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"Wir brauchen eine unabhängige öffentlich-rechtliche Infrastruktur im Netz"

Tom Buhrow ist seit 2013 Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Seit Anfang 2020 ist er darüber hinaus Vorsitzender der ARD, turnusgemäß voraussichtlich bis zum Ende des Jahres 2021. (Bild: WDR / Herby Sachs)
Tom Buhrow ist seit 2013 Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Seit Anfang 2020 ist er darüber hinaus Vorsitzender der ARD, turnusgemäß voraussichtlich bis zum Ende des Jahres 2021. (Bild: WDR / Herby Sachs)

Die ARD startet in diesen Tagen einen Zukunftsdialog mit Bürgerinnen und Bürger über ihre Zukunft. Darüber hinaus macht sich Tom Buhrow, Intendant des WDR und Vorsitzender der ARD, im Interview Gedanken zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen in zehn Jahren.

Die Zukunft des linearen Fernsehens? Die Zukunft von ARD und ZDF? Debatten darüber entstehen seit Jahrzehnten in Wellen. Mitte der 80er-Jahre gab es sie mit dem Start des Privatfernsehens. Rund um die Jahrtausendwende mit dem Siegeszug des Internets. Jetzt, 2021, hat die ARD einen Zukunftsdialog ins Leben gerufen. Über mehrere Monate sollen in unterschiedlichen Formaten Bürgerinnen und Bürger an der Diskussion über die Zukunft der ARD beteiligt werden. "Wir sind aufrichtig daran interessiert, unmittelbar zu erfahren, wie die Menschen im Land die ARD in Zukunft sehen", sagt Tom Buhrow, Intendant des WDR und seit Anfang 2020 Vorsitzender der ARD. In einem Gastbeitrag in der "FAZ" hatte der 62-Jährige vor wenigen Wochen darüber hinaus unter dem Titel "Wo die ARD im Jahr 2030 steht" Gedanken zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen in zehn Jahren formuliert. Themen wie eine gemeinsame Mediathek von ARD und ZDF und das Verschwinden von Spartenkanälen wurden angesprochen.

teleschau: Herr Buhrow, der Untergang des linearen Fernsehens wurde in den vergangenen Jahren, ja Jahrzehnten, schon mehrfach beschworen. Bislang ist es entgegen vieler Prognosen nicht dazu gekommen. Abends schalten sich weit über 20 Millionen Menschen linear zu. Die durchschnittliche Sehdauer lag 2020 stabil hoch bei 220 Minuten. Warum blieben der Trend zur Individualisierung und die weiter zunehmende Digitalisierung in dieser Hinsicht für das lineare Fernsehen bisher folgenlos?

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Tom Buhrow: Gerade in der Corona-Zeit ist das Informationsbedürfnis stark gestiegen. Das haben wir zum Beispiel bei den Informationssendungen in den Dritten Programmen gesehen. In der Zeit von 18 bis 20 Uhr, in der die Dritten Programme vor allem Nachrichten-Formate und regionale Information anbieten, haben die Sender im Jahr 2020 mit fast 20 Prozent Marktanteil den höchsten Wert in ihrer Geschichte erreicht. Und auch in unserem nationalen Programm Das Erste wurde mehr geschaut - sowohl Informationssendungen als auch Filme. Die Menschen haben mehr Zeit zu Hause verbracht, und wir haben ihnen gute Angebote gemacht.

teleschau: Sie sprechen in Ihrem Beitrag die Idee einer einzigen Mediathek für öffentlich-rechtliche Inhalte an und haben dabei auch Unterstützer aus der Politik. Wie lassen sich innerhalb der ARD die Kritiker einer solchen Idee davon überzeugen?

Buhrow: Nahezu alle ARD-Sender haben inzwischen ihre eigenen Mediatheken zugunsten der ARD-Mediathek aufgegeben. Weil die Nutzerinnen und Nutzer im Vordergrund stehen. Für sie soll es möglichst einfach sein, unsere Inhalte zu finden. Mit Erfolg: Die Videoabrufe der ARD-Mediathek haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt - werden also stärker nachgefragt denn je. Und das ist immer mein Hauptargument, wenn wir über diese Themen sprechen: Es ist weniger wichtig, was wir wollen - im Vordergrund steht das bestmögliche Angebot für unser Publikum.

teleschau: Unter welcher Marke sollte das neue gemeinsame Angebot auftreten?

Buhrow: Wenn es so weit ist, finden wir sicher einen guten Titel.

Quoten und Abrufzahlen seien immer auch ein Indikator, ob mit den Angeboten die Menschen wirklich erreicht werden. Dabei gelte jedoch, so Tom Buhrow: "Quote ist nicht alles." (Bild: WDR / Annika Fußwinkel)
Quoten und Abrufzahlen seien immer auch ein Indikator, ob mit den Angeboten die Menschen wirklich erreicht werden. Dabei gelte jedoch, so Tom Buhrow: "Quote ist nicht alles." (Bild: WDR / Annika Fußwinkel)

"Das Laute und Extreme schreckt viele Menschen ab"

teleschau: Spartensender, betonen Sie, könnten in dieser Mediathek aufgehen und nicht mehr im linearen Fernsehen angeboten werden. Derzeit beinhaltet das Medienangebot von ARD und ZDF unter anderem ARD-alpha, ONE, Tagesschau24, 3sat, ZDFinfo, ZDFneo, Phoenix und andere. Werden 2030 demnach also all diese Sender tatsächlich verschwunden und durch einzelne Programmangebote innerhalb der Mediathek ersetzt sein?

Buhrow: Es wird damit zusammenhängen, welcher Auftrag in welcher Form auf die Öffentlich-Rechtlichen in Zukunft zukommt. Aber die entscheidende Frage ist aus meiner Sicht auch nicht, welchen Spartenkanal brauchen wir heute nicht mehr, sondern wo sind unsere guten Angebote in zehn Jahren am besten aufgehoben: in der linearen Welt der Fernsehkanäle oder in der nonlinearen Welt unserer Mediathek? Das gleiche gilt übrigens auch für Audio.

teleschau: Eine, wie Sie sagen, "seriöse Quelle für die demokratische Willensbildung in unserem Land" zu sein, bleibt sicher eine der Kernaufgaben. Wie lässt sich dieses Ziel im Netz sicherstellen, das bekanntermaßen das Laute, das Extreme, das Tendenziöse zunehmend belohnt?

Buhrow: Indem wir unsere journalistischen Standards einhalten und unsere Rolle als Journalisten auch im Netz wahrnehmen. So wie wir in Talkshows unsere Moderationsaufgabe sicherstellen, tun wir das zum Beispiel auch in den sozialen Netzwerken. Stichwort: Community-Management. Ich bin überzeugt, dass wir als öffentlich-rechtliche Sender einen Beitrag dazu leisten, dass die Debattenkultur auch im Netz eine Chance hat. Das Laute und Extreme schreckt, wie Sie sagen, viele Menschen ab, die sich aber durchaus gerne an Diskussionen beteiligen - wenn es zivilisierter zugeht. Auch dafür steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

teleschau: Google und zum Beispiel Facebook prägen schon heute den digitalen Alltag der Menschen. Deren Regeln bestimmen darüber hinaus aber auch die Geschäftsmodelle privater Anbieter im Netz. Inwieweit muss sich auch das öffentlich-rechtliche Angebot den Vorgaben dieser Player unterwerfen, um überhaupt wahrgenommen zu werden? Wie groß ist die Gefahr einer Abhängigkeit?

Buhrow: Natürlich müssen wir auch dahin gehen, wo unsere Nutzerinnen und Nutzer sind, um sie weiter zu erreichen. Es wäre naiv anzunehmen, dass wir nur warten müssen und sie unsere Angebote auf unseren Plattformen schon finden werden. Darauf beruht zum Beispiel der Ansatz von funk. Die Kolleginnen und Kollegen haben großen Erfolg damit, in den bestehenden Communitys mitzumischen und dort mit den Inhalten reinzugehen. Für uns als ARD ist aber mindestens genauso wichtig: Wir brauchen parallel eine unabhängige öffentlich-rechtliche Infrastruktur im Netz, die die Leute direkt ansteuern können und auf die wir verweisen können. Deshalb bauen wir zum Beispiel unsere für das Publikum wichtigsten Digitalangebote weiter aus: ARD-Mediathek, ARD-Audiothek, tagesschau.de, sportschau.de und KiKA.

In der "FAZ" entwickelte Tim Buhrow vor Kurzem in einem Gastbeitrag eine Vision der ARD im Jahr 2030. Wichtig sei, den Blick darauf zu richten, was die Gesellschaft künftig vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet. (Bild: WDR / Annika Fußwinkel)
In der "FAZ" entwickelte Tim Buhrow vor Kurzem in einem Gastbeitrag eine Vision der ARD im Jahr 2030. Wichtig sei, den Blick darauf zu richten, was die Gesellschaft künftig vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet. (Bild: WDR / Annika Fußwinkel)

"Quote ist nicht alles"

teleschau: Ist die Vorgabe des Rundfunkstaatsvertrages, dass Ihre Angebote "Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung" zu bieten haben, für das Netz des Jahres 2030 Ihres Erachtens nach noch die treffende?

Buhrow: Und die Kultur gehört auch dazu. Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft diese breite Palette an Inhalten auch in Zukunft nachfragen wird. Vielleicht ändert sich die Form, wie wir diese Inhalte anbieten - aber die Grundlinie bleibt. Das gehört zu unserem Profil, das macht uns aus.

teleschau: Warum sollten öffentlich-rechtliche Anbieter Ihrer Auffassung nach im Netz von morgen sowohl Wettbewerber von Nachrichtenportalen als auch von Streaming-Anbietern sein?

Buhrow: Wir haben einen umfassenden Auftrag, für die Menschen Programm zu machen - im Bereich Video und Audio. Onlineportale, Apps und Streaming-Plattformen sind die neuen Radio- und Fernsehgeräte, damit wir diesen Auftrag erfüllen können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

teleschau: "Das Erste muss Quote machen", sagten der ehemalige ARD-Programmdirektor Volker Herres und auch der Programmdirektor vor ihm. Lässt sich diese Vorgabe ins Netz übertragen? Muss das öffentlich-rechtliche Angebot also auch Zugeständnisse machen, um Aufmerksamkeit zu erhalten und Klicks zu generieren?

Buhrow: Quoten und Abrufzahlen sind immer auch ein Indikator, ob wir mit unseren Angeboten die Menschen wirklich erreichen. Relevanz, Qualität, Nutzen - darum geht es. Dabei gilt: Quote ist nicht alles. Für Programme, die eine breite Zielgruppe wie das Erste haben, ist der Maßstab ein anderer als für Programme mit einer eher spitzen Zielgruppe. Die Nachfrage nach Angeboten für kleinere Zielgruppen wird weiter zunehmen, das zeigt der Trend im Digitalen. Darauf können wir reagieren, und das macht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja aus - dass wir Inhalte für die gesamte Gesellschaft anbieten können, unabhängig davon, ob sich das wirtschaftlich rechnet.

teleschau: Das Internet ist bis heute ein in weiten Teilen unregulierter Raum. Ein öffentlich-rechtliches Angebot muss sich indes an strenge gesetzliche Vorgaben und auch an ethische Standards halten. Ist das ein im Grunde nicht aufzuholender Wettbewerbsnachteil?

Buhrow: Im Gegenteil. Gerade mit Qualitätsstandards können und wollen wir punkten. Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Sorgfalt, Fairness, Persönlichkeitsrechte - alles ethische Standards, für die wir stehen und die auch nachfragt werden. Ein Beispiel: Der "Corona-Update"-Podcast mit Christian Drosten hat seit Februar 2020 mehr als 100 Millionen Abrufe. Ich sehe keinen Wettbewerbsnachteil - wenn wir die richtigen Inhalte haben.

"Ich bin überzeugt, dass wir als öffentlich-rechtliche Sender einen Beitrag dazu leisten, dass die Debattenkultur auch im Netz eine Chance hat", sagt Tom Buhrow. (Bild: WDR / Herby Sachs)
"Ich bin überzeugt, dass wir als öffentlich-rechtliche Sender einen Beitrag dazu leisten, dass die Debattenkultur auch im Netz eine Chance hat", sagt Tom Buhrow. (Bild: WDR / Herby Sachs)

Die Medien in den Medien

teleschau: Sie wünschen sich, die Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Kern nicht am Ist-Zustand auszurichten, sondern an der Frage, was die Gesellschaft von ihm erwarten wird. Dazu starteten Sie einen Zukunftsdialog mit Bürgerinnen und Bürgern. Welche Möglichkeiten gibt es darüber hinaus, eine solche Diskussion innerhalb der Gesellschaft zu führen?

Buhrow: Es ist das erste Mal, dass wir als ARD einen so breit angelegten Zukunftsdialog ins Leben gerufen haben. Der ARD-Zukunftsdialog streckt sich über mehrere Monate. Am Anfang stand an diesem Samstag ein Workshop mit 200 Bürgerinnen und Bürgern. Der Workshop ist Grundlage für die Onlinebeteiligung, die wir am 31. Mai starten. Dann haben alle die Möglichkeit, sich mit ihren Ideen zur Zukunft der ARD einzubringen. Den Input aus der Gesellschaft diskutieren wir im Anschluss in den einzelnen Sendern und mit den Gremien; im Herbst kommen dann die 200 Bürgerinnen und Bürger wieder zusammen, um gemeinsam auf die Ergebnisse der Onlinebeteiligung und das Feedback der ARD-Sender zu schauen. Wir sind gespannt, inwiefern wir daraus welchen Input ziehen können - danach sehen wir weiter, ob wir den Dialog oder ein ähnliches Format wiederholen.

teleschau: In den großen, populären Talkshows wird mehrfach in der Woche die Qualität von Politik hinterfragt. Die Rolle der Medien wird innerhalb der Medien dazu im Vergleich eher selten auf großer Bühne thematisiert. Müsste mit Blick auf eine von möglichst vielen Menschen getragene Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Angebots nicht auch im linearen Fernsehen das Thema "Medien" häufiger im Mittelpunkt stehen?

Buhrow: Na klar. Wir greifen die Diskussion in unseren Programmen regelmäßig auf. Und wir haben eine Reihe Medienmagazine, die auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk thematisieren.

teleschau. Sie erwarten ein größeres Engagement der öffentlich-rechtlichen Sender vor Ort in den Regionen, unter anderem durch eine Kooperation mit privaten Medienhäusern. Wie könnten solche Kooperationen konkret aussehen?

Buhrow: Vieles tun wir schon jetzt und weiten es auch aus. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Kooperation mit Audio-Streaming-Anbietern. Und ich sage schon lange, dass unsere aktuellen Nachrichtenfilme in der Region potenziell auch von Zeitungsverlagen genutzt werden können. Mir geht es aber nicht nur um mehr Kooperationen mit Medienhäuser, sondern auch um eine stärkere Zusammenarbeit mit Einrichtungen aus Wissenschaft, Kultur und Bildung. Dafür werbe ich.

Die ARD sieht sich auch künftig im Wettbewerb sowohl mit Nachrichtenportalen als auch von Streaming-Anbietern. Tom Buhrow: "Wir haben einen umfassenden Auftrag, für die Menschen Programm zu machen - im Bereich Video und Audio. Onlineportale, Apps und Streaming-Plattformen sind die neuen Radio- und Fernsehgeräte, damit wir diesen Auftrag erfüllen können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger." (Bild: WDR / Herby Sachs)