eingeladenen Sachverständigen erinnern. Im Gespräch mit dem Handelsblatt betonte sie aber, dass man sich immer auf die Untersuchungen der WHO gestützt habe, auf deren Basis die Grenzwerte in Europa festgelegt worden seien. Daher sei im Ausschuss nicht weiter auf andere Studien eingegangen worden.

Mit Blick auf die jetzt bekannt gewordenen Abgastests sagte Lühmann: „Ich war erschüttert, dass die deutschen Hersteller eine Organisation gründen, die Tier- und Menschenversuche nur zu dem Zwecke durchführt, um ihre Produkte entgegen anderen wissenschaftlichen Untersuchungen als unbedenklich darzustellen.“ Sie bezeichnete dies als „amoralisches Verhalten“. Es seien obendrein noch Versuche ohne jede Aussagekraft gewesen. „Wir müssen überlegen, ob wir so etwas in Zukunft überhaupt noch zulassen“, sagte Lühmann.

Helmut Greim, der das Dieselproblem in seiner Befragung mehrfach herunterspielte, war den Ausschussmitgliedern gut bekannt. Von 1992 bis 2007 war er Vorsitzender der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die unter anderem maximale Konzentrationen für Chemikalien am Arbeitsplatz festlegt. Greim war auch Mitglied der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“. Im Juli 2015 überreichte ihm Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) das Große Verdienstkreuz mit Stern.

Greim war allerdings auch Beiratsvorsitzender der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT), die die Studie mit Versuchen an Menschenaffen in den USA in Auftrag gegeben hatte. Federführend war laut Studienleiter dabei VW. Zur EUGT hatten sich Volkswagen, Daimler, BMW und Bosch zusammengeschlossen.

Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) kritisierte die Tests am Montag scharf, die ausschließlich PR-Zwecken dienten, wie ein Sprecher sagte. Die Untersuchungskommission des Ministeriums zum Abgasskandal solle in einer Sondersitzung prüfen, ob es weitere Fälle gibt. Die Autokonzerne seien aufgefordert worden, umgehend und detailliert Stellung zu nehmen. Die FDP brachte personelle Konsequenzen ins Spiel.


„VW-Chef Müller hat seinen Konzern nicht im Griff“

„Die Vorgänge sind unfassbar und unentschuldbar. Sie bringen erneut VW und andere Autokonzerne ins Zwielicht“, sagte der Vizechef der Liberalen im Bundestag, Michael Theurer, dem Handelsblatt. „Sollten sich die neuesten Beschuldigungen gegen VW und andere Autokonzerne tatsächlich bewahrheiten, kann das nicht ohne personelle Konsequenzen bei VW als dem Epizentrum des Dieselskandals bleiben. Denn VW-Chef Müller hat seinen Konzern ganz offensichtlich nicht im Griff.“

Konzernchef Matthias Müller trage mittlerweile die „Verantwortung für eine ganze Reihe von VW-Skandalen“, sagte Theurer weiter. Das beginne mit dem Dieselskandal vor gut zwei Jahren, setze sich fort mit dem aktuellen Verdacht des erneuten Einsatzes von Schummel-Software bei den VW-Töchtern Audi und Porsche und reiche bis zu möglichen kartellrechtlich unzulässigen Absprachen bei Stahl und nun „völlig inakzeptablen“ Abgastests. „So kann es nicht weitergehen“, betonte der FDP-Politiker. Nun seien „unverzügliche und vollständige Aufklärung und Transparenz“ das Gebot der Stunde.

Volkswagen räumte derweil ein, dass Mitarbeiter des Konzerns von den umstrittenen Tierversuchen in den USA wussten. „Informationen über die Studie der US-Forscher hatten einzelne Mitarbeiter in der Rechtsabteilung des Konzerns, in den Konzern-Außenbeziehungen, in der Technischen Entwicklung der Marke Volkswagen und bei Volkswagen of America“, teilte der Wolfsburger Konzern am Montag mit. Die Studie sei nicht Gegenstand einer Vorstandssitzung gewesen. Zuvor hatte Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch eine umfassende Aufklärung angekündigt. „Wer auch immer dafür Verantwortung zu tragen hat, ist selbstverständlich zur Rechenschaft zu ziehen.“

Auch VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh forderte kurzfristig personelle Konsequenzen – sollten Verantwortliche noch bei VW beschäftigt sein. „Der Aufsichtsrat ist sich einig: Hier muss schnellstmöglich lückenlos aufgeklärt werden“, betonte Osterloh am Montag in Wolfsburg. „Als VW-Konzernbetriebsrat sind wir erschüttert. Hier sind offensichtlich ethisch-moralische Grenzen überschritten worden.“ Für die Volkswagen-Beschäftigten distanziere er sich klar. Volkswagen hatte sich zuvor für die Versuche entschuldigt.

Die Abgastests könnten nach Einschätzung der Wirtschaftsforscherin Claudia Kemfert einen dauerhaften Imageschaden für die Autoindustrie nach sich ziehen. „Das Image der Autokonzerne hat sich ohnehin durch den Abgasskandal massiv verschlechtert, die jetzigen Vorfälle verschlimmern es weiter“, sagte die Abteilungsleiterin für Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dem Handelsblatt.

Die deutschen Autokonzerne müssten nun daher „massiv umdenken und ihr Handeln sofort radikal ändern“, sagte Kemfert weiter. Sie müssten nun endlich „echte umwelt- und gesundheitsschonende Antriebstechnologien in aller Fülle auf den Markt bringen“, damit sie den Anschluss an den Weltmarkt nicht verpassen und nicht weiter Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. „Nur wenn die Konzerne mit neuen Umwelt- und Gesundheitsschutz-Strategien aufwarten, wird sich der Imageschaden dauerhaft heilen lassen“, betonte die DIW-Ökonomin.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) verurteilte am Montag die Schadstofftests. Der Verband distanzierte sich wie die betroffenen Unternehmen VW, Daimler und BMW von den Vorgängen. „Hier zeigt sich einmal mehr: Technik und Wissenschaft müssen sich grundsätzlich im Rahmen des gesellschaftlich und ethisch Verantwortbaren bewegen“, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann. Diese Balance zu halten sei eine ständige Aufgabe für jede Industrie. „Ohne ethisches Fundament gewinnt man keine Zukunft“, betonte Wissmann.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace reagierte ebenfalls mit Unverständnis auf die Abgastests. Denn: „Unabhängige Studien etwa von der Europäischen Umweltagentur haben VW und den anderen Dieselkonzernen längst die Forschung abgenommen“, sagte die Greenpeace-Verkehrsexpertin Marion Tiemann dem Handelsblatt. Danach führe Stickstoffdioxid alleine in Deutschland pro Jahr zu gut 12.000 vorzeitigen Todesfällen. „Statt weiter das Problem zu vertuschen, müssen die Konzerne endlich an der Lösung arbeiten“, verlangte Tiemann. „Nur mit abgasfreiem Verkehr wird die Luft in deutschen Städten wirklich sauber.“