Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 2 Stunden 21 Minuten
  • Nikkei 225

    37.942,47
    +313,99 (+0,83%)
     
  • Dow Jones 30

    38.085,80
    -375,12 (-0,98%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.939,57
    -48,83 (-0,08%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.386,63
    +4,06 (+0,29%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.611,76
    -100,99 (-0,64%)
     
  • S&P 500

    5.048,42
    -23,21 (-0,46%)
     

Brüssel muss Ungarn die Grenzen aufzeigen

In Ungarn gibt es für Ausländer wenig zu Lachen. Vielleicht deshalb kam Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys bei Ihrem heiteren Frühlingskonzert in Budapest auf Einladung der Deutschen Botschaft in Ungarn so gut bei den internationalen Konzertbesuchern an? Mit ihrem lebensfrohen, weltoffenen Swing bot das Quartett zumindest musikalisch das Gegenstück zur pessimistischen, nationalen Stimmung im Land der Magyaren.

Mit seinem geplanten Hochschulgesetz hat der rechtspopulistische Premier Viktor Orbán, der mit seiner Partei Fidesz im Budapester Parlament über eine knappe Zwei-Drittelmehrheit verfügt, nach Meinung ausländischer Analysten in Ungarn komplett überdreht. Selbst konservative Sympathisanten gehen mittlerweile auf Distanz zu dem Premier, der sein Modell einer „illiberalen Demokratie“ Stück für Stück umsetzt.

Orbán ist ein Ministerpräsident, der sich permanent im Wahlkampf befindet. Er ist einer, der sich immer neue Gegner oder Sündenböcke sucht, um die heimische Wählerschaft zu mobilisieren und hinter sich zu scharen. Nach den Flüchtlingen hat er George Soros, den aus Ungarn stammenden Multimilliardär und Philanthropen jüdischen Glaubens, als neuen Gegner ausgemacht. Doch an dem einflussreichen Investor aus New York droht sich Orbán nun zu verheben.

Das am Dienstag verkündete Vertragsverletzungsverfahren, dass die EU-Kommission, als Warnschuss angegeben hat, ist für Orbán ärgerlich, aber nicht bedrohlich. Viel mehr schmerzt den ungarischen Ministerpräsidenten, dass er es sich mit seinem Angriff auf Soros private Eliteuniversität Central European University (CEU) in Budapest mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump verdorben hat. Seine Rechnung, in dem erzkonservativen Gegner des Freihandels einen mächtigen Unterstützer seiner autokratischen Politik zu finden, ist nicht aufgegangen. Im Gegenteil, die Unterstützung Washingtons für Soros und sein philanthropisches Engagement in Ungarn ist gewaltig. Und auch Brüssel steht demonstrativ auf der Seite des Unternehmers, wie der herzliche Empfang des 86-Jährigen durch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag zeigte.

WERBUNG

Orbán wird durch das trickreiche Hochschulgesetz deshalb nicht die Schließung der Eliteuniversität CEU erreichen können. Nicht nur weil es gegen geltende EU-Gesetze wie der akademischen Freiheit oder Dienstleistungsfreiheit verstößt, sondern weil er für die USA mit seiner Gesetzesinitiative eine rote Linie überschritten hat. Das haben Unterhändler aus Washington in Budapest längst klar gemacht. Selbst in der rechtspopulistischen Fidesz geht der Kampf gegen die angesehene Hochschule vielen zu weit. Während Orbán selbst vergessen hat, dass er einst als Student in Oxford vom pekuniären Segen Soros‘ profitiert hat, wissen andere in seiner Partei, dass er mit der beabsichtigten Schließung der CEU dem Ansehen Ungarns in Europa und in der Welt schwer schaden würde.


Beobachter erwarten einen Rückzieher Orbans

Orbáns Politik funktioniert bislang wie die Echternacher Springprozession: drei Schritte vor, zwei Schritte zurück. Alles deutet darauf hin, dass der ungarische Ministerpräsident im Fall des neuen Hochschulgesetzes einen umfassenden Rückzieher machen wird. Orbán selbst hat jetzt angekündigt, eine Lösung zu finden, ohne sie genau zu definieren.

Das Gesetz wird in der bisherigen Form zweifellos im Oktober nicht in Kraft treten. Orbán will es sich wegen Soros und einer Privatuniversität mit gerade mal 1.400 Studenten nicht für ewig mit Donald Trump verderben, aber auch nicht mit der Europäischen Union. Schließlich ist Brüssel der Dukatenesel für den Führer der Ungarn, um sichtbare Wohltaten wie Stadtverschönerung, den Ausbau von Straßen, Schulen und andere Infrastrukturmaßnahmen zu verteilen.

Europa muss in Zukunft Ungarn, dem Modell einer autoritären Demokratie mit eingeschränkten Bürger- und Unternehmerrechten und eine kaum noch vorhandenen Medienfreiheit, mehr Aufmerksamkeit widmen. Denn das osteuropäische Land darf nicht zu einem Feldversuch für eine „gelenkte Demokratie“ nach dem Vorbild von Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdoğan werden. Der Salamitaktik der ungarischen Regierung, mit immer neuen, bauernschlauen Gesetzen die Demokratie zu unterminieren, muss Europa viel stärker als in der Vergangenheit begegnen. Ein Vertragsverletzungsverletzungsverfahren ist ein Instrument, aber keinesfalls das Wirksamste.

Geld ist auch in diesem Fall die stärkste Waffe. Der Milliarden schwere Geldsegen aus der Brüsseler Kasse ist schließlich das Schmieröl für Orbáns System und eine von Oligarchen geprägte Wirtschaft. Nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU wird es weniger Geld innerhalb der Union zu verteilen geben, deshalb ist es besonders wichtig, gegen Korruption und Vorteilsnahme in osteuropäischen Ländern vorzugehen. Es kann nicht sein, dass auf illegale Weise gerade die Feinde Europas mit Subventionen großzügig alimentiert werden. Kontrolle, Transparenz und Strafen sind daher das oberste Gebot für die EU.

Doch wer glaubt, mit dem Rückzieher im Fall der drohenden Schließung der Uni wäre die Auseinandersetzung mit Orbán gewonnen, täuscht sich. Längst hat der Rechtspopulist neue Gesetze in Vorbereitung, beispielsweise gegen Nicht-Regierungsorganisationen, die für Menschenrechte, Flüchtlinge, Pressefreiheit und die Zivilgesellschaft eintreten. Orbans Fragebogen-Aktion „Stoppt Brüssel!“ auf postfaktischer Grundlage und mit Suggestivfragen gibt einen Vorgeschmack auf seine Schamlosigkeit im Kampf um Stimmen.

Im April 2018 stehen schließlich die nächsten Parlamentswahlen an. Der seit 2010 regierende Orbán will die Wahlen nicht nur gewinnen, sondern seinen schärfsten innenpolitischen Gegner, die rechtsextreme Jobbik-Partei, in die Schranken weisen. Angesichts des bevorstehenden Duells zwischen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in dem osteuropäischen EU-Land wird sich Europa noch auf manche unliebsame Überraschung gefasst machen müssen. Ohne nachhaltigen Widerstand und selbstbewusste Konfliktfähigkeit wird Europa den Kampf gegen das Modell der „illiberalen Demokratie“ nicht gewinnen können.

In der Auseinandersetzung mit Ungarn geht es für Europa um sehr viel. Denn die Union begreift sich als Wertegemeinschaft mit wirtschaftlicher Erfolgsgarantie. Wenn diese Werte von einem Mitgliedsland immer wieder und provokant mit Füßen getreten werden, muss die Union angemessener und effektiver reagieren. Denn sonst wird ihre mehr als 60 Jahre alte DNA, geschaffen mit den Römischen Verträgen, irreparabel beschädigt. Die Tage der Europäischen Union in ihrer bisherigen Form wären dann gezählt – mit unabsehbaren Folgen.

KONTEXT

Die wichtigsten EU-Verträge

Vertrag von Lissabon (2007)

Der Reformvertrag überarbeitet die bestehenden EU-Verträge, nämlich den Vertrag über die Europäische Union (EUV) und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). Der EUV führt die grundlegenden Bestimmungen der EU auf, die Arten und Bereiche der Zuständigkeit der Union für die verschiedenen Politikfelder werden jedoch im AEUV angesiedelt. Das neue Vertragswerk löst den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit aus dem EUV heraus und integriert ihn in den AEUV, während die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in EUV verortet wird. Am 13. Dezember 2007 unterzeichneten die europäischen Staats- und Regierungschefs den Vertrag von Lissabon, am 1. Dezember 2009 trat er in Kraft.

Quelle: Europäisches Parlament

Vertrag von Nizza (2001)

Der Vertrag von Nizza hat Änderungen an den Gründungsverträgen (EU-Vertrag und EG-Vertrag) vorgenommen, um die Funktionsfähigkeit der Union nach ihrer Erweiterung auf 25 Mitgliedsstaaten zu garantieren. Die Änderungen von Nizza, der EU-Vertrag und der EG-Vertrag sind in einer konsolidierten Fassung zusammengeführt worden, die die geltende vertragliche Grundlage für das Handeln der EU darstellt. Der Vertrag von Nizza wurde am 26. Februar 2001 unterzeichnet. Er ist seit 1. Februar 2003 in Kraft.

Vertrag von Amsterdam (1997)

Im Vertrag von Amsterdam wurde die EU weiter vertieft und ihre Effizienz und Handlungsfähigkeit gestärkt. Das Parlament erhielt mehr Möglichkeiten bei der Mitentscheidung. Die Grundlagen für die europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Beschäftigung und innere Sicherheit wurden verbessert. Die Staaten unterzeichneten das Schriftstück am 2. Oktober 1997. In Kraft trat der Vertrag am 1. Mai 1999.

Vertrag über die Europäische Union (1992)

Der Maastrichter Vertrag hat die Europäische Union (EU) begründet: Es wurden neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der Mitgliedsstaaten in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik, Justiz und Inneres eingeführt. Durch die Verknüpfung der Regierungszusammenarbeit mit dem bestehenden Gemeinschaftssystem hat der Vertrag von Maastricht eine neue Struktur geschaffen: Die Europäische Union (EU) verbindet drei Säulen (Europäische Gemeinschaft, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik) und bildet das gemeinsame Dach. Zudem wurden auch Änderungen am Vertrag über die Europäische Gemeinschaft vorgenommen. Die "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" wurde in "Europäische Gemeinschaft" umbenannt. Der Vertrag über die Europäische Union wurde am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet und trat am 1. November 1993 in Kraft.

Einheitliche Europäische Akte (1986)

Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) enthielt die für die Verwirklichung des Binnenmarkts notwendigen Anpassungen am EWG-Vertrag, führte Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat ein und stärkte die Rolle des Europäischen Parlaments. Die EEA wurde in Luxemburg und Den Haag am 17. bzw. 28. Februar 1986 unterzeichnet und trat am 1. Juli 1987 in Kraft.

Die Römischen Verträge (1957)

In Rom unterzeichneten die sechs Länder Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande am 25. März 1957 die so genannten Römischen Verträge. Mit der Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sollte der freie Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr gesichert werden. Ziel der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) war es, Aufbau und Entwicklung der Atomindustrie in den Mitgliedsstaaten zu fördern. Die Römischen Verträge wurden zum 1. Januar 1958 wirksam.

Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1951)

Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande unterzeichneten am 18. April 1951 in Paris den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Er trat am 23. Juli 1952 in Kraft und schuf einen gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl, der die gemeinsame Kontrolle über diese Grundstoffe ermöglichte. Am 23. Juli 2002 lief der Vertrag aus.